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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 15.03.2006
Aktenzeichen: 11 Sa 1130/05
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 102
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 26.01.2005 - 9 Ca 1599/04 - teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Fa. H2xxxxx B1xxxxxxx GmbH nicht durch die Kündigung vom 26.02.2004 aufgelöst wurde.

Die Kostenentscheidung bleibt den Schlussurteil vorbehalten.

Tatbestand:

Der Kläger und der Beklagte zu 1) streiten über die Rechtswirksamkeit einer Kündigung und der Kläger und die Beklagte zu 2) um einen Betriebsübergang.

Die Fa. H2xxxxx B1xxxxxxx GmbH (im Folgenden: Arbeitgeberin) war mit der Herstellung von Brot und Backwaren befasst. Sie beschäftigte im Betrieb mehr als fünf vollzeitig tätige Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. Im Betrieb bestand ein Betriebsrat. Der am 22.01.13xx geborene Kläger ist ledig. Er wurde mit Wirkung vom 01.08.1989 als Produktionsleiter von der Arbeitgeberin eingestellt und verdiente zuletzt einen Stundenlohn von 17 EUR bei einer monatlichen Arbeitszeit von 195 Stunden. Die Arbeitsaufgaben des Klägers bestanden im Wesentlichen in der Überwachung und Organisation des Produktionsbetriebes sowie in der Herstellung von Brot- und Brötchenteigen. Seit November 2003 war der Kläger arbeitsunfähig krank.

Mit Schreiben vom 19.02.2004 (Abl. Bl. 13 f. d.A.) wurde der Betriebsrat zu einer beabsichtigten Änderungskündigung angehört. Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 25.02.2004 (Abl. Bl. 12 d.A.). Mit Schreiben vom 26.02.2004 (Abl. Bl. 4 d.A.), dem Kläger am 27.02.2004 zugegangen, kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30.06.2004 und bot dem Kläger eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen als Teigmacher zu einem Stundenlohn von 12,53 EUR nebst Tariflohnerhöhung an. Der Kläger nahm das Änderungsangebot nicht an. Mit der am 12.03.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet der Kläger sich gegen diese Kündigung.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 01.09.2004 (255 IN 103/04) wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Von ihm übernahm die Beklagte zu 2) den Restbetrieb der Arbeitgeberin zum 15.11.2004.

Der Kläger hat vorgetragen:

Die Kündigung sei unwirksam. Die klägerischen Leitungs- und Überwachungsaufgaben hätten vom Geschäftsführer der Arbeitgeberin H6xxxxx nicht übernommen werden können und seien von diesem auch nicht übernommen worden. Die weiteren klägerischen Aufgaben seien auf Frau F1xxx, Frau R4xxxxx, Herrn S7xxxxxxx und Herrn G3xxxxx verteilt worden, was zu Überstunden geführt habe. Während seiner Arbeitsunfähigkeit nach Ausspruch der Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sei es zu Überarbeit gekommen. Hier habe es sich auch gezeigt, dass nicht der Geschäftsführer K1xxx H2xxxxx, sondern der Mitarbeiter S7xxxxxxx und der am 16.06.2004 als Bäcker und Konditor eingestellte Arbeitnehmer F2xxxxxx die Arbeitsaufgaben des Klägers übernommen hätten. Der Geschäftsführer K1xxx H2xxxxx beginne seine Arbeit morgens um 07.00 Uhr in seinem Büro, während die Arbeit des Produktionsleiters um 24.00 Uhr beginne und um 10.00 Uhr morgens ende. Das Arbeitsverhältnis sei infolge des Betriebsübergangs auf die Beklagten zu 2) übergegangen. Diese habe nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowohl die von der Arbeitgeberin betriebene Backstube als auch deren Filialen übernommen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Firma H2xxxxx B1xxxxxxx GmbH nicht durch die Kündigung vom 26.02.2004 aufgelöst wurde;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Firma H2xxxxx B1xxxxxxx GmbH als Produktionsleiter zu unveränderten Bedingungen mit der Beklagten zu 2) fortbesteht;

3. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen als Produktionsleiter weiterzubeschäftigen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben vorgetragen:

Die Kündigung sei aus betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt. Vor Ausspruch der Kündigung sei ein Umsatzrückgang von 30 % zu verzeichnen gewesen. Dies habe zu einem entsprechenden Rückgang des Arbeitsaufkommens und der Leitungsaufgaben geführt. Die Gesellschafter der Arbeitgeberin hätten Mitte Februar 2004 den Entschluss gefasst, eine Unternehmensumstrukturierung durch Aufgabe einer Hierarchieebene durchzuführen. Die Position des Produktionsleiters habe entfallen sollen. Die bisher vom Kläger wahrgenommenen Leitungs- und Überwachungsaufgaben habe der Geschäftsführer K1xxx H2xxxxx der Arbeitgeberin übernehmen und die Tätigkeiten des Klägers in der Produktion hätten weitere Arbeitnehmer wahrnehmen sollen. Es sei nicht zu erwarten gewesen, dass diese Maßnahmen zu einer Mehrbelastung der Arbeitnehmer in Gestalt von Überstunden führten, da die Auftragslage rückläufig gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen K1xxx H2xxxxx (vgl. Protokoll vom 26.01.2005 - Abl. Bl. 99 ff. d.A.).

Das Arbeitsgericht Dortmund hat die Klage mit Urteil vom 26.01.2005 - 9 Ca 1599/04 - abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Kündigung sei aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Das Arbeitsverhältnis sei schon deshalb nicht auf die Beklagte zu 2) übergegangen, weil es vor dem behaupteten Betriebsübergang rechtswirksam beendet worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidung wird auf deren Tatbestand und Entscheidungsgründe verwiesen.

Das Urteil ist dem Kläger am 02.05.2005 zugestellt worden. Hiergegen richtet sich die am 01.06.2005 eingelegte und mit dem am 28.06.2005 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 01.12.2005 - 258 IN 142/05 - wurde über das Vermögen der Beklagten zu 2) das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt D2. H7xxxxx zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Rechtsstreit ist insoweit nach § 240 ZPO unterbrochen.

Der Kläger wendet sich unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags zur Sach- und Rechtslage gegen das erstinstanzliche Urteil. Er trägt ergänzend vor: Die bisher von ihm erledigten Aufgaben seien nicht vom Geschäftsführer übernommen, sondern zum einen Teil auf Mitarbeiter übertragen und zum andern Teil vernachlässigt bzw. nicht erledigt worden. Insbesondere die Betriebsleiterfunktion, auszuüben in der Zeit von 24.00 Uhr bis 06.00 Uhr, habe der Geschäftsführer nicht übernommen. Vielmehr sei der Bäckermeister F2xxxxxx eingestellt worden, um die klägerische Position einzunehmen. Die Betriebsratsanhörung sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden.

Der Kläger beantragt in dem nicht unterbrochenen Teil des Rechtsstreits,

das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 26.01.2005, 9 Ca 1599/04 teilweise abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Fa. H2xxxxx B1xxxxxxx GmbH nicht durch die Kündigung vom 26.02.2004 aufgelöst wurde.

Der Beklagte zu 1) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte zu 1) verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags zur Sach- und Rechtslage. Er trägt ergänzend vor: Der Mitarbeiter F2xxxxxx sei für die Tätigkeiten eines Bäckergeselle und nur insoweit auch für bislang vom Kläger erledigte Arbeiten eingestellt worden. Der Geschäftsführer H2xxxxx habe die bislang vom Kläger ausgeübten Leitungsaufgaben ausgeführt, wobei er stichprobenartig Kontrollen durchgeführt habe, was ausreiche. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Das Anhörungsschreiben sei dem Betriebsrat am 20.02.2004 zugegangen und der Betriebsrat habe vor Ausspruch der Kündigung den Widerspruch erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den von ihnen in Bezug genommenen Inhalt der in beiden Rechtszügen zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), wegen des Streitgegenstands zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchst. c ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§ 518 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und innerhalb der Frist (§ 519 Abs. 2 S. 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) begründet worden. Sie hat in der Sache Erfolg.

I. Die Klage gegen den Beklagten zu 1) ist begründet.

Das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Arbeitgeberin wurde durch die Kündigung vom 26.02.2004 nicht rechtswirksam aufgelöst. Die Kündigung ist nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat wurde nicht ausreichend zur beabsichtigten Kündigung angehört.

1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. beispielsweise BAG 4. August 1975 - 2 AZR 266/74; BAG 16. Januar 2003 - 2 AZR 707/01), dass eine Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt anzuhören, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, insbesondere er seiner Unterrichtungspflicht nicht ausführlich genug nachgekommen ist. Dabei dient die Beteiligung des Betriebsrats in erster Linie dem Zweck, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers vorzubringen. Dementsprechend muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitteilen (§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG), d. h., er muss über alle Gesichtspunkte informieren, die ihn zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlasst haben (BAG 16. September 2004 - 2 AZR 511/03). Dabei ist die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers bei der Betriebsratsanhörung zur Kündigung subjektiv determiniert. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht subjektiv tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt hat (st. Rspr. des BAG, beispielsweise BAG 6. Februar 1997 - 2 AZR 265/96; BAG 21. Juni 2001 - 2 AZR 30/00; BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01; BAG 6. November 2003 - 2 AZR 690/02). Dazu gehören auch die dem Arbeitgeber bekannten, dem Kündigungsgrund widerstreitenden Umstände (BAG 6. Februar 1997 - 2 AZR 265/96). Den Kündigungssachverhalt muss der Arbeitgeber in der Regel unter Angabe von Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, so beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann (BAG 13. Mai 2004 - 2 AZR 329/03).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die Anhörung des Betriebsrats vorliegend als fehlerhaft.

Nach den Angaben im Anhörungsschreiben sollte auf die Position des Produktionsleiters verzichtet werden und daher "der Arbeitsplatz", also der Arbeitsplatz des Klägers, wegfallen. Mit dieser Begründung wurde der Betriebsrat über die beabsichtigte Umstrukturierung nicht ausreichend informiert. Die Aufgaben des Klägers gliederten sich in Leitungs- und Überwachungsaufgaben und Produktionsaufgaben. Allein die Leistungs- und Überwachungsaufgaben (laut Anhörungsschreiben die "Leitung der Bäckerei") sollten nach den Angaben im Anhörungsschreiben künftig von dem Geschäftsführer wahrgenommen werden. Damit blieb offen, was mit den Produktionsaufgaben, die nach dem Vortrag der Beklagten den Hauptanteil der Arbeitszeit in Anspruch nahmen, geschehen sollte. Von einer Fortführung dieser Aufgaben, die nicht nur das Teigmachen betreffen, durch den Kläger ist in dem Anhörungsschreiben nicht die Rede. Nach der Aussage des Geschäftsführers hätte er auch Aufgaben der Teigerstellung übernommen oder delegiert. Auch dies zeigt, dass durch das Anhörungsschreiben nicht mitgeteilt wurde, wie die dem Kläger zugewiesenen Produktionsaufgaben künftig erledigt werden sollten.

1. Das Anhörungsschreiben lässt auch nicht erkennen, wie denn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger als Teigmacher aussehen sollte. Nach dem Vortrag der Beklagten war ein Produktionsrückgang von ca. 30% mit proportionaler Auswirkung auf die Einzelaufgaben in der Produktion zu verzeichnen. Damit verblieben entsprechend reduzierte Produktionsaufgaben des Klägers, ohne dass dies im Anhörungsschreiben zum Ausdruck kommt. Tatsächlich sollte der Kläger aber vollzeitig in der Produktion beschäftigt werden, obwohl dort auch die Aufgaben der übrigen Mitarbeiter um 30% zurückgegangen sein sollen. Wie unter diesen Voraussetzungen die Aufgabenaufteilung aussehen sollte, lässt das Anhörungsschreiben offen. Von dem ursprünglich den "Hauptteil" der Gesamtaufgaben ausmachenden Produktionstätigkeiten des Klägers verblieben um 30% reduzierte Aufgaben. Welche Aufgaben sollten hinzukommen? Wie sollte die Beschäftigung der so entlasteten Mitarbeiter aussehen? All dies lässt die Anhörung des Betriebsrats nicht erkennen.

2. Der Betriebsrat konnte also allein aus dem Anhörungsschreiben nicht entnehmen, wie die Weiterbeschäftigung des Klägers als Teigmacher konkret aussehen sollte.

II. Gründe, die Revision nach § 72 Abs.2 ArbGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht ist der aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt. Eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage mit grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor.

Ende der Entscheidung

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