Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 29.12.2003
Aktenzeichen: 17 Ta (Kost) 6109/03
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 12 Abs. 7
Die Werte einer Kündigungsschutzklage und einer Klage, mit der die von der Wirksamkeit der Kündigung abhängigen Vergütungsansprüche geltend gemacht werden, sind für den Zeitraum aufeinander anzurechnen, der für die Bewertung der Kündigungsschutzklage maßgebend ist.
Landesarbeitsgericht Berlin Beschluss

17 Ta (Kost) 6109/03

In dem Beschwerdeverfahren

in dem Streitwertfestsetzungsverfahren

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 17. Kammer durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dreßler als Vorsitzenden

am 29. Dezember 2003

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 22. September 2003 - 54 Ca 12767/02 - teilweise geändert:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 11.999,78 EUR und - soweit es die gegen die Landeskasse gerichteten Gebührenansprüche betrifft - auf 11.585,48 EUR festgesetzt. II. Im Übrigen wird die Beschwerde auf Kosten der Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei einem Beschwerdewert von 250,56 EUR zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Klägerin war seit dem 1. September 2001 bei der Beklagten tätig. Sie hat sich in dem diesem Beschwerdeverfahren vorausgegangenen Rechtsstreit gegen drei außerordentliche Kündigungen vom 26. April, 29. April und 8. Mai 2002 gewandt (Klageantrag zu 1.). Die Klägerin hat ferner eine Restvergütung für den Monat April 2002 sowie die Vergütungsansprüche für die Zeit von Mai bis Oktober 2002 geltend gemacht (Klageanträge zu 2. bis 5., 7. und 8.). Mit dem Klageantrag zu 6. hat sich die Klägerin schließlich gegen eine vorsorgliche ordentliche Kündigung vom 5. August 2003 gewandt und die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht.

Das Arbeitsgericht hat der Klägerin für die genannte Rechtsverfolgung mit Ausnahme der zuletzt genannten Feststellungsklage Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten bewilligt. Der Rechtsstreit wurde durch einen außergerichtlichen Vergleich beigelegt.

Das Arbeitsgericht hat den Wert des Streitgegenstandes durch Beschluss vom 22. September 2003 auf 11.274,50 EUR bzw. hinsichtlich der gegen die Landeskasse gerichteten Gebührenansprüche auf 10.860,20 EUR festgesetzt. Es hat dabei den Klageantrag zu 1. im Hinblick auf die geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht bewertet.

Gegen diesen ihnen am 25. September 2003 zugestellten Beschluss richtet sich die am 1. Oktober 2003 eingelegte Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Sie sind der Auffassung, der Klageantrag zu 1. müsse mit 12.429,00 EUR bewertet werden, da er sich gegen drei eigenständig ausgesprochene Kündigungen richte; wenigstens sei ein Vierteljahresentgelt in Ansatz zu bringen.

II.

Die Beschwerde ist teilweise begründet.

1.

Der Klageantrag zu 1. richtet sich gegen drei zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgesprochene außerordentliche Kündigungen des Arbeitsverhältnisses. Er beinhaltet daher drei grundsätzlich eigenständig zu bewertende Bestandsstreitigkeiten i.S.d. § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG. Da sich diese Kündigungsschutzanträge jedoch innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten zeitlich überschneiden, sind ihre Werte teilweise aufeinander anzurechnen. Der Umfang dieser Anrechnung richtet sich nach der Zeitspanne, die zwischen den in den jeweiligen Kündigungen genannten Beendigungszeitpunkten liegt, wobei die gegen die zuletzt ausgesprochene Kündigung gerichtete Klage ihren Wert behält (vgl. hierzu LAG Berlin, Beschluss vom 10. April 2001 - 17 Ta 6052/01 (Kost)). Ferner ist nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammer zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Kündigungen zwar länger als sechs Monate, jedoch noch kein Jahr bestanden hatte; die einzelne Bestandsstreitigkeit war daher mit zwei Monatsverdiensten zu je 1.381,00 EUR zu bewerten (vgl. hierzu nur LAG Berlin, Beschluss vom 17. Februar 2003 - 6018/03 (Kost)). Die gegen die Kündigung vom 8. Mai 2002 gerichtete Klage ist danach mit 2.762,00 EUR und die gegen die Kündigungen vom 26. und 29. April 2002 gerichteten Klagen bei einem angenommenen Zugang der späteren Kündigung am 15. August 2002 mit insgesamt 865,03 EUR (19 Kalendertage zu je 45,53 EUR) zu bewerten; dies ergibt einen Gesamtstreitwert für den Klageantrag zu 1. von 3.627,03 EUR.

2.

Die Werte der Klageanträge zu 2. bis 5. sowie 7. und 8. bestimmen sich für sich genommen nach der Höhe der jeweils eingeklagten Vergütung. Ob in einem Rechtsstreit wie dem vorliegenden, in dem die gerichtlich geltend gemachten Vergütungsansprüche von der Wirksamkeit der streitbefangenen Kündigung abhängen, eine Anrechnung der Werte der Bestandsstreitigkeit(en) und der Zahlungsklage(n) erfolgen kann, ist in der Rechtssprechung und der Literatur umstritten. So wird teilweise eine Zusammenrechnung der Streitwerte befürwortet. Die Streitigkeiten seien wirtschaftlich nicht identisch; würden die Bestandsstreitigkeit und die Vergütungsklage in getrennten Prozessen verfolgt, käme eine Anrechnung der Streitwerte ebenfalls nicht in Betracht. Nach einer anderen Auffassung besteht eine wirtschaftliche Identität zwischen den genannten Streitigkeiten bzw. wird es für möglich gehalten, den Wert der Bestandsstreitigkeit im Hinblick auf die Zahlungsansprüche zu kürzen. Es müsse berücksichtigt werden, dass die Bestandsstreitigkeit Grundlage der geltend gemachten Vergütungsansprüche sei, wobei die Einzelheiten wiederum umstritten sind (zum Meinungsstand: Germelmann/Matthes/Müller-Glöge/Prütting, ArbGG, 4. Auflage 2002, § 12 Rn 105 ff; GK-ArbGG/Wenzel, Stand Oktober 2003, § 12 Rn 159 ff; KR-Friedrich, 6. Aufl. 2002, § 4 KSchG Rn 279a ff., jeweils mit umfangreichen weiteren Nachweisen).

Die Beschwerdekammer hält in der vorliegenden Fallgestaltung eine Anrechnung der Streitwerte für geboten. Hängt der Bestand der im gleichen Rechtsstreit verfolgten Zahlungsansprüche von dem Ausgang der Bestandsstreitigkeit ab, so besteht zwischen beiden Streitigkeiten wirtschaftliche Identität; der Wert der Bestandsstreitigkeit ist auf den Wert der Zahlungsklage anzurechnen. Der Arbeitnehmer verfolgt mit beiden Streitigkeiten regelmäßig das gleiche Interesse; mit der Zahlungsklage wird lediglich die wirtschaftliche Folge aus der Bestandsstreitigkeit gezogen. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der Arbeitnehmer den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt festgestellt wissen will und er im gleichen Rechtsstreit die bis dahin fällig werdenden Vergütungsansprüche verfolgt (vgl. hierzu LAG Berlin, Beschluss vom 10. Mai 2002, 17 Ta 6050/02 (Kost) ). Doch auch wenn der Bestandsschutzantrag zeitlich nicht begrenzt wird, bildet er die Grundlage für die gleichzeitig geltend gemachten Vergütungsansprüche und kann daher nicht unabhängig von ihnen bewertet werden. Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, die Streitwerte wären gesondert festzusetzen, wenn die Bestandsstreitigkeit und die Vergütungsklage in verschiedenen Prozessen verfolgt würden. Die Streitwertfestsetzung kann sich immer nur auf das in Rede stehende Verfahren beziehen. Dass Rechtsanwälte bei einer Anrechnung der Streitwerte möglicherweise zukünftig die genannten Streitigkeiten nicht mehr in einem Rechtsstreit verfolgen werden, ist daher ohne rechtlichen Belang. Insoweit bleibt nur darauf hinzuweisen, dass eine derartige Prozessführung gegen die Verpflichtung verstoßen kann, die Kosten der Rechtsverfolgung niedrig zu halten. Allerdings ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Wert der Bestandsstreitigkeit nach § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG höchstens ein Vierteljahresentgelt beträgt und - wie ausgeführt - für Arbeitsverhältnisse von kurzer Dauer herabzusetzen ist. Eine Anrechnung kommt deshalb nicht in Betracht, soweit die Vergütungsansprüche den für die Wertfestsetzung nach § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG maßgeblichen Zeitraum überschreiten. Auch kann bei hierfür hinreichenden Angaben der Parteien ggf. berücksichtigt werden, dass von dem Ausgang der Bestandsstreitigkeit weitere Ansprüche abhängen oder mit ihr dem Makel einer fristlosen Entlassung begegnet werden soll. Bei Anwendung dieser Grundsätze sind die Werte der mit dem Klageantrag zu 1. verfolgten Bestandsstreitigkeiten auf den Wert der Zahlungsklagen anzurechnen, soweit die Vergütungsansprüche für einen Zeitraum von jeweils zwei Monaten nach den streitbefangenen Kündigungen in Rede stehen. Dies hat zur Folge, dass die bis zum 15. Juli 2002 eingeklagte Vergütung nicht zu einer Erhöhung des Streitwertes führt; eine weitere Anrechnung kommt hingegen nicht in Betracht. Ob eine Anrechnung der mit den Klageanträgen zu 6. bis 8. verfolgten Bestandsstreitigkeit bzw. Vergütungsklage hätte erfolgen müssen, kann dahinstehen, da der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 22. September 2003 insoweit nicht angegriffen wurde.

3.

Der Streitwert ist nach alledem wie folgt festzusetzen:

Klageantrag zu 1. 3.627,07 EUR

Klageanträge zu 2. bis 5. 690,50 EUR (Vergütung für 16. bis 31. Juli 2002)

Klageantrag zu 6. 4.557,30 EUR bzw. 4143,00 EUR

Klageanträge zu 7. und 8. 3.124,91 EUR (Vergütung für August bis Oktober 2002).

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Beschwerdewert ist die Differenz zwischen drei Rechtsanwaltsgebühren gemäß § 123 BRAGO nach dem angestrebten und dem festgesetzten Wert.

5.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

Zurück