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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 20.01.2006
Aktenzeichen: 10 TaBV 144/05
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG, BetrVG


Vorschriften:

ZPO § 256
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1
ArbGG § 10
ArbGG § 83 Abs. 3
ArbGG § 89 Abs. 2
BetrVG § 50 Abs. 2
BetrVG § 77 Abs. 6
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde des Gesamtbetriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 23.03.2005 - 9 BV 223/04 - wird zurückgewiesen. Gründe:

A

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Betriebsvereinbarung im Wege der Nachwirkung weiterhin gilt.

Die Arbeitgeberin - Beteiligte zu 4. - betreibt in Reisezügen der D4xxxxxxx B3xx den Service für die Reisenden, und zwar im Wesentlichen im Auftrag der D1-A3xxxxxxxxxx GmbH, einer Tochter der D4xxxxxxx B3xx AG. Die Arbeitgeberin unterhält dabei Niederlassungen in D2xxxxxx, H1xxxxx, B4xxxx, M4xxxxx und D5xxxxx; sie beschäftigt insgesamt ca. 1700 Arbeitnehmer. Züge, die die Arbeitgeberin bewirtschaftet, werden auch mit Arbeitnehmern verschiedener Niederlassungen besetzt.

In der Vergangenheit hatte die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer durch sogenannte Testkäufer kontrollieren lassen. Diese Testkäufer fertigten im Nachhinein Berichte an. Das "Testkäuferverfahren" wurde im Jahre 2002 durch sogenannte "Inflagranti-Kontrollen" ersetzt, bei denen die betroffenen Arbeitnehmer, bei denen Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden, sofort von den kontrollierenden Personen angesprochen wurden.

Zwischen der Arbeitgeberin und den beteiligten Betriebsräten der Niederlassung D2xxxxxx und der Niederlassung H1xxxxx, den Beteiligten zu 2. und 3., wurde hierzu im Februar 2002 die "Betriebsvereinbarung Kontrollen" abgeschlossen. In dieser Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 heißt es u.a.:

"§ 2 Art und Umfang der Kontrollen

(1) Auf den Einsatz von Testkäufern wird ab sofort verzichtet.

(2) Anstelle des Testkäuferverfahrens werden Inflagranti-Kontrollen auf den Zügen der D1-A4xxxxx eingeführt.

(3) Weiterhin werden bestands- und Abrechnungsprüfungen durchgeführt.

(4) Die Kontrollen werden ausschließlich durch einen festdefinierten Personenkreis - siehe Bonierungs- und Inkassovorschrift - durchgeführt.

(5) Sämtliche Kontrollen sind unter Berücksichtigung der Würde der Betroffenen und grundsätzlich so durchzuführen, dass sie von Dritten möglichst nicht bemerkt werden.

(6) Alle für die Bonierung und Inkasso relevanten Unterlagen (großes und kleines Bonbuch, Ausstiegs- und Verkaufskontrolllisten Schlaf- und Liegewagen, der Vordruck "alle Arten von Protokollierungen" und der Vordruck "Überlieferung aus dem WR" müssen jederzeit für die Kontrollberechtigten zugänglich sein.

(7) Besteht der dringende Verdacht, dass gegen die Regelungen zur Einnahmesicherung der D1 E1xxxxxx R1xxxxxxxxx GmbH gehandelt wurde/wird, so ist der betroffene Mitarbeiter verpflichtet, den Kontrollberechtigten auf Verlangen alle betrieblichen Arbeitsunterlagen unverzüglich vorzulegen.

(8) Wird in einer Kontrolle ein Vergehen (s. § 4) festgestellt, so ist der Reiseleiter hinzuzuziehen und die Stationsleitung zu informieren.

(9) Der Betriebsrat ist bei festgestellten Ergebnissen sofort durch die zuständige Stationsleitung zu informieren.

§ 3 Bonierungs- und Inkassovorschrift.

(1) Die Bonierungs- und Inkassovorschrift ist Grundlage dieser Betriebsvereinbarung.

(2) Die Bonierungs- und Inkassovorschrift bleibt auch ohne diese Betriebsvereinbarung gültig.

§ 4 Definitionen der Vergehen und Konsequenzen

(1) Fehler - bei Nichtbonierungen bis zu zwei Heißgetränken

(1.1) Tritt ein Fehler zum ersten Mal auf: Ermahnung oder Abmahnung.

(1.2) Tritt ein Fehler wiederholt auf: Einzelfallprüfung mit der Möglichkeit arbeitsrechtlicher Maßnahmen bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

(2) Grober Fehler - bei Nichtbonierungen von:

a) von bis zu fünf Heißgetränken oder

b) bei einem großen Essen oder

c) bei bis zu drei kleinen Essen (z.B. kleine Suppen, kleine Salate, Snacks bis zu max. 5,00 EUR Verkaufspreis).

(2.1) Tritt ein grober Fehler zum ersten Mal auf: Abmahnung

(2.2) Tritt ein grober Fehler wiederholt auf: Einzelfallprüfung mit der Möglichkeit, arbeitsrechtlicher Maßnahmen bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses

(3) Vorsatz - bei Vergehen, die über die unter Punkt § 4 (1) und (2) genannten Kriterien hinausgehen.

(3.1) Bei Vorsatz: Einzelfallprüfung mit der Möglichkeit arbeitsrechtlicher Maßnahmen bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

(4) Bei allen Vergehen ist eine sorgfältige Prüfung der besonderen Umstände und der Personen zu berücksichtigen.

§ 5 Inkrafttreten, Kündigung

(1) Diese Vereinbarung tritt mit ihrer Unterzeichnung in Kraft.

(2) Die Vereinbarung gilt bis zum 31.05.2002. Sie kann bei ausreichender Begründung ohne Kündigungsfrist gekündigt werden (nur unter Einbindung der Betriebsräte) und es wird dann auf ein anderes Verfahren zur Einnahmesicherung umgestellt."

Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 (Bl. 6 ff.d.A.) Bezug genommen.

Schon vor Jahren hatte die Arbeitgeberin bzw. ihre Rechtsvorgängerin eine "Bonierungs- und Inkassovorschrift D6xxxxxxx I1xxxxxxxxxxx" erlassen (Bl. 53 ff.d.A). Diese Regelungen waren bereits bei der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin, der M5xxxxx AG, in Kraft.

In diesen Bonierungs- und Inkassovorschriften" heißt es u.a.:

"1. Allgemeines

Die Bonierungs- und Inkassovorschrift D6xxxxxxx I1xxxxxxxxxxx regelt den ordnungsgemäßen Nachweis der Verkäufe von Speisen und Getränken an Gäste sowie Mitarbeiter von D1 E4x und D1 AG und deren ordnungsgemäße Abrechnung im D6xxxxxxx I1xxxxxxxxxxx, sowie bei Service-Einsätzen für andere Auftragsunternehmen auch außerhalb des D6xxxxxxx I1xxxxxxxxxxx in anderen Zugsystemen des Tag- und Nachtservice.

Die Bonierungsvorschrift ist von allen Mitarbeiter/innen (Inkl. Reiseleiter) bei allen Einsätzen stets mitzuführen.

(...)

Generell dürfen keine Speisen und Getränke zum Verkauf auf den Zügen privat mitgeführt werden. Um Missverständnissen vorzubeugen, müssen sämtliche privat mitgeführten bzw. während des Umlaufs erworbenen Speisen und Getränke durch den Reiseleiter auf einem gesonderten Formular (Anlage 9) protokolliert werden.

(...)."

Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der Bonierungs- und Inkassovorschriften (Bl. 53 ff.d.A.) Bezug genommen.

Nach dem 31.05.2002 vertraten die Beteiligten unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die "Betriebsvereinbarung Kontrollen" vom 08./20.02.2002 kraft Nachwirkung weiter galt. Auf die Schreiben der Arbeitgeberin vom 13.07.2004 (Bl. 9 d.A.) und des Gesamtbetriebsrats vom gleichen Tage (Bl. 10 d.A.) wird Bezug genommen.

Nachdem die beteiligten Betriebsräte der Niederlassung D2xxxxxx und der Niederlassung H1xxxxx dem Gesamtbetriebsrat die vorliegende Angelegenheit übertragen hatten, leiteten die Beteiligten zu 1., 2. und 3. am 03.11.2004 das vorliegende Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht ein.

Die Antragsteller haben die Auffassung vertreten, die "Betriebsvereinbarung Kontrollen" sei weiterhin wirksam, sie entfalte über den 31.05.2002 hinaus Nachwirkung. Diese Nachwirkung sei nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Der Inhalt der Betriebsvereinbarung sei mitbestimmungspflichtig. Sein Zweck bestehe in der Einhaltung der geltenden Bonierungs- und Inkassovorschriften, die ihrerseits an zahlreichen Stellen mitbestimmungspflichtige Regelungen, etwa hinsichtlich des Verbots, Speisen und Getränke zum Verkauf auf Zügen privat mitzuführen, enthielten. Die Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 regele unter § 4 auch einen Betriebsbußenkatalog im Hinblick auf Verstöße gegen die betriebliche Ordnung; auch hierbei handele es sich um eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit. Alle Maßnahmen der Arbeitgeberin, die diese zu Überwachung ihrer Arbeitnehmer treffe, seien mitbestimmungspflichtig, soweit nicht lediglich die Arbeitsleistung des einzelnen Arbeitnehmers kontrolliert werde.

Die Beteiligten zu 1. bis 3. haben beantragt,

festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung "Kontrollen" vom 08.02.2002 bzw. 20.02.2002, abgeschlossen zwischen den Beteiligten zu 2. und 3. einerseits sowie den Stationsleitungen D2xxxxxx und H1xxxxx der Beteiligten zu 4. andererseits, weiterhin Rechtswirkungen im Wege der Nachwirkung entfaltet.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, eine Nachwirkung der Betriebsvereinbarung komme nicht in Betracht, da sich die Betriebsräte nicht auf ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 BetrVG berufen könnten. Die Kontrolle von Arbeitnehmern, die nicht durch technische Einrichtungen erfolge, unterliege nicht der Mitbestimmung. Die Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 enthalte auch keine Regelung von Betriebsbußen, sondern lediglich eine Regelung zur Sanktion individualvertraglicher Pflichtverletzungen. Allein der inhaltliche Zusammenhang der "Betriebsvereinbarung Kontrollen" mit den "Bonierungs- und Inkassovorschriften" führe nicht zu einem Mitbestimmungsrecht.

Durch Beschluss vom 23.03.2005 hat das Arbeitsgericht die Anträge der Betriebsräte der Niederlassungen D2xxxxxx und H1xxxxx, der Beteiligten zu 2. und 3., als unzulässig und den Antrag des Gesamtbetriebsrats als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Betriebsvereinbarung Kontrollen vom 08./20.02.2002 entfalte keine Nachwirkung, weil sie keine mitbestimmungspflichtigen Regelungen enthalte. Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG sei nicht betroffen, weil die Betriebsvereinbarung Kontrollen keine Verhaltensanweisungen, sondern nur Vorschriften über eine Kontrolle der Arbeitsleistung der Arbeitnehmer enthalte. Mitbestimmungspflichtig sei die Betriebsvereinbarung Kontrollen auch nicht deshalb, weil in dieser Betriebsvereinbarung auf die Bonierungs- und Inkassovorschriften Bezug genommen worden sei. Schließlich enthalte die Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 auch keine betriebliche Bußordnung, sondern lediglich Regelungen, die individualrechtliche Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers beträfen.

Gegen den dem Gesamtbetriebsrat am 12.08.2005 zugestellten Beschluss, auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat dieser am 22.08.2005 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese mit dem am 23.08.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Gesamtbetriebsrat ist der Auffassung, durch die Betriebsvereinbarung Kontrollen seien die "Bonierungs- und Inkassovorschriften" der Arbeitgeberin, von dieser als Einzelanweisung erlassen, in den Stand einer Betriebsvereinbarung erhoben worden. Dies ergebe sich insbesondere aus § 3 Abs. 1 der Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002. Ohne die Grundlage der Bonierungs- und Inkassovorschriften hätte die Betriebsvereinbarung Kontrollen keinen eigenen Regelungsgegenstand. In den Bonierungs- und Inkassovorschriften seien jedoch zahlreiche mitbestimmungspflichtige Gegenstände geregelt. Aus diesem Grunde müssten die Betriebsvereinbarung Kontrollen und die Bonierungs- und Inkassovorschriften einheitlich beurteilt werden.

Mitbestimmungsrechte seien schon deshalb betroffen, weil in § 2 Abs. 1 und 2 der Betriebsvereinbarung Kontrollen geregelt sei, dass auf den Einsatz von Testkäufern zu Gunsten der Inflagranti-Kontrollen verzichtet werde. Die Besonderheit des vorliegenden Falles bestehe darin, dass die von der Arbeitgeberin eingesetzten Testkäufer keine unternehmensfremden Personen seien, sondern Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Arbeitgeberin.

Im Übrigen umfasse der Regelungsgegenstand der Betriebsvereinbarung Kontrollen auch Betriebsbußen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. In § 4 dieser Betriebsvereinbarung hätten sich die Betriebsparteien nämlich über die Konsequenzen bei Verstößen gegen die Bonierungs- und Inkassovorschriften verständigt und eine gewisse Stufenfolge vereinbart; dies sei mitbestimmungspflichtig, weil nicht nur ein etwaiges arbeitsvertragswidriges Verhalten eines Arbeitnehmers sanktioniert werde.

Der Gesamtbetriebsrat beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Dortmund vom 23.03.2005 - 9 BV 223/04 - festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung "Kontrollen" vom 08./20.02.2002, abgeschlossen zwischen den Beteiligten zu 2. und 3. einerseits sowie den Stationsleitungen Dortmund und Hamburg der Beteiligten zu 4. andererseits, weiterhin Rechtswirkungen im Wege der Nachwirkung entfaltet.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Unter Widerholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens verteidigt sie den angefochtenen Beschluss und ist der Auffassung, die Betriebsvereinbarung Kontrollen vom 08./20.02.2002 sei nicht schon deshalb mitbestimmungspflichtig, weil sie mit den Bonierungs- und Inkassovorschriften eine Einheit darstelle. Die Bonierungs- und Inkassovorschriften seien lediglich als Grundlage in die Betriebsvereinbarung Kontrollen aufgenommen worden. Entscheidend für die Mitbestimmungspflichtigkeit sei der konkrete Regelungsgegenstand der Betriebsvereinbarung Kontrollen, die Betriebsvereinbarung Kontrollen besitze einen eigenen Regelungsgegenstand. Ob die Bonierungs- und Inkassovorschriften darüber hinaus mitbestimmungspflichtige Tatbestände enthielten, sei nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Auch der Verzicht auf Einsatz von Testkäufern sei nicht mitbestimmungspflichtig. Auch der Einsatz von Testkäufern diene nämlich der Kontrolle der ordnungsgemäßen Erbringung der Arbeitsleistung.

Schließlich seien in der Betriebsvereinbarung Kontrollen auch keine Betriebsbußen geregelt.

Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

B

Die zulässige Beschwerde des Gesamtbetriebsrats ist nicht begründet.

Der Zulässigkeit der Beschwerde des Gesamtbetriebsrats steht nicht entgegen, dass weder die Beschwerdeschrift noch die Beschwerdebegründungsschrift einen ausdrücklichen Beschwerdeantrag enthalten. Zwar muss auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren die Beschwerdebegründung einen Beschwerdeantrag enthalten. Das folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO auf das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren (BAG, Beschluss vom 03.12.1985 - AP BAT § 74 Nr. 2; Germelmann/Matthes/Prütting/ Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl., § 89 Rz. 26). Der Beschwerdeantrag muss allerdings nicht ausdrücklich formuliert sein, es genügt vielmehr, wenn sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, inwieweit eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses erstrebt wird. Das Fehlen eines besonderen Antrags ist dann unschädlich, wenn sich Umfang und Ziel des Rechtsmittels durch Auslegung bestimmen lassen (BAG, Urteil vom 22.05.1985 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bundesbahn Nr. 6; BAG, Beschluss vom 22.10.1985 - AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 24; BAG, Urteil vom 20.06.1989 - AP HGB § 87 Nr. 8 m.w.N.). So liegt der vorliegende Fall. Aus der Beschwerdebegründung des Gesamtbetriebsrats vom 23.08.2005 ergibt sich, dass allein der Gesamtbetriebsrat das Beschwerdeverfahren durchführen will. Ferner geht aus der Beschwerdebegründung hervor, dass der Gesamtbetriebsrat überprüft haben will, ob die Betriebsvereinbarung Kontrollen vom 08./20.02.2002 Nachwirkung entfaltet. Insoweit ist mit hinreichender Deutlichkeit ersichtlich, welche Änderung des angefochtenen Beschlusses vom Gesamtbetriebsrat erstrebt wird.

Die Beschwerde des Gesamtbetriebsrats ist jedoch unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung den Antrag des Gesamtbetriebsrats zurückgewiesen, weil die Betriebsvereinbarung Kontrollen vom 08./20.02.2002 mangels Regelung mitbestimmungspflichtiger Tatbestände keine Nachwirkung entfaltet.

I.

Der Antrag des Gesamtbetriebsrats ist zulässig.

1. Der Gesamtbetriebsrat hat seinen Antrag zutreffend im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach den §§ 2 a, 80 Abs. 1 ArbGG geltend gemacht. Zwischen den Beteiligten ist eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit streitig, nämlich die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 6 BetrVG.

2. Die Antragsbefugnis des Gesamtbetriebsrats und die Beteiligung der Arbeitgeberin ergeben sich aus den §§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG.

Der Gesamtbetriebsrat, der nach § 50 Abs. 2 BetrVG vom Einzelbetriebsrat ermächtigt ist, eine Angelegenheit für diesen zu regeln, handelt in Prozessstandschaft für den Einzelbetriebsrat, er ist damit antragsbefugt. Er kann in gewillkürter Prozessstandschaft für die Einzelbetriebsräte ein Verfahren einleiten und durchführen (BAG, Beschluss vom 06.04.1976 - AP BetrVG 1972 § 50 Nr. 2; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, a.a.O., § 81 Rz. 61 m.w.N.).

In einem derartigen Fall sind die beauftragenden Einzelbetriebsräte an einem vom Gesamtbetriebsrat eingeleiteten arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nicht zu beteiligen, solange die Beauftragung des Gesamtbetriebsrats vorliegt (BAG, Beschluss vom 27.06.2000 - AP TVG § 2 Nr. 56 unter B. I. der Gründe; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, a.a.O., § 83 Rz. 56; ErfK/Eisemann, 6. Aufl., § 83 ArbGG Rz. 8; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/ Linsenmaier, BetrVG, 22. Aufl., § 50 Rz. 72; GK/Kreutz, BetrVG, 8. Aufl., § 50 Rz. 56 und 90; Däubler/Kittner/Klebe/Trittin, BetrVG, 9. Aufl., § 50 Rz. 86; Behrens/Kramer, DB 1994, 94, 95 m.w.N.).

2. Der vom Gesamtbetriebsrat gestellte Antrag ist auch nach § 256 ZPO, der im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren entsprechend anzuwenden ist (BAG, Beschluss vom 15.12.1998 - AP BetrVG 1972 § 80 Rz. 56), zulässig. Der Gesamtbetriebsrat hat das erforderliche besondere Feststellungsinteresse. Streiten die Betriebsparteien über die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung, hat der Betriebsrat ein rechtlich geschütztes Interesse daran, dass Bestehen oder Nichtbestehen der Betriebsvereinbarung, also betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnisse, klären zu lassen. Dies ergibt sich schon aus der Tragweite der Betriebsvereinbarung als normativer Regelung, die auf die Arbeitsverhältnisse aller von ihr erfassten Arbeitnehmer der Belegschaft einwirken (vgl. zuletzt: BAG, Beschluss vom 17.08.1999 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 79). Mit Hilfe eines Feststellungsantrags kann der Betriebsrat danach auch die Rechtswirksamkeit von gekündigten oder nachwirkenden Betriebsvereinbarungen gerichtlich klären lassen (BAG, Beschluss vom 18.02.2003 - AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 11; BAG, Beschluss vom 27.01.2004 - AP ArbGG 1979 § 81 Nr. 56 m.j.w.N.).

II.

Der Antrag ist unbegründet.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung ist das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung zu dem Ergebnis gelangt, dass der "Betriebsvereinbarung Kontrollen" vom 08./20.02.2002 keine Rechtswirkungen mehr zukommen. Die Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 war nach § 5 Abs. 2 Satz 1 ausdrücklich bis zum 31.05.2002 befristet.

Die Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 entfaltet entgegen der Rechtsauffassung des Gesamtbetriebsrats auch keine Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

Nach § 77 Abs. 6 BetrVG gelten nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung ihre Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Die "Betriebsvereinbarung Kontrollen" vom 08./20.02.2002 regelt aber keine Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann. Sie enthält nämlich keine mitbestimmungspflichtigen Regelungsgegenstände.

1. Das Arbeitsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung zu Recht erkannt, dass hinsichtlich der Regelungen in der Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 nicht das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in Betracht kommt.

a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat in Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Gegenstand dieses Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Betriebsrat aber nur mitzubestimmen bei Maßnahmen, die das sogenannte Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb betreffen. Nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig sind dagegen Maßnahmen, die das sogenannte Arbeitsverhalten regeln sollen. Dies sind solche Maßnahmen, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert und abgefordert wird (vgl. zuletzt: BAG, Beschluss vom 18.04.2000 - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 33; BAG, Beschluss vom 28.05.2002 - AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 39; BAG, Beschluss vom 11.06.2002 - AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 38; BAG, Beschluss vom 27.01.2004 - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 40; Fitting, a.a.O., § 87 Rz. 62 ff., 66; m.w.N.).

b) Nach diesen Grundsätzen sind die Regelungsgegenstände der Betriebsvereinbarung vom 08/20.02.2002 dem Arbeitsverhalten der einzelnen Arbeitnehmer zuzuordnen, nicht der Ordnung des Betriebes.

aa) Die Durchführung der "Inflagranti-Kontrollen" stellt sich weder für die Arbeitnehmer, die diese Kontrollen vornehmen, noch für diejenigen, die kontrolliert werden, als mitbestimmungspflichtiger Tatbestand dar.

§ 2 der Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 enthält zunächst Regelungen, die die Arbeitspflicht der Kontrolleure betreffen, die mit ihrer Kontrolle ihren arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommen. Anordnungen des Arbeitgebers, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert wird, unterliegen nicht der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

Soweit die kontrollierten Arbeitnehmer durch die in § 2 der Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 betroffen sind, enthält die dort enthaltene Regelung ebenfalls keine Verhaltensanweisungen, sondern nur Vorschriften über eine Kontrolle ihrer Arbeitsleistung. Lässt ein Arbeitgeber ohne Kenntnis der Arbeitnehmer durch bestimmte Mitarbeiter Kontrolltests zur Überprüfung der Ehrlichkeit der Mitarbeiter durchführen, hat der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (BAG, Beschluss vom 18.04.2000 - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 33; GK/Wiese, a.a.O., § 87 Rz. 194, 227; ErfK/Kania, a.a.O., § 87 BetrVG Rz. 21; Deckers/Deckers NZA 2004, 139 f. m.w.N.). Dies gilt nach Auffassung der Beschwerdekammer unabhängig davon, ob die Überprüfung des Verhaltens der Arbeitnehmer durch Testkäufer von einer Fremdfirma oder von eigenen Mitarbeitern des Arbeitgebers durchgeführt wird. Das Arbeitsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass eine Maßnahme des Arbeitgebers, die nicht auf eine Beeinflussung des Verhaltens des Arbeitnehmers gerichtet ist, sondern nur auf die Feststellung, ob der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung ordnungsgemäß erbringt, nicht mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist. Insoweit stellt sich nämlich § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG als eine Spezialregelung gegenüber § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG dar. Mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist allein die Kontrolle durch technische Einrichtungen, nicht aber die Kontrolle durch andere Mitarbeiter. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Regelungen über Torkontrollen mitbestimmungspflichtig sind (BAG, Urteil vom 12.08.1999 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 28). Der Grund, Maßnahmen im Zusammenhang mit Torkontrollen der Mitbestimmung des Betriebsrats zu unterwerfen, besteht nicht darin, dass die Arbeitnehmer überwacht werden, sondern dass sie einer gruppenbezogenen körperlichen Überprüfung unterworfen werden. Das ist bei einer Kontrolle durch Testkäufer, die die sogenannten "Inflagranti-Kontrollen" nach Ablauf der Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 wieder abgelöst hat, gerade nicht der Fall.

Der Gesamtbetriebsrat kann auch nicht damit gehört werden, dass ein Mitbestimmungsrecht schon deshalb bestehe, weil in § 2 Abs. 1 der Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 auf den Einsatz von Testkäufern verzichtet worden sei. Bei dieser Regelung handelt es sich um eine freiwillige Maßnahme der Arbeitgeberin, die nicht der erzwingbaren Mitbestimmung nach § 87 BetrVG unterliegt.

bb) Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ergibt sich auch nicht dadurch, dass die Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 auf die Bonierungs- und Inkassovorschriften (vgl. etwa § 2 Abs. 4) Bezug nimmt und in § 3 Abs. 1 ausdrücklich bestimmt, dass die Bonierungs- und Inkassovorschriften Grundlage dieser Betriebsvereinbarung ist.

Dabei kann offen bleiben, ob die Bonierungs- und Inkassovorschriften Regelungen enthalten, die dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterliegen. Die Bonierungs- und Inkassovorschriften sind nicht Gegenstand der Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002. Dies ergibt sich aus § 3 Abs. 2 der Betriebsvereinbarung, wonach die Bonierungs- und Inkassovorschriften auch ohne diese Betriebsvereinbarung gültig bleibt. Hieraus folgt, dass die Betriebsparteien der Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 ersichtlich nicht etwaige Mitbestimmungsrechte, die sich aus Regelungen der Bonierungs- und Inkassovorschrift ergeben, regeln wollten. Die Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 und die Bonierungs- und Inkassovorschrift der Arbeitgeberin stellen gerade keine betriebsverfassungsrechtliche Einheit dar und müssen deshalb auch nicht einheitlich beurteilt werden.

Ob die Bonierungs- und Inkassovorschrift ihrerseits mitbestimmungspflichtig Regelungsgegenstände enthält, ist auch nach dem Antrag des Gesamtbetriebsrats nicht Verfahrensgegenstand; die Beteiligten streiten lediglich um die Nachwirkung der Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002. Darüber hinaus kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Bonierungs- und Inkassovorschriften, von der Arbeitgeberin einseitig in Kraft gesetzt, seit Jahren im Betrieb der Arbeitgeberin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin praktiziert werden. Ein Mitbestimmungsrecht ist offenbar insoweit weder vom Gesamtbetriebsrat noch von den Einzelbetriebsräten jemals geltend gemacht worden.

cc) Das Arbeitsgericht hat auch zu Recht erkannt, dass die Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 keine mitbestimmungspflichtige Regelungen über Betriebsbußen enthält.

Zwar ist allgemein anerkannt, dass eine betriebliche Bußordnung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig ist (BAG, Beschluss vom 17.10.1989 - AP BetrVG 1972 § 87 Betriebsbuße Nr. 12; Fitting, a.a.O., § 87 Rz. 76 ff. m.w.N.).

Die in § 4 der Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 enthaltenen Regelungen stellen sich jedoch nicht als Betriebsbuße in diesem Sinne dar. Geregelt sind, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, wenn auch in einer gewissen Reihenfolge, vielmehr Sanktionen für die Schlechterfüllung des Arbeitsvertrages und die individualrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers - Ermahnung, Abmahnung, Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Derartige Regelungen, die lediglich individualrechtliche Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers betreffen, sind jedoch mitbestimmungsfrei, soweit nicht zusätzliche Sanktionen an das Fehlverhalten des Arbeitnehmers geknüpft werden (BAG, Beschluss vom 17.10.1989 - AP BetrVG 1972 § 87 Betriebsbuße Nr. 12). Zusätzliche Sanktionen, die an die Ordnung des Betriebes anknüpfen, sind in § 4 der Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 jedoch nicht enthalten.

2. Die Betriebsvereinbarung vom 08./20.02.2002 enthält auch darüber hinaus keine mitbestimmungspflichtigen Regelungsgegenstände.

Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist nicht betroffen, da es nicht um die Einführung oder Anwendung von technischen Einrichtungen geht.

Auch weitere Mitbestimmungstatbestände sind nicht ersichtlich.

III.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht bestand keine Veranlassung, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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