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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 13.12.2002
Aktenzeichen: 6 Sa 1628/02
Rechtsgebiete: BGB, GG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 162 Abs. 1
BGB § 622 Abs. 4
GG Art. 20 Abs. 3
ZPO § 142 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 424
ZPO § 428
1. Gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann die Anordnung der Vorlage einer Urkunde, die sich im Besitz einer Partei oder eines Dritten befindet, nur bei entsprechend substantiiertem Vortrag zum Inhalt dieser Urkunde getroffen werden.

2. Kündigt der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis zum 1. April, so muss er sich nicht analog § 162 Abs. 1 BGB so behandeln lassen, als habe sein Arbeitsverhältnis bereits zum 31. März geendet, wenn er zu diesem Tag die Kündigungsfrist nicht hätte wahren können.


Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 1628/02

Verkündet am 13.12.2002

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 6. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 13.12.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts sowie die ehrenamtlichen Richter Ostrop und Bräuer

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. Juli 2002 - 34 Ca 13292/02 - im Kostenausspruch und insoweit geändert, wie die Klage über einen Betrag von 1.931,79 EUR brutto nebst Zinsen hinaus abgewiesen worden ist, und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 902,83 EUR brutto (neunhundertzwei 83/100) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 24. Mai 2002 zu zahlen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 68,15 % und die Beklagte zu 31,85 % zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin stand seit dem 14. Oktober 1991 als Altenpflegerin in den Diensten der Beklagten. Auf ihr Arbeitsverhältnis fand der Bundes-Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt vom 1. November 1977 (BMT-AW II) kraft Bezugnahme Anwendung. Mit Schreiben vom 29. Januar 2002 kündigte die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis zum 1. April 2002. Sie begehrt deshalb Schadenersatz wegen Minderverdienstes in einem Folgearbeitsverhältnis sowie Schmerzensgeld wegen Mobbings durch die Personalleiterin der Beklagten. Außerdem wendet sie sich gegen eine Verrechnung ihres Anspruchs auf einen Krankengeldzuschuss mit einer Rückforderung ihrer Sonderzuwendung für das Jahr 2001 durch die Beklagte.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe keine konkreten, einer Beweisführung zugänglichen Tatsachen hinsichtlich ihrer Behandlung durch die Personalleiterin der Beklagten behauptet, weshalb ihr weder ein Schmerzensgeld noch Ersatz eines Einkommensverlustes zustehe. Ein Anspruch auf Zahlung der Sonderzuwendung für das Jahr 2001 sei nicht gegeben, weil dieser gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 3 BMT-AW II voraussetze, dass der Arbeitnehmer nicht bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres aus seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch ausgeschieden sei. Die Klägerin, die keinen nachvollziehbaren triftigen Kündigungsgrund i.S.d. § 626 BGB für sich reklamieren könne, müsse sich so behandeln lassen, als wirkte ihre Kündigung zum 31. März 2002 und nicht zum in § 39 Abs. 2 BMT-AW II nicht vorgesehenen Kündigungsdatum des Ersten eines Monats. Dies folge schon aus dem Rechtsgedanken des § 162 BGB.

Gegen dieses ihr am 26. August 2002 zugestellte Urteil richtet sich die am folgenden Tag eingelegte und am 9. Oktober 2002 begründete Berufung der Klägerin. Sie behauptet, sich mit der Vertrauensfrau der Schwerbehinderten im Betrieb der Beklagten in Verbindung gesetzt zu haben, die über Zeitpunkt, Umfang und Intensität des Mobbings Protokoll geführt habe, und beantragt, der Beklagten aufzugeben, diese Protokolle vorzulegen. Da die Kündigung aus gesundheitlichen Gründen zwingend erforderlich gewesen sei und ärztlichem Rat entsprochen habe, könne sie auch Auszahlung der in Abzug gebrachten Sonderzuwendung verlangen.

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.834,62 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt den Angriffen der Berufung im einzelnen entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist nur teilweise begründet.

1.1 Die Klägerin hat keinen vertraglichen oder deliktischen Schadenersatzanspruch auf Ausgleich eines Verdienstausfalls und Zahlung eines Schmerzensgeldes gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB. Ihr Vorbringen hinsichtlich eines sog. Mobbings durch die Personalleiterin der Beklagten ist auch in der Berufungsinstanz zu unsubstantiiert geblieben, um Gegenstand einer Beweisaufnahme zu sein. Eine solche wäre vielmehr auf eine Ausforschung der als Zeugin benannten Vertrauensfrau der Schwerbehinderten hinausgelaufen. Deshalb kam auch nicht in Betracht, der Beklagten oder der Vertrauensfrau eine Vorlage deren Protokolle gemäß §§ 142 Abs. 1 Satz 1, 424, 428 ZPO aufzugeben (vgl. Zekoll/Bold NJW 2002, 3129, 3130).

1.2 Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung ihres um den Betrag der Sonderzahlung in Höhe von 1.765,79 DM/902,83 EUR brutto gekürzten Krankengeldzuschusses. Dieser Anspruch ist insoweit nicht im Wege der Aufrechnung gemäß §§ 387, 389 BGB erloschen, weil der Beklagten der zur Aufrechnung gestellte Anspruch auf Rückzahlung der Sonderzuwendung für das Jahr 2001 gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 4 BMT-AW II nicht zustand. Weder ist die Klägerin zum 31. März 2002 aus dem Arbeitsverhältnis zur Beklagten ausgeschieden, noch muss sie sich entsprechend § 162 Abs. 1 BGB so behandeln lassen.

1.2.1 Da der Klägerin kein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB zustand, konnte sie durch ihre Kündigung vom 29. Januar 2002 ihr Arbeitsverhältnis nicht außerordentlich mit einer hinter der Frist für eine ordentliche Kündigung zurückbleibenden Auslauffrist beenden. Andernfalls wäre ihr Ausscheiden zumindest nicht aus ihrem Verschulden oder auf eigenen Wunsch erfolgt, sondern wäre von der Beklagten zu vertreten gewesen.

1.2.2 Es ist auch kein Aufhebungsvertrag der Parteien zum 31. März 2002 zustande gekommen. Ein entsprechendes Angebot der Beklagten hat die Klägerin nicht angenommen. Mit ihrer Kündigungserklärung zum 1. April 2002 hat sie vielmehr deutlich gemacht, gerade nicht vor diesem Termin ausscheiden zu wollen.

1.2.3 Die sonach im Wege einer sog. Umdeutung gemäß § 140 BGB als ordentliche Kündigung zu behandelnde unwirksame außerordentliche Kündigung der Klägerin hat ihr Arbeitsverhältnis erst zum 30. September 2002 beendet.

Gemäß § 39 Abs. 2 UAbs. 2 BMT AW II beträgt die Kündigungsfrist bei einer Beschäftigungszeit von mindestens zehn Jahren fünf Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres. Da diese Regelung anders als § 622 Abs. 2 BGB nicht ausdrücklich nur für die Beklagte als Arbeitgeber gilt, war sie als abweichende Regelung i.S.d. § 622 Abs. 4 BGB auch von der Klägerin zu beachten. Lediglich für die Angabe des Kündigungsgrundes enthält § 39 Abs. 6 Satz 2 BMT AW II eine auf den Arbeitgeber beschränkte Sonderregelung.

1.2.4 Weshalb aus dem Rechtsgedanken des § 162 BGB folgen soll, dass sich die Klägerin so behandeln lassen müsse, als wirkte ihre Kündigung zum 31. März 2002, war nicht ersichtlich.

Die Gerichte sind gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden, nicht dagegen an Rechtsgedanken. Geboten sein kann allerdings mit Rücksicht auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG die analoge Anwendung einer innerhalb der Grenzen des Wortsinns tatbestandlich nicht erfüllten Rechtsnorm (vgl. BGH, Urteil vom 23.5.1989 - VI ZR 284/88 - BGHZ 107, 325 zu II 1 b der Gründe; BAG, Urteil vom 24.3.1998 - 9 AZR 218/97 - AP BGB § 613 a Nr. 178 zu II 3 der Gründe). Dies erfordert, dass der Normzweck auch auf den nicht geregelten Fall zutrifft und die Übereinstimmung der Interessenlage wertungsmäßig so bedeutsam ist, dass die rechtliche Gleichbehandlung mit dem gesetzlich geregelten Fall geboten erscheint (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., 1983, S. 365 ff.), was vorliegend hinsichtlich des allein in Betracht kommenden § 162 Abs. 1 BGB nicht zutraf.

Danach gilt eine Bedingung als eingetreten, wenn ihr Eintritt von der Partei, zu deren Nachteil er gereichte, wider Treu und Glauben verhindert würde. Diese Regelung ließ sich auf den vorliegenden Fall nicht übertragen. Mit ihrer zum 1. April 2002 ausgesprochenen Kündigung hat die Klägerin gerade keine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bereits zum 31. März 2002 verhindert. Vielmehr hat sie bloß irrig gemeint, zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit einer entsprechenden Auslauffrist berechtigt zu sein, damit aber lediglich eine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses erst zum 30. Juni herbeigeführt.

Anders hätte es sich verhalten, wenn der Klägerin am 29. Januar eine ordentliche Kündigung zum 31. März möglich gewesen wäre. Dann hätte ihre Kündigung zu diesem Termin gewirkt, ohne dass eine Verlängerung der Kündigungsfrist bis zum nächsten Tag vereinbart worden wäre, weil die Beklagte das in der Kündigung zu diesem Termin liegende entsprechende Angebot abgelehnt hat (vgl. BAG, Urteil vom 25.09.2002 - 10 AZR 7/02- zu II 2 b der Gründe, zVb).

1.3 Rechtshängigkeitszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 Satz 1 Hs. 1 BGB, §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO stehen der Klägerin entsprechend § 187 Abs. 1 BGB erst ab dem Tag nach Eintritt der Rechtshängigkeit zu (vgl. BAG, Urteil vom 8.10.1997 - 4 AZR 167/96 - AP BAT § 23 b Nr. 2 zu III der Gründe.).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt. Insbesondere kam der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil Rechtsfragen, an deren Beantwortung kein Zweifel besteht, keiner höchstrichterlichen Klärung bedürfen.

Ende der Entscheidung

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