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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
Urteil verkündet am 26.03.2003
Aktenzeichen: 5 Sa 8/03
Rechtsgebiete: BetrVG, ArbGG, ZPO, KSchG, InsO


Vorschriften:

BetrVG § 2 Abs. 1
BetrVG § 102
BetrVG § 102 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2 b
ArbGG § 64 Abs. 2 c
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 256 Abs. 1
ZPO § 519 Abs. 1
ZPO § 519 Abs. 2
ZPO § 520 Abs. 1
ZPO § 520 Abs. 3
KSchG § 1
KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 3
KSchG § 4
KSchG § 7
InsO § 113
InsO § 113 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Hamburg Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftszeichen: 5 Sa 8/03

In dem Rechtsstreit

Verkündet am: 26. März 2003

erkennt das Landesarbeitsgericht Hamburg, fünfte Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 26. März 2003

durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Nause als Vorsitzender den ehrenamtlichen Richter Papenhagen den ehrenamtlichen Richter Nickels

für Recht:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. Dezember 2002 (25 Ca 283/02) abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt mit der Klage die Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung.

Die Klägerin war seit dem 1. April 1993 als Verkäuferin bei der E.KG tätig. Wegen der Einzelheiten des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages wird auf die Anlage K 1 zur Klagschrift (Bl. 4 f d.A.) verwiesen. Die Betriebsstätte, in der die Klägerin tätig war, wurde von der E.GmbH übernommen. Die E.GmbH stellte am 23. April 2002 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Beklagte wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt. Über das Vermögen der E.GmbH wurde am 1. Juli 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 26. Juli 2002 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin, die zuletzt ein Monatsgehalt in Höhe von € 1900,- brutto verdiente, zum 31. Oktober 2002.

Am 10. Mai 2002 fand zwischen der Geschäftsleitung der E.GmbH und dem Betriebsrat ein Gespräch über die wirtschaftliche Situation statt, bei dem der Betriebsrat Unterlagen erhielt. Ihm wurde mitgeteilt, dass der Geschäftsbetrieb nach Durchführung eines Ausverkaufs stillgelegt werden solle. Wegen der Einzelheiten eines dem Betriebsrat am 10. Mai 2002 übergebenen Schreibens wird auf die Anlage B 1 zum Schriftsatz des Beklagten vom 15. August 2002 verwiesen.

Am 17. Mai 2002 wurde ein Interessenausgleich (Anlage B 2 zum Schriftsatz des Beklagten vom 15. August 2002, Bl. 23 ff d.A.) vereinbart, am 23. und 28. Mai 2002 ein Sozialplan. Alle Beschäftigten mit Ausnahme derjenigen mit Sonderkündigungsschutz erhielten unter dem Datum des 13. Juni 2002 eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Klägerin ging die Kündigung, wegen deren Einzelheiten auf die Anlage B 3 zum Schriftsatz des Beklagten vom 15. August 2002 (Bl. 27 d.A.) verwiesen wird, am 24. Juni 2002 zu. Mit ihr sollte das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2002 aufgelöst werden.

Am 25. Juni 2002 wurde der Ausverkauf beendet und der Geschäftsbetrieb eingestellt. Ein Warenbestand ist nicht mehr vorhanden. Das restliche Mobiliar wurde am 6. August 2002 versteigert.

Nach dem 1. Juli 2002 wurden keine Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter mehr eingestellt.

Mit Schreiben vom 17. Juli 2002 nebst Anlage (Anlage B 6 zum Schriftsatz des Beklagten vom 15. August 2002, Bl. 40 ff d.A.) unterrichtete der Beklagte den Betriebsrat über seine Absicht, die Arbeitsverhältnisse der auf einer beigefügten Personalliste genannten Beschäftigten zu kündigen. Der Betriebsrat nahm hierzu mit Schreiben vom 23. Juli 2002 Stellung, wegen dessen Einzelheiten auf die Anlage K 5 zur Klagschrift (Bl. 9 f d.A.) verwiesen wird. Zugleich erklärte der Betriebsrat, dass er den Sozialplan widerrufe.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Kündigung unwirksam sei, und die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestritten. Aus dem Wortlaut des Kündigungsschreibens vom 26. Juli 2002 ergebe sich, dass diese Kündigung gegenüber der zuvor ausgesprochenen nachrangig sei. Es bleibe deshalb bei den Wirkungen der ersten Kündigung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2002. Die Klägerin bestreite mit Nichtwissen, dass eine gänzliche und endgültige Betriebsstilllegung erfolgt sei.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass die der Klägerin vom Beklagten mit Schreiben vom 26. Juli 2002 ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Oktober 2002 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis bis zum 31. Dezember 2002 zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbesteht.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat gemeint, dass die Kündigung zum 31. Oktober 2002 wirksam sei.

Das Arbeitsgericht Hamburg hat durch Urteil vom 10. Dezember 2002 der Klage stattgegeben und dieses damit begründet, dass die Kündigung vom 26. Juli 2002 nach § 102 BetrVG nichtig sei, weil der Beklagte dem Betriebsrat nicht den Familienstand und die Unterhaltspflichten der Klägerin und der weiteren zu kündigenden Beschäftigten mitgeteilt habe. Diese Angaben gehörten zu den grundlegenden sozialen Daten, die zur Bezeichnung der Person des oder der zu Kündigenden mitzuteilen seien.

Gegen dieses Urteil, das dem Beklagten am 27. Januar 2003 zugestellt worden ist, hat er mit Schriftsatz vom 3. Februar 2003, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 7. Februar 2003, Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Der Beklagte meint, dass das Urteil des Arbeitsgerichts aus rechtlichen Gründen unzutreffend sei. Wenn keine Sozialauswahl durchzuführen sei, müssten dem Betriebsrat keine Sozialdaten mitgeteilt werden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das arbeitgerichtliche Urteil für zutreffend und bestreitet, dass aufgrund der Anhörung des Betriebsrats vom 17. Juli 2002 allen Beschäftigten der Schuldnerin zeitgleich eine Kündigung ausgesprochen worden sei.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet, weil die Klage zulässig, aber unbegründet ist.

1) Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. Dezember 2002 (25 Ca 283/02) ist zulässig. Nach § 64 Abs. 1 und 2 b und c ArbGG ist die Berufung statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes € 600 übersteigt und es sich um eine Rechtsstreitigkeit über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses handelt. Die Berufung ist gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519 Abs. 1 und 2, 520 Abs. 1, Abs. 3 ZPO innerhalb der Frist von einem Monat nach Zustellung des angegriffenen Urteils formgerecht eingereicht und zugleich begründet worden. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung sind nicht ersichtlich.

2) Die Berufung ist begründet, weil die zulässige Klage unbegründet ist.

a) Die Klage ist zulässig.

Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt. Zwischen den Parteien ist ein Rechtsverhältnis streitig. Unter einem Rechtsverhältnis ist die rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder Sache zu verstehen. Gegenstand der Feststellungsklage können dabei auch einzelne Rechte, Pflichten oder Folgen eines Rechtsverhältnisses sein (Zöller-Greger, § 256, Rdnr. 3). Rechtsverhältnis in diesem Sinne ist das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Insolvenzschuldnerin, die vom Beklagten vertreten wird. Vorliegend geht es darum, ob das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 26. Juli 2002 beendet worden ist. Damit streiten die Parteien unmittelbar um den Bestand des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Kündigungsfrist und außerdem die Berechtigung des Beklagten, das Arbeitsverhältnis durch Kündigungserklärung zu beenden. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist ebenfalls gegeben. Für Arbeitsverhältnisse, die dem Kündigungsschutz nach dem 1. Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes unterliegen, ergibt es sich bereits aus §§ 4, 7 KSchG, nach denen eine sozial ungerechtfertigte Kündigung als von Anfang an wirksam gilt, wenn dagegen nicht fristgerecht eine Feststellungsklage erhoben wird. Für die Kündigung vom 26. Juli 2002 sind aufgrund der Dauer des Bestandes des Arbeitsverhältnisses bei Zugang der Kündigung und der Anzahl der nach der Liste der zu Kündigenden im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Vorschriften des 1. Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes anwendbar. Soweit die Klägerin nicht nur die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 26. Juli 2002 beantragt, sondern zugleich festgestellt haben will, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 31. Dezember 2002 fortbesteht, braucht das Vorliegen eines Feststellungsinteresses nicht gesondert geprüft zu werden. Befasst sich die Klagbegründung ausschließlich mit der Frage, ob eine bestimmt bezeichnete Kündigung wirksam ist, liegt mit einem so genannten allgemeinen Feststellungsantrag regelmäßig kein gegenüber der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG erweiterter Streitgegenstand vor. Dafür müssen sich vielmehr aus dem Klagevortrag weitere Tatsachen ergeben, aufgrund derer der Bestand des Arbeitsverhältnisses zweifelhaft sein könnte (BAG, Urteil vom 16. März 1994, 8 AZR 97/93, EzA § 4 KSchG n.F. Nr. 49 = AP Nr. 29 zu § 4 KSchG). Da vorliegend solche Anhaltspunkte für einen über die Frage nach der Wirksamkeit der Kündigung vom 26. Juli 2002 hinausgehenden Streitgegenstand nicht vorliegen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Antrag der Klägerin auf Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses bis zum 31. Dezember 2002 eine eigenständige Bedeutung haben soll.

Sonstige Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage sind nicht ersichtlich.

b) Die Klage ist unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Insolvenzschuldnerin durch die Kündigung des Beklagten vom 26. Juli 2002 zum 31. Oktober 2002 aufgelöst worden ist. Die Kündigung ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht nur hilfsweise für den Fall ausgesprochen worden, dass die von der Insolvenzschuldnerin bereits ausgesprochene Kündigung vom 13. Juni 2002 unwirksam sein sollte, sondern soll eine eigenständige und nicht nur subsidiäre Wirkung entfalten. Die Kündigung vom 26. Juli 2002 ist sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 KSchG. Der Betriebsrat ist vor ihrem Ausspruch ordnungsgemäß gehört worden. Die Kündigungsfrist ist eingehalten worden. Andere Gesichtspunkte, aus denen sich die Unwirksamkeit der Kündigung ergeben könnte, sind nicht ersichtlich. Im Einzelnen gilt Folgendes:

aa) Die Kündigung hat neben der Kündigung vom 13. Juni 2002 eine eigenständige und nicht subsidiäre Bedeutung. Sie kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sie nur im Falle einer Unwirksamkeit der Kündigung vom 13. Juni 2002 gelten soll. In dem Kündigungsschreiben wird ausgeführt, dass die Kündigung ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage und ohne Anerkenntnis von Rechtspflichten für die Frage ausgesprochen werde, ob zwischen der Klägerin und der Insolvenzschuldnerin ein Arbeitsverhältnis noch besteht oder jemals bestanden hat. Dieser Teil des Kündigungsschreibens befasst sich damit nicht mit der Frage, wie das Verhältnis der Kündigung zu der bereits zuvor von der Insolvenzschuldnerin ausgesprochenen Kündigung ist, sondern allein damit, dass der Ausspruch der Kündigung nicht den Bestand eines Arbeitsverhältnisses zum Ausdruck bringen soll. Im Übrigen bringt die Formulierung "ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage und ohne Anerkennung von Rechtspflichten" nicht zum Ausdruck, dass die Kündigung vom 26. Juli 2002 in irgendeinem Sinne nachrangig sein soll. Die weitere Formulierung in dem Kündigungsschreiben, dass durch den Ausspruch der Kündigung nicht eine früher durch die Schuldnerin ausgesprochene Kündigung berührt werde, sondern diese gelte, wenn sie auf einen früheren Zeitpunkt erfolgt sei, lässt ebenfalls nicht die Auslegung zu, dass die Kündigung nur dann Wirkung entfalten soll, wenn die frühere Kündigung unwirksam ist. Im Gegenteil wird gerade hierdurch erklärt, dass die Kündigung vom 26. Juli 2002 eine eigenständige Wirkung haben soll, weil die von der Insolvenzschuldnerin ausgesprochene Kündigung "unberührt" bleibt und dann, wenn sie auf einen früheren Zeitpunkt erfolgt ist, dieser gelten soll. Schließlich ergibt sich eine Nachrangigkeit der Kündigung vom 26. Juli 2002 nicht daraus, dass der Beklagte sie "vorsorglich" erklärt hat. Aus dem Zusammenhang des Kündigungsschreibens ergibt sich, dass die zum Ausdruck gebrachte Vorsorge sich auf einen möglicherweise früheren Kündigungstermin durch die zweite Kündigung bezieht. Außerdem bedeutet "vorsorglich" nicht, dass die Kündigung nur nachrangig gelten soll, sondern ist eine klarstellende Formulierung, aus der folgt, dass mit dieser Kündigung etwaige Rechtsfolgen der bereits von der Insolvenzschuldnerin ausgesprochenen Kündigung nicht beseitigt, sondern bestehen bleiben sollen.

bb) Die Kündigung vom 26. Juli 2002 ist sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 KSchG. Es kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit des ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes gegeben sind und ob die Kündigung nach den §§ 4, 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam gilt. Jedenfalls sind die Voraussetzungen für eine soziale Rechtfertigung der Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gegeben.

Es gelten für die betriebsbedingte Kündigung unter anderem folgende Grundsätze: Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne der Vorschrift des § 1 Abs. 2 KSchG können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Eine Kündigung ist aus innerbetrieblichen Gründen gerechtfertigt, wenn sich die Arbeitgeberin im Unternehmensbereich zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren innerbetrieblichen Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmerinnen und/oder Arbeitnehmer entfällt. Von den Arbeitsgerichten voll nachzuprüfen ist, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer und/oder Arbeitnehmerinnen entfallen ist. Dagegen ist die unternehmerische Entscheidung nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unvernünftig oder willkürlich ist. (BAG, Urteil vom 26. September 1996, 2 AZR 200/96, EzA § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86 = AP Nr. 80 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). In vollem Umfang gerichtlich nachprüfbar ist, ob die von der Arbeitgeberin getroffene unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt (BAG, Urteil vom 26. September 1996, 2 AZR 200/96, EzA § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86 = AP Nr. 80 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz [im Folgenden: KR] / Etzel, § 1 KSchG, Rdnr. 534 und 536). Die Arbeitgeberin hat im Kündigungsschutzprozess die innerbetrieblichen Gründe unter Aufzeigung der Auswirkungen auf die konkret betroffenen Arbeitsplätze im Einzelnen darzulegen und zu beweisen. Inhaltlich ist die unternehmerische Entscheidung regelmäßig nicht überprüfbar sein. Anerkannt ist aber, dass eine unternehmerische Entscheidung, die offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist, kein dringendes betriebliches Erfordernis für den Ausspruch einer Kündigung sein kann (BAG, Urteil vom 26. September 1996, 2 AZR 200/96, EzA § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86 = AP Nr. 80 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen steht einer Betriebsbedingtheit der Kündigung entgegen. Das Fehlen einer derartigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit hat die Arbeitgeberin darzulegen und zu beweisen, wenn die Gekündigte konkret dargelegt hat, wie sie sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt (KR / Etzel, § 1 KSchG, Rdnr. 558). Liegen dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung vor, ist diese nach § 1 Abs. 3 KSchG trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn die Arbeitgeberin soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (KR / Etzel, § 1 KSchG, Rdnr. 616). In die Sozialauswahl sind Beschäftigte mit Sonderkündigungsschutz nicht einzubeziehen (KR / Etzel, § 1 KSchG, Rdnr. 638). Wird bei einer Betriebsstilllegung allen Beschäftigten gekündigt, kommt eine Sozialauswahl nicht mehr in Betracht. Das gilt auch dann, wenn die Arbeitgeberin einigen Beschäftigten wegen der Länge ihrer Kündigungsfrist zu unterschiedlichen Zeitpunkten kündigt (BAG, Urteil vom 18. Januar 2001, 2 AZR 514/99, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 109 = AP Nr. 115 zu § 1 KSchG 1969). Die bei jeder ordentlichen Kündigung vorzunehmende Interessenabwägung kann sich bei einer ordentlichen Kündigung wegen einer unternehmerischen Entscheidung nur in seltenen Fällen zugunsten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers auswirken (BAG, Urteil vom 30. April 1987, 2 AZR 184/86, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 47 = AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).

Nach diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für eine soziale Rechtfertigung der Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse gegeben. Der Beklagte hat eine unternehmerische Entscheidung, die alle Arbeitsplätze im Betrieb entfallen ließ, von der Klägerin unbestritten dadurch vorgetragen, dass er dargelegt hat, dass bereits vor der Kündigung vom 26. Juli 2002 der Ausverkauf beendet und der Geschäftsbetrieb eingestellt worden ist. Die unternehmerische Entscheidung, die sich hierin dokumentiert, kommt außerdem in dem mit dem Betriebsrat geschlossenen Interessenausgleich zum Ausdruck, nach dessen Ziffer 2 es zu einer vollständigen Betriebsstilllegung kommen muss. Anhaltspunkte dafür, dass es in Bezug auf den gesamten Betrieb oder den Betriebsteil, in dem die Klägerin tätig war, zu einem Übergang auf eine neue Inhaberin oder einen neuen Inhaber kam, sind nicht gegeben. Zwar muss die Arbeitnehmerin bei Geltendmachung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung nicht darlegen und beweisen, dass die Kündigung wegen Betriebs- oder Betriebsteilüberganges erfolgt ist, da, solange hieran Zweifel bleiben, der Arbeitgeberin der Nachweis der sozialen Rechtfertigung nicht gelungen ist (BAG, Urteil vom 9. Februar 1994, 2 AZR 666/93, EzA § 613 a BGB Nr. 116 = AP Nr. 105 zu § 613a BGB). Vorliegend sind solche Zweifel aber nicht gegeben. Es gibt gar keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass es zu einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang gekommen ist. Allein der Umstand, dass die Klägerin das Nichtvorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilüberganges mit Nichtwissen bestreitet, ist kein tatsächlicher Anhaltspunkt für das Vorliegen eines solchen Überganges, weil sich hieraus auch nicht ansatzweise ergibt, wodurch es zu einer jedenfalls teilweisen Fortführung des Betriebes gekommen sein soll. Der Umstand, dass die Insolvenzschuldnerin den Betrieb vollständig eingestellt hat, bevor die Kündigung vom 26. Juli 2002 ausgesprochen wurde, ist deshalb für die Darlegung der entsprechenden unternehmerischen Entscheidung ausreichend.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass es für die Klägerin eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Betrieb oder Unternehmen gibt, weil die Klägerin nicht konkret dargelegt hat, wie sie sich eine solche Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz vorstellt und sich aus dem Vortrag des Beklagten ergibt, dass er eine solche Beschäftigungsmöglichkeit nicht annimmt.

Eine soziale Auswahl war nicht vorzunehmen, weil wegen der Betriebsstilllegung alle Arbeitsplätze entfallen sind und allen Beschäftigten mit Ausnahme derjenigen, für die ein Sonderkündigungsschutz bestand, eine Kündigung erklärt wurde. Dass (zunächst) keine Kündigung gegenüber den Beschäftigten ausgesprochen worden ist, die unter Sonderkündigungsschutz standen, steht dem nicht entgegen, weil diese nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen sind.

Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend ausnahmsweise die Interessenabwägung zugunsten der Klägerin vorzunehmen sein könnte, sind nicht gegeben. Die Klägerin hat keine Tatsachen dafür vorgetragen, dass bei ihr besonders gelagerte Umstände gegeben sind, die dazu führen, dass ihre Interessen vorrangig vor dem Beendigungsinteresse wegen Betriebsstilllegung sind.

cc) Der Betriebsrat ist vor Ausspruch der Kündigung im Sinne des § 102 BetrVG ordnungsgemäß gehört worden.

Es gelten folgende Grundsätze: Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Dabei steht die nicht ordnungsgemäße Anhörung der unterbliebenen Anhörung gleich. Bei einer Anhörung zu einer Kündigung muss die zu kündigende Beschäftigte, die Art der Kündigung und der Kündigungstermin genannt werden, wobei es ausreichend ist, dass der Betriebsrat über die tatsächlichen Umstände für die Berechnung der maßgeblichen Kündigungsfrist unterrichtet ist. Hiervon ist auszugehen, wenn der Arbeitgeber erklärt, dass er ordentlich kündigen wolle und dem Betriebsrat die Kündigungsfrist bekannt ist (BAG, Urteil vom 15. Dezember 1994, 2 AZR 327/94, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 75 = AP Nr. 67 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Die Unterrichtung muss nicht denselben Anforderungen genügen wie die Darlegung des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess. Nach dem Grundsatz der "subjektiven Determinierung" hat der Arbeitgeber den aus seiner Sicht maßgeblichen Kündigungssachverhalt mitzuteilen. Hat sich der Arbeitgeber entschlossen, nicht nach sozialen Gesichtspunkten auszuwählen, ist die Betriebsratsanhörung nicht fehlerhaft, wenn er das dem Betriebsrat so mitteilt (BAG, Urteil vom 24. Februar 2000, 8 AZR 176/99, EzA § 102 BetrVG Nr. 104 = AP Nr. 47 zu § 1 KSchG 1969). Der Arbeitgeber braucht in diesem Fall auch keine Angaben zu den grundlegenden sozialen Daten der Beschäftigten wie Familienstand und Unterhaltspflichten zu machen, weil diese für seinen Kündigungsentschluss und die Auswahlentscheidung keine Bedeutung haben (KR / Etzel, § 102 BetrVG, Rdnr. 58). Soweit vertreten worden ist, dass solche Angaben immer erfolgen müssen (BAG, Urteil vom 16. September 1993, 2 AZR 267/93, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 84 = AP Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972), kann dem nicht gefolgt werden. Es entspricht dem Zweck des § 102 Abs. 1 BetrVG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 BetrVG, dem Betriebsrat ein Bild von den Kündigungsumständen zu vermitteln, damit dieser sachgemäß Stellung nehmen kann. Dies bedeutet unter anderem, dass im Allgemeinen das Lebensalter und die Betriebszugehörigkeit unverzichtbare Daten sind (BAG, Urteil vom 15. Dezember 1994, 2 AZR 327/94, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 75 = AP Nr. 67 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Der Zweck des § 102 BetrVG gebietet es aber nicht, darüber hinaus Angaben zu Unterhaltspflichten und Familienstand zu machen, wenn diese für die soziale Auswahl Bedeutung erlangen können, weil der Arbeitgeber eine solche soziale Auswahl bewusst gar nicht durchgeführt hat. Wird in der Betriebsratsanhörung zum Ausdruck gebracht, dass allen Beschäftigten gekündigt werden soll, bedarf es keines gesonderten Hinweises darauf, dass eine soziale Auswahl nicht erfolgen soll, weil sich deren Entbehrlichkeit und Unmöglichkeit bereits aus dem Umstand ergibt, dass die Arbeitsverhältnisse aller Beschäftigten beendet werden sollen. In einer solchen Situation gleichwohl noch den Hinweis in der Anhörung des Betriebsrats zu fordern, dass eine soziale Auswahl unterbleiben soll, wäre eine bloße Förmelei, weil es auch für den Betriebsrat offensichtlich ist, dass in einer derartigen Situation kein Raum für eine Sozialauswahl gegeben ist. Der Zweck des § 102 BetrVG, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, in Kenntnis der maßgeblichen Umstände Bedenken gegen die Kündigung zu äußern oder ihr zu widersprechen, gebietet diese ausdrückliche Angabe nicht, weil sich aus dem bei der Anhörung Mitgeteilten ergibt, dass eine Sozialauswahl unterbleibt. Die Kündigung darf erst ausgesprochen werden, wenn der Betriebsrat abschließend Stellung genommen hat oder die Anhörungsfrist abgelaufen ist.

Diesen Anforderungen genügt die Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch der Kündigung. Der Betriebsrat hat die zu kündigenden Beschäftigten durch Überreichung einer Liste mit den Namen, dem Geburtsdatum und dem Datum des Beschäftigungsbeginns hinreichend genau und unter Nennung der grundlegenden sozialen Daten bezeichnet. Der Kündigungstermin ist genau genug dadurch bezeichnet worden, dass der Beklagte erklärt hat, die Arbeitsverhältnisse unter Inanspruchnahme des "Sonderkündigungsrechts gemäß § 113 InsO" zu kündigen. Damit hat er sowohl zum Ausdruck gebracht, dass er ordentliche Kündigungen zum nächstmöglichen Termin beabsichtigt als auch die Dauer der Kündigungsfrist erkennbar gemacht, da diese in § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO geregelt ist. Die für ihn maßgeblichen Kündigungsgründe sind vom Beklagten dadurch ausreichend geschildert worden, dass er auf die bereits erfolgte Betriebsstilllegung Bezug nimmt. Ferner hat der Beklagte in den Anhörungen zum Ausdruck gebracht, dass alle Beschäftigten eine Kündigung erhalten sollen, so dass für eine soziale Auswahl kein Raum ist.

Die Kündigung ist erst nach abschließender Stellungnahme des Betriebsrats und Ablauf der Anhörungsfrist erfolgt.

dd) Die Kündigungsfrist ist eingehalten worden. Sie folgt aus § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO.

3) Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache insoweit grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG hat, als die Kammer annimmt, dass bei der Anhörung des Betriebsrats Angaben zur sozialen Auswahl nicht nur dann entbehrlich sind, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat ausdrücklich mitgeteilt hat, nicht nach sozialen Gesichtspunkten auszuwählen, sondern auch dann, wenn sich aus der Anhörung ergibt, dass eine soziale Auswahl wegen Kündigung aller Beschäftigten nicht erfolgen kann.

Ende der Entscheidung

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