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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.10.2006
Aktenzeichen: 10 Ta 463/06
Rechtsgebiete: RVG, BetrVG, ZPO, SGB II


Vorschriften:

RVG § 23 Abs. 3
RVG § 33 Abs. 3
BetrVG § 99 Abs. 1
BetrVG § 100
ZPO § 5
SGB II § 16 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Detmold vom 23.06.2006 - 1 BV 16/06 - abgeändert.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfahren im Allgemeinen auf 16.771,10 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Im Ausgangsverfahren hat die Arbeitgeberin die gerichtliche Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur Einstellung von 19 erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die keine Arbeit finden können, nach § 16 Abs. 3 SGB II - sogenannte Ein-Euro-Kräfte - geltend gemacht. Sie hat ferner die Feststellung verlangt, dass die vorläufige Einstellung dieser Ein-Euro-Kräfte aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war.

Die Ein-Euro-Kräfte erhalten einen 32-Stundenvertrag, von denen 24 Stunden im produktiven Bereich abgeleistet werden, 8 Stunden sind zwingend für Qualifizierungsmaßnahmen vorgesehen und werden entsprechend genutzt. Die Arbeitgeberin erhält für jede beschäftigte Ein-Euro-Kraft monatlich 500,00 €, von denen sie eine sogenannte Mehraufwandsentschädigung von 1,50 € pro Stunde für maximal 103 Stunden monatlich an die jeweilige Ein-Euro-Kraft zahlt.

Die Ein-Euro-Kräfte werden von der Arbeitgeberin auf Arbeitsplätzen eingesetzt, die zuvor Arbeitnehmer im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die mit einer wöchentlichen Stundenzahl von 38,5 Stunden und einer monatlichen Vergütung von 900,00 € brutto tätig waren, inne hatten.

Nach übereinstimmender Erledigungserklärung hat das Arbeitsgericht unter Zugrundelegung der an die Ein-Euro-Kräfte gezahlten Aufwandsentschädigung von 1,50 € pro Stunde für maximal 103 Arbeitsstunden monatlich durch Beschluss vom 23.06.2006 den Gegenstandswert für das Verfahren auf 3.650,06 € festgesetzt.

Gegen diesen Beschluss des Arbeitsgerichts vom 23.06.2006, der eine Rechtsmittelbelehrung mit einer Beschwerdefrist von sechs Monaten enthält und dem Betriebsrat am 27.06.2006 zugestellt worden ist, richtet sich die am 07.07.2006 beim Arbeitsgericht eingelegte Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.

Die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats sind der Auffassung, bei der Berechnung des Gegenstandswertes könne nicht die an die Ein-Euro-Kräfte gezahlte Aufwandsentschädigung zugrunde gelegt werden. Maßgebend sei vielmehr die zuvor gezahlte Vergütung der eingesetzten ABM-Kräfte. Da die Ein-Euro-Kräfte lediglich 32 Stunden in der Woche produktiv tätig gewesen seien, sei der wirtschaftliche Wert der Arbeitsleistung einer Ein-Euro-Kraft mit ca. 750,00 € monatlich zu bewerten. Insoweit errechne sich ein Gesamtstreitwert von 18.562,50 €.

Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsgericht habe den Gegenstandswert zutreffend festgesetzt. Insbesondere müsse berücksichtigt werden, dass die sogenannten Ein-Euro-Kräfte lediglich einen 32-Stunden-Vertrag erhalten hätten, von denen sie lediglich 24 Stunden im produktiven Bereich ableisteten. 8 Stunden seien zwingend für eine Qualifizierung genutzt. Es könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Fluktuation bei den Ein-Euro-Kräften deutlich höher sei als bei den seinerzeit eingesetzten ABM-Kräften. Selbst wenn man deren Vergütung zugrunde legen würde, ergäbe sich für die Beschäftigung der Ein-Euro-Kräfte auf der Basis von 24 Stunden pro Woche lediglich ein Betrag in Höhe von 561,04 € monatlich. Allenfalls könne für die Einstellung einer Ein-Euro-Kraft von einem wirtschaftlichen Wert von 345,50 € ausgegangen werden (500,00 €, die die Arbeitgeberin für jeden Projektteilnehmer monatlich erhalte abzgl. der geleisteten Aufwandsentschädigung von 154,50 €).

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verfahrensakten ergänzend Bezug genommen.

II.

Die nach § 33 Abs. 3 RVG form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates ist im Wesentlichen begründet.

Der angefochtene Beschluss war abzuändern, der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit war auf 16.771,10 € festzusetzen.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes für das vorliegende Beschlussverfahren richtet sich nach § 23 Abs. 3 RVG, wonach der Gegenstandswert in Fällen der vorliegenden Art nach billigem Ermessen zu bestimmen ist.

§ 23 Abs. 3 RVG stellt eine Auffangnorm für Angelegenheiten dar, für die Wertvorschriften fehlen. Der Auffangtatbestand des § 23 Abs. 3 RVG ist insbesondere für nichtvermögens-rechtliche Streitigkeiten bedeutsam, deren Wert auf anderem Wege nicht bestimmt werden kann. Die Wertfestsetzung nach billigem Ermessen kommt im Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 RVG aber erst hinter allen sonstigen Bewertungsfaktoren zum Zuge. Für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren folgt hieraus, dass die wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen Streitgegenstandes vielfach im Vordergrund stehen muss (LAG Hamm, Beschluss vom 24.11.1994 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 27; LAG Hamm, Beschluss vom 12.06.2001 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 50; Wenzel, GK-ArbGG, § 12 Rz. 194, 441 ff. m.w.N.).

Die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit rechtfertigt es, in Beschlussverfahren nach § 99 BetrVG, in denen es um die Einstellung, Umgruppierung oder Versetzung von Arbeitnehmern geht, sich an dem Streitwertrahmen des § 42 Abs. 4 GKG zu orientieren. Folgerichtig wird bei der Wertfestsetzung in betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten nach den §§ 99 ff. BetrVG vielfach auf die Bewertung einer entsprechenden Klage im Urteilsverfahren, also auf § 42 Abs. 4 GKG (früher: § 12 Abs. 7 ArbGG) zurückgegriffen (LAG Hamm, Beschluss vom 18.04.1985 - LAGE ZPO § 3 Nr. 3; LAG Hamm, Beschluss vom 19.03.1987 - LAGE ArbGG 1979 § 12 Streitwert Nr. 70; LAG Hamm, Beschluss vom 23.02.1989 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 12; Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 482 m.w.N.). Von dieser Rechtsprechung, der auch die derzeit zuständigen Beschwerdekammern des erkennenden Gerichts gefolgt sind (LAG Hamm, Beschluss vom 04.03.2003 - 10 TaBV 53/03 -; LAG Hamm, Beschluss vom 17.11.2004 - 10 TaBV 106/04 -; LAG Hamm, Beschluss vom 28.04.2005 - 10 TaBV 11/05 - NZA-RR 2005, 435) und an der sich durch die Übernahme des § 12 Abs. 7 ArbGG (alt) in § 42 Abs. 4 GKG (neu) zum 01.07.2004 nichts geändert hat, ist auch das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss dem Grunde nach ausgegangen.

Entgegen der Rechtsauffassung der Arbeitgeberin konnte der Gegenstandswert für das vorliegende Beschlussverfahren aber nicht auf der Grundlage der an die Ein-Euro-Kräfte gezahlten Aufwandsentschädigung von 1,50 € pro Stunde berechnet werden. Vielmehr war im vorliegenden Fall das wirtschaftliche Interesse der Arbeitgeberin an der Beschäftigung der sogenannten Ein-Euro-Kräfte zu ermitteln. Regelmäßig drückt sich das wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers an der Einstellung eines Arbeitnehmers in dem zu zahlenden Arbeitsverdienst aus. Die an die Ein-Euro-Kräfte gezahlte Aufwandsentschädigung stellt aber nicht den Arbeitsverdienst dar, den die Arbeitgeberin zahlen müsste, wenn sie Arbeitnehmer mit den von den Ein-Euro-Kräften erledigten Tätigkeiten im Rahmen eines Arbeitsvertrages betrauen würde. Nach der eigenen Berechnung der Arbeitgeberin beläuft sich der "Arbeitsverdienst" der Ein-Euro-Kräfte unter Berücksichtigung der früher an die ABM-Kräfte gezahlten Vergütung auf der Grundlage von 24 Stunden pro Woche auf monatlich 561,04 €. Dieser Betrag stellt mindestens das wirtschaftliche Interesse an der Einstellung einer Ein-Euro-Kraft dar, da 24 Stunden unstreitig von den Ein-Euro-Kräften im produktiven Bereich abgeleistet werden.

Da die Ein-Euro-Kräfte darüber hinaus weitere acht Stunden für eine Qualifizierungsmaßnahme vorgesehen sind und die Ein-Euro-Kräfte auch entsprechend eingesetzt werden, kann auch diese Zeit bei der Bemessung des Gegenstandswertes nicht völlig unberücksichtigt bleiben. Auch bei der Einstellung von Auszubildenden im Rahmen eines Berufsausbildungsverhältnisses wird die jeweilige Ausbildungsvergütung der Festsetzung eines Gegenstandswertes zugrunde gelegt. Die Beschwerdekammer hat es für angemessen erachtet, die Zeit der Qualifizierung der Ein-Euro-Kräfte von acht Stunden pro Woche mit einem Betrag von 116,58 € (561,04 € : 38,5 Stunden pro Woche x 8 Stunden pro Woche) zu bewerten. Damit errechnet sich ein monatlicher Wert für die Beschäftigung einer Ein-Euro-Kraft von insgesamt 677,62 € (561,04 € + 116,58 €).

Hiervon ausgehend ergibt sich unter Zugrundelegung eines Vierteljahreseinkommens ein Betrag in Höhe von 2.032,86 €.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch den neben dem Zustimmungsersetzungsantrag nach § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG gestellten Antrag auf Feststellung, dass die vorläufige Durchführung der streitigen Einstellung aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war, dem Grunde nach zusätzlich bewertet. Dieser Antrag legitimiert nämlich die vorläufige Durchführung der personellen Maßnahme bis zum Abschluss des Verfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG. Insoweit ist es wegen der lediglich vorübergehenden Bedeutung der begehrten Feststellung angemessen, 50 % des Wertes eines entsprechenden Zustimmungsersetzungsverfahrens in Ansatz zu bringen (LAG Hamm, Beschluss vom 19.03.1987 - LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 70; LAG Hamm, Beschluss vom 23.02.1989 - LAGE § 8 B RAGO Nr. 12; Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 487). Auch dieser Rechtsprechung haben sich die derzeit zuständigen Beschwerdekammern des Landesarbeitsgerichts angeschlossen (zuletzt: LAG Hamm, Beschluss vom 01.02.2006 - 10 TaBV 191/05 -). Insoweit errechnet sich für die Anträge im vorliegenden Beschlussverfahren betr. eine Ein-Euro-Kraft ein Gegenstandswert von 3.049,29 €.

Hinzuzurechnen war schließlich der Wert für die Einstellung von weiteren 18 Ein-Euro-Kräften. Diesen Wert hat das Arbeitsgericht zu Recht mit 25 % des Ausgangswertes bemessen. Insoweit ist nämlich eine Herabsetzung des sich ergebenden Wertes geboten, wenn mehrere personelle Einzelmaßnahmen auf eine einheitliche unternehmerische Entscheidung zurückzuführen sind und die Einzelfälle keine Besonderheiten aufweisen. Die Bedeutung einer jeden einzelnen Maßnahme nimmt umso mehr ab, je mehr Arbeitnehmer von der Gesamtmaßnahme betroffen sind (LAG Berlin, Beschluss vom 18.03.2003 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 13 = NZA-RR 2003, 437). Vor diesem Hintergrund ist es in Fällen der vorliegenden Art gerechtfertigt, in Anlehnung an die Staffel der Arbeitnehmerzahlen in § 9 BetrVG, den Wert jeder einzelnen personellen Maßnahme typisierend festzulegen, um auf diese Weise zu einer gleichförmigen und damit den Gleichbehandlungsgrundsatz wahrenden Rechtsanwendung zu gelangen. Nach der Rechtsprechung der zuständigen Beschwerdekammern des erkennenden Gerichts ist dabei die erste personelle Maßnahme mit dem vollen Wert und die weiteren Maßnahmen mit prozentualen Anteilen des Ausgangswertes zu berücksichtigen (LAG Hamm, Beschluss vom 14.02.2005 - 13 TaBV 100/04 -; LAG Hamm, Beschluss vom 22.02.2005 - 13 TaBV 119/04 -; LAG Hamm, Beschluss vom 28.04.2005 - 10 TaBV 45/04 -; LAG Hamm, Beschluss vom 22.08.2005 - 10 TaBV 94/05 -; LAG Hamm, Beschluss vom 01.02.2006 - 10 TaBV 191/05 m.w.N.).

Insoweit war für jede weitere Ein-Euro-Kraft ein Betrag in Höhe von 762,32 € dem Wert von 3.049,29 € hinzuzurechnen. Dies macht bei weiteren 18 Ein-Euro-Kräften den Gesamtbetrag von 16.771,10 € aus.

Ende der Entscheidung

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