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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 20.09.2002
Aktenzeichen: 10 TaBV 95/02
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG § 98
BetrVG § 99 Abs. 1
BetrVG § 95 Abs. 3
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 3
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 5
Der Betriebsrat hat regelmäßig jedenfalls dann kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, wenn der Insolvenzverwalter bei Masseunzulänglichkeit einen Großteil der Arbeitnehmer im Hinblick auf eine beabsichtigte Betriebsstilllegung freistellt.

§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG betrifft nur eine vorübergehende Veränderung der betriebsüblichen Arbeitszeit, nicht eine auf Dauer angelegte Freistellung.


Landesarbeitsgericht Hamm Im Namen des Volkes Beschluss

Geschäfts-Nr.: 10 TaBV 95/02

Verkündet am: 20.09.2002

In dem Beschlussverfahren unter Beteiligung

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm aufgrund der mündlichen Anhörung vom 20.09.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schierbaum

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Detmold vom 02.07.2002 - 2 BV 26/02 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

A

Die Beteiligten streiten um die Einrichtung einer Einigungsstelle.

Antragsteller ist der Betriebsrat der Firma K1xxxxxx W1xxxxxxx GmbH, die zur K1xxxxxx- und Wohnmöbel-Gruppe gehört. Im Betrieb der Firma K1xxxxxx W1xxxxxxx GmbH, dem Produktionsunternehmen, waren ca. 240 Arbeitnehmer beschäftigt. Insgesamt waren in der K1xxxxxx-Wohnmöbel-Gruppe ca. 360 Mitarbeiter tätig.

Über das Vermögen der Firma K1xxxxxx W1xxxxxxx GmbH, der Firma K1xxxxxx T1xxxxxxx und L2xxxxxx GmbH & Co. KG und der Firma K1xxxxxx V2xxxxxxxxx- und S2xxxxx GmbH wurde jeweils am 01.06.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Antragsgegner zum Insolvenzverwalter bestellt.

Zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsführung der K1xxxxxx-Wohnmöbel-Gruppe fanden seit Anfang Juni 2001 Gespräche über ein Fortführungsmodell und einer Auffanglösung statt. Mit Schreiben vom 06.06.2002 (Bl. 15 ff.d.A.) teilte der Antragsgegner dem Betriebsrat u.a. mit, dass die Stilllegung sämtlicher Betriebe zum Ablauf des Monats September 2002 erfolgen werde, er nicht sämtliche Mitarbeiter weiterbeschäftigen könne und beabsichtige, Beschäftigte nach und nach freizustellen; die Insolvenzmasse und die zu erwartenden Umsätze seien nicht ausreichend, um die Zahlung der Löhne und Gehälter aller Beschäftigten zu gewährleisten. Nach einer weiteren Verhandlung vom 07.06.2002, an der der Betriebsrat, die IG Metall, die Gesellschafter/Geschäftsführer der K1xxxxxx-Wohnmögel-Gruppe und der Antragsgegner teilnahmen, um über ein Fortführungskonzept und das weitere Vorgehen zu beraten, teilte der Antragsgegner dem Betriebsrat am 07.06.2002 mit, dass er beabsichtige, auch den Betrieb der Firma K1xxxxxx W1xxxxxxx GmbH stillzulegen.

Am 10.06.2002 leitete der Antragsgegner das Anhörungsverfahren beim Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung aller Arbeitnehmer der Insolvenzfirmen ein.

Ohne weitere Absprache mit dem Betriebsrat stellte der Antragsgegner am 10.06.2002 ferner 78 Mitarbeiter der Firma K1xxxxxx W1xxxxxxx GmbH mit sofortiger Wirkung frei und empfahl ihnen, sich arbeitslos zu melden, da er die Vergütung nicht mehr zahlen könne. 142 Mitarbeiter der Firma K1xxxxxx W1xxxxxxx GmbH wurden vom Antragsgegner zunächst weiterbeschäftigt.

Die in der Folgezeit zwischen den Beteiligten geführten Gespräche mit dem Ziel, eine Einigung über den Umfang der notwendigen Freistellungen und die Auswahl der davon betroffenen Arbeitnehmer zu erzielen, scheiterten.

Am 18.06.2002 legte der Antragsgegner dem Betriebsrat einen Entwurf eines Interessenausgleichs vor, nach dem der Betrieb der Firma K2xxxxxxx W1xxxxxxx GmbH zum 30.09.2002 stillgelegt werden sollte.

Mit Schreiben vom 18.06.2002 (Bl. 84 d.A.) zeigte der Antragsgegner gegenüber dem Insolvenzgericht, dem Amtsgericht Detmold, die Masseunzulänglichkeit an. Ferner kündigte er die Notwendigkeit weiterer Freistellungen an, die im Laufe des vorliegenden Verfahrens auch durchgeführt wurden.

Mit dem am 21.06.2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag machte der Betriebsrat daraufhin die Einrichtung einer Einigungsstelle geltend.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, durch die Freistellung von Mitarbeitern ohne Anhörung und Beteiligung des Betriebsrats habe der Antragsgegner gegen Beteiligungsrechte des Betriebsrates verstoßen. Offenbar wolle der Antragsgegner vollendete Tatschen zu Gunsten einer Nachfolgegesellschaft schaffen, die nur noch 76 Mitarbeiter übernehmen wolle. Der Antragsgegner habe alle diejenigen Mitarbeiter freigestellt, die von der Nachfolgegesellschaft nicht erwünscht seien. Auch bei der Freistellung von Mitarbeitern sei der Insolvenzverwalter nicht frei von rechtlichen Schranken, er müsse sich in den Grenzen billigem Ermessens nach § 315 BGB halten und soziale Gesichtspunkte beachten. Stelle der Insolvenzverwalter Arbeitnehmer ohne Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitspflicht frei, unterfalle dies dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Die Verhandlungen mit dem Antragsgegner über die Notwendigkeit der Freistellungen seien gescheitert. Insoweit sei die einzurichtende Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig. Die Einsetzung der Einigungsstelle sei vielmehr notwendig, um die Rechte des Betriebsrates zu wahren.

Der Betriebsrat hat beantragt,

unter dem Vorsitz von Herrn Peter Claussen, Richter am Arbeitsgericht Bielefeld, eine Einigungsstelle einzusetzen zur Regelung der Freistellung von maximal 78 Arbeitnehmern und die Zahl der Beisitzer für jede Seite auf 3 Personen festzusetzen.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei der Freistellung bestünden nicht. Die verlangte Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig.

Durch Beschluss vom 02.07.2002 hat das Arbeitsgericht den Antrag des Betriebsrates zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Freistellung von Mitarbeitern im Rahmen eines Insolvenzverfahrens bestünden nicht. Ein derartiges Mitbestimmungsrecht ergebe sich nicht aus § 87 BetrVG und auch nicht aus anderen betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen. Der Insolvenzverwalter sei berechtigt, nach Erklärung der Masseunzulänglichkeit Arbeitnehmer endgültig freizustellen.

Gegen den dem Betriebsrat am 09.07.2002 zugestellten Beschluss, auf dessen Gründe nebst Rechtsmittelbelehrung ergänzend Bezug genommen wird, hat der Betriebsrat am 09.08.2002 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese zugleich begründet.

Während des laufenden Beschwerdeverfahrens schlossen der Betriebsrat und der Antragsgegner am 18.07.2002 einen Interessenausgleich ab, wonach der Betrieb der Firma K1xxxxxx W1xxxxxxx GmbH zum 30.09.2002 stillgelegt wird. Auf die weiteren Bestimmungen des Interessenausgleichs vom 18.07.2002 (Bl. 71 ff.d.A.) wird Bezug genommen. Inzwischen hat der Antragsgegner das Arbeitsverhältnis mit sämtlichen Mitarbeitern der Firma K1xxxxxx Wohnmöbel GmbH - mit Ausnahme derjenigen Mitarbeiter, bei denen die erforderliche Zustimmung noch nicht vorliegt - gekündigt.

Der Betriebsrat ist nach wie vor der Auffassung, der Antragsgegner habe bei den ausgesprochenen Freistellungen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verletzt. Dass dieses Mitbestimmungsrecht bei der Freistellung durch den Insolvenzverwalter in Betracht kommen könne, ergebe sich auch aus dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27.09.2000 - 2 Sa 1078/02 -. Solange eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage nicht vorliege, sei die einzurichtende Einigungsstelle jedenfalls nicht offensichtlich unzuständig.

Inzwischen hätten die alten Geschäftsführer und Gesellschafter der Insolvenzfirma eine neue Firma gegründet, die die Produktion der Firma K1xxxxxx W1xxxxxxx GmbH nach § 613 a BGB übernehme. Gegenüber der Presse sei bereits geäußert worden, dass durch Absprachen mit dem Antragsgegner ein reibungsloser Übergang von der alten auf die neue Produktionsfirma gewährleistet sei (Bl. 54 d.A.). Durch die vom Antragsgegner gesprochenen Freistellungen seien die Mindestanforderungen an eine Sozialauswahl vom Antragsgegner unberücksichtigt gelassen worden. Der Insolvenzverwalter verlagere lediglich die Kosten auf die Bundesanstalt für Arbeit und erfülle die Interessen der Übernahmeinteressenten.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Detmold vom 02.07.2002 - 2 BV 26/02 - abzuändern und unter dem Vorsitz von Herrn Peter Claussen, Richter am Arbeitsgericht Bielefeld, eine Einigungsstelle zur Regelung der Freistellung von maximal 78 Arbeitnehmern einzusetzen und die Zahl der Beisitzer für jede Seite auf 3 Personen festzusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluss und ist der Auffassung, dass es sich bei den ausgesprochenen Freistellungen nicht um eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme im Sinne des § 87 Abs.1 Nr. 3 BetrVG handele. Dies habe inzwischen auch das Bundesarbeitsgericht erkannt.

Angesichts der beabsichtigten Betriebsstilllegung zum 30.09.2002 sei die Einrichtung einer Einigungsstelle auch aus sachlichen Gründen nicht mehr praktikabel. Es gebe keinen Regelungsgegenstand mehr. Er, der Insolvenzverwalter, habe die Mitarbeiter unwiderruflich freigestellt. Dabei handele es sich nicht um eine vorübergehende Maßnahme, sondern um eine endgültige Maßnahme gehandelt.

Trotz der angezeigten Masseunzulänglichkeit komme durch die Einrichtung einer Einigungsstelle ferner eine Kostenbelastung auf die Masse zu, zu deren Begleichung er, der Insolvenzverwalter, nicht in der Lage sei.

Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

B

Die zulässige Beschwerde des Betriebsrates ist unbegründet.

I

Zwar hat der Betriebsrat mit der am 09.08.2002 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Beschwerde die Beschwerdefrist des § 98 Abs. 2 Satz 2 ArbGG von zwei Wochen nach Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung am 09.07.2002 nicht eingehalten. Dieser Umstand führt jedoch nicht zur Unzulässigkeit der Beschwerde, weil der angefochtene Beschluss vom 02.07.2002 eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung enthält. In der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses vom 02.07.2002 ist auf eine Beschwerdemöglichkeit innerhalb einer Notfrist von einem Monat hingewiesen worden. Dieser Hinweis ist unzutreffend. Er entspricht nicht der zutreffenden Rechtsmittelfrist des § 98 Abs. 2 Satz 2 ArbGG. Die unrichtige Erteilung der Rechtsmittelbelehrung durch das Arbeitsgericht hat nach § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG zur Folge, dass die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels nicht zu laufen begann. Eine Rechtsmittelfrist beginnt nur, wenn in der richtigen Form und mit dem richtigen Inhalt belehrt worden ist. Die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG hat der Betriebsrat eingehalten.

Sonstige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Beschwerde bestanden nicht.

II

Zu Recht hat das Arbeitsgericht dem Antrag des Betriebsrates auf Einrichtung einer Einigungsstelle nicht stattgegeben und ihn als unbegründet zurückgewiesen.

1. Gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann ein Antrag auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden und auf Festsetzung der Zahl der Beisitzer wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle nur dann zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Offensichtlich unzuständig ist die Einigungsstelle, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt und sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des Betriebsverfassungsgesetzes subsumieren lässt (LAG Berlin, Beschluss vom 18.02.1980 - AP Nr. 1 zu § 98 ArbGG 1979; LAG Hamburg, Beschluss vom 07.03.1985 - NZA 1985, 604 = DB 1985, 1798; LAG Hamm, Beschluss vom 16.04.1986 - BB 1986, 1359; LAG Niedersachsen, Beschluss vom 30.09.1988 - NZA 1989, 149; LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.08.1995 - NZA-RR 1996, 53; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.1997 - NZA-RR 1998, 319; LAG Köln, Beschluss vom 13.01.1998 - NZA 1998, 1018; LAG Berlin, Beschluss vom 22.06.1998 - NZA-RR 1999, 34; LAG Köln, Beschluss vom 02.09.1999 - NZA-RR 2000, 26; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 4. Aufl., § 98 Rz. 11 m.w.N.).

2. Zu Recht ist das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss davon ausgegangen, dass die einzurichtende Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Freistellung von 78 Mitarbeitern kommt jedenfalls im vorliegenden Fall nicht in Betracht.

a) Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 99 Abs. 1 BetrVG scheidet aus. Die Freistellung von Arbeitnehmern stellt keine Versetzung im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG dar. Die Versetzung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ist nach § 95 Abs. 3 BetrVG die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Werden einem Arbeitnehmer durch Freistellung die bisherigen Arbeitsaufgaben vollends entzogen, ohne dass neue Tätigkeiten an deren Stelle treten, liegt keine Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG vor. Dies entspricht inzwischen der ganz herrschenden Meinung in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und der arbeitsrechtlichen Literatur (BAG, Urteil vom 22.01.1998 - AP Nr. 11 zu § 174 BGB - unter III. 4. b) der Gründe; BAG, Beschluss vom 28.03.2000 - AP Nr. 39 zu § 95 BetrVG 1972; BAG, Urteil vom 11.12.2001 - AP Nr. 10 zu § 60 KO - unter II. 1. d) der Gründe = NZA 2002, 902; LAG Hamm, Urteil vom 27.09.2000 - NZA-RR 2001, 654 unter II. 3. der Gründe; ArbG Minden, Beschluss vom 10.12.1996 - NZA-RR 1997, 437; Fitting/Kaiser/ Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Aufl., § 99 Rz. 113; Kraft, GK-BetrVG, 7. Aufl., § 99 Rz. 66; Hanau/Kania, ErfK, 2. Aufl., § 99 BetrVG, Rz. 14; Sibben, NZA 1998, 1266; Hoß/Lohr, BB 1998, 2575; Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 8. Aufl., § 99 Rz. 107; andere Auffassung: ArbG Minden, Beschluss vom 14.08.1996 - AiB 1997, 231; ArbG Wesel, Beschluss vom 07.01.1998 - BB 1998, 644). Dieser ganz herrschenden Auffassung hat sich auch die Beschwerdekammer angeschlossen. Der abweichenden Meinung kann bereits angesichts des Wortlautes von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht gefolgt werden. Werden einem Arbeitnehmer durch eine Freistellung sämtliche Arbeitsaufgaben entzogen, fehlt es bereits an der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs. Dem Arbeitnehmer werden gerade keine anderen Tätigkeiten zugewiesen.

b) Entgegen der Rechtsauffassung des Betriebsrates sind jedenfalls im vorliegenden Fall auch keine Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG betroffen.

Zwar hat die zweite Kammer des erkennenden Gerichts im Urteil vom 27.09.2000 (- 2 Sa 1178/00 - NZA-RR 2001, 654) die Frage aufgeworfen, ob der Insolvenzverwalter bei der vorübergehenden Freistellung eines Teiles der Belegschaft Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zu beachten hat. Die Beschwerdekammer teilt die Auffassung der zweiten Kammer des erkennenden Gerichts, dass die Parallele zur Mitbestimmung des Betriebsrates bei der Einführung von Kurzarbeit augenfällig ist. Auch im vorliegenden Fall kann das Vorliegen eines kollektiven Tatbestandes nicht angezweifelt werden, weil der Antragsgegner bei der Freistellung von 78 von ca. 240 Mitarbeitern vor der Frage stand, ob und in welchem Umfange freigestellt werden soll und nach welchen Kriterien ausgewählt wird (vgl.: Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz 1999, Rz. 610; Pirscher, ZInsO 2001, 698, 699; Oberhofer, ZInsO 2002, 21, 23; vgl. auch ArbG Siegen, Urteil vom 03.06.1983 - ZIP 1983, 1117).

Dennoch kommt im vorliegenden Fall die Verletzung eines Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nicht in Betracht. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG sind durch die endgültige Freistellung von 78 Mitarbeitern der Insolvenzfirma nicht verletzt worden. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG betrifft die vor- übergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit. Aus der Beschränkung auf die vorübergehende Veränderung der betriebsüblichen Arbeitszeit folgt, dass der Betriebsrat hinsichtlich deren Dauer kein Mitbestimmungsrecht hat. Entsprechend dem Ausnahmecharakter des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ist demzufolge eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit nur gegeben, wenn die Änderung der Arbeitszeitdauer für einen überschaubaren Zeitraum oder für einen von vornherein begrenzten Zeitraum erfolgt. Wird die Arbeitszeit dagegen auf Dauer verkürzt oder verlängert, besteht kein Mitbestimmungsrecht. Mitzubestimmen hat der Betriebsrat nur dann, wenn es sich um eine Abweichung von dem allgemein geltenden Zeitvolumen mit anschließender Rückkehr zur betriebsüblichen Dauer der Arbeitszeit handelt (BAG, Beschluss vom 27.01.1998; AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Sozialeinrichtung - unter B. II. 3. der Gründe; Fitting u.a. a.a.O., § 87 Rz. 133; Däubler/Kittner/Klebe, a.a.O., § 87 Rz. 88; Wiese, GK-BetrVG, a.a.O., § 87 Rz. 384 f.).

Von einer vorübergehenden Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Im Hinblick auf die beabsichtigte Betriebsstilllegung zum 30.09.2002 wurden bereits am 10.06.2002 zunächst 78 Mitarbeiter und nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit am 18.06.2002 später weitere Mitarbeiter der Insolvenzfirma endgültig und unwiderruflich freigestellt. Bei dieser Freistellung handelt es sich nicht um eine vorübergehende Verkürzung der Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Die Freistellung durch den Antragsgegner war im Hinblick auf die beabsichtigte Betriebsstilllegung vielmehr auf Dauer angelegt. Die betriebsübliche Arbeitszeit der freigestellten Mitarbeiter wurde durch die Freistellung nicht berührt. Der Antragsgegner hat für die freigestellten Mitarbeiter lediglich auf Dauer keinen Arbeitsplatz mehr zur Verfügung gestellt. Da diese Freistellungen auf Dauer angelegt waren, fehlt es an einer vorübergehenden Veränderung der betriebsüblichen Arbeitszeit (vgl. BAG, Urteil vom 11.12.2001 - AP Nr. 10 zu § 60 KO; Moll, Anm. zu LAG Hamm, Urteil vom 27.09.2000 - EWiR 2001, 487). Eine Rückkehr zur betriebsüblichen Arbeitszeit beabsichtigt der Antragsgegner jedenfalls nicht. Ob und in welchem Umfang von den Gesellschaftern/Geschäftsführern der Insolvenzfirma eine Fortführung der Produktion in welcher Form und in welchem Umfang auch immer geplant ist, konnte insoweit offen bleiben. Angesichts der vom Antragsgegner angezeigten Masseunzulänglichkeit und der beabsichtigten vollständigen Betriebsstilllegung durch den Antragsgegner scheidet jedenfalls für den vorliegenden Fall ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei der vom Antragsgegner vorgenommenen Freistellung der Mitarbeiter aus.

Der Betriebsrat kann sich auch nicht darauf berufen, bei der Freistellung durch den Insolvenzverwalter müssten die Grenzen billigen Ermessens nach § 315 BGB und soziale Gesichtspunkte beachtet werden. Dies mag zwar im Einzelfall bei individualrechtlicher Betrachtungsweise von Bedeutung sein. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG regelt aber nicht eine etwaige im Individualrechtsstreit zu überprüfende Sozialauswahl, sondern ein kollektivrechtliches Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Veränderung der betriebsüblichen Arbeitszeit.

Die von einem Insolvenzverwalter freigestellten Arbeitnehmer sind - auch ohne Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei der Freistellung - im Falle eines späteren Betriebsüberganges nach § 613 a BGB individualrechtlich nicht ungeschützt. Kommt es tatsächlich zu einem Betriebsübergang oder einem Betriebsteilübergang, gehen auch die Arbeitsverhältnisse freigestellter Arbeitnehmer nach § 613 a BGB auf den Betriebserwerber über. § 613 a BGB erfasst alle Arbeitsverhältnisse, die zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges bestehen und noch nicht beendet sind (KR-Pfeiffer, 6. Aufl., § 613 a BGB Rz. 12 m.w.N.).

c) Die Freistellung der Mitarbeiter der Insolvenzfirma durch den Antragsgegner unterlag auch nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG. Werden die Arbeitnehmer eines Betriebes wegen Betriebsstilllegung von der Arbeitsleistung freigestellt, können betriebliche Interessen den Urlaubswünschen der Arbeitnehmer nicht mehr zuwiderlaufen (LAG Köln, Urteil vom 16.03.2000 - NZA-RR 2001, 310). Ein Verstoß gegen ein etwaiges Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG würde im Übrigen nur die Unwirksamkeit der Urlaubsgewährung, also der Anrechnung des Urlaubsanspruches auf die Freistellung, nicht dagegen die Freistellung selbst betreffen.

Ende der Entscheidung

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