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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Bremen
Urteil verkündet am 29.06.2006
Aktenzeichen: 3 Sa 222/05
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 9
KSchG § 10
1. Auch nach Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes 2002 muss das Landesarbeitsgericht über die Begründetheit eines in der zweiten Instanz erstmals gestellten Antrages des Arbeitnehmers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gem. §§ 9, 10 KSchG nach Rücknahme der Berufung des Arbeitgebers gegen ein Urteil des Arbeitsgerichts in einen Kündigungsschutzrechtstreit entscheiden.

Dies gilt zumindest dann, wenn der Auflösungsantrag zum Zeitpunkt der Berufungsrücknahme rechtshängig war.

2. Eine "Flucht in die Rücknahme der Berufung" durch den Arbeitgeber ist auch dann nicht möglich, wenn in der Berufungsinstanz noch keine Anträge gestellt wurden; denn die mündliche Verhandlung vor der Berufungskammer endet nicht mit der Rücknahme. Der rechtshängige Antrag auf Auflösung kann deshalb auch nach Rücknahme der Berufung gegen ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil zur Entscheidung gestellt werden.


Landesarbeitsgericht Bremen

Im Namen des Volkes

Aktenzeichen: 3 Sa 222/05

Verkündet am: 29.06.2006

In dem Berufungsverfahren

hat das Landesarbeitsgericht Bremen - Dritte Kammer - aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2006 durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter

für Recht erkannt:

Tenor:

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird zum 31.12.2005 aufgelöst.

Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin eine Abfindung in Höhe von € 11.000,00 (elftausend) zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien hatten in der ersten Instanz um die soziale Rechtfertigung einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Arbeitgeberkündigung gestritten. Die Klägerin hat mit der Kündigungsschutzklage in erster Instanz obsiegt. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin, nachdem die Beklagte die von ihr eingelegte Berufung begründet hatte, einen Auflösungsantrag gestellt, die Beklagte hat die Berufung nach Rechtshängigkeit des Auflösungsantrages in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht zurückgenommen.

Die Klägerin arbeitete seit dem 01.05.1992 als Pflegehelferin bei der Beklagten.

Die Beklagte führte mit der Klägerin im Beisein der Betriebsratsvorsitzenden Frau B. ein Personalgespräch, in dem sie der Klägerin vorwarf, am 31.03.2005 das Trinkprotokoll der Bewohnerin I. S. über die Zufuhr einer sogenannten PEG-Sonde im Voraus ausgefüllt zu haben. Darüber hinaus warf sie der Klägerin 2-fachen Verstoß gegen Hygienevorschriften vor. Die Beklagte kündigte der Klägerin zunächst zum 06.04.2005 mündlich und dann mit Schreiben vom 08.04.2005 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.12.2004. Wegen des Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 9 ff. d. A. verwiesen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sowohl als fristlose als auch als hilfsweise ordentliche Kündigung nicht berechtigt. Soweit die Beklagte behaupte, die Klägerin habe am 01.04.2004 bei der Bewohnerin Frau A. J. das Frühstück für die Bewohnerin auf den Nachttisch neben einen mit Fäkalien verschmutzten Handschuh gestellt, sei dies nicht richtig. Sie selbst habe dort keinen solchen Handschuh hingelegt und einen solchen auch nicht bemerkt. Darüber hinaus habe sie das Frühstück für die Bewohnerin Frau J. nicht auf den Nachttisch, sondern an einen Tisch am Fenster bereitgestellt. Weiter hat die Klägerin behauptet, sie habe auch nicht das Trinkprotokoll der Bewohnerin S. am Vormittag des 31.03.2005 im Voraus ausgefüllt. Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats hat die Klägerin mit Nichtwissen bestritten.

Die Klägerin hat bezüglich des am 05.09.2005 im Original beim Arbeitsgericht eingegangenen, die Kündigung begründenden Schriftsatzes der Beklagten eine Nachlassfrist beantragt.

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche, noch durch die vorsorgliche ordentliche Kündigung der Beklagten vom 08.04.2005 beendet worden ist.

2. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Pflegehelferin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin habe am 31.03.2005 nach der Grundversorgung der Bewohnerin Frau K. T. im Bewohnerbadezimmer unterhalb des Waschbeckens eine mit Fäkalien verschmutzte Inkontinenzseinlage sowie ein ebenso verschmutztes Handtuch liegengelassen. Nach Aufforderung durch die Kollegin G. , habe die Klägerin beides - ohne sich jedoch hierfür Handschuhe anzuziehen - entsorgt. Die Kollegin G. habe die Klägerin darauf hingewiesen, dass das Nichttragen von Handschuhen eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit der Bewohner, aber auch der Kollegen darstelle. Die Klägerin habe sich diesbezüglich uneinsichtig gezeigt und erst nach heftigen Insistieren durch die Kollegin G. zu erkennen gegeben, dass ihr die Gefährdungslage bewusst sei.

Weiter hat die Beklagte behauptet, die Klägerin habe ebenfalls am 31.03.2005, bereits gegen 09:00 Uhr vormittags, ein vollständig ausgefülltes Trinkprotokoll für die Bewohnerin Frau

I. S. erstellt und insbesondere ein Einfuhrprotokoll für eine PEG-Sonde bis 12:30 Uhr vorgeschrieben. Hierauf sei die Klägerin am 01.04.2005 nochmals angesprochen worden. Zu diesem Zeitpunkt sei jedoch das gefälschte Protokoll vom Vortag nicht mehr in der Akte enthalten gewesen, sondern nunmehr durch ein entsprechend berichtigtes Protokoll ersetzt gewesen. Zu einem anschließenden Gespräch sei dann - unstreitig - die Betriebsratsvorsitzende Frau B. hinzugezogen worden. Im Rahmen dieses Gesprächs habe die Klägerin schließlich gestanden, die Dokumentation vorgeschrieben zu haben.

Weiter hat die Beklagte behauptet, die Zeugin G. habe am 01.04.2005 bei der Bewohnerin Frau A. J. nach der Versorgung durch die Klägerin auf dem Nachttisch einen mit Fäkalien beschmutzten Handschuh vorgefunden und unmittelbar daneben das durch die Klägerin bereitgestellte Frühstück. Die Klägerin habe zunächst bestritten, dass der Handschuh von ihr stamme und sich zunächst auch geweigert diesen zu entsorgen. Erst im Verlaufe des weiteren Gesprächs habe die Klägerin gegenüber der Zeugin G. zugegeben, nicht korrekt gearbeitet zu haben. Die Klägerin habe jedoch keinerlei Einsicht gezeigt ihr Verhalten zu hinterfragen oder es aber zukünftig zu ändern. Sie habe vielmehr darauf hingewiesen, dass sie die Bewohner immer gut behandele, deshalb habe die Beklagte sich zum Ausspruch der Kündigung entschieden.

Das Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven hat am 8. September 2005 folgendes Urteil verkündet:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 08.04.2005 beendet worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Pflegehelferin weiterzubeschäftigen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.000,-- € festgesetzt.

Dieses Urteil wurde der Beklagten am 21. September 2005 zugestellt. Die Beklagte hat mit einem am 19. Oktober 2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21.12.2005 mit einem an diesem Tage beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag und stellt heraus, dass das Verhalten der Klägerin im Zusammenhang mit der Vornotierung des Trinkprotokolls für die Bewohnerin Frau I. S. zu einer für diese Bewohnerin lebensbedrohlichen Situation geführt habe, die auch ohne Abmahnung zur Kündigung berechtigt habe. Auf Grund der geistigen und körperlichen Verfassung dieser Bewohnerin sei es dieser nicht mehr möglich die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit selbst zu steuern. Demzufolge sei es erforderlich, über die bereits von der Bewohnerin vorhandene PEG-Sonde eine Flüssigkeit zuzuführen, die aus Wasser und Sonderkost bestehe. Um eine ordnungsgemäße Versorgung dieser Person sicherzustellen, bedürfe es demzufolge einer genauen Überprüfung der zugeführten Menge. Hierbei sei sicherzustellen, dass weder zu wenig noch zu viel zugeführt wird. Beides habe für die Betroffene gravierende gesundheitliche Folgen, so dass über die zugeführte Menge eine Dokumentation zu führen sei. Insoweit liege auch eine ärztliche Anordnung vor und der medizinische Dienst der Krankenkasse überprüfe die Vorgaben und die Dokumentation. Die ärztlichen Vorgaben würden durch eine dienstvorgesetzte Wohnbereichsleitung oder durch examinierte Pflegekräfte durch Unterweisung und Anleitung im Einzelfall an die jeweiligen Pflegehelferinnen weitergegeben. Dies sei auch im konkreten Fall der Beklagten geschehen. Für jeden Bewohner werde eine Bewohnerdokumentation angelegt, in der die konkrete Pflegeplanung sowie auch das sogenannte Ernährungs-Assessment enthalten seien. Hieraus seien alle Ernährungsmengen konkret zu ersehen sowie die Vorgaben, wann diese zu erreichen sind. Demzufolge sei es für die eingesetzten Pflegekräfte völlig eindeutig, wie die von ihnen zu leistenden Arbeiten abzuwickeln seien, Vornotierungen seien verboten. Trotz ihrer genauen Kenntnisse und über den Ablauf und ihrer langjährigen Berufserfahrung habe die Klägerin das in Rede stehende Versorgungsprotokoll gefälscht und vornotiert. Bereits um 09.00 Uhr morgens sei ein vollständig ausgefülltes Einfuhrprotokoll für eine PEG-Sonde durch die Klägerin für den gesamten Frühdienst ausgefüllt worden, so dass Uhrzeit, Einfuhrmenge und die Abzeichnung dieser Arbeiten bereits für 12.30 Uhr vorgeschrieben worden seien. Der Ausspruch einer Kündigung sei unvermeidbar und gerechtfertigt gewesen, da das Verhalten der Klägerin im Zusammenhang mit der Aufdeckung dieser Urkundenfälschung als völlig unbelehrbar einzustufen sei. Diese habe versucht ihr Verhalten damit zu rechtfertigen, dass alle Mitarbeiter die Dokumentation im Voraus abzeichneten, was nicht stimme. Damit sei die Grundlage für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit entzogen "zumal die Klägerin nach ihrer Endeckung auch das gefälschte Protokoll hat "verschwinden" lassen". Nachdem der Sachverhalt mit der Klägerin im Beisein der Betriebsrätin, der Zeugin Frau B. , von der Klägerin eingeräumt worden sei, nämlich dass sie das Protokoll vorgeschrieben habe, nachdem sie von der Betriebsrätin zur Wahrheit ermahnt worden sei, sei gegenüber der Beklagten keine wie auch immer geartete Reaktion dahingehend erfolgt, dass die Beklagte hätte schließen können, dass die Klägerin bereit sei, zukünftig den Anweisungen der Beklagten zu folgen. Weder eine Entschuldigung noch eine nachvollziehbare Erklärung für dieses Fehlverhalten sei durch die Klägerin ausgesprochen worden.

Im Übrigen wiederholt die Beklagte den erstinstanzlichen Vortrag bezüglich der Nichteinhaltung der Hygienevorschriften in zwei Fällen.

Die Klägerin sei zudem nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils erkrankt und noch nicht an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt, was unstreitig ist.

Die Beklagte hat zunächst folgenden Antrag angekündigt:

Unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven - Geschäfts.-Nr.: 10 Ca 290/05 - vom 08.09.2005 wird beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat mir Schriftsatz vom 28. Februar 2006, der der Beklagten am 28.03.2006 zugestellt wurde folgende Anträge angekündigt:

1. Die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin zurückzuweisen.

2. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gemäß § 9 Kündigungsschutzgesetz zum 31.12.2005 aufzulösen und eine Abfindung festzusetzen, deren Höhe in das billige Ermessen des Gerichts gestellt wird und den Betrag von 11.000,00 Euro nicht unterschreiten sollte.

Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer hat die Beklagte die Berufung zurückgenommen. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat daraufhin erklärt, sie halte nur an dem Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses fest und beantragt,

das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gemäß § 9 Kündigungsschutzgesetz zum 31.12.2005 aufzulösen und eine Abfindung festzusetzen, deren Höhe in das billige Ermessen des Gerichts gestellt wird und den Betrag von 11.000,00 Euro nicht unterschreiten sollte.

Demgegenüber beantragt die Beklagte,

den Auflösungsantrag als unzulässig und hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Die Klägerin bestreitet die ihr gemachten Vorwürfe. So sei es nicht richtig, dass die Klägerin bei der Bewohnerin K. T. die pflegerische Grundversorgung vorgenommen habe. Sie habe vielmehr die Zimmernachbarin versorgt. Auch habe bei Frau T. keine mit Fäkalien verschmutzte Inkontinenzseinlage gelegen. Vielmehr habe bei der Bewohnerin G. unterhalb des Waschbeckens eine Schutzhose gelegen. Die Klägerin habe Frau G. gewaschen, die Schutzhose ausgezogen und das Bett gemacht. Während dieser Zeit sei der Wagen, auf dem sämtliche Bettwäsche, Handtücher und Abfall transportiert wurden, von einer Kollegin aus dem Zimmer gefahren worden. Deshalb habe die Schutzhose nicht entsorgt werden können bevor Frau G. zur Kontrolle in das Zimmer gekommen sei. Die Klägerin habe die Schutzhose mir ihrem Gummihandschuh aufgenommen. Sie habe sie nicht mehr sofort entsorgen können, sondern sie habe dem Versorgungswagen nachlaufen müssen. Hierbei habe sie die Schutzhose versehentlich mit der bloßen Hand angefasst. Bezüglich des mit Fäkalien beschmutzten Handschuhs, der bei Frau J. gefunden sei, weist die Klägerin darauf hin, dass sie das Frühstück der Frau J. gebracht und auf den Tisch gestellt habe, aber nicht den Handschuh gesehen habe. Sie habe auch nicht die Grundversorgung bei Frau J. durchgeführt, sondern der Handschuh sei von der Nachtschicht vergessen worden. Sie habe sich nicht geweigert den Handschuh zu entsorgen.

Bezüglich des Vorwurfs der Fälschung und Beseitigung des Dokumentationsprotokolls trägt die Klägerin vor:

Die Klägerin habe nie Arbeitsschritte, die noch nicht begonnen worden sind, abgezeichnet, auch nicht im vorliegenden Fall. Die Behauptung, die Klägerin habe am 01.04.2005 zugestanden die Dokumentation vorgeschrieben zu haben, sei falsch. Richtig sei nur, dass die Klägerin bedrängt worden sei, zu gestehen. Die Klägerin habe hierauf immer wieder geantwortet "was soll ich denn zugeben, wenn ich nichts gemacht habe". Die Klägerin habe dann gebeten ihr das Protokoll vorzulegen, damit am Handzeichen festgestellt werden könne, wer gegebenenfalls etwas Falsches eingetragen hat. Das Protokoll sei nicht mehr vorhanden gewesen. Die Klägerin habe das Protokoll nicht weggenommen und auch nicht entwendet. Die Beklagte habe hierfür keinerlei Anhaltspunkte. Sie habe weder Anhaltspunkte dafür liefern können, dass die Klägerin Pflegeleistungen vornotiert habe, noch dass sie die Pflegedokumentation gefälscht habe, noch dass die Klägerin das Protokoll entwendet habe. Das "Ursprungsprotokoll" und das entsprechend berichtigte Protokoll seien der Klägerin zu keinem Zeitpunkt vorgelegt worden.

Den Auflösungsantrag begründet die Klägerin wie folgt:

Die Beklagte habe der Klägerin strafbare Handlungen vorgeworfen. Im Kündigungsschreiben werde ausdrücklich der Vorwurf der Urkundenfälschung erwähnt. Im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits habe die Beklagte der Klägerin zudem unterstellt, sie hätte ein von ihr "gefälschtes" Protokoll aus der Patientendokumentation herausgenommen und durch ein anderes ersetzt. Dieser Vorwurf sei durch nichts belegt. Die zum Beweis der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten benannten Zeugen müssten, wenn sie denn gehört werden, bekunden können, dass sie die Klägerin dabei beobachtet hätten, wie diese ein Protokoll aus der Dokumentation entfernt und durch ein anderes Protokoll ersetzt habe. Dies sei nicht der Fall, deshalb könnten die Zeugen dies auch nicht bekunden. Diese zusätzlichen Vorwürfe der Beklagten in der Berufungsinstanz, die dazu führten, dass die Klägerin kriminalisiert werde, machen es der Klägerin unzumutbar das Arbeitsverhältnis tatsächlich fortzusetzen. Die Klägerin habe wegen der Vorfälle vom 07.04.2005 eine schwere reaktive Depression erlitten. Diese sei Folge der unangemessenen Behandlung und Verunglimpfung der Klägerin durch die Beklagte, auch im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses. Die Personalführung im Rahmen der aufgestellten Vorwürfe gegenüber der Klägerin und die Prozessführung der Beklagten verliefen bezüglich der Sachverhaltsaufklärung derartig sachwidrig und unverständlich, dass die Klägerin infolge dessen erkrankt sei. Zu den Vorwürfen des Verschwindenlassens einer Dokumentation habe die Beklagte keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen. Bei einer Betriebszugehörigkeit von 13,7 Jahren sei eine Abfindungshöhe unter Berücksichtigung des unstreitig zuletzt bezogenen Bruttoentgelts von 1.750,00 € monatlich angemessen.

Die Beklagte wendet sich gegen den Auflösungsantrag und verweist darauf, dass eine außergerichtliche Einigung wegen der Problematik des § 147 SGB III nicht habe erfolgen können. Auch ein möglicher Lösungsansatz dieser Problematik sei für die Arbeitgeberseite durch den Auflösungsantrag der Gegenseite "bedauerlicherweise nicht möglich", da auch insoweit § 147 a SGB III mit den sich daraus ergebenden negativen Folgen für den Arbeitgeber zu beachten sei. Demzufolge sei dem Antrag der Gegenseite entgegenzutreten. Dass der in Rede stehende Vorwurf der Grund für die von der Beklagten ausgesprochene verhaltensbedingte Kündigung gewesen sei, habe erhebliches Gewicht. Dieses sei wohl im Rahmen der Kündigung, wie auch im Rahmen der schriftlichen Auseinandersetzung dargelegt. Das Gebot der Sachlichkeit sei insoweit nicht verletzt worden. Die Berufungsklägerin unterliege einer detaillierten Darlegungslast bezüglich der ihre Kündigung rechtfertigenden Tatsachen. Diesen Anforderungen habe die Beklagte nachkommen müssen. Nach wie vor werde davon ausgegangen, dass der gefährdende Charakter der beruflichen Verfehlung für die entsprechenden Bewohner so nachhaltig sei, dass dem Arbeitgeber keine andere Möglichkeit geblieben sei, als das Arbeitsverhältnis fristlos zu beenden. Bei der Entscheidung der Beklagten sei im Übrigen auch von entscheidender Bedeutung das Verhalten der Klägerin nach Aufdeckung des dargelegten Sachverhalts, da dieses der Beklagten den Eindruck der Unbelehrbarkeit vermittelt habe. Zu diesen Umständen zähle auch, dass die von der Klägerin im Voraus gefertigte Dokumentation plötzlich "verschwunden" gewesen sei. Die Erkrankung der Klägerin werde bestritten, insbesondere, dass die Erkrankung auf der Personalführung im Rahmen der aufgestellten Vorwürfe gegenüber der Klägerin und auch auf der Prozessführung der Beklagten beruhe. Von einem ehrverletzenden Charakter der Vorwürfe könne keine Rede sein.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze, insbesondere die Berufungsbegründungs- sowie die Berufungserwiderungsschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

1. Die Berufung war zulässig. Es handelt sich um eine Bestandschutzstreitigkeit. Die Berufung und Berufungsbegründung gingen innerhalb der Fristen des § 66 ArbGG beim Landesarbeitsgericht ein.

2. Der Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses ging mit der Berufungserwiderung am 28. Februar 2006 beim Landesarbeitsgericht ein. Dieser Schriftsatz wurde der Beklagten am 28. März 2006, also vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufung vom 27. April 2006 zugestellt. Am 28. März 2006 war der Antrag mithin rechthängig, § 261 Abs. 2 ZPO.

Das Landesarbeitsgericht musste über diesen Antrag noch entscheiden, obwohl die Berufung nach Erörterung der Sach- und Rechtslage, aber vor Stellen eines förmlichen Antrags zur Berufung in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer zurückgenommen worden ist.

a) Die Berufung kann bis zur Verkündung des Berufungsurteils ohne Einwilligung des Berufungsbeklagten zurückgenommen werden. § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 516 Abs. 1 ZPO.

b) Die Beklagte konnte nicht durch eine "Flucht in die Berufungsrücknahme" eine Entscheidung des rechtshängigen Antrags auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses verhindern.

Der Auflösungsantrag kann nach § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt werden. Er kann deshalb weder in erster noch in zweiter Instanz als verspätet zurückgewiesen werden. Um zur Entscheidung anzufallen, muss der Auflösungsantrag aber in der mündlichen Verhandlung gestellt werden, § 297 ZPO (vgl. APS-Bibl, 2. Aufl., § 9 KSchG, Rdziff. 25; KR-Spilger, 7. Aufl., § 9 KSchG, Rdziff. 20; KDZ Kündigungsschutzrecht, 6. Aufl., § 9 KSchG, Rdziff. 37; BAG AP Nr. 68 zu § 626 BGB).

Die Rücknahme der Berufung, die vor dem formellen Stellen des Antrags auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer erfolgt ist, hat die mündliche Verhandlung nicht beendet, so dass der Auflösungsantrag noch in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer gestellt wurde.

Der Verhandlungsschluss kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen, in der Regel durch die Bestimmung eines Verkündungstermins nach § 310 ZPO (vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, 63. Aufl., § 136 ZPO, Rdziff. 28). Der Schluss der Verhandlung erfolgt also in der Regel dadurch, dass der Vorsitzende mitteilt, dass nunmehr beraten und eine Entscheidung verkündet werden wird (vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, a.a.O., Rdziff. 29). Schon nach dem Wortlaut des § 136 ZPO war deshalb die Stellung des Auflösungsantrages auch nach der Berufungsrücknahme noch möglich. Das Recht aus § 9 KSchG ist dem Kläger aus der insoweit als zugestanden anzusehenden Sozialwidrigkeit der Kündigung durch die Berufungsrücknahme erwachsen und konnte ihm nicht mehr genommen werden. Das folgt daraus, dass die Rücknahme nach der Rechtshängigkeit des Auflösungsantrages erfolgt ist (vgl. zu dem vergleichbaren Fall der Anerkennung der Sozialwidrigkeit der Kündigung BAG AP Nr. 6 zu § 9 KSchG 1969). Das Bundesarbeitsgericht hat in der zitierten Entscheidung ausdrücklich darauf abgestellt, dass für die Frage, ob über den Auflösungsantrag noch entschieden wird, die Rechtshängigkeit des Antrags maßgeblich ist. Eine prozessuale Handlung, die nach Rechtshängigkeit des Antrags dem Gericht eine Entscheidung über die Sozialwidrigkeit der Kündigung entzieht - in erster Instanz Anerkenntnis des Kündigungsschutzantrags, in der zweiten Instanz nach Obsiegen des Klägers im Kündigungsschutzrechtsverfahren Berufungsrücknahme durch die Beklagte - hindert nicht die Entscheidung über den Auflösungsantrag.

c) Wie das Bundesarbeitsgericht zu Recht entschieden hat, kann grundsätzlich über die Rechtswirksamkeit der Kündigung und über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung nur einheitlich entschieden werden. Eine Aufteilung der Entscheidung ist in der Regel nicht zulässig (vgl. BAG a.a.O.). Die Teilbarkeit beider Anträge ist im vorliegenden Fall allerdings deshalb gegeben, weil nach Rücknahme der Berufung rechtskräftig durch Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven feststeht, dass die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt ist. Zwar kommt die "soziale Rechtfertigung" im Tenor der genannten Entscheidung nicht vor, aus den Entscheidungsgründen geht jedoch hervor, dass die Kündigung allein auf § 1 KSchG bzw. § 626 BGB gestützt wird und dass das Arbeitsgericht die soziale Rechtfertigung der fristgemäßen Kündigung allein unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens von verhaltensbedingten Kündigungsgründen geprüft hat. Andere Unwirksamkeitsgründe sind vom Arbeitsgericht nicht zum Gegenstand der Entscheidung gemacht worden. Der Rechtsstreit hat sich durch die Berufungsrücknahme auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung konzentriert. Die Rechtslage ist nicht anders zu beurteilen, als wenn der Rechtsstreit sich in der zweiten Instanz infolge Nichteinlegung oder Beschränkung eines Rechtsmittels allein auf den Auflösungsanspruch von Anfang an beschränkt hätte. Hinzukommt, dass der Auflösungsantrag des Arbeitnehmers keiner Zulassung als Klagänderung bedarf, noch kann er gemäß § 67 ArbGG als verspätet zurückgewiesen werden. § 9 Abs. 1 Satz 4 KSchG hat eben nur die eine Voraussetzung, dass der Antrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt wird (vgl. ErfK-Ascheid, 6. Aufl., § 9 KSchG, Rdziff. 8 und 9).

Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung verlangen deshalb allenfalls, dass der Antrag in der Berufungsinstanz rechtshängig geworden ist, bevor die Berufung zurückgenommen wird. Hieran hat sich auch nach der Zivilprozessrechtsreformgesetz 2002 nichts geändert. Allerdings ist das Zustimmungserfordernis des Gegners zur Berufungsrücknahme mit diesem Gesetz weggefallen. Vor Inkrafttreten des Gesetzes konnte zwanglos in der Aufrechterhaltung des Auflösungsantrags eine Nichtzustimmung zur Berufungsrücknahme gesehen werden. Diese Möglichkeit besteht nunmehr nicht mehr. Dennoch hat sich zumindest die Rechtslage nicht geändert, wenn vor der Rücknahmeerklärung Rechtshängigkeit des Auflösungsantrags eingetreten ist, wie im vorliegenden Fall.

Der Antrag ist deshalb durch die Berufungsrücknahme nicht unzulässig geworden; über ihn war in der Sache zu entscheiden.

II.

Der Auflösungsantrag ist begründet.

1. a) Stellt das Gericht fest oder steht durch rechtskräftiges erstinstanzliches Urteil fest, dass die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt ist, kann der Arbeitnehmer die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses nur verlangen, wenn ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber nicht mehr zuzumuten ist. Das Gericht hat die Voraussetzungen in vollem Umfang nachzuprüfen und ist nicht an Wertungen der Parteien gebunden. Die Frage der Unzumutbarkeit ist unter Zugrundelegung der Umstände, die bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht über den Auflösungsantrag vorliegen, zu beurteilen. Die Umstände müssen im Zusammenhang mit der Kündigung oder dem Kündigungsschutzprozess stehen (BAG NZA 1993, Seite 362). § 9 KSchG stellt darauf ab, ob der Arbeitnehmer nach der vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung das Arbeitsverhältnis noch in zumutbarer Weise auf Dauer fortsetzen kann. Der Maßstab der Unzumutbarkeit in § 9 Abs. 1 ist deshalb nicht der des § 626 BGB (BAG AP Nr. 8 zu § 9 KSchG 1969; KDZ-Zwanziger, a.a.O., § 9 KSchG, Rdnr. 10; KR-Spilger, a.a.O., § 9 KSchG, Rdnr. 39; ErfK-Ascheid, a.a.O., § 9 KSchG Rdziff. 13). Während bei § 626 Abs. 1 BGB darauf abzustellen ist, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht wenigstens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist, kommt es bei § 9 Abs. 1 KSchG darauf an, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit unzumutbar ist. Gründe, die zur fristlosen Kündigung berechtigen, machen zwar stets auch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG unzumutbar, andererseits können schon solche Tatsachen die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG bedingen, die für eine fristlose Kündigung nicht ausreichend sind (vgl. APS-Bibl, a.a.O., § 9 KSchG, Rdziff. 33; KR-Spilger, a.a.O., § 9 KSchG, Rdnr. 39; ErfK-Ascheid, § 9 KSchG, Rdnr. 13; KDZ a.a.O., § 9 KSchG, Rdziff. 10). Die Frage, ob dem gekündigten Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Begründung zum Regierungsentwurf nennt als Beispiele für die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses Fälle, in denen als Kündigungsgründe unzutreffende ehrverletzende Behauptungen über die Person oder das Verhalten des Arbeitnehmers leichtfertig aufgestellt worden sind oder das Vertrauensverhältnis im Verlauf des weiteren durch die Kündigung ausgelösten Verfahrens ohne wesentliches Verschulden des Arbeitnehmers zerrüttet worden ist. Zu Recht gehen deshalb Literatur und Rechtsprechung davon aus, dass auch die Begründung der Kündigung selbst die Unzumutbarkeit bedingen kann (vgl. APS-Bibl, a.a.O., Rdziff. 39 und 40; KDZ, a.a.O., § 9 KSchG, Rdziff. 11; ErfK-Ascheid, a.a.O., § 9 KSchG, Rdziff. 13, jeweils mit weiteren Nachweisen).

b) Die Voraussetzungen des § 9 KSchG sind im zu entscheidenden Fall gegeben.

Die Beklagte hat schon in der ersten Instanz "anklingen" lassen, dass sie die Klägerin zumindest verdächtigt, das "gefälschte" Protokoll aus der Akte genommen und durch ein berichtigtes Protokoll ersetzt zu haben. Anders ist der folgende Vortrag auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 01.09.2005, Bl. 50 d. A., nicht zu verstehen: "Nachdem die Zeugin G. die Akte aufgeschlagen hatte stellte sie fest, dass das gefälschte Protokoll dort nicht mehr enthalten war, sondern nunmehr ein entsprechendes berichtigtes Protokoll. Beweis: Zeugnis der Frau R. O. sowie der Frau G. . Wegen dieses Vorfalls wurde die Vorsitzende Betriebsrätin, die Zeugin B. , hinzugezogen.". Warum sollte die Betriebsrätin "wegen dieses Vorfalls" zugezogen werden, wenn man der Klägerin nicht ein Verhalten, das arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen sollte, vorhalten wollte. In dem Mitteilen der Tatsache, das Protokoll ist nicht enthalten, sondern ein berichtigtes Protokoll, liegt bereits mindestens der Vorwurf, die Klägerin sei verdächtig, das Protokoll ausgetauscht zu haben.

Die Behauptung, "die Klägerin versuchte ihr Verhalten damit zu entschuldigen, dass dieses normal sei und dass sie nicht die einzige Mitarbeiterin sei, die so verfahren würde" bezieht sich allerdings ganz offensichtlich nicht auf die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe das Protokoll aus der Akte entwendet.

In der Berufungsinstanz wird dann dieser Vortrag noch einmal verdeutlich. In der Berufungsbegründungsschrift heißt es auf Seite 5, Bl. 110 d. A.: "Nach diesseitiger Auffassung war der Ausspruch einer Kündigung unvermeidbar und gerechtfertigt, da das Verhalten der Klägerin im Zusammenhang mit der Aufdeckung dieser Urkundenfälschung als völlig unbelehrbar einzustufen ist. Diese hat versucht ihr Verhalten vielmehr damit zu rechtfertigen, dass alle Mitarbeiter die Dokumentation im Voraus abzeichnen - was im Übrigen nicht stimmt -. Damit war die Grundlage für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit entzogen, zumal die Klägerin nach ihrer Entdeckung auch das gefälschte Protokoll hat "verschwinden" lassen. Nachdem der Sachverhalt mit der Klägerin im Beisein der Betriebsrätin, der Zeugin Frau B. , ... eingeräumt hatte, das Protokoll vorgeschrieben zu haben ... erfolgte gegenüber der Beklagten keine wie auch immer geartete Reaktion dahingehend ...". Die Beklagte hat damit einen substantiierten, konkreten Vortrag allein für die Behauptung der Tatsache erbracht, dass die Klägerin in dem Gespräch nach der "Aufdeckung" des Vorfalls "Urkundenfälschung" das Ausfüllen des Trinkprotokolls im Voraus zugegeben hat. Für die Behauptung, die Klägerin habe das Protokoll verschwinden lassen, fehlt jeglicher substantiierter Vortrag. Weder ist im Einzelnen dargetan, wo sich denn das Protokoll über die Zuführung von Nahrungsmitteln an die Patientin befand, noch ist vorgetragen worden, wer Zugang zu dem Aufbewahrungsort des Protokolls hatte, noch ist auch nur ansatzweise erkennbar, welche Tatsachen die Beklagte zu der Behauptung in diesem Rechtsstreit veranlasst hat, die Klägerin habe das Protokoll entwendet. Die Behauptung wird allein aus der Tatsache gefolgert, dass, nach der Behauptung der Beklagten, das Protokoll, als die Klägerin die Vorlage verlangte, nicht mehr da war. Dieser Vorwurf der Beklagten, der im Ergebnis in beiden Instanzen vorgetragen wurde, wiegt schwer. Die Klägerin hat nicht nur die der Kündigung zu Grunde liegenden Vorfälle im Einzelnen bestritten, bzw. Entschuldigungsgründe angeführt, letzteres für die Vorwürfe bezüglich der Hygieneverletzung, sie hat auch insbesondere den Vorwurf, das Protokoll gefälscht bzw. entwendet zu haben, vehement bestritten. Da die Beklagte jedoch keine Tatsachen vorgetragen hat, aus denen auch nur ansatzweise erkennbar wäre, dass die Klägerin die Tat "Protokolldiebstahl" begangen hat, ist diese Behauptung einer Beweisaufnahme nicht zugänglich. Die Beklagte hat damit diese Behauptung "ins Blaue hinein" aufgestellt. Sie hat der Klägerin damit eine kriminelle Tat vorgeworfen, die durch keine Tatsache belegt ist. Sie hat die Klägerin schwer beleidigt und damit der Klägerin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht. Die Klägerin ist, wenn sie in den Betrieb zurückkommt, stigmatisiert als "Diebin". Vorgesetzte, Kolleginnen, Betriebsrat sind informiert, wissen über die Vorwürfe, so dass ein gedeihliches Weiterarbeiten nicht möglich ist.

Die Kammer musste deshalb ohne Beweisaufnahme über die Begründetheit der übrigen der Klägerin gemachten Vorwürfe (2-maliger Verstoß gegen Hygienevorschriften) feststellen, dass schon wegen des völlig aus der Luft gegriffenen Vorwurfs des Diebstahls eines Protokolls ("Verschwindenlassen des Protokolls"), die Voraussetzungen des § 9 KSchG gegeben sind.

2. Das Gericht muss in dem Urteil, in dem es der Auflösung entspricht, den Zeitpunkt festsetzen, zu dem das Arbeitsverhältnis endet. Das ist nach § 9 Abs. 2 KSchG der Termin, zu dem das Arbeitsverhältnis bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte und ist damit das Ende der regulären Kündigungsfrist. Sind eine außerordentliche und eine ordentliche Kündigung im Streit, kann der Arbeitnehmer sowohl nach § 13 Abs. 1 Satz 3 als auch nach § 9 Abs. 1 KSchG einen Auflösungsantrag stellen. Es hängt dann von seinem Begehren ab, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis aufgelöst werden soll (BAG AP Nr. 113 zu § 626 BGB; KR-Spilger, a.a.O., § 9 KSchG, Rdnr. 31 a; ErfK-Ascheid, a.a.O., § 9 KSchG, Rdziff. 33).

Die Klägerin hat die Auflösung zu dem Zeitpunkt beantragt, zu dem das Arbeitsverhältnis bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte. Dies war der 31.12.2005. Zu diesem Zeitpunkt war deshalb das Arbeitsverhältnis aufzulösen.

3. Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung 55 Jahre alt und 13 Jahre und 7 Monate bei der Beklagten beschäftigt. Nach § 10 Abs. 2 KSchG ist dann, wenn der Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr vollendet hat und das Arbeitsverhältnis mindestens 15 Jahre bestanden hat, ein Betrag bis zu 15 Monatsverdiensten festzusetzen. Hat der Arbeitnehmer das 55. Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens 20 Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu 18 Monatsverdiensten festzusetzen. In allen anderen Fällen ist als Abfindung ein Betrag bis zu 12 Monatsverdiensten festzusetzen, § 10 Abs. 1 KSchG.

Die Höhe einer angemessenen Abfindung im Sinne des § 10 KSchG hat sich an ihrem Zweck zu orientieren. Er besteht in erster Linie darin, dem Arbeitnehmer einen Ausgleich für die Vermögens- und Nichtvermögensschäden zu gewähren, die sich aus dem an sich nicht gerechtfertigten Verlust des Arbeitsplatzes ergeben. Die wichtigsten Faktoren sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Arbeitnehmers. Das folgt aus der gesetzlichen Regelung, dass die Höchstsumme der Abfindung nach § 10 Abs. 2 KSchG bei höherem Alter und längerer Betriebszugehörigkeit vergrößert wird. Als Bemessungsfaktor für die Höhe der Abfindung kommt auch das Maß der Sozialwidrigkeit der Kündigung in Betracht (BAG AP Nr. 2 zu § 9 KSchG 1969). Die Abfindung hat insoweit eine gewisse Genugtuungsfunktion (vgl. BAG AP Nr. 9 zu § 72 BetrVG; APS-Bibl, a.a.O., § 10 KSchG, Rdziff. 28; KR-Spilger, § 9 KSchG, Rdnr. 59; ErfK-Ascheid, a.a.O., § 9 KSchG, Rdziff. 11).

Unter Berücksichtigung des Alters der Klägerin, ihres Arbeitseinkommens von 1.750,00 € pro Monat, der langen Betriebszugehörigkeit von über 13 Jahren hielt die Kammer einen Betrag von € 11.000,00, den die Klägerin selbst vorgeschlagen hat und der 6,3 Gehältern entspricht, für angemessen um die Nachteile, die die Klägerin durch die Kündigung erleidet, auszugleichen. Bei der Höhe hat die Kammer auch die besondere Sozialwidrigkeit der Kündigung, die sich in der Leichtfertigkeit des Vorwurfs, einen Diebstahl begangen zu haben, ausdrücklich berücksichtigt.

Nach allem war dem Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung stattzugeben.

III.

Die Kammer hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (Stellen des Antrags auf Auflösung erstmals in der mündlichen Verhandlung vor Berufungskammer nach Rücknahme der Berufung des Arbeitgebers gegen die stattgebende Kündigungsschutzklage, die wiederum nach Rechtshängigkeit des Auflösungsantrags erfolgte) zugelassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO i.V.m. § 516 Abs. 3 ZPO, da die Beklagte auch die Kosten, die durch die Rücknahme der Berufung entstanden sind, zu tragen hat.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten

Revision

eingelegt werden.



Ende der Entscheidung

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