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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 30.05.2003
Aktenzeichen: 3 Ta 926/03
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG, RPfG


Vorschriften:

ZPO § 724
ZPO § 726 Abs. 1
ZPO § 794 Ziff. 1
ZPO § 795
ArbGG § 9 Abs. 3
ArbGG § 62 Abs. 2
RPfG § 11 Abs. 1
RPfG § 20 Ziff. 12
Selbst wenn die Regelung des § 726 Abs. 1 ZPO grundsätzlich auch dann eingreift, wenn der Vollstreckungstitel - wie beim Vergleich mit Vorbehalt des Widerrufs - aufschiebend bedingt ist, so ist jedenfalls bei einem gegenüber dem Gericht zu erklärenden Widerruf nicht der Rechtspfleger, sondern der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle bei Wirksamwerden des Vergleichs funktionell für die Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung nach § 724 ZPO zuständig. Die Regelung des § 726 Abs. 1 ZPO gelangt aufgrund einer am Sinn und Zweck orientierten, einschränkenden Auslegung in diesem Fall nicht zur Anwendung.
Landesarbeitsgericht Berlin Beschluss

3 Ta 926/03

In Sachen

pp

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 3. Kammer, durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Baumann als Vorsitzenden am 30. Mai 2003

beschlossen:

Tenor:

I. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 7. April 2003 - 1 Ca 26237/02 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

In der Güteverhandlung vom 6. Februar 2003 haben die Klägerin und die Beklagten zu 2 und 3 einen Vergleich geschlossen, wonach sich die Beklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldner u.a. verpflichtet haben, das Arbeitsverhältnis der Klägerin bis zum Beendigungszeitpunkt ordnungsgemäß abzurechnen, den sich daraus ergebenden Nettobetrag unter Berücksichtigung etwaiger Anspruchsübergänge auszuzahlen und der Klägerin eine Abfindung zu leisten; die Parteien haben sich in Ziff. 6 des Vergleichs vorbehalten, ihn bis zum 20. Februar 2003 durch Anzeige bei Gericht widerrufen zu können. Ein Widerruf ist nicht erfolgt.

Unter dem 5. März 2003 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Herreichung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Vergleichs durch den Rechtspfleger beantragt, die ihm durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erteilt worden ist, worauf der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erneut um eine vollstreckbare Ausfertigung durch den Rechtspfleger nachgesucht hat.

Diesen Antrag hat das Arbeitsgericht durch den Rechtspfleger durch Beschluss vom 7. April 2003 mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Parteien keinen Vergleich unter einer aufschiebenden Bedingung, sondern auf Widerruf geschlossen hätten, seine Zuständigkeit daher nicht gegeben sei. Die vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gefertigte vollstreckbare Ausfertigung - zurückgereicht seitens der Klägerin mit Schriftsatz vom 31. März 2003 - ist ihr im Rahmen der Zustellung des Beschlusses erneut zugeleitet worden.

Dagegen wendet sich die Klägerin; und zwar zunächst durch Einreichung des Fax des Schriftsatzes vom 31. März 2003, eingegangen beim Arbeitsgericht am 28. April 2003, mit dem Vermerk "Erinnerung", und sodann durch ihren Schriftsatz vom 13. Mai 2003.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, es sei allein die Zuständigkeit des Rechtspflegers gegeben. Unerheblich sei, dass der Titel selbst und damit nicht nur die Vollstreckung aufschiebend bedingt sei. Dies gelte auch für den Umstand, dass der Widerruf gegenüber dem Gericht zu erklären gewesen sei, was allein eine Erleichterung des Gläubigers darstelle, den Eintritt der Bedingung i.S.d. § 726 Abs. 1 ZPO zu beweisen.

Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

1. Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen die durch den Rechtspfleger abgelehnte Erteilung einer qualifizierten vollstreckbaren Ausfertigung nach § 726 Abs. 1 ZPO ist nach § 78 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG, § 567 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO statthaft; die Entscheidung des Rechtspflegers stellt keine Maßnahme der Zwangsvollstreckung, sondern eine solche dar, die die Voraussetzungen des Beginns der Zwangsvollstreckung bestimmt (allgemeine Meinung; vgl. Stein-Jonas-Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 730, Rdnr. 4; Musielak-Lackmann, ZPO, 3. Aufl., § 726, Rdnr. 8; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 724, Rdnr. 13; Zöller-Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 724, Rdnr. 13).

Die Klägerin hat das Rechtsmittel auch in zulässiger Weise form- und fristgerecht eingelegt (§ 569 ZPO). Dabei kann offen bleiben, ob das mit dem Vermerk der Erinnerung beim Arbeitsgericht am 28. April 2003 eingegangene Fax den Anforderungen genügt und die sofortige Beschwerde vom 13. Mai 2003 die Beschwerdefrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewahrt hat. Zwar ergibt sich aus Ziff. 2 der Verfügung des Rechtspflegers vom 7. April 2003, dass der der Klägerin zuzustellenden Ausfertigung des Beschlusses vom 7. April 2003 eine Rechtsmittelbelehrung beizufügen gewesen ist. Eine nicht unterzeichnete Rechtsmittelbelehrung genügt dagegen nach § 9 Abs. 5 ArbGG nicht; sie hat nicht den Fristablauf in Gang gesetzt (vgl. dazu etwa BAG 5 AZR 690/97 vom 30.9.1998, NZA 99, 265).

2. In der Sache hat die sofortige Beschwerde der Klägerin jedoch keinen Erfolg. Für die ordnungsgemäße Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung des Vergleichs vom 6. Februar 2003 bedarf es nicht des Rechtspflegers. Die Regelung des § 726 Abs. 1 ZPO findet vorliegend keine Anwendung; die durch den Urkundsbeamten erteilte einfache vollstreckbare Ausfertigung begegnet nach § 724 ZPO keinen Bedenken.

a) Es ist nicht zweifelsfrei, dass der Antrag zulässig ist; Bedenken könnten gegen das Vorliegen des Rechtsschutzinteresses bestehen. Die Klägerin verfügt über eine durch den Urkundsbeamten nach § 724 ZPO ausgestellte einfache vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs. Sie kann also die Zwangsvollstreckung einleiten, wenn nicht das Vollstreckungsorgan dies mit der Begründung ablehnen kann, die erteilte Vollstreckungsklausel sei unwirksam. Ob dies ist der Fall ist, wenn der Urkundsbeamte die Vollstreckungsklausel nach § 724 ZPO erteilt, obwohl objektiv die Voraussetzungen des § 726 Abs. 1 ZPO und damit die funktionelle Zuständigkeit des Rechtspflegers gegeben ist, ist in der Rechtsprechung und in der Literatur umstritten (vgl. dazu Zöller-Stöber, ZPO, § 726, Rdnr. 7; Stein-Jonas-Münzberg, ZPO, § 726, Rdnr. 22, 23; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, § 726, Rdnr. 3; Musielak-Lackmann, ZPO, § 726, Rdnr. 4; vgl. auch MK-ZPO-Wolfsteiner, ZPO, 2. Aufl., § 726, Rdnr. 61: Im Ergebnis steht dem Gläubiger bei dieser Sachlage kein Rechtsmittel zur Verfügung).

Diese Streitfrage kann unentschieden bleiben. Denn es bestehen jedenfalls keine Bedenken dagegen, im Rahmen des Antrags nach § 726 ZPO das Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses dahingestellt zu lassen, wenn der Antrag ohnehin als sachlich unbegründet zurückzuweisen ist (zur Problematik allgemein: Zöller-Greger, ZPO, vor § 253, Rdnr. 10; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, vor § 253, Rdnr. 35).

b) Das Beschwerdegericht vermag sich nicht der von der Klägerin und einem Teil der Literatur vertretenen Auffassung anzuschließen, die Vollstreckungsklausel hinsichtlich eines auf Widerruf abgeschlossenen Prozessvergleichs könne nach §§ 726 Abs. 1, 794 Abs. 1, Ziff. 1, 795 ZPO i.V.m. § 20 Ziff. 12 RPflG (hier in Verbindung mit §§ 9 Abs. 3, 62 Abs. 2 ArbGG) nur vom Rechtspfleger erteilt werden (so insbesondere Musielak-Lackmann, ZPO, § 726, Rdnr. 3; MK-ZPO-Wolfsteiner, ZPO, § 726, Rdnr. 9; anderer Meinung: Sauer-Meiendresch, Rechtspfleger 97, 289, 290 f.; Zöller-Stöber, ZPO, § 795, Rdnr. 1).

Richtig ist, dass der unter Widerrufsvorbehalt abgeschlossene Vergleich grundsätzlich eine aufschiebend bedingte Regelung beinhaltet (vgl. etwa BAG 2 AZR 297/96 vom 28.4.1998, NZA 98, 1126; Zöller-Stöber, ZPO, § 794, Rdnr. 10 m.w.N.). Dies ist auch im vorliegenden Fall nicht anders; die Wirkung des Vergleichs sollte erst eintreten, wenn nach Ablauf der Widerrufsfrist feststeht, dass er Bestand hat.

Demgegenüber wird gegen die Anwendbarkeit des § 726 Abs. 1 ZPO eingewandt, die Vorschrift erfasse nur den Fall, dass die Vollstreckung des Titels von dem Eintritt einer Tatsache abhänge, und nicht auf den Fall, in dem die Wirksamkeit des Titels insgesamt - was gerade beim Widerrufsvergleich in der Praxis häufig vor- kommt - bedingt sei (vgl. Sauer-Meiendresch, Rechtspfleger 97, 289, 290 mit Hinweis auf OLG Braunschweig, Rechtspfleger 72, 421).

Ob dem zu folgen ist, hat das Beschwerdegericht dahingestellt bleiben lassen können; dies gilt auch für die Auffassung, es habe in diesem Fall nicht der Gläubiger, sondern der Schuldner den rechtzeitigen Zugang eines Widerrufs zu beweisen, so dass schon deswegen die Regelung des § 726 abs. 1 ZPO keine Anwendung finde (so Sauer-Meiendresch, a.a.O.).

Zwar bleibt der Bedingungseintritt, der Ablauf der Frist ohne rechtzeitigen Widerruf, grundsätzlich auch dann ein vom Gläubiger zu beweisender Umstand, wenn der Widerruf gegenüber dem Gericht zu erklären ist (die in der prozessleitenden Verfügung des Beschwerdegerichts vom 8.5.2003 dazu vertretene Auffassung wird aufgegeben). Hingegen muss darauf Bedacht genommen werden, dass die Regelung des § 726 Abs. 1 ZPO entsprechend anzuwenden ist, soweit nicht schon aus den Vorschriften der §§ 795 a bis 800 ZPO sich Abweichungen ergeben; eine entsprechende Anwendung bedeutet, dass stets zu prüfen ist, ob Sinn und Zweck der Vorschrift auf den jeweiligen Vollstreckungstitel zutrifft (vgl. Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, § 795, Rdnr. 1). Mit dieser Maßgabe ist die Regelung des § 726 Abs. 1 ZPO einschränkend des Inhalts hier anzuwenden, dass sie im Falle eines Prozessvergleichs, der gegenüber dem Gericht widerrufbar ist, nicht zum Zuge kommt. Die Erteilung einer qualifizierten Vollstreckungsklausel nach § 726 Abs. 1 ZPO ist dem Gericht vorbehalten und insoweit dem Rechtspfleger übertragen, weil das Vorliegen eines entsprechenden Titels und ein etwaiger Bedingungseintritt einer durchaus nicht leichten Prüfung bedarf, die dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht überantwortet werden kann. Demgegenüber führt der Widerrufsvorbehalt, dessen Vereinbarung sich bei Abschluss von Prozessvergleichen durchgesetzt hat und der dementsprechend ein in der Gerichtspraxis sehr häufig anfallender Titel ist, jedenfalls dann, wenn der Widerruf gegenüber dem Gericht zu erklären ist, zu der im Regelfall schnellen und leichten Prüfung der Frage des Bedingungseintritts, die nach dem Regelungszweck der §§ 795, 724 ZPO dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zugewiesen werden kann. Der rechtzeitige Widerruf eines Prozessvergleichs ist daher eben nicht eine vom Gläubiger zu beweisende Tatsache i.S.d. §§ 795, 726 Abs. 1 ZPO. Die Vorschrift des § 726 abs. 1 ZPO findet keine Anwendung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG i.V.m. § 574 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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