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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 30.06.2003
Aktenzeichen: 6 Ta 1276/03
Rechtsgebiete: BBiG, KSchG, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

BBiG § 3 Abs. 2
KSchG § 4 Satz 1
KSchG § 5 Abs. 1
KSchG § 13 Abs. 1 Satz 2
ArbGG § 111 Abs. 2
ZPO § 85 Abs. 2
Es stellt ein dem Auszubildenden analog § 85 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten dar, wenn dieser sich wegen einer außerordentlichen Kündigung des Ausbildungsverhältnisses an die zuständige Innung wendet, bei der jedoch kein Ausschuss zur Beilegung von Ausbildungsstreitigkeiten gemäß § 111 Abs. 2 ArbGG gebildet ist, ohne das Ausbleiben einer Eingangsbestätigung innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist der §§ 4 Satz 1, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG zum Anlass zu nehmen, vorsorglich eine Kündigungsschutzklage einzureichen.
Landesarbeitsgericht Berlin Beschluss

6 Ta 1276/03

In der Beschwerdesache

pp

hat das Landesarbeitsarbeitsgericht Berlin, Kammer 6, durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts

am 30. Juni 2003 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Mai 2003 - 35 Ca 1582/03 - wird auf seine Kosten bei einem Beschwerdewert von 295,27 € zurückgewiesen.

Gründe:

1. Der Kläger stand seit dem 1. September 2001 in einem Ausbildungsverhältnis zur Beklagten, die in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt. Mit einem ihm am 27. November 2002 zugegangenen Schreiben vom Vortag kündigte die Beklagte das Ausbildungsverhältnis fristlos, wogegen der Kläger sich mit seiner am 17. Januar 2003 eingereichten Klage wendet.

Das Arbeitsgericht Berlin hat den vorsorglich gestellten Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zurückgewiesen. Der fristgemäß eingelegten sofortigen Beschwerde des Klägers hat es nicht abgeholfen.

2. Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

2.1 Der Kläger war gemäß § 3 Abs. 2 BBiG gehalten, gegen die fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. November 2002 innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist der §§ 4 Satz 1, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG durch Einreichung einer Klage vorzugehen, weil bei der zuständigen Innung kein Ausschuss zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Ausbildenden und Auszubildenden besteht, der gemäß § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG zunächst hätte angerufen werden müssen. Dies entspricht der zuletzt ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 26.1.1999 - 2 AZR 134/98 - AP KSchG 1969 § 4 Nr. 43 zu II 2 der Gründe), von der abzuweichen kein Anlass besteht.

2.2 Es war nicht ersichtlich, dass der Kläger trotz Anwendung aller ihm bzw. seinem Prozessbevollmächtigten nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt gehindert war, seine Klage fristgemäß einzureichen (§ 5 Abs. 1 KSchG).

2.2.1 Die Regelung in § 8 des unter Verwendung eines Formulars der Handwerkskammer Berlin geschlossenen Ausbildungsvertrags, wonach bei Streitigkeiten über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Ausbildungsverhältnisses vor Inanspruchnahme des Arbeitsgerichts der nach § 111 Abs. 2 ArbGG bei der zuständigen Innung errichtete Ausschuss anzurufen ist, durfte bei verständiger Sicht zumindest von einem Rechtsanwalt lediglich als allgemeiner Hinweis auf die gesetzliche Regelung verstanden werden, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat (§ 69 Abs. 2 ArbGG analog).

Zumindest musste das Ausbleiben einer Antwort auf den an die zuständige Innung gerichteten Antrag vom 2. November 2002 Anlass geben, dort nachzufragen oder vorsorglich eine Klage einzureichen, die im Falle des Bestehens eines Ausschusses analog § 148 ZPO hätte ausgesetzt werden können. An die dann doch noch übersandte Eingangsbestätigung der Innung vom 19. Dezember 2002 und deren Ankündigung, zu dem Vorgang im neuen Jahr unaufgefordert Stellung zu nehmen, konnte sich schon deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen mehr knüpfen, weil bei Eingang dieses Schreibens am 20. Dezember 2002 die dreiwöchige Klagefrist bereits abgelaufen war.

2.2.2 Nach § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Wie der Zusammenhang mit Abs. 1 dieser Vorschrift zeigt, betrifft diese Gleichstellung Prozesshandlungen, ohne dass zwischen Prozesshandlungen während eines Verfahrens und solchen zu seiner Einleitung unterschieden wird. Wenn aber die vom Prozessbevollmächtigten vorgenommene Prozesshandlung Klagerhebung gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Wahrung der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG führt, erscheint es nur konsequent, hierbei auch vom Bevollmächtigten zu vertretende Fehler der Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Dies zwar nicht im Wege direkter Anwendung, weil sich § 85 Abs. 2 ZPO seiner Stellung im Gesetz entsprechend nur auf die prozessualen Folgen eines Verschuldens bezieht. Zur Lückenschließung ist jedoch eine analoge Anwendung geboten, weil § 85 Abs. 2 ZPO nach der Gesetzesbegründung der Rechtsgedanke zugrunde liegt, dass die Partei die ihren Prozess von einem Vertreter führen lässt, in jeder Weise so behandelt wird, als hätte sie den Prozess selbst geführt (LAG Berlin, Beschluss vom 8. Januar 2002 - 6 Ta 2245/01 - zu 2.2 der Gründe).

Dass der Kläger seinen Prozessbevollmächtigten bereits seinerzeit bevollmächtigt hatte, was das Arbeitsgericht meinte nur nicht ausschließen zu können, ließ sich dessen Schreiben an die Innung vom 2. Dezember 2002 (Abl. Bl. 39 - 41 d.A.) entnehmen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Beschwerdewert ist gemäß § 3 Hs. 1 ZPO auf den Betrag der Ausbildungsvergütung für einen Monat festgesetzt worden.

Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 72 Abs. 2, 78 Satz 2 ArbGG kam nicht in Betracht (vgl. BAG, Beschluss vom 20.8.2002 - 2 AZB 16/02 - AP KSchG 1969 § 5 Nr. 14 zu B I 2 der Gründe).

4. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Ende der Entscheidung

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