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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 09.10.2009
Aktenzeichen: 1 Ta 10/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 91
1) Auch wenn die Arbeitgeberin am Erfüllungsort verklagt wird, kann sie die notwendigen Kosten für die An- und Abreise zu den Gerichtsterminen nach § 91 ZPO ersetzt verlangen.

2) In dem Umfang, in dem die Partei Reisekosten erspart, kann erstinstanzlich der Ersatz der Kosten verlangt werden, der durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts entstanden ist.

3) Die Partei hat von mehreren Möglichkeiten der Anreise die kostengünstigste zu wählen. Dieses bedeutet bei einer Anreise per Flugzeug, dass sie die günstigste Fluglinie auswählen muss.

4) Da der Partei die Benutzung der Economy Class zugemutet werden kann, kann der Ersatz erstinstanzlicher Kosten für den Prozessbevollmächtigten ebenfalls nur in diesem Umfang erfolgen.


Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 29. Juni 2009 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die vom Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten werden auf EUR 2.746,69 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. März 2009 festgesetzt.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, soweit der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen wird.

Die Gebühr nach Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG wird auf die Hälfte ermäßigt.

Gründe:

I.

Die Beklagte verlangt, soweit in der Beschwerdeinstanz zu entscheiden ist, die Erstattung von Kosten für die Zuziehung eines Rechtsanwalts im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht in Höhe ersparter Aufwendungen für die eigene Anreise.

Zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsverhältnis. Die Beklagte verlagerte zum 1. Januar 2008 den Sitz ihrer Hauptverwaltung von H. nach K.. Die Beklagte kündigte deshalb das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu diesem Datum. Der Kläger verlangte im Ausgangsverfahren die Zahlung einer Sozialplanabfindung. Aufgrund eines nach Rücknahme der dagegen eingelegten Berufung rechtskräftigen Urteils des Arbeitsgerichts Hamburg vom 15. Oktober 2008 hat der Kläger die Kosten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zu tragen. Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 27. Februar 2009 unter anderem, für die erstinstanzliche Vertretung durch einen Rechtsanwalt die fiktiven Flugreisekosten der Beklagten als Erstattung festzusetzen. Als Bemessungsgrundlage nahm sie die Flugkosten des Prozessbevollmächtigten von Frankfurt nach H. und zurück in der Business Class in Höhe von je EUR 648,72 für zwei Flüge zu Güte- und Kammertermin an.

Durch Beschluss vom 29. Juni 2009, dem Kläger zugestellt am 6. Juli 2009, hat das Arbeitsgericht diese Kosten für die 1. Instanz antragsgemäß festgesetzt. Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 10. Juli 2009 beim Arbeitsgericht eingegangen Beschwerde gewandt. Er meint, dass die Beklagte auch in Höhe ihrer fiktiven Reisekosten keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Anwalts in der ersten Instanz habe, und beantragt,

den Kostenfestsetzungsbeschluss aufzuheben mit Ausnahme der Gebühren und Auslagen für die II. Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Hamburg.

Die Beklagte beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 6. August 2009 nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 29. Juni 2009 ist zulässig und teilweise begründet, im Übrigen jedoch zurückzuweisen.

1) Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Nach § 78 Satz 1 ArbGG gelten für sie die für die Beschwerde gegen Entscheidungen des Amtsgerichts geltenden Vorschriften entsprechend. Nach § 567 Abs. 1 Ziffer 2 ZPO ist die Beschwerde statthaft. Sie ist im Sinne des § 569 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Die vom Antragsteller eingereichte Beschwerdeschrift enthält § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO entsprechend hinreichend genau die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung und die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt werde. Die Beschwerdeschrift ging am 10. Juli 2009 beim Arbeitsgericht ein. Das war innerhalb der nach § 569 Abs. 1 Sätze 1 und 2 zu beachtenden Frist von zwei Wochen nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 6. Juli 2009. Der nach § 567 Abs. 2 ZPO erforderliche Wert der Beschwer von mehr als EUR 200 ist erreicht. Der Kläger wendet sich mit der sofortigen Beschwer gegen die Festsetzung der Kosten für das erstinstanzliche Verfahren. Insoweit sind vom Arbeitsgericht EUR 1297,44 nebst Zinsen festgesetzt worden.

2) Die sofortige Beschwerde ist teilweise begründet, weil die Beklagte nur einen Anspruch auf Festsetzung von EUR 360,00 hat, im Übrigen ist sie zurückzuweisen. Die Beklagte kann verlangen, dass die Kosten der Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten in dem Umfang erstattet werden, in dem die Partei Anspruch auf Erstattung von Reisekosten hat. Ein Anspruch der Beklagten auf Erstattung von Reisekosten besteht, obwohl der Kläger sie am Gerichtsstand des Erfüllungsortes verklagt hat. Der Erstattungsanspruch besteht aber nur in Höhe von EUR 360,00, nicht in Höhe von EUR 1.297,44.

a) Die Beklagte hat Anspruch auf Erstattung der erstinstanzlichen Anwaltskosten in Höhe der ersparten Reisekosten. Zwar sind nach § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG die Kosten für die Beiziehung eines Prozessbevollmächtigten erstinstanzlich nicht erstattungsfähig. Dagegen kann die Partei nach § 91 ZPO die Erstattung von Reisekosten zu dem Gerichtstermin verlangen. Erscheint die Partei selbst nicht, sondern entsendet sie einen Prozessbevollmächtigten, sind die durch diesen entstehenden Kosten im Rahmen hypothetisch berechneter Reisekosten erstattungsfähig (Germelmann, ArbGG, § 12 a, Rdnr. 22). Durch die Regelung des § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG soll das Kostenrisiko der Partei begrenzt werden, sie soll aber nicht dadurch begünstigt werden, dass die erstattungsberechtigte Gegenpartei nicht selbst erscheint, sondern einen Prozessbevollmächtigten entsendet. Demgemäß kann die Erstattung der Kosten des Prozessbevollmächtigten im Rahmen der fiktiven Reisekosten der Partei verlangt werden.

b) Die Beklagte kann die Erstattung von Reisekosten zum Güte- und Kammertermin vor dem Arbeitsgericht Hamburg verlangen, obwohl sie vom Kläger am Gerichtsstand des Erfüllungsorts verklagt worden ist. Der Auffassung, nach der die Möglichkeit zur Klage am Erfüllungsort jedenfalls in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen zur Folge hat, dass die Gegenseite die Erstattung der Reisekosten nicht verlangen kann (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Mai 2005, 16 Ta 215/05, ErfK/Koch, § 12 a, Rdnr.5), wird nicht gefolgt. Die Möglichkeit zur Klage am Gerichtsstand des Erfüllungsortes hat keine kostenrechtlichen Konsequenzen. Es gibt weder arbeitsrechtlich noch im allgemeinen Zivilrecht einen Grundsatz des Inhalts, dass am Erfüllungsort eine Prozessvertretung gewährleistet sein muss, bei der keine Reisekosten anfallen. Die Auswahl unter mehreren Gerichtsständen eröffnet der Partei die Möglichkeit, den ihr am günstigsten erscheinenden Ort auszuwählen. Für diese Auswahlentscheidung können Gründe der Praktikabilität oder Bequemlichkeit, die Einschätzung der Prozesschancen oder andere Gesichtspunkte maßgeblich sein. Ein Grund für eine Kostenprivilegierung bei der Wahl des Gerichtsstands des Erfüllungsorts ist nicht ersichtlich. Sie wäre eine arbeitsrechtliche Besonderheit, für die es im Gesetz keine Grundlage gibt. Nach § 12 a Abs. 1 ArbGG sind die Erstattungsmöglichkeiten für das erstinstanzliche Verfahren gegenüber § 91 ZPO eingeschränkt. In dieser Ausnahmeregelung sind Reisekosten der Partei weder generell noch für eine Klage am Gerichtsstand des Erfüllungsortes ausgenommen. Die Möglichkeit zu einer Klage am Erfüllungsort ist keine arbeitsgerichtliche Besonderheit, sondern nach § 29 ZPO in jedem Zivilprozess, für den kein ausschließlicher Gerichtsstand gegeben ist, möglich. Eine Kostenprivilegierung ist damit nach allgemeinem Zivilprozessrecht nicht verbunden. Wieso eine solche dann im Arbeitsgerichtsverfahren gelten soll, obwohl weder § 12 a Abs. 1 ArbGG noch andere Vorschriften eine entsprechende Einschränkung enthalten, ist nicht ersichtlich. Es ist auch nicht ersichtlich, warum die eine Besserstellung, nämlich die Klage unabhängig von der Art des Anspruchs auch am einheitlichen arbeitsrechtlichen Erfüllungsort erheben zu können, zugleich die andere Besserstellung, keine Reisekosten der Gegenseite erstatten zu müssen, nach sich ziehen soll. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine Hilfsüberlegung: Maßgeblich ist vor allem, dass das Gesetz die Erstattung von Reisekosten zum Gerichtsstand des Erfüllungsorts nicht ausschließt.

c) Die Beklagte kann nur die Erstattung von fiktiven Reisekosten in Höhe von EUR 360 verlangen. Für die erstinstanzlichen Termine stellt sie ausschließlich die Flugkosten in Rechnung. Sie kann aber nicht verlangen, dass die Kosten zweier Rückflugtickets von Frankfurt nach H. und zurück in der Business Class erstattet werden. Maßgeblich ist die Verbindung zwischen H. und K., wo die Beklagte ihren Sitz hat. Auf dieser Strecke wird seit vielen Jahren eine kostengünstige Flugverbindung unterhalten, zunächst unter dem Namen von L. Express, dann unter T. Fly, seit kurzem anscheinend unter A.. Der Name ist gleichgültig, denn jedenfalls wird mehrmals täglich diese Strecke in beiden Richtungen bedient. Da die Partei nur die notwendigen Kosten für ihre Reisen erstattet bekommt, hat sie die Reisekosten möglichst niedrig zu halten. Maßgeblich ist die Sicht der wirtschaftlich denkenden Partei. Von mehreren Möglichkeiten ist deshalb die kostengünstigste zu wählen (OLG Köln, Beschluss vom 1. Dezember 2008, 17 W 211/08). Es wäre deshalb der Beklagten zumutbar gewesen, den kostengünstigsten Flug zu wählen. Ein Grund dafür, warum ein Vertreter der Beklagten für die kurze Strecke zwischen K. und H. notwendigerweise in der Business Class hätte reisen müssen, ist nicht erkennbar. Die Auffassung, dass für einen Rechtsanwalt ein Platz in der Business Class erstattungsfähig ist (OLG Hamburg, Beschluss vom 23. April 2008, 8 W 43/08), wird nicht geteilt, ist vorliegend aber auch ohne Bedeutung, da es um die hypothetischen Reisekosten der Partei, nicht um die des Rechtsanwalts geht. Demgemäß kann die Partei nur verlangen, dass die Flugkosten für die kostengünstigen Flüge zwischen K. und H. festgesetzt werden. Die Flugpreise sind abhängig von dem Datum des Fluges und der Buchung. Bei einer Probebuchung, die die Kammer am 5. Oktober für einen Hin- und Rückflug am 12. Oktober 2009 vorgenommen hat, betrug der Flugpreis für Hin- und Rückflug bei T. Fly inklusive Steuern und Gebühren EUR 182,70. Diese kurzfristige Buchung dürfte dem Interesse der Beklagten entgegenkommen, bei Terminsverlegungen keine unnötigen Kosten zu haben. Der Preis eines Flugtickets für die Beklagte wird deshalb auf den Betrag von EUR 180,00 geschätzt. Für zwei Flüge bedeutet dieses Kosten von EUR 360,00.

d) Die Festsetzung der Zinsen ergibt sich aus § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

3) Gegen diesen Beschluss ist für den Kläger das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegeben. Sie wird nach §§ 72 Abs. 2 Ziffer 2, 78 Satz 2 ArbGG zugelassen, weil die Kammer von der Entscheidung des LAG Düsseldorf abweichend davon ausgeht, dass bei einer Klage am Erfüllungsort die Reisekosten der Gegenpartei erstattungsfähig sind. Für die Beklagte ist kein Rechtsmittel gegeben, weil insoweit die Rechtsbeschwerde mangels eines Grundes im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zugelassen wird. Gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist kein Rechtsmittel gegeben.

Die Gebühr nach Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG wird auf die Hälfte ermäßigt, weil der Kläger mit seinem Rechtsmittel überwiegend Erfolg hat.

Ende der Entscheidung

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