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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 02.04.2004
Aktenzeichen: 6 Sa 2209/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1004 Abs. 1 Satz 1 analog
Ein Arbeitnehmer kann wegen einer bewusst falschen Beschwerde beim Personalrat über das Vorgehen seines Vorgesetzten abgemahnt werden.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 2209/03

Verkündet am 2. April 2004

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 6. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 27.02.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts sowie die ehrenamtlichen Richter Janke und Feiertag

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. September 2003 - 86 Ca 14804/03 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist Angestellter im Polizeidienst. Auf sein Arbeitsverhältnis findet der BAT-O kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung.

Mit Schreiben vom 1. April 2003 (Abl. Bl. 5 f d.A.) erteilte der Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, weil dieser in einer an den Personalrat seiner Dienststelle gerichteten "Eidesstattlichen Erklärung" vom 18. Juni 2002 (Abl. Bl. 7 d.A.) Vorwürfe gegen seine Vorgesetzte im Zusammenhang mit der Einreichung eines Verbesserungsvorschlags erhoben hatte.

Das Arbeitsgericht Berlin hat den Beklagten verurteilt, diese Abmahnung aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es sei bereits zweifelhaft, ob der Beklagte ein Recht zur Abmahnung nicht bereits verwirkt habe und ob die Abmahnung nicht gegen das Transparenzgebot verstoße. Jedenfalls habe der Kläger mit seiner Eidesstattlichen Erklärung nicht gegen seine Loyalitätspflicht verstoßen. Vielmehr habe er lediglich sein Recht, sich über seinen Arbeitgeber zu beschweren, legitim ausgeübt. Dafür sei nicht Voraussetzung, dass sich jeder Beschwerdegegenstand nachträglich als objektiv zutreffend herausstelle. § 84 Abs. 3 BetrVG, wonach dem Arbeitnehmer wegen der Erhebung einer Beschwerde keine Nachteile entstehen dürften, enthalte einen auch im Personalvertretungsrecht zu beachtenden allgemeinen Rechtsgedanken. Ob davon eine Ausnahme zu machen sei, wenn der Arbeitnehmer völlig haltlose, schwere Anschuldigungen erhebe, könne dahinstehen, weil der Kläger sich einer sachlichen Sprache bedient und mit seiner Darstellung, seine Vorgesetzte habe gegen seinen Willen einen Brief an den Personalrat geöffnet, keine besondere Schmähung verbunden gewesen sei.

Gegen dieses ihm am 28. Oktober 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 7. November 2003 eingelegte und am 26. November 2003 begründete Berufung des Beklagten. Er verweist auf ein Schreiben vom 26. August 2002 (Abl. Bl. 65-67 d.A.), mit dem der Kläger über die Einleitung eines Abmahnverfahrens unterrichtet worden sei. Da der Kläger sich ausdrücklich mit dem Vorgehen seiner Vorgesetzten einverstanden erklärt habe, laufe seine verkürzte und damit wahrheitswidrige Darstellung in der Eidesstattlichen Erklärung auf den Vorwurf einer Verletzung des Briefgeheimnisses hinaus. Dementsprechend habe der an dem Verbesserungsvorschlag beteiligt gewesene Kollege des Klägers den Personalrat ausdrücklich darum gebeten, ggf. strafrechtliche Schritte gegen die Vorgesetzte einzuleiten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil gegen die Angriffe des Beklagten.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Kammer hat die Zeugin Sch. uneidlich vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 27. Februar 2004 (Bl. 91 f d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger kann entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB vom Beklagten verlangen, die Abmahnung vom 1. April 2003 aus seiner Personalakte zu entfernen.

1.1 Dass seit Abgabe der Eidesstattlichen Erklärung des Klägers ein Zeitraum von 9 1/2 Monaten vergangen war, hatte nicht gemäß § 242 BGB zur Verwirkung eines Rechts des Beklagten zur Abmahnung geführt. Es fehlte jedenfalls am sog. Umstandsmoment, weil der Beklagte den Kläger bereits mit Schreiben vom 26. August 2002 über die Einleitung eines Abmahnverfahrens unterrichtet hatte, an das sich eine umfangreiche Korrespondenz mit der späteren Prozessbevollmächtigten des Klägers angeschlossen hatte.

1.2 Der Abmahnung mangelte es auch nicht an der gebotenen Bestimmtheit. Es war daraus ohne weiteres zu entnehmen, von welchen Tatsachen der Beklagte ausging, welche rechtlichen Folgerungen er daraus zog und welche Verhaltenserwartungen er daran knüpfte.

1.3 Die Abmahnung vom 1. April 2003 ist dem Kläger zu Unrecht erteilt worden.

1.3.1 Mit dem Arbeitsgericht war davon auszugehen, dass nicht jede objektiv unzutreffende Beschwerde eines Arbeitnehmers beim Personalrat eine Pflichtverletzung darstellt, die zum Gegenstand einer Abmahnung gemacht werden könnte. Anders verhält es sich, wenn der Arbeitnehmer das Beschwerderecht missbräuchlich ausübt. Dies ist entgegen dem Arbeitsgericht nicht erst der Fall, wenn völlig haltlose, schwere Anschuldigungen erhoben werden oder die Form verletzt wird. Vielmehr ist es auch schon als Verstoß gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB und damit als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn der Arbeitnehmer bewusst wahrheitswidrige Behauptungen über seinen Arbeitgeber oder einen Vorgesetzten aufstellt, wie im Abmahnschreiben auf Seite 2 unten zutreffend dargestellt, ohne dass dies noch zu einer Störung des Betriebsfriedens geführt haben müsste. Es gilt insoweit nichts anderes als etwa bei einer falschen Verdächtigung gegenüber einer Behörde (dazu BVerfG, Beschluss vom 02.07.2001 - 1 BvR 2049/00 - AP BGB § 626 Nr. 170 zu II 1b, bb, bbb der Gründe), was gemäß § 164 StGB sogar unter Strafdrohung gestellt ist, oder bei der Anzeige eines Arbeitgebers an eine kassenärztliche Vereinigung (dazu OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 16.12.1993 - 1 U 21/92 - NJW-RR 1994, 416) oder auch bei einer Beschwerde wegen sexueller Belästigung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 BeschSchG (dazu Hess. LAG, Urteil vom 28.Mai 2000 - 8 Sa 195/99 - LAGE BeschSchG § 3 Nr. 1).

1.3.2 Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konnte indessen nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger in seiner Eidesstattlichen Erklärung vom 18. Juni 2003 bewusst falsche Angaben gemacht hatte (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

1.3.2.1 Allerdings hat die Vorgesetzte des Klägers anhand eines seinerzeit gefertigten Vermerks glaubhaft geschildert, Einvernehmen mit dem Kläger hergestellt zu haben, den von ihm und seinem Kollegen gemachten Verbesserungsvorschlag auch in Kopie zunächst zu ihren Unterlagen zu nehmen und erst zusammen mit dem Abschlussvermerk an den Personalrat weiterzuleiten. Wenn sie dann in Gegenwart des Klägers den von diesem aus der Poststelle geholten Umschlag öffnete, um die Kopie des Schreibens mit dem Verbesserungsvorschlag zu entnehmen, ohne dass der dabei anwesende Kläger dagegen Widerspruch erhob, was sogar unstreitig war, hatte sie auch insoweit von einem Einverständnis des Klägers ausgehen dürfen, wenngleich sie eingeräumt hat, das Öffnen des Umschlages nicht noch ausdrücklich angekündigt zu haben.

1.3.2.2 Obwohl nun der Kläger in seiner Eidesstattlichen Erklärung von einem dienstlichen Auftrag der Vorgesetzten zur Übergabe seines Schreibens gesprochen hat, was diese damit begründet haben soll, dass dienstliche Differenzen den Personalrat nichts angingen, sah sich die Kammer aufgrund der aus Gründen der Waffengleichheit bei sog. 4-Augen-Gesprächen durchzuführenden Parteianhörung (dazu BGH, Urteil vom 16.07.1998 - I ZR 32/96 - NJW 1999, 363 zu II 2b, bb der Gründe; BVerfG, Beschluss vom 21.02.2001 - 2 BvR 140/00 - NJW 2001, 2531 zu III 1b der Gründe) und der dabei gemachten Angaben des Klägers an der Überzeugung gehindert, der Kläger habe diesen Punkt bewusst falsch dargestellt. Vielmehr war nicht auszuschließen, dass der Kläger seine Vorgesetzte missverstanden hatte. Dafür sprach, dass er sich einerseits bei ihr spontan dafür bedankt hat, als Zeugin die Wahrheit gesagt zu haben, er andererseits aber im unmittelbaren Anschluss daran seine Sichtweise einer als Weisung verstandenen Aufforderung wiederholt hat. Dies ließ erkennen, dass für den Kläger auch jetzt noch das Bemühen seiner Vorgesetzten, sein Einverständnis zu ihrem Vorgehen einzuholen, völlig hinter die von ihm erinnerte Aufforderung, den Umschlag mit der für den Personalrat bestimmten Kopie aus der Poststelle zu holen, zurückgetreten sein muss und dass er mit seiner als solchen bestätigten Äußerung, dies so zu machen, allein einer weiteren Auseinandersetzung hatte aus dem Wege gehen wollen.

2. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.

Ende der Entscheidung

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