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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 12.09.2003
Aktenzeichen: 6 Sa 1203/03
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 620 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt 3
Ist der Arbeitgeber aufgrund Betriebsvereinbarung zur Wiedereinstellung eines Arbeitnehmers verpflichtet, dessen Arbeitsverhältnis er wirksam gekündigt hat, so kann er das künftige Arbeitsverhältnis bereits vor dessen Begründung wieder kündigen.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 1203/03

Verkündet am 12.09.2003

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 6. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 12.09.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts sowie die ehrenamtliche Richterin Aue und den ehrenamtlichen Richter Scholz

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. Mai 2003 - 12 Ca 3622/03 - im Kostenausspruch und insoweit geändert wie festgestellt worden ist, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände ende, sondern auf unbestimmte Zeit fortbestehe, und die Klage insoweit abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 20 %, die Beklagte zu 80 % zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am ..... 1962 geborene Kläger trat am 14. Oktober 1991 als Rohrleger in die Dienste der Beklagten. Sein Stundenlohn betrug zuletzt 12,92 € brutto.

Mit Schreiben vom 23. August 2002 (Ablichtung Bl. 32 d.A.) kündigte die Beklagte dem Kläger zum 31. Dezember 2002 " saisonbedingt wegen Arbeitsmangels". Gegen diese Kündigung unternahm der Kläger, dem im Januar und Februar 2003 sog. Haldestunden und Urlaubsvergütung abgerechnet wurden, im Hinblick auf eine Betriebsvereinbarung vom 21. Juni 1996 (Ablichtung 43 d.A.) nichts, wonach von einer saisonbedingten Massenentlassung betroffene Arbeitnehmer ab dem 5. Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit "bis spätestens zum Mai des darauf folgenden Jahres mit allen Rechten und Pflichten wiedereingestellt" werden. Dementsprechend wurde der Kläger ab 1. April 2003 von der Beklagten wieder beschäftigt, allerdings mit Rücksicht auf eine weitere Kündigung vom 29. Januar 2003 (Ablichtung Bl. 8 d.A.) nur bis zum 31. Mai 2003.

Das Arbeitsgericht Berlin hat auf die am 7. Februar 2003 eingereichte Klage festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden sei und dass es auch nicht durch andere Beendigungstatbestände ende, sondern auf unbestimmte Zeit fortbestehe. Zugleich hat es die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers für die Dauer des Rechtsstreits verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe dem Betriebsrat nach ihrem Vortrag außer dem Satz im Anhörungsschreiben, die Kündigung sei aus dringenden betrieblichen Gründen erforderlich, keine weiteren Angaben zu den genauen Kündigungsgründen gemacht, was den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung nicht genüge. Weitere Beendigungstatbestände seien nicht ersichtlich gewesen. Mangels Darlegung entgegenstehender Interessen der Beklagten sei dem Weiterbeschäftigungsverlangen des Klägers stattzugeben gewesen.

Gegen dieses ihr am 16. Mai 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 12. Juni 2003 eingelegte und am 16. Juli 2003 begründete Berufung der Beklagten. Sie behauptet, den Betriebsrat zusätzlich zum Anhörungsschreiben vom 21. Januar 2003 mündlich über alle tragenden Gründe der Kündigung informiert zu haben. Sie habe einen Auftragsrückgang von 95 Prozent verzeichnen müssen, weshalb sie keine Kanalbauer/Rohrleger mehr beschäftigen könne. Auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Kündigung vom 23. August 2002 habe sie sich bereits erstinstanzlich nicht mehr berufen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf seinen erstinstanzlichen Vortrag zur Auftragslage und seiner Beschäftigung mit diversen anderen weiterhin anfallenden Tätigkeiten und vertieft diesen. Zudem hätten sich die Angaben des Beklagten auf die Niederlassung Berlin beschränkt, und habe die Beklagte die Beschäftigten der Hauptniederlassung in P. nicht in die Sozialauswahl einbezogen, obwohl für beide Niederlassungen ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt worden sei.

Dem tritt die Beklagte mit der Behauptung entgegen, mit Ausnahme des Betondeckenbaus habe kein Austausch von Arbeitnehmern zwischen den beiden Niederlassungen stattgefunden. Aus den Angaben auf dem Kündigungsschreiben ergebe sich zudem, dass es sich bei der Niederlassung Berlin um ein selbständiges Unternehmen handele.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist nur teilweise begründet.

1.1 Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger Feststellung begehrt, sein Arbeitsverhältnis sei auch nicht durch andere Beendigungstatbestände als die zum Gegenstand seines Kündigungsschutzantrags gemachte Kündigung vom 29. Januar 2003 beendet worden, sondern bestehe auf unbestimmte Zeit fort. Da sich die Beklagte keiner Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum selben oder zu einem späteren Zeitpunkt als in dieser Kündigung beabsichtigt berühmt hat, mangelte es an dem gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Rechtsschutzinteresse.

1.2 Das Arbeitsverhältnis ist durch die ordentliche Kündigung vom 29. Januar 2003 nicht zum 31. Mai 2003 aufgelöst worden.

1.2.1 Allerdings war die Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG nicht zu beanstanden. Der Kläger ist dem zweitinstanzlichen Vortrag der Beklagten einer ergänzenden mündlichen Unterrichtung des Betriebsrats nicht entgegen getreten, die ohnehin bereits aus der Darstellung in der Klagerwiderung erkennbar war und deshalb Anlass zu einem Hinweis gemäß § 139 Abs. 1 ZPO hätte geben müssen.

1.2.2 Der Kündigung stand auch nicht entgegen, dass zur Zeit ihres Ausspruchs kein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestand, weil der Kläger die Kündigung vom 23. August 2002 mangels Erhebung einer Kündigungsschutzklage hatte gemäß §§ 4 Satz 1, 7 Hs. 1 KSchG fiktiv wirksam werden lassen, woran die Abrechnung noch offener Ansprüche in den Folgemonaten nichts änderte. Zwar kann ein nicht bestehendes Arbeitsverhältnis denknotwendig nicht gekündigt werden. Die Kündigung konnte jedoch als unter der Rechtsbedingung der Wiederbegründung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Betriebsvereinbarung vom 21. Juni 1996 stehend angesehen werden, was trotz der sonstigen Bedingungsfeindlichkeit von Gestaltungserklärungen unbedenklich war. Zweifelhaft erschien lediglich, ob die Kündigungsfrist bereits sofort in Lauf gesetzt wurde, weil anders als bei der Kündigung eines arbeitsvertraglich bereits begründeten Arbeitsverhältnisses vor Arbeitsantritt (dazu BAG, Urteil vom 9.5.1985 - 2 AZR 372/84 - AP BGB § 620 Nr. 4 zu B II 3 der Gründe) noch nicht einmal ein vertragliches Band zwischen den Parteien geknüpft war.

1.2.3 Die Kündigung vom 29. Januar 2003 ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam.

1.2.3.1 Das Arbeitsverhältnis des Klägers stand gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unter Kündigungsschutz, weil er in Vollzug der Betriebsvereinbarung vom 21. Juni 1996 "mit allen Rechten und Pflichten" ab dem 1. April 2003 wieder eingestellt worden war.

1.2.3.2 Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, weil sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt war, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstanden (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG).

Angesichts der vom Kläger unter Vorlage von Ausdrucken der Eigendarstellung der Beklagten im Internet gemachten Angaben zu ihrer Auftragslage und zu seinen diversen Einsätzen mit anderen Tätigkeiten genügte der pauschale Vortrag der Beklagten eines Auftragsrückgangs um 95 Prozent im Bereich Kanalbau nicht, um eine fehlende Beschäftigungsmöglichkeit bei Ablauf der Kündigungsfrist erkennen zu lassen.

Darüber hinaus bezogen sich die Angaben der Beklagten offenbar allein auf ihre Niederlassung Berlin, während sich die Beschäftigungssituation in der Hauptniederlassung P. günstiger darstellte. Deshalb hätte die Beklagte dem Kläger statt einer Beendigungs-, allenfalls eine Änderungskündigung mit dem Ziel seiner Versetzung nach P. aussprechen müssen. Dies hatte selbst dann zu geschehen, wenn sich die beiden Niederlassungen nicht als einheitlicher Betrieb darstellten, wofür die Wahl eines gemeinsamen Betriebsrats immerhin ein Indiz darstellte (vgl. BAG, Urteil vom 20.8.1998 - 2 AZR 84/98 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 50 zu II 2a, bb der Gründe). Dass die Niederlassung Berlin von einer eigenständigen Gesellschaft geführt wird, war entgegen den Ausführungen des Beklagtenvertreters im Verhandlungstermin anhand der Angaben auf dem Kündigungsschreiben nicht erkennbar. Vielmehr firmiert die Niederlassung Berlin dort gerade nicht als B. Bau Berlin GmbH, sondern als B. Bau GmbH und erscheint Berlin lediglich in der Adressangabe.

1.3 Wegen der Nichtbeschäftigung des Klägers nach dem 31. Mai 2003 bestand die Besorgnis weiterer Nichterfüllung eines entsprechenden Anspruchs, die gemäß § 259 ZPO Voraussetzung für eine Klage auf künftige Leistung ist. Der Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung ergab sich im Wege ergänzender Vertragsauslegung gemäß § 157 BGB, ohne dass die Beklagte Umstände für eine einschränkende Auslegung vorgebracht hat (i.E. eb. BAG, Beschluss vom 27.2.1985 - GS 1/84 - BAGE 48,122 = AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14 zu C II der Gründe).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.

Ende der Entscheidung

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