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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Bremen
Urteil verkündet am 01.08.2008
Aktenzeichen: 4 Sa 53/08
Rechtsgebiete: BGB, ArbGG


Vorschriften:

BGB § 626
ArbGG § 64 Abs. 2 c)
1. Spricht ein Arbeitgeber eine fristlose, hilfsweise fristgemäße Verdachtskündigung aus, ohne alles Erforderliche zur Aufklärung des Sachverhaltes getan zu haben, kann er die notwendige Aufklärung nicht mehr im Kündigungsschutzprozess nachholen und in den Prozess einführen, nachdem in der Güteverhandlung auf die mangelnde Aufklärung hingewiesen wurde. Die vollständige Aufklärung des Sachverhalts ist - auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - Wirksamkeitsvoraussetzung.

Es bleibt die Möglichkeit des Ausspruchs einer neuer fristgemäßen Verdachtskündigung.

2. Die Wirksamkeit der Verdachtskündigung kann - entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - nicht von später bekannt gewordenen oder eingetretenen be- oder entlastenden Umständen abhängen. Die entgegenstehende Auffassung bedeutet einen Bruch mit der Zivilrechtsdogmatik, da die Wirksamkeit der Kündigung als Gestaltungsrecht von Umständen abhängig gemacht wird, die, wenn auch subjektiv, nach dem Ausspruch der Kündigung eintreten.


LANDESARBEITSGERICHT BREMEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 Sa 53/08

Verkündet am: 01.08.2008

In dem Rechtsstreit

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Bremen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. August 2008 durch

den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts den ehrenamtlichen Richter Herrn den ehrenamtlichen Richter Herrn

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 29.11.2007 - Az.: 5 Ca 5208/07 - wird auf ihre Kosten als unbegründet zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Mit ihrer am 28.06.2007 beim Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven eingegangen Klage wendet die Klägerin sich gegen eine fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung der Beklagten.

Die Klägerin ist seit dem 01.04.1994 nebenberuflich als Pflegekraft bei der Beklagten, die einen ambulanten Pflegedienst betreibt, beschäftigt. Das durchschnittliche Bruttoarbeitsentgelt liegt bei € 520,00 pro Monat. Bei der Beklagten sind rund 40 Mitarbeiter beschäftigt; es besteht ein Betriebsrat.

Mit Schreiben vom 18.06.2007, das der Klägerin nach ihrer Darstellung am 19.06.2007 zuging, nach dem Vortrag der Beklagten ihr jedoch am 18.06.2007 per Boten überbracht wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Termin. Wegen des Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 4 d. A. verwiesen.

Die Tätigkeit der Klägerin besteht darin, Patienten zu Hause zu pflegen und zu versorgen. Für die Pflegekräfte, so auch für die Klägerin, werden bei der Beklagten täglich Einsatzpläne gefertigt, auf denen die zu pflegenden Patienten mit den zu erledigenden Aufgaben aufgeführt werden. Auch ist die jeweilige Uhrzeit angegeben, in welchem Zeitraum die Patienten zu versorgen sind. Die Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter haben dann die zu erledigenden Arbeiten auf dem Einsatzplan abzuzeichnen, so dass die Beklagte in die Lage versetzt wird, dem Patienten oder dem Leistungsträger entsprechend die Leistungen in Rechnung zu stellen. Auf den Einsatzplänen sind von den Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern der Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit aufzuschreiben. Anhand dieser Informationen werden die Arbeitsstunden berechnet und die Lohnabrechnungen erstellt. Dies gilt auch für die Klägerin. Diese fährt vor Beginn jeder Tour zunächst zur Beklagten, um dort in ein Firmenfahrzeug umzusteigen.

Am Sonnabend, dem 02.06.2007 war die Klägerin zu einer Tour eingeteilt, die beim ersten Patienten, Herrn W. , um 06:50 Uhr beginnen sollte. Herr W. ist auch der letzte Patient auf dieser Tour, er wird dann mit Essen versorgt. Am 02.06.2007 wurde die Klägerin, als sie mit ihrem Privat-Pkw gegen 07:30 Uhr aus Richtung Westerstr. in Richtung H. , dem Sitz der Beklagten, fuhr, gesehen. Um 12:45 Uhr wurde die Klägerin von Frau P. , einer Mitarbeiterin der Beklagten, im Lager angetroffen. Ihr wurde erklärt, wie ein Verband, den sie bei einer Kundin nach Auffassung der Beklagten falsch angelegt hatte, richtig angelegt wird. Planmäßig wäre die Klägerin um 11:45 Uhr mit ihren Tätigkeiten fertig gewesen.

Auf dem Einsatzplan für ihre Tour am 02.06.2007 kreuzte die Klägerin auch beim Patienten W. sämtliche zu erledigenden Arbeiten an, als Bemerkung fügte sie bei den für die Zeit von 11.20 Uhr bis 11.30 Uhr vorgesehenen Arbeiten ein "Das Essen war noch nicht da. Ca. 11.35" (Bl. 93/94 d. A.). Als Arbeitszeit trug die Klägerin 6.35 Uhr bis 11.45 Uhr ein (Bl. 93 d. A.). Beschwerden von Kunden über die Tätigkeit der Klägerin liegen für diesen Tag nicht vor.

Am 04.06.2007 erklärte die Klägerin auf telefonische Nachfrage zunächst, sie könne um 7.30 Uhr des 02.06.2007 nicht in ihrem Privatwagen gesehen worden sein. Auf weiteren Hinweis erklärte sie, das könne sie sich jetzt auch nicht erklären, da müsse sie noch einmal nachdenken. Vielleicht sei der Firmenwagen defekt gewesen.

In einem Gespräch am 12.06.2007 erklärte die Klägerin, nicht gemerkt zu haben, dass sie eine Stunde später mit der Arbeit angefangen habe.

Der Inhalt der Anhörung der Klägerin vom 12.06.2007 durch Mitarbeiterinnen der Beklagten ist in einer Gesprächsnotiz, wegen deren Inhalt auf Bl. 100 d. A. verwiesen wird, niedergelegt.

Am 18.06.2007 erfolgte - von der Klägerin nach Umfang und Inhalt bestritten - die Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentliche fristlosen und hilfsweisen fristgerechten Kündigung. In diesem Anhörungsschreiben heißt es u.a.:

"...

Für uns ergibt sich daraus zum einen der dringende Verdacht, dass Frau S. versuchten Lohnbetrug begangen hat, in dem sie die Anfangszeit 06:35 Uhr vorverlegt hat. Bekanntermaßen werden anhand dieser handschriftlichen Notizen die Arbeitszeit berechnet und bezahlt.

Ferner besteht der dringende Verdacht, dass Frau S. zumindest bei dem ersten Patienten, Herrn W. , nicht alle Leistungen erbracht hat, die sie angekreuzt hat. Dadurch müssen wir gegenüber dem Patienten falsch, d.h. zu viel abrechnen, weil diese Bögen als Grundlage für die Abrechnung dienen. ..."

Wegen des weiteren Inhalts der Anhörungsschreiben wird auf Bl. 96 + 98 d. A. verwiesen.

Der Betriebsrat stimmte nach interner Beratung beiden Kündigungen noch am gleichen Tage zu. Sodann wurde die Kündigung ausgefertigt und nach Behauptung der Beklagten der Klägerin per Boten überbracht.

Nachdem die Klägerin Kündigungsschutzklage erhoben hatte und das Gericht im Gütetermin am 16.07.2007 darauf hingewiesen hatte, dass es möglicherweise weiterer Aufklärung bedurft hätte, führte die Beklagte weitere Aufklärungshandlungen durch. Sie befragte Herrn W. und die Patientinnen Si. und K. sowie den Patienten Herrn N. und die Patientin Frau Ko. .

Am 27.05.2007 hatte die Klägerin ebenfalls Dienst. Als Dienstbeginn hatte die Klägerin 6.25 Uhr aufgeschrieben und als Dienstende 11.25 Uhr. Für die Zeit von 8.50 Uhr bis 9.20 Uhr war der Patient Sp. eingeplant. An diesem Tag war der Patient aber bereits im Krankhaus. Die Klägerin kreuzte gleichwohl die vorgesehenen Leistungen im Einsatzplan an. Daneben schrieb sie als Anmerkung "Ist ins KHS S. " (Bl. 102 d. A.). Letzter Patient auf dieser Tour war Herr J. , dessen Behandlung von 9.40 Uhr bis 10.20 Uhr vorgesehen war (Bl. 102 d. A.).

Mit Schreiben vom 05.07.2007 wurde der Klägerin gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten eröffnet, dass auch hinsichtlich des 27.05.2007 der dringende Verdacht des Lohnbetruges bestünde und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 10.07.2007 gegeben. Auf Bl. 103/104 d. A. wird verwiesen.

Der Betriebsrat wurde am 22.11.2007 ergänzend angehört, auf Bl. 155 d. A. wird insoweit verwiesen. Er erteilte nach Beratung am selben Tag seine Zustimmung zum Nachschieben dieser Gründe für die fristlose Kündigung als auch für die hilfsweise ordentliche Kündigung.

Die Klägerin hat in der ersten Instanz die Auffassung vertreten, dass Gründe für eine außerordentliche Kündigung nicht vorliegen und dass die hilfsweise ordentliche Kündigung sozial nicht gerechtfertigt ist.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 18.06.2007 nicht beendet worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen über den Kündigungsendtermin hinaus fortbesteht;

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses als Pflegehelferin weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung wegen versuchten Lohnbetruges bzw. vollendeten Lohnbetruges vorlägen. Am 02.06.2007 habe die Klägerin sich widersprüchlich und unglaubwürdig geäußert. Bei einer Verschiebung ihrer Einsätze um ca. eine Stunde hätten sich die Patienten beschwert. Auch hätte zu dem dann späteren Zeitpunkt gegen 12.35 Uhr das Essen bei Herrn W. längst da sein müssen. Die Klägerin habe eine Stunde später angefangen zu arbeiten und gewusst, dass Herr W. bei Einsatzzeiten nach 7.30 Uhr bereits angezogen sei und sich nicht mehr versorgen lasse. Sie werde die Tour dann so umgestellt haben, dass die Patienten, die Wert auf eine pünktliche Einsatzzeit legen, zu ihren gewohnten Zeiten versorgt worden seien.

Die Befragung der Patienten, die - unstreitig - nach Ausspruch der Kündigung und nach der Güteverhandlung in diesem Verfahren stattfand, habe den Verdacht noch bestärkt. Herr W. habe ausgeführt, die Klägerin habe lediglich ihre Eintragungen in die Dokumentation gemacht und sei nach fünf Minuten wieder gegangen, eingetroffen sei sie um kurz vor acht. Keine der von ihr abgezeichneten Leistungen habe sie durchgeführt. Sie habe sich noch nicht einmal davon überzeugt, ob Herr W. sich seine Beinprothese richtig angelegt hatte.

Die Beklagte hat ferner die Ansicht vertreten, die Abzeichnungen von nicht durchgeführten Leistungen führten zu falschen Abrechnungen mit Kostenträgern und Patienten; es könne enormer Schaden für die Beklagte entstehen. Hinzu komme, dass die Klägerin sich die nicht erbrachte Arbeitsleistung als Arbeitszeit aufgeschrieben habe.

Die Klägerin habe zudem behauptet, dass sie Herrn W. mittags gewaschen habe, weil er morgens schon fertig gewesen sei. Dies habe laut Aussage von Herrn W. nicht der Wahrheit entsprochen. Noch niemals habe die Klägerin ihn mittags grundpflegerisch versorgt. Im Zuge des Gesprächs sei auch zutage gekommen, dass die Klägerin Herrn W. des Öfteren mittags gar nicht besucht habe. Das Aufholen von rund 60 Minuten Arbeit in der ambulanten Pflege sei mit ordnungsgemäß durchgeführten Leistungen schlicht unmöglich. Dies lasse nur die Schlussfolgerung zu, dass die Klägerin auch bei anderen Patienten am 02.06.2007 Leistungen nicht durchgeführt habe, um Zeit aufzuholen. Das von der Klägerin eingetragene Ende von 11.45 Uhr treffe zu. Sie habe ihren Dienst jedoch nicht um 6.35 Uhr angetreten, sondern eine Stunde später. Allein dieser versuchte Lohnbetrug rechtfertige die fristlose Kündigung. Weit schwerer wiege jedoch der Umstand, dass die Klägerin Herrn W. nicht versorgt habe, gleichwohl aber auf dem Einsatzplan vermerkt habe, dass sie die Pflegeleistungen durchgeführt habe. Dieser Pflichtverstoß sei für sich genommen derart schwerwiegend, dass er ohne weiteres eine fristlose Kündigung rechtfertige.

Auch hinsichtlich des 27.05.2007 bestehe der dringende Verdacht des Lohnbetruges. Die Klägerin habe die Erledigung der Arbeiten bei Herrn Sp. angekreuzt, obwohl dieser bereits im Krankenhaus gewesen sei. Wegen des Wegfalls von Herrn Sp. hätte sie um 9.50 Uhr im Büro sein müssen, aufgeschrieben habe sie aber 11.25 Uhr, sodass eine nicht erklärbare Differenz von rund 1,5 Stunden bestehe.

Die Klägerin hat erwidert, am 02.06.2007 habe sie ihren Dienst um 7.35 Uhr begonnen.

Da ihre Armbanduhr eine neue Batterie gebraucht habe, habe sie sich ausnahmsweise nach der Uhrzeit auf ihrem Handy gerichtet. Hier habe sie nicht berücksichtigt, dass noch die Winterzeit eingestellt gewesen sei, somit eine Stunde zurück. Sie sei daher davon überzeugt gewesen, ihren Dienst um 6.35 Uhr aufgenommen zu haben. Beim Eintreffen in der Wohnung von Herrn W. habe dieser noch im Bett gelegen und geschlafen. Sie habe ihn angesprochen, er sei unwillig gewesen, weil es ihm zu früh gewesen sei. Er habe wohl am Abend noch einige Flaschen Bier getrunken. Sie habe für richtig gehalten, ihn weiter schlafen zu lassen und ihm gesagt, dass beim zweiten Einsatz die komplette Toilette nachgeholt werde. Damit sei er einverstanden gewesen. Sie sei anschließend gleich zur nächsten Patientin gefahren. Ihren Einsatzplan habe sie komplett abgearbeitet, allerdings um eine Stunde verspätet. Abgegeben bei der Beklagten habe sie den Einsatzplan um 12.45 Uhr. Die Verspätung um eine Stunde habe sie erst bemerkt, als sie im eigenen Kfz zum F. gefahren sei. Die Uhr im Kfz der Beklagten sei zu diesem Zeitpunkt defekt gewesen, Radio habe sie nicht eingestellt. Mittags habe die Klägerin Herrn W. tatsächlich um 12.35 Uhr versorgt. Das Essen sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht da gewesen. Sie habe Herrn W. auch die Haare gewaschen. Sie habe regelmäßig ihre Arbeit korrekt erbracht. Sie habe am 02.06.2007 etwas Zeit aufgeholt, weil sie den Morgeneinsatz bei Herrn W. mittags durchgeführt habe. Bei allen Patienten habe sie am 02.06.2007 die aufgeführten Leistungen durchgeführt.

Am 27.05.2007 habe die Klägerin zunächst nicht gewusst, dass Herr Sp. im Krankenhaus war. Dies habe ihr die Ehefrau des Herrn Sp. mitgeteilt, als sie diesen aufgesucht habe. Sie habe sich ca. 30 Minuten bei Frau Sp. aufgehalten. Auch am 27.05.2007 habe sie keinen Lohnbetrug begangen.

Die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats bestreitet die Klägerin auch insoweit, zu dem hat sie die Auffassung vertreten habe, dass die 14-Tages-Frist des § 626 BGB nicht eingehalten worden sei.

Die Beklagte hat daraufhin erwidert, auf den Anrufbeantworter der Klägerin sei bereits am 26.05.2007 mitgeteilt worden, dass Herr Sp. im Krankenhaus liege. Frau Sp. habe auf Anruf am 21.11.2007 noch genau gewusst, dass die Klägerin nicht bei ihr gewesen sei. Es stimme nicht, dass die Klägerin sich bei Frau Sp. aufgehalten habe und diese die Leidensgeschichte ihres Ehemanns geschildert habe. Daher hätte die Klägerin weder "Wegepauschale" und erst recht nicht die anderen Leistungen ankreuzen dürfen. Der Betriebsrat sei auch insoweit nachträglich ordnungsgemäß angehört worden. Der dringende Verdacht sei nicht ausgeräumt, sondern im Gegenteil, durch die wahrheitswidrigen Behauptungen der Klägerin in Bezug auf die Eheleute Sp. noch bestätigt worden.

Das Arbeitsgericht hat am 29.11.2007 das folgende Urteil verkündet:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 18.6.2007 nicht beendet worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen über den Kündigungsendtermin hinaus fortbesteht.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu den bisherigen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses als Pflegehelferin weiter zu beschäftigen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.080,- € festgesetzt.

Dieses Urteil wurde der Beklagten am 6. März 2008 zugestellt. Die Beklagte hat mit einem am Montag, den 7. April 2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 6. Mai 2008 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte greift das erstinstanzliche Urteil mit Rechtsausführungen an und vertieft ihren Sachvortrag. Sie vertritt die Auffassung, dass die Beklagte den Tatnachweis für die Taten erbracht habe und insoweit die Kündigung gerechtfertigt sei, mindestens aber die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung vorgelegen hätten. Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf den Berufungsbegründungsschriftsatz Bl. 237 ff. d. A. verwiesen.

Die Beklagte beantragt:

Auf die Berufung wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 29.11.2007, Az. 5 Ca 5208/07, abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin bezieht sich auf ihren erstinstanzlichen Sachvortrag, bestreitet den neuen Vortrag der Beklagten und legt eine Bestätigung der Frau Sp. vor (Bl. 264 d. A.). Wegen des Vortrags im Einzelnen wird auf den Inhalt des Berufungserwiderungsschriftsatzes Bl. 263 d. A. verwiesen.

Die Beklagte bestreitet, dass Frau Sp. eine derartige Bestätigung abgegeben hat.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Es handelt es sich um eine Bestandsschutzstreitigkeit, § 64 Abs. 2 c) ArbGG. Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig.

II.

In der Sache hatte die Berufung keinen Erfolg.

1. Weder die fristlose noch die fristgemäße Kündigung sind als "sogenannte Verdachtskündigung" wirksam.

a) Zum Zeitpunkt der Kündigung lagen die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung nicht vor.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung Kündigungsgrund sein. Eine Verdachtskündigung kommt aber nur in Betracht, wenn dringende, auf objektiven Tatsachen beruhende schwerwiegende Verdachtsmomente vorliegen und diese geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen beim verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören. Der Arbeitgeber muss alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben. Dabei sind an die Darlegung und Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer in besonderem Maße die Gefahr besteht, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Der notwendige schwerwiegende Verdacht muss sich aus den Umständen ergeben, bzw. objektiv durch Tatsachen begründet sein. Er muss ferner dringend sein, d. h. bei einer kritischen Prüfung muss eine auf Beweisanzeichen (Indizien) gestützte große Wahrscheinlichkeit für die erhebliche Pflichtverletzung gerade dieses Arbeitnehmers bestehen. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus. Der Arbeitgeber muss zudem alles ihm zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan haben, insbesondere muss er zunächst selbst eine Aufklärung des Sachverhalts unternehmen. Möglichen Fehlerquellen muss er nachgehen. Der Umfang der Nachforschungspflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. BAG Urteil vom 29.11.2007 - 2 AZR 724/06; BAG Urteil vom 28.11.2007 - 5 AZR 952/06 - jeweils mit ausführlichen Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und die herrschende Meinung in der Literatur). Wie das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 28.11.2007 entschieden hat, ist wegen der besonderen Gefahr, dass ein "Unschuldiger" betroffen ist, ist es gerechtfertigt, die Erfüllung der Aufklärungspflicht als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung anzusehen. Lediglich der Verdacht einer Verfehlung kann für den Ausspruch einer Kündigung genügen, wenn der Arbeitgeber den Verdacht auszuräumen noch die erhobenen Verwürfe auf eine sichere Grundlage zu stellen vermochte. Der Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung kommt deshalb ebenfalls besondere Bedeutung zu. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe zu entkräften und Entlastungstatsachen anzuführen. Der gebotene Umfang der Anhörung richtet sich entsprechend den Zweck der Aufklärung nach den Umständen des Einzelfalles. Die Anhörung muss sich auf einen konkretisierten Sachverhalt beziehen. Der Arbeitgeber darf für den Arbeitnehmer nicht lediglich mit einer unsubstantiierten Wertung konfrontieren und ihm nicht wesentliche Erkenntnisse vorenthalten. Er muss alle erheblichen Umstände angeben, aus denen er den Verdacht ableitet (vgl. BAG a.a.O.; BAG Urteil vom 13.03.2008 - 2 AZR 961/06).

bb) Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten war am 18. bzw. 19.06.2007, dem Tag des Zugangs der Kündigung, weder ein dringender Tatverdacht gegeben, noch hatte die Beklagte, wenn man dieser Auffassung nicht folgt, ihre Aufklärungspflicht, die Voraussetzung für eine Verdachtskündigung ist, erfüllt.

a) Ein dringender Tatverdacht für einen Arbeitszeitbetrug, der zumindest in der ersten Instanz und auch in der Anhörung des Betriebsrats Kern des Vorwurfes war, ist nicht gegeben. Zwar ist richtig, dass die Klägerin am 02.06.2007 falsche Angaben zu dem Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit gemacht hat. Im Ergebnis hat sie aber ihre Arbeitszeit lediglich um eine Stunde verschoben. Denn ihre normale Arbeitszeit endete gegen 11:30 Uhr (vgl. Bl. 52 und 53 d. A.). Die Kläger wurde aber unstreitig noch um 12:45 Uhr im Lager angetroffen und ließ sich auch zu dieser Zeit noch erklären, wie ein Verband, den sie nach Auffassung der Beklagten bei einer Patientin falsch angelegt hatte, richtig angelegt wird. Die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe "vermutlich" das Dienstauto dazu benutzt, um auch private Einkäufe zu tätigen, ist durch nichts, aber auch gar nichts, belegt. Tatsachen hierfür hat die Beklagte schon gar nicht vorgetragen. Es handelt sich insoweit um reine Unterstellungen und Vermutungen. Die Beklagte konnte, ohne dass eine weitere Aufklärung erfolgte, deshalb zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht von einem dringenden Tatverdacht ausgehen, sondern lediglich von einer sicherlich pflichtwidrigen Verletzung von Arbeitsvertragspflichten, die dahin geht, den Arbeitgeber davon zu unterrichten, wenn die Arbeit verspätet aufgenommen wird und auch korrekte tatsächlich abgeleistete Arbeitszeiten in den Einsatzplan einzutragen. Diese Verletzung der Verpflichtungen ist allerdings ihrerseits kein Verdachtsmoment, der geeignet ist, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören, sondern eine immer wieder vorkommende Pflichtverletzung, die sicher auch mit einer Abmahnung geahndet werden kann. Dabei ist auch die sehr lange - nach dem Vortrag in diesem Rechtsstreit auch im Wesentlichen unbeanstandete - Tätigkeit der Klägerin im Betrieb der Beklagten zu berücksichtigen. Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung schließlich 13 Jahre für die Beklagte tätig. Ein dringender Tatverdacht des Arbeitszeitbetruges ist mithin nicht gegeben.

b) Die Beklagte hat darüber hinaus auch nicht alles denkbar Mögliche zur Aufklärung des Vorwurfs des Arbeitszeitbetruges getan, obwohl dies ohne weiteres möglich und auch besonders, wenn die Aufklärung zeitnah zum 02.06.2007 erfolgt wäre, effektiv gewesen wäre. Die Beklagte hätte nämlich, bevor sie die Klägerin mit Vorwürfen, die noch nicht einmal wie oben dargelegt, einen dringenden Tatvorwurf begründen, konfrontiert, die von der Klägerin an diesem Tag zu versorgenden Patienten befragen müssen. Es handelt sich um behinderte und ältere Menschen, deren Erinnerungsvermögen sicher unmittelbar nach einem bestimmten Vorfall noch einigermaßen "in Takt ist", zumindest besser als nach 2 Monaten. Die Beklagte hätte dann den Vorwurf des Arbeitszeitbetruges mit konkreten Tatsachen und Vorhaltungen machen können. So hat sie allein aus der Tatsache, dass die Klägerin morgens eine Stunde zu spät gesehen wurde, ohne Berücksichtigung, dass die Klägerin aber auch eine Stunde später als ihre Arbeitszeit eigentlich endete, noch im Betrieb war, Rückschlüsse gezogen, die nicht auf Tatsachen begründet waren. Die Verletzung der Aufklärungspflicht führt zur Unwirksamkeit der Kündigung (vgl. BAG Urteil vom 28.11.2007 - 5 AZR 952/06).

c) Auch die Anhörung der Klägerin ist aus diesem Grund nicht ordnungsgemäß erfolgt. In der "Gesprächsnotiz" vom 12.06.2007 heißt es:

"Gesprächsanlass: Verspäteter Dienstbeginn 2.6.2007 um vermutlich über 60 Minuten, ohne dass Rückmeldung an den Notdienst bzw. PDL erfolgte, außerdem wurde Arbeitszeit auf dem Tourenplan nicht angepasst sondern so wie ihre Tour geplant war notiert."

Es wurden der Klägerin dann jedoch keine Tatsachen präsentiert, aus der sich der Verdacht des Arbeitszeitbetruges ergab, sondern die Klägerin wurde von Frau L. gebeten, den Sachverhalt zu erklären. Die Klägerin hat dann eine in der Tat nicht besonders glaubwürdige Erklärung abgegeben. Aber auch aus dieser Erklärung ergibt sich kein Verdacht für eine Tätigkeit, denn weder sind Beschwerden bei der Beklagten, dass die Klägerin nicht oder nicht ordnungsgemäß an diesem Tag gearbeitet hätte, eingegangen, noch ist erkennbar, aus welchen Tatsachen denn nun die Beklagte den Arbeitszeitbetrug ableiten will. Es wird sogar in der Gesprächsnotiz darauf hingewiesen, dass Frau P. Frau S. , die Klägerin, um ca. 12:45 Uhr im Lager angetroffen hat und ihr nun erklären konnte, wie "der Verband angelegt wird". Die weitere Bemerkung, "dass Frau S. auch in der Vergangenheit schon mal nach ihrer Tour mit dem Dienstfahrzeug einkaufen gefahren ist und deshalb auch die Möglichkeit besteht, dass sie dieses am 02.06.2007 auch getan hat und deshalb erst um 12:45 Uhr im Lager war", ist - wie schon erwähnt - eine reine Vermutung der Beklagten.

Die Beklagte selbst hat mithin der Klägerin keine Tatsachen, die auf einen Verdacht des Arbeitszeitbetruges hinweisen - mit Ausnahme des verspäteten Dienstbeginns -, erläutert. Die Beklagte hat ihr auch keine Tatsachen vorgehalten und auch nicht vorhalten können, da eine Aufklärung nicht erfolgt war, die den Arbeitszeitbetrug im Laufe des Tages dadurch, dass die Klägerin bestimmte Patienten nicht angefahren oder versorgt hat, erhärten könnten. Sondern aus den eigenen Erklärung der Klägerin, die diese sicherlich nicht besonders geschickt, um ihre Verspätung zu rechtfertigen, abgegeben hat, ohne mit bestimmten Tatsachen konfrontiert zu sein, schließt die Beklagte nunmehr auf den Arbeitszeitbetrug. Die Erklärungen der Klägerin, die Tatsache, dass keine Beschwerden von den Patienten eingegangen sind, die Tatsache, dass die Klägerin dafür auch um 12:45 Uhr noch im Betrieb war, statt ihre Tätigkeit gegen 11:30 Uhr zu beenden, sind bei dieser Würdigung der Beklagten überhaupt nicht berücksichtigt worden.

Wie schon ausgeführt, dass hier Arbeitspflichtverletzungen begangen wurden, die abmahnungswürdig sind, steht außer Frage. Aber es geht nicht um die Frage der Berechtigung einer Abmahnung, sondern um den schweren Vorwurf sich eines Arbeitszeitbetruges verdächtig gemacht zu haben.

Auch aus diesen Gründen ist die Verdachtskündigung unwirksam.

b) Das Nachholen von Aufklärungsmaßnahmen "im laufenden Prozess" ist unzulässig.

Das Bundesarbeitsgericht hat in der Entscheidung vom 28.11.2007 - Az.: 5 AZR 952/06 - ausdrücklich festgestellt, dass die Erfüllung der Aufklärungspflicht als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung anzusehen ist. Eine unter Verletzung der Aufklärungspflicht ausgesprochene Kündigung ist mithin unwirksam. Sie kann auch nicht dadurch, dass die Aufklärung nachgeholt wird, erneut wieder "zum Leben erweckt werden", also wirksam werden (vgl. dazu auch Stahlhacke/Preis/Vossen-Preis, Rz. 761 ff.).

Zumindest bezüglich der Aufklärungspflicht folgt das Bundesarbeitsgericht der zutreffenden Auffassung, dass Beurteilungszeitpunkt für die Rechtmäßigkeit einer Verdachtskündigung die Sachlage im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ist.

Der weitergehenden Auffassung des BAG, wonach die Wirksamkeit der Verdachtskündigung von später bekannt gewordenen oder eingetretenen be- oder entlastenden Umständen abhängen soll, kann im Übrigen nicht gefolgt werden. Es würde einen Bruch mit der Zivilrechtsdogmatik bedeuten, wenn die Wirksamkeit der Kündigung als Gestaltungsrecht von Umständen abhängig gemacht wird, die, wenn auch subjektiv, nach dem Ausspruch der Kündigung eintreten. Denn Kündigungsgrund ist allein der Verdacht, also der notwendigerweise subjektiv geprägte Wissenstand des Arbeitgebers. Wenn dieser subjektive Wissenstand dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht hat, kann eine spätere Ausräumung des Verdachts aus der Perspektive des Arbeitgebers nichts daran ändern, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ein Kündigungsgrund vorgelegen hat (vgl. dazu APS-Dörner, § 626 BGB, Rz. 356; Walker, SAE 1998, Seite 103 (105). Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht an, da für das "Nachholen von Aufklärungsmaßnahmen" schon aus der "Unwirksamkeitstheorie" des BAG folgt, dass diese nicht nachgeholt werden können.

c) Aber auch wenn man dieser Auffassung nicht folgt, ergibt sich nichts anderes.

Ein dringender Tatverdacht ist auch nach dem Vortrag der Beklagten nach das Befragen des Herrn W. nicht erkennbar. Die Beklagte hat nicht im Einzelnen dargelegt, was Herr W. genau bei dem Besuch am 02.06.2007 gesagt hat, es ist nicht substantiiert vorgetragen worden, dass die Klägerin an diesem Tag nicht mittags bei dem Patienten W. war. Es heißt insoweit "als die Klägerin von Frau Z. und Frau L. am 12.06.2007 über ihren Arbeitstag am 02.06.2007 befragt wurde, hatte die Klägerin auch behauptet, dass sie Herrn W. , weil er morgens schon fertig gewesen sei, mittags gewaschen habe. Dies entspricht laut Aussage von Herrn W. nicht der Wahrheit". Es ist aber weder erkennbar, ob die Klägerin an diesem Tag überhaupt nicht bei Herrn W. mittags war, es ist auch nicht von der Beklagten aufgeklärt worden, ob das Mittagessen, das nach dem Vermerk der Klägerin um 11:35 Uhr (was aber nach ihrer eigenen Darstellung die Uhrzeit 12:35 Uhr sein muss) tatsächlich nicht da gewesen ist. Ein Befragen bei dem Lieferanten des Mittagessens, ein Nachfragen bei Herrn W. ist nicht erfolgt, jedenfalls nicht vorgetragen.

Die Tatsache, dass die Klägerin nach Aussage von Herrn W. des Öfteren mittags nicht bei ihm gewesen ist, ist völlig unsubstantiiert und hat deshalb außer Betracht zu bleiben.

In jedem Fall hätte die Klägerin zu den Angaben der Patienten, insbesondere des Herrn W. , angehört werden müssen. Auch dies ist nicht erfolgt. Das erneute Anhörungsschreiben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 05.07.2007 beschäftigt sich nur mit einem nachgeschobenen Vorfall vom 27.05.2007, auf den noch einzugehen sein wird. Einen Versuch der Klägerin die Möglichkeit zu geben, die teilweise konkretisierten Vorwürfe zu entkräften, hat es nicht gegeben, so dass schon aus diesem Grunde die Vorfälle vom 02.06.2007 als Verdachtskündigung außer Betracht bleiben müssen.

d) Aber auch der Vorfall vom 27.05.2007 belegt keinen dringenden Tatverdacht eines Lohnbetruges, zu dem die Klägerin in dem genannten Schreiben vom 05.07.2007 angehört worden ist.

a) Die Klägerin selbst hat auf ihrem Tourenbogen angegeben (vgl. Bl. 102 d. A.),

dass der Patient ins Krankenhaus S. gekommen ist. Dies ist der Beklagten auch sofort aufgefallen. Sie hat deshalb den Vermerk geschrieben "war bereits im Krankenhaus?". Die Klägerin hat also selbst dargetan, dass sie die Leistungen, die sie angekreuzt hat, nicht hat erbringen können. Warum sie sie dennoch angekreuzt hat, bleibt im Dunkeln und ist ebenso wie das Ankreuzen nicht erbrachter Leistungen am 02.06.2007 ein abmahnungswürdiges Verhaltens, nicht aber eine Tatsache, die einen im Sinne der Rechtsprechung schweren Verdacht eines Arbeitszeitbetruges beinhaltet. Die Beklagte hätte durch eine einfach Rückfrage bei der Klägerin klären können, was sich an diesem Tag abgespielt hat, und auf die Widersprüchlichkeit des Vermerks einerseits und der angegebenen Leistungen andererseits hinweisen können.

b) Auch bezüglich dieses Vorfalls hat die Beklagte nicht alles zur Aufklärung vor Anhörung der Klägerin getan. Sie hat weder mit Frau Sp. noch mit den anderen Patienten gesprochen, um zu klären, ob die Klägerin tatsächlich bis 11:25 Uhr für die Beklagte gearbeitet hat. Denn es ist auch durchaus denkbar, und ja vielleicht im Interesse der Beklagten, wenn die Klägerin sich in dem Fall, dass ein Patient "ausfällt", mehr Zeit für andere Patienten lässt, um auch mal ein persönliches Wort mit diesen zu wechseln. Dies hätte die Beklagte im Einzelnen ohne weiteres aufklären können und müssen.

Die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung sind deshalb nicht gegeben, und zwar weder als fristgemäße noch als fristlose.

2. Auch die Voraussetzungen einer verhaltensbedingten ordentlichen oder außerordentlichen Tatkündigung sind nicht gegeben.

a) Die Prüfung der Sozialwidrigkeit einer verhaltensbedingten Kündigung ist in drei Stufen vorzunehmen.

Zunächst ist ein regelmäßig schuldhaftes vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers festzustellen (vgl. BAG NZA 2005, Seite 159). Dieses muss zu konkreten Störungen im Arbeitsverhältnis führen, die auch in Zukunft zu befürchten sind (BAG NZA 2006, Seite 917). Der Zweck der Kündigung ist nicht die Sanktion für eine Pflichtverletzung, sondern eine Vermeidung von weiteren Vertragspflichtverletzungen (BAG NZA 2006, Seite 917). Nach dem Prognoseprinzip ist auch zu prüfen, ob eine Wiederholungsgefahr besteht, d. h. zu befürchten ist, der Arbeitnehmer werde auch in Zukunft gleichartige Pflichtverletzungen begehen, oder ob das vergangene Ereignis, selbst ohne Wiederholung, sich auch künftig weiter belastend auswirkt (BAG NZA 1997, Seite 478). Erforderlich ist darüber hinaus, dass die Störungen nicht durch eine Umsetzung beseitigt werden. Wenn die Möglichkeit einer zumutbaren anderen Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz in demselben Bereich oder einem anderen Betrieb des Unternehmens besteht, entfällt der Kündigungsgrund (BAG RzK I 5 g Nr. 33). Die zu prüfende Umsetzmöglichkeit ist aus dem ultima-ratio-Prinzip gerechtfertigt, das besagt, dass jede Kündigung nur das letzte Mittel in einer Reihe von möglichen Maßnahmen sein kann. Aus dem gleichen Prinzip folgt, dass der Arbeitnehmer bei einem pflichtwidrigen Verhalten mit nachteiligen Auswirkungen im Leistungsbereich vor einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung zunächst vom Arbeitgeber abgemahnt werden muss (vgl. BAG NZA 2006, Seite 980; APS-Dörner, § 1 KSchG, Rz. 343 mit ausführlicher Ableitung des Abmahnungsprinzips und Hinweisen auf die Rechtsprechung).

Letztlich ist in einer dritten Stufe eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei ist das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung des Arbeitsplatzes gegenüberzustellen dem Interesse des Arbeitgebers an einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Sozial gerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien des Betriebes billigenswert und angemessen erscheint (BAG NZA 2005, Seite 159; BAG AP KSchG 1969, § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 5).

b) Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ein Arbeitszeitbetrug zwingend ergibt.

Bezüglich des Vorfalls am 02.06.2007 ist die Klägerin zwar eine Stunde zu spät angefangen mit ihrer Tätigkeit, sie ist aber auch eine Stunde nach der sonst üblichen Beendigung ihrer Arbeitszeit noch im Betrieb angetroffen worden und hat dort auch noch dienstliche Dinge verrichtet, sie hat sich nämlich zeigen lassen, wie man einen bestimmten Verband anlegt, und zwar um 12:45 Uhr, obwohl ihre eigentliche Arbeitszeit gegen 11:30 Uhr bis 11:45 Uhr endete. Dass die Klägerin in der Zwischenzeit einen Arbeitszeitbetrug dadurch begangen hat, dass sie in der Zwischenzeit private Dinge erledigt hat, hat die Beklagte in keiner Weise konkret dargetan. Sie hat hier lediglich Vermutungen geäußert (privates Einkaufen).

Die behaupteten falschen Eintragungen auf dem Einsatzplan sind arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen, die nach dem ultima-ratio-Prinzip abgemahnt werden müssen, bevor sie zu einer Kündigung führen können. Dies gilt insbesondere, wenn man die lange Betriebszugehörigkeit der Klägerin berücksichtigt. Natürlich ist die Beklagte darauf angewiesen, dass die Eintragungen richtig sind, damit ihr nicht vorgehalten werden kann, betrügerisch zu Lasten der Leistungsträger oder der übrigen Kunden zu handeln. Deshalb ist es auch gerechtfertigt, dass die Beklagte auf richtige Eintragungen großen Wert legt. Wenn ein Arbeitnehmer diese Eintragungen nach Auffassung der Beklagten nicht richtig durchführt, ist dies ein abmahnungswürdiges Verhalten. Nichts anderes gilt für den behaupteten Arbeitszeitbetrug am 27.05.2007.

Die Beklagte hat nicht substantiiert vorgetragen, dass die Klägerin in der genannten Zeit nicht durch längere Tätigkeiten bei anderen Patienten, nachdem der Patient Sp. im Krankenhaus war, in der von ihr behaupteten Zeit für die Beklagte tätig war. Für eventuelle Falschaufschreibungen bezüglich dieses Tages geltend die obigen Ausführungen.

Letztlich hat die Beklagte durch das Angebot eines Prozessrechtsverhältnisses mit der Tätigkeit in der hauswirtschaftlichen Abteilung gezeigt, dass es bei ihr auch andere Arbeitsplätze gibt, auf denen die Klägerin beschäftigt werden kann, ohne dass die behaupteten Pflichtverletzungen und die Sorge, dass die Klägerin Arbeitszeitbetrug begeht, hätten vermieden werden können. Auch hier wäre zu berücksichtigen die lange 13-jährige unbeanstandete Tätigkeit der Klägerin bei der Beklagten.

c) Hinzukommt, dass auch der Betriebsrat nicht zu einer Tatkündigung angehört wurde und die Kündigung schon deshalb unwirksam ist (LAG Köln, ZTR 2003, 626; Stahlhacke/Preis/Vossen, a.a.O., Rz. 758)

Nach allem liegen auch die Voraussetzungen für eine ordentliche "Tatkündigung" nicht vor.

d) Wenn schon die Voraussetzungen für eine ordentliche Tatkündigung nicht vorliegen, gilt dies erst Recht für eine außerordentliche Tatkündigung. Einer weiteren Begründung bedarf es insoweit nicht.

3. Ob eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung erfolgt und die 14-Tages-Frist des § 626 BGB eingehalten ist, braucht nach allem nicht entschieden zu werden.

4. Die Berufung der Beklagten hatte nach allem keinen Erfolg, die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung liegen nicht vor, eine Tatkündigung ist nicht substantiiert vorgetragen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben. Wegen der Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde zu erheben, wird auf § 72 a ArbGG hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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