Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 18.06.2003
Aktenzeichen: 10 TaBV 4/03
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 7 n.F.
BetrVG § 9 n.F.
Kraftfahrer, die bei Frachtführern eines Speditionsbetriebes angestellt sind, werden bei der Ermittlung der Zahl der im Speditionsbetrieb zu wählenden Betriebsratsmitglieder nach § 9 BetrVG nicht berücksichtigt.
Landesarbeitsgericht Hamm Im Namen des Volkes Beschluss

10 TaBV 4/03

Verkündet am: 18.06.2003

In dem Beschlussverfahren

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm aufgrund der mündlichen Anhörung vom 18.06.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schierbaum sowie die ehrenamtlichen Richter Luther und Mantwill

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 04.10.2002 - 1 BV 54/02 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

A

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Der antragstellende Arbeitgeber betreibt ein Transportunternehmen (Schnelllieferdienst) und unterhält u.a. eine Niederlassung in D2xxxxxx. In dieser Niederlassung wählte die Belegschaft turnusgemäß am 29./30.04.2002 einen neuen Betriebsrat, den Antragsgegner.

In der Niederlassung des Antragstellers in D2xxxxxx waren zum Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens durch den Wahlvorstand am 18.02.2002 33 Frauen und 98 Männer als Arbeitnehmer/innen beschäftigt. Unter den Beschäftigten waren zahlreiche Frachtführer tätig, die ihrerseits selbst Kraftfahrer angestellt hatten. Ob die bei den Frachtführern angestellten Fahrer wahlberechtigt waren und bei der Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder mitzuzählen sind, ist unter den Beteiligten streitig.

Am 18.02.2002 erließ der Wahlvorstand ein erstes Wahlausschreiben (Bl. 24 f.d.A.) und hängte es am Informationsbrett des Betriebsrates (vgl. Foto Bl. 54 d.A.) aus. In diesem Wahlausschreiben war bestimmt, dass nach § 9 BetrVG der Betriebsrat aus sieben Mitgliedern zu bestehen habe. Ferner hieß es unter Ziffer 6, dass im Betrieb 33 Frauen und 98 Männer als Arbeitnehmer/innen im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG beschäftigt seien.

Nach Erlass des Wahlausschreibens wurden innerhalb der Zweiwochenfrist des § 6 Abs. 1 WO 2001 zwei Vorschlagslisten eingereicht, nämlich eine Liste unter dem Kennwort "ver.di Kollegenliste" sowie eine zweite Liste unter dem Kennwort "Die Neuen". Der Bewerber K3xxx C1xxxxxx kandidierte gleichzeitig auf beiden Listen. Nach entsprechender Rückfrage des Wahlvorstandes erklärte der Bewerber schriftlich, dass er auf der gewerkschaftlichen Liste kandidieren wolle. Weiterhin wechselte die Kandidatin D4xxxx W3xxx von der "ver.di Kollegenliste" zu der Liste "Die Neuen".

Am 04.03.2002 erließ der Wahlvorstand - nach Teilnahme an einer Schulung - ein neues zweites Wahlausschreiben (Bl. 29 f.d.A.), welches an die Stelle des ersten Ausschreibens am Informationsbrett (Bl. 54 d.A.) ausgehängt wurde. In diesem Wahlausschreiben war im dritten Absatz bestimmt, dass der Betriebsrat aus neun Mitgliedern zu bestehen habe. Unter Ziffer 6 hieß es, dass im Betrieb 45 Frauen und 173 Männer als Arbeitnehmer/innen im Sinne von § 5 Abs. 1 BetrVG beschäftigt seien. Insoweit hatte der Wahlvorstand bei der Bestimmung der Arbeitnehmerzahl und der Betriebsratsgröße die bei den selbständigen Frachtführern angestellten Fahrer berücksichtigt.

Nach Erlass des zweiten Wahlausschreibens wurden keine neuen Vorschlagslisten eingereicht. Es verblieb bei den Vorschlagslisten, die schon aufgrund des Erlasses des ersten Wahlausschreibens eingereicht worden waren.

Am 20.04.2002 fand in der Niederlassung des Arbeitgebers in D2xxxxxx eine Betriebsversammlung statt. Auf dieser Betriebsversammlung wurden Hinweise im Hinblick auf die anstehende Betriebsratswahl erteilt. Ob der Wahlvorstand auf dieser Belegschaftsversammlung auch über den Austausch der Wahlausschreiben informierte oder ob die Belegschaft und die Listenführer schon zuvor über den Inhalt des neuen Wahlausschreibens vom 04.03.2002 informiert worden waren, ist zwischen den Beteiligten streitig.

Am 29./30.04.2002 fanden die Wahlen zum Betriebsrat statt. Entsprechend dem Inhalt des zweiten Wahlausschreibens vom 04.03.2002 wurde ein Betriebsrat mit neun Mitgliedern gewählt. Das Wahlergebnis wurde am 30.04.2002 bekannt gemacht (Bl. 31 f.d.A.).

Mit dem am 13.05.2002 beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren machte der Arbeitgeber die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl vom 29./30.04.2002 geltend.

Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, die Betriebsratswahl sei allein schon wegen des stillschweigenden Austausches des Wahlausschreibens anfechtbar. Der Austausch des Wahlausschreibens sei weder von der Niederlassungsleitung noch von der Belegschaft wahrgenommen worden. Zwangsläufig kämen nicht sämtliche Belegschaftsmitglieder an dem Aushang am Informationsbrett des Betriebsrates vorbei. Es habe auch ansonsten kein Anlass bestanden, dort nachzuschauen. Erstmals sei auf das Wahlausschreiben in der Belegschaftsversammlung vom 20.04.2002 verwiesen worden. Es sei auch dort keinerlei Hinweis darauf erfolgt, dass nunmehr neun statt sieben Betriebsratsmitglieder zu wählen seien oder dass sich die Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen um zwei Wochen verlängert habe. Auch die Listenbewerber seien nicht vom Austausch des Wahlausschreibens in Kenntnis gesetzt worden. Bei Kenntnis vom Austausch seien für diese Listen noch weitere Wahlvorschläge gemacht worden. So habe sich die Disponentin T2xxx H4xx gemeldet und Interesse an einer Kandidatur bekundet. Nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers C1xxxxxx habe es für diese Liste noch einen weiteren Bedarf an gewerblichen Arbeitnehmern gegeben. Die verlängerte Liste wäre genutzt worden, um noch weitere Wahlbewerber für die Liste "Die Neuen" zu gewinnen.

Die Betriebsratswahl sei auch deshalb anfechtbar, weil die Betriebsgröße und die Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder falsch berechnet worden seien. In der Niederlassung in D2xxxxxx seien zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl lediglich 129 Arbeitnehmer/innen beschäftigt gewesen. Die bei den Frachtführern angestellten Fahrer hätten nicht berücksichtigt werden dürfen, weil sie nicht in die betrieblichen Abläufe integriert seien. Sie hätten lediglich den Anweisungen ihrer jeweiligen Arbeitgeber zu folgen. Namentlich beim Abgreifen von den Transportbändern seien keinerlei Weisungen erfolgt. Es sei Verpflichtung der Frachtführer, zeitgerecht auszuliefern. Wie dies organisiert werde, obliege ihnen selbst. Den Frachtführern werde lediglich Mitteilung gemacht, wenn ein Fahrer wiederholt und erheblich verspätet beginne, weil sich hierdurch die gesamte Auslieferung verzögere. Unmittelbare Anweisungen an die Fahrer ergingen nicht. Es sei vielmehr umgekehrt so, dass die Nachtschichtmitarbeiter die Arbeit derjenigen der Frachtführer und ihrer Angestellten anpassen müssten. Sofern Anweisungen erteilt würden, würden sich diese lediglich auf den Bereich Sicherheit und Ordnung des Betriebes des antragstellenden Arbeitgebers beziehen. Die Tourenpläne der Auslieferungsfahrer würden nicht von ihm bestimmt, sondern den Auslieferungsfahrern selbst überlassen. Lediglich durch bestimmte Sendungsoptionen werde die Tourenplanung in gewisser Weise beeinflusst. Soweit die Fahrer in einem festen Gebiet telefonisch zusätzliche Aufträge übernähmen, handele es sich um eine im Speditionsgewerbe absolut üblichen Vorgang.

Den Fahrern stünden auch die sozialen Einrichtungen des antragstellenden Arbeitgebers, wie Duschen, Pausenräume und Umkleideräume, nicht zur Verfügung. Es bestehe lediglich die Möglichkeit, die Raucherecke und die Toilettenanlage zu benutzen.

Der Arbeitgeber hat beantragt,

die Betriebsratswahl in der Niederlassung des Arbeitgebers H3xxxxxxxxxxxx. 21, 41xxx D2xxxxxx (Niederlassung D2xxxxxx) für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, dass die Fahrer der Frachtführer vollständig in den Betrieb des antragstellenden Arbeitgebers integriert seien und faktisch der Leitungsmacht des Arbeitgebers unterlägen. So werde das pünktliche Erscheinen geprüft und Verspätungen festgehalten. Anschließend würden die Arbeiten der Nachtschichtarbeiter fortgesetzt. Pakete würden eingescannt, bevor sie auf den LKW verladen würden. Fehlten Lieferungen, werde Meldung an die Mitarbeiter des antragstellenden Arbeitgebers gemacht. Die Fahrer müssten unterwegs telefonisch erreichbar sein und würden im Einzelfall angewiesen, ihre Tourenpläne zu ändern. Die Scannerdaten müssten nach Rückkehr in Erfassungsgeräte des Arbeitgebers eingegeben werden.

Auch nähmen die Fahrer an Weihnachtsfeiern des antragstellenden Arbeitgebers teil.

Die Betriebsratswahl sei auch nicht deshalb anfechtbar, weil am 04.03.2002 ein neues Wahlausschreiben ausgehängt worden sei. Dieses neue Wahlausschreiben sei als solches zu identifizieren gewesen, da ein optischer Unterschied bestanden habe. Im ersten Wahlausschreiben seien handschriftliche Eintragungen vorgenommen worden, das neue Wahlausschreiben sei mit dem Computer angefertigt worden. Insoweit sei es unrichtig, dass die Niederlassungsleitung oder die Belegschaft den Erlass des neuen Wahlausschreibens nicht wahrgenommen habe. Im Betrieb sei allgemein bekannt gewesen, dass die Betriebsratsgröße im neuen Wahlausschreiben geändert worden sei. Im Übrigen kämen normalerweise alle Beschäftigten zwangsläufig am Informationsbrett des Betriebsrates vorbei. Auf der Betriebsversammlung vom 20.04.2002 sei darüber hinaus das Wahlverfahren noch einmal dargestellt worden. Insbesondere sei auf die Unterschiede zur Verfahrensweise bei den früheren Wahlen hingewiesen worden. Ausdrücklich sei auch darauf hingewiesen worden, dass entgegen dem ersten Wahlausschreiben nunmehr neun Sitze zu besetzen seien. Auch die Listenführer und die Bewerber der einzelnen Listen seien über den Inhalt des neuen Wahlausschreibens informiert worden.

Durch Beschluss vom 04.10.2002 hat das Arbeitsgericht die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt und zur Begründung ausgeführt, ein Anfechtungsgrund ergebe sich schon aus dem Austausch des Wahlausschreibens, der nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sei. Die inhaltliche Änderung gegenüber dem ersten Wahlausschreiben sei nicht deutlich gemacht worden. Darüber hinaus sei die Betriebsratswahl anfechtbar, weil in der Niederlassung des Arbeitgebers in D2xxxxxx lediglich ein aus sieben Mitgliedern bestehender Betriebsrat zu wählen gewesen sei. Die bei den Frachtführern angestellten Fahrer gehörten nicht zur Belegschaft des antragstellenden Arbeitgebers. Diese Fahrer würden im Rahmen eines Fremdfirmeneinsatzes aufgrund eines Dienstvertrages zwischen den Frachtführern und des antragstellenden Arbeitgebers tätig. Sie seien Arbeitnehmer der beim Arbeitgeber angestellten Frachtführer und zählten deshalb nicht mit.

Gegen den dem Betriebsrat am 17.12.2002 zugestellten Beschluss, auf dessen Gründe im Übrigen Bezug genommen wird, hat der Betriebsrat am 13.01.2003 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 17.03.2003 mit dem am 11.03.2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens ist der Betriebsrat nach wie vor der Auffassung, dass ein Grund für die Anfechtung der Betriebsratswahl vom 29./30.04.2002 nicht bestehe. Die Wahl sei nicht wegen Aushanges eines zweiten Wahlausschreibens anfechtbar. Beide Wahlausschreiben hätten sich in der äußeren Form und im Schriftbild unterschieden. Das zweite Wahlausschreiben sei ordnungsgemäß bekannt gemacht worden.

Ferner seien die Fahrer der selbständigen Frachtführer bei der Größe des Betriebsrates zu berücksichtigen. Diese Fahrer seien in den Betriebsablauf vollständig eingegliedert, sie erhielten Anweisungen von Mitarbeitern des antragstellenden Arbeitgebers, sie müssten pünktlich erscheinen und telefonisch erreichbar sein.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 04.10.2002 - 1 BV 54/02 - abzuändern und den Antrag des Arbeitgebers zurückzuweisen.

Der Arbeitgeber beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluss und ist nach wie vor der Auffassung, die Betriebsratswahl sei anfechtbar, weil das zweite Wahlausschreiben vom 04.03.2002 nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht, sondern vom Wahlvorstand stillschweigend ausgetauscht worden sei. Im Betrieb sei der Austausch nicht bemerkt worden.

Ferner habe der Wahlvorstand bei der Bestimmung der Betriebsratsgröße eine falsche Arbeitnehmeranzahl zugrunde gelegt. Ebenso wie Leiharbeitnehmer zählten auch die bei den Frachtführern angestellten Fahrer nicht bei der Bestimmung der Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder mit. Diese Fahrer stünden nicht in einem Arbeitsverhältnis zum antragstellenden Arbeitgeber, sondern in einem Arbeitsverhältnis zu den bei der Antragstellerin beschäftigten Frachtführer. Im Übrigen unterlägen diese Fahrer auch nicht faktisch der Leitungsmacht des antragstellenden Arbeitgebers.

Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

B

Die zulässige Beschwerde des Betriebsrates ist nicht begründet.

I

Der vom Arbeitgeber gestellte Antrag ist zulässig.

1. Das Beschlussverfahren ist für den vorliegenden Antrag die zutreffende Verfahrensart, §§ 2 a, 80 Abs. 1, 81 ArbGG. Zwischen den Beteiligten ist eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit streitig, nämlich die Wirksamkeit der am 29./30.04.2002 in der Niederlassung des Arbeitgebers durchgeführten Betriebsratswahl, § 19 BetrVG.

2. Die Antrags- und Beteiligungsbefugnis des Arbeitgebers und des gewählten Betriebsrates als Antragsteller und Antragsgegner ergeben sich aus den §§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG.

II

Die Beschwerde des Betriebsrates ist nicht begründet.

Die am 29./30.04.2002 in der Niederlassung des Arbeitgebers in D2xxxxxx durchgeführte Betriebsratswahl ist nach § 19 BetrVG anfechtbar und damit unwirksam.

1. Die Anfechtung der in der Niederlassung D2xxxxxx durchgeführten Betriebsratswahl vom 29./30.04.2002 durch den Arbeitgeber ist form- und fristgerecht erfolgt.

Der Arbeitgeber gehört zu dem nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG anfechtungsberechtigten Personenkreis.

Der Arbeitgeber hat mit seiner Anfechtung auch die Zweiwochenfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG eingehalten. Das Ergebnis der Betriebsratswahl ist am 30.04.2002 durch den Wahlvorstand bekannt gegeben worden. Mit dem am 13.05.2002 beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren hat der Arbeitgeber die Wahl angefochten.

2. Die in der Niederlassung des Arbeitgebers in D2xxxxxx am 29./30.04.2002 durchgeführte Betriebsratswahl ist nach § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam, dem Arbeitgeber steht ein Anfechtungsgrund nach § 19 Abs. 1 BetrVG zur Seite.

Gemäß § 19 Abs. 1 BetrVG kann eine Wahl beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

a) In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist anerkannt, dass die vom Arbeitgeber gerügte Verkennung der Anzahl der in der Niederlassung D2xxxxxx wahlberechtigten Arbeitnehmer (§ 7 BetrVG) und die Rüge der Wahl einer unrichtigen Anzahl von Betriebsratsmitgliedern nach § 9 BetrVG zwar nicht zur Nichtigkeit, aber zur Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl führen kann (BAG, Beschluss vom 14.01.1972 - AP Nr. 2 zu § 20 BetrVG Jugendvertreter; BAG, Beschluss vom 12.10.1976 - AP Nr. 5 zu § 19 BetrVG 1972; BAG, Beschluss vom 29.06.1991 - AP Nr. 2 zu § 9 BetrVG 1972; LAG Köln, Beschluss vom 17.04.1998 - NZA-RR 1999, 247; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Aufl., § 19 Rz. 12 und 22 sowie § 9 Rz. 52; Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 8. Aufl., § 19 Rz. 5; Kreutz, GK-BetrVG, 7. Aufl., § 19 Rz. 138).

b) Zu Recht ist das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss davon ausgegangen, dass bei der Betriebsratswahl vom 29./30.04.2002 gegen wesentliche Vorschriften über die Wählbarkeit verstoßen worden ist. Der Wahlvorstand ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass in der Niederlassung D2xxxxxx 45 Frauen und 173 Männer als Arbeitnehmer/innen beschäftigt sind und der Betriebsrat demzufolge aus neun Mitgliedern zu bestehen hat. Die bei den Frachtführern angestellten Fahrer sind nämlich - unabhängig von ihrer Wahlberechtigung nach § 7 S. 2 BetrVG - und bei der Ermittlung der Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder gemäß § 9 BetrVG nicht zu berücksichtigen.

Nach § 7 Satz 1 BetrVG sind wahlberechtigt alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Nach § 9 Satz 1 BetrVG besteht ein Betriebsrat in Betrieben mit 101 bis 200 Arbeitnehmern aus sieben Mitgliedern; erst bei einer Anzahl von mehr als 201 Arbeitnehmern ist ein neunköpfiger Betriebsrat zu wählen.

Die bei den Frachtführern angestellten Fahrer gehören nach § 9 BetrVG nicht zur Belegschaft des antragstellenden Arbeitgebers. Dies gilt auch dann, wenn die bei den Frachtführern angestellten Fahrer als wahlberechtigt im Sinne des § 7 BetrVG angesehen werden.

Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes sind diejenigen Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis zum Inhaber des Betriebs stehen und innerhalb der Betriebsorganisation des Arbeitgebers abhängige Arbeitsleistungen erbringen. Zu den konstitutiven Merkmalen der Betriebszugehörigkeit nach den §§ 7, 9 BetrVG gehören grundsätzlich einerseits ein Arbeitsverhältnis zu dem Inhaber, das regelmäßig durch einen Arbeitsvertrag zustande kommt, andererseits eine tatsächliche Eingliederung des Arbeitnehmers in die Organisation des Betriebes des Arbeitgebers. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich auch die Beschwerdekammer angeschlossen hat (BAG, Beschluss vom 18.01.1989 - AP Nr. 1 zu § 9 BetrVG 1972 - unter B. II. 1. b) der Gründe; BAG, Beschluss vom 29.01.1992 - AP Nr. 1 zu § 7 BetrVG 1972 - unter B. III. 1. a) der Gründe; BAG, Beschluss vom 22.03.2000 - AP Nr. 8 zu § 14 AÜG - unter B. II. 2. a) aa) der Gründe; BAG, Beschluss vom 19.06.2001 - AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Leiharbeitnehmer - unter B. II. 1. a) der Gründe; LAG Hamm, Beschluss vom 15.11.2002 - 10 TaBV 92/02 - DB 2003, 342; Fitting, a.a.O., § 9 Rz. 14 und § 7 Rz. 16; Eisemann, ErfK, 3. Aufl., § 7 BetrVG Rz. 2 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall fehlt es schon an der ersten Voraussetzung für eine Betriebszugehörigkeit nach § 9 BetrVG, nämlich an einem Arbeitsvertrag zwischen den vom Wahlvorstand berücksichtigten Fahrern der Frachtführer und dem antragstellenden Arbeitgeber. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass zwischen diesen Fahrern und dem antragstellenden Arbeitgeber kein Arbeitsverhältnis besteht. Die Fahrer, die der Betriebsrat bei der Berechnung der Betriebsgröße mitberücksichtigt hat, sind nicht bei dem antragstellenden Arbeitgeber, sondern bei den vom antragstellenden Arbeitgeber beschäftigten Frachtführern angestellt. Ein Arbeitsverhältnis besteht lediglich zwischen den Fahrern und den vom Arbeitgeber beschäftigten Frachtführern.

Da es bereits an einem Arbeitsverhältnis zwischen den Fahrern und den antragstellenden Arbeitgeber fehlt, sind sie nicht dem Betrieb des antragstellenden Arbeitgebers zugehörig und können demzufolge bei der Bemessung der Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder nicht berücksichtigt werden.

Auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob diese Fahrer in die Betriebsorganisation des antragstellenden Arbeitgebers eingegliedert sind, kommt es danach schon nicht mehr an.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nach § 7 Satz 2 BetrVG n.F. Arbeitnehmer, die einem anderen Arbeitgeber zur Arbeitsleistung überlassen werden, wahlberechtigt sind, wenn sie länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden. Insoweit konnte die Beschwerdekammer offen lassen, ob die bei den Frachtführern angestellten Fahrer dem antragstellenden Arbeitgeber zur Arbeitsleistung überlassen sind. Selbst wenn dies der Fall wäre, wären sie bei der Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder nach § 9 BetrVG nicht mitzuberücksichtigen. Das Beschwerdegericht hat inzwischen in mehreren Entscheidungen erkannt, dass Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung der Zahl der Betriebsratsmitglieder nach den §§ 9, 38 BetrVG keine Berücksichtigung finden können. Etwas anderes ergibt sich auch nicht durch die Einräumung des aktiven Wahlrechts für Leiharbeitnehmer durch § 7 Satz 2 BetrVG n.F., weil der Arbeitnehmerbegriff des § 5 Abs. 1 BetrVG n.F. nicht geändert worden ist (LAG Hamm, Beschluss vom 15.11.2002 - 10 TaBV 92/02 - DB 2003, 342 = LAG Report 2003, 110; LAG Hamm, Beschluss vom 14.01.2003 - 13 TaBV 90/02 -). Auch das Bundesarbeitsgericht hat inzwischen durch Beschluss vom 16.04.2003 - 7 ABR 53/02 - (Pressemitteilung Nr. 35/03) erkannt, dass Leiharbeitnehmer nicht zu den Arbeitnehmern im Sinne des § 9 BetrVG zählen und bei der Ermittlung der Betriebsratsgröße nicht zu berücksichtigen sind. Die erkennende Beschwerdekammer schließt sich ausdrücklich den Gründen des Beschlusses vom 15.11.2002 - 10 TaBV 92/02 - an.

Für die bei den Frachtführern angestellten Fahrer, die vom Wahlvorstand als wahlberechtigte Arbeitnehmer mitberücksichtigt worden sind, gilt nichts anderes.

c) Unter den Beteiligten ist unstreitig, dass durch die Mitberücksichtigung der bei den Frachtführern angestellten Fahrer das Wahlergebnis beeinflusst worden ist. Ohne Berücksichtigung dieser Fahrer sind in der Niederlassung des Arbeitgebers in D2xxxxxx lediglich unter 200 Arbeitnehmer beschäftigt. Dies hat zur Folge, dass in der Niederlassung D2xxxxxx nach § 9 Satz 1 BetrVG lediglich ein aus sieben Mitgliedern bestehender Betriebsrat gewählt werden konnte.

Eine nachträgliche Korrektur des Wahlergebnisses kam nicht in Betracht. Da das Wahlverfahren auf einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG beruht, muss die Betriebsratswahl im Ganzen wiederholt werden (BAG, Beschluss vom 12.10.1976 - AP Nr. 5 zu § 19 BetrVG; BAG, Beschluss vom 29.06.1991 - AP Nr. 2 zu § 9 BetrVG 1972; LAG Berlin, Beschluss vom 01.02.1988 - LAGE § 9 BetrVG 1972 Nr. 1; Kreutz, a.a.O., § 19 Rz. 120; Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, a.a.O., § 19 Rz. 37 m.w.N.).

3. Auf die Frage, ob die Betriebsratswahl vom 29./30.04.2002 darüber hinaus auch wegen des Austausches des Wahlausschreibens durch den Wahlvorstand anfechtbar gewesen ist, kam es nach alledem nicht mehr an.

III

Wegen der besonderen Bedeutung der Rechtssache hat die Beschwerdekammer die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

Zurück