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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 26.02.2004
Aktenzeichen: 1 Ca 1686/03
Rechtsgebiete: BGB, InsO, KSchG


Vorschriften:

BGB § 628 Abs. 2
InsO § 113
KSchG § 9
KSchG § 10
1. Schadensersatzansprüche nach § 628 Abs. 2 BGB sind nicht aufgrund von § 113 InsO auf 3 Monatsgehälter beschränkt, wenn die Kündigung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzschuldner ausgesprochen wurde.

2. Ein weitergehender Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB auf eine Abfindung entsprechend den §§ 9, 10 KSchG setzt voraus, dass im Fall einer arbeitgeberseitigen Kündigung eine Abfindung nach § 9 KSchG zu erwarten gewesen wäre. Davon ist bei einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers aufgrund Zahlungsverzuges vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht auszugehen.


Tenor:

Es wird festgestellt, dass dem Kläger in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma T1. eine Insolvenzforderung in Höhe von 12.688,50 EUR zusteht. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 60 % und der Beklagte zu 40 %.

Streitwert: 3.200,-- EUR

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob dem Kläger Schadensersatzansprüche als Insolvenzforderung zustehen.

Der Kläger war seit dem 09.09.1984 bei der T1. beschäftigt. Er bekam seit Juli 2002 die Vergütung nur schleppend ausbezahlt. Für den Monat Dezember 2002 ist ihm nur ein Teil der Vergütung gezahlt worden. Für die Monate Januar und Februar 2003 erhielt er keine Vergütung mehr. Deswegen kündigte er mit Schreiben vom 07.03.2003 fristlos.

Am selben Tag stellte die T1. Insolvenzantrag. Das vorläufige Insolvenzverfahren wurde am 10.03.2003 eröffnet. Mit Beschluss vom 18.03.2003 hat das Amtsgericht Bielefeld das Insolvenzverfahren über das Vermögen der T1. eröffnet und gleichzeitig den Beklagten zum Insolvenzverwalter ernannt. Im Insolvenzverfahren ist mit einer Quote von weniger als 10 % zu rechnen.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stünde zum einen seine fiktive Vergütung für den Zeitraum der arbeitgeberseitigen Kündigungsfrist als Schadensersatz zu, d.h. 6 Monate * 2.114,75 Euro brutto je Monat = 12.688,50 Euro. Zum anderen habe er entsprechend den §§ 9, 10 KSchG einen Anspruch auf Zahlung von 19.561,44 Euro.

Er beantragt,

festzustellen, dass ihm in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma T1. eine Insolvenzforderung in Höhe von 32.249,94 Euro zusteht.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, vor der fristlosen Eigenkündigung sei eine Abmahnung erforderlich gewesen, die Kündigung sei nicht innerhalb von zwei Wochen erklärt worden und das Insolvenzgeld decke das Arbeitnehmerrisiko ab, weswegen kein Grund für eine fristlose Kündigung vorgelegen habe. Im übrigen sei zu berücksichtigen, dass die Kündigungsfrist im Insolvenzverfahren drei Monate betrage.

Entscheidungsgründe:

Die Arbeitsgerichte sind gemäß § 185 InsO zuständig.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Feststellungsklage die richtige Klageart (§ 179 Abs. 1 InsO).

Die Klage ist teilweise begründet.

Dem Kläger steht in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der T1. eine Insolvenzforderung in Höhe von 12.688,50 Euro aus § 628 Abs. 2 BGB zu.

Der Kläger hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 07.03.2003 wirksam fristlos gekündigt. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB liegt zumindest dann vor, wenn die Lohnzahlung in nicht unerheblicher Höhe unterblieben ist oder sich der Verzug des Arbeitgebers mit der Vergütungszahlung über einen erheblichen Zeitraum erstreckt (BAG vom 17.01.2002, 2 AZR 494/00, EzA § 628 BGB Nr. 20). Das ist hier der Fall, denn der Kläger bekam seit Juli 2002 die Vergütung nur schleppend ausbezahlt. Für den Monat Dezember 2002 wurde ihm nur ein Teil der Vergütung gezahlt. Für die Monate Januar und Februar 2003 hat er schließlich keine Vergütung von der T1. erhalten. Der Kündigungsgrund entfällt auch nicht dadurch, dass die T1. Insolvenz anmeldete und dem Kläger daher im Rahmen des § 183 SGB III Insolvenzgeld zustand. Dieses stellt nicht die vertraglich geschuldete Leistung des Arbeitgebers dar. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist unzumutbar, da Insolvenzgeld nur für die dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate gewährt wird (§ 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III) und der Arbeitnehmer befürchten muss, mit weiteren Lohnforderungen auszufallen. In dem hier zu entscheidenden Fall kommt hinzu, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eigenkündigung noch nicht sicher wusste, dass ein Insolvenzverfahren eröffnet werden würde, da die T1. erst am selben Tag Insolvenzantrag stellte.

Die fristlose Kündigung ist auch nicht wegen einer fehlenden Abmahnung unwirksam. Zwar verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Regel auch von einem Arbeitnehmer, vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung den pflichtwidrig handelnden Arbeitgeber abzumahnen; dies gilt jedoch nicht, wenn auch im Falle einer Abmahnung keine Aussicht auf eine Rückkehr des Vertragspartners zum vertragskonformen Verhalten mehr besteht (BAG a.a.O.). Hier hätte die T1. auch nach einer Abmahnung den rückständigen Lohn nicht gezahlt, da sie ihn nicht bezahlten konnte.

Die fristlose Kündigung war auch nicht durch die zweiwöchige Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Der Lauf dieser Frist beginnt bei Dauertatbeständen erst mit der Beendigung des die außerordentliche Kündigung rechtfertigenden Zustandes (BAG vom 22.01.1998, 2 ABR 19/97, AP Nr. 38 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; BAG vom 25.02.1983, 2 AZR 298/81, AP Nr. 14 zu § 626 BGB Ausschlussfrist). Der Verzug mit der Zahlung des Arbeitsentgeltes stellt einen Dauertatbestand dar. Er bestand zum Zeitpunkt der fristlosen Kündigung am 07.03.2003 fort.

Ansprüche aus § 628 Abs. 2 BGB werden durch ein Insolvenzverfahren nicht ausgeschlossen (BAG vom 22.10.1998, 8 AZR 73/98 und 8 AZR 688/97, ZInsO 98, 301-302; LAG Rheinland-Pfalz vom 27.03.2003, 6 SA 25/03, soweit ersichtlich nicht veröffentlicht, jeweils zur ehem. KO; ArbG Bayreuth vom 30.01.2002, 3 Ca 997/01, DZWIR 2002, 282 zur InsO). Zwar ist § 628 Abs. 2 BGB auf die typische Situation im Insolvenzverfahren nicht eingestellt und kann zu erheblichen Belastungen der Masse führen. Dieses entspricht jedoch mangels anderweitiger Regelung der Gesetzeslage.

Die fristlose Kündigung wurde durch das vertragswidrige Verhalten der T1. veranlasst, nämlich die Nichtzahlung des Lohnes.

Der Umfang der dem Kläger zustehenden Schadensersatzforderung beträgt 12.688,50 Euro. Dieses entspricht sechs Bruttomonatsgehältern in Höhe von je 2.114,75 Euro, denn die Kündigungsfrist betrug gemäß § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BGB sechs Monate. Der Ersatz des sogenannten Verfrühungsschadens ist grundsätzlich auf den Zeitraum für eine ordentliche fristgerechte arbeitgeberseitige Kündigung begrenzt (BAG vom 26.07.2001, 8 AZR 739/00, AP Nr. 13 zu § 628 BGB). Dieser Zeitraum ist nicht unter Berücksichtigung von § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO auf drei Monate zu beschränken (ArbG Bayreuth vom 30.01.2002, 3 Ca 997/01, DZWIR 2002, 282). Zum Zeitpunkt der Eigenkündigung war das Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet worden, so dass das Arbeitsverhältnis nicht mit der verkürzten Frist des § 113 Abs. 1 InsO gekündigt werden konnte. Es würde zu haltlosen Spekulationen führen, wenn zu erörtern wäre, ob ein Insolvenzverwalter ein bereits durch Eigenkündigung beendetes Arbeitsverhältnis im späteren Verlauf des Insolvenzverfahrens gekündigt haben würde, wenn es nicht bereits gekündigt wäre.

Dem Kläger steht kein zusätzlicher Schadensersatz entsprechend den §§ 9, 10 KSchG zu. Zwar kann ein solcher Schadensersatzanspruch im Rahmen des § 628 Abs. 2 BGB unter Umständen bestehen (BAG vom 26.07.2001, 8 AZR 739/00, AP Nr. 13 zu § 628 BGB; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2003, Müller-Glöge, BGB § 628 Rd.Nr. 75). Dieses setzt jedoch voraus, dass im Fall einer arbeitgeberseitigen Kündigung eine Abfindung nach § 9 KSchG zu erwarten gewesen wäre. Dafür gibt es hier keine Anhaltspunkte. Insbesondere liegt hier ein erheblicher Unterschied zu dem vom BAG am 26.07.2001 entschiedenen Sachverhalt vor. Auch würde es mit einer durch das Gesetz nicht gebotenen Belastung der Masse einhergehen. Diese würde dazu führen, dass die Arbeitnehmer, die eine Eigenkündigung ausgesprochen haben, deutlich besser stünden, als diejenigen, die dieses nicht getan haben. Abgesehen von der damit einhergehenden Ungleichbehandlung würde der durch das Insolvenzgeld (§ 183 SGB III) auch verfolgte Zweck, die Arbeitnehmer bei Zahlungsschwierigkeiten ihres Arbeitgebers im Interesse des Unternehmens von einer Eigenkündigung abzuhalten, konterkariert werden.

Die Verteilung der Kosten entspricht dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Parteien (§ 92 Abs. 1 Satz 2, 2. Variante ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG).

Die Festsetzung des Streitwertes beruht darauf, dass nach den unbestrittenen Angaben des Beklagten mit einer Quote von weniger als 10 % zu rechnen ist (vgl. ArbG Bayreuth vom 30.01.2002, 3 Ca 997/01, DZWIR 2002, 282).

Ende der Entscheidung

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