Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 23.12.2004
Aktenzeichen: 11 Sa 1210/04
Rechtsgebiete: SGB


Vorschriften:

SGB § 2
Keine Schadensersatzverpflichtung des Arbeitgebers bei unterbliebenem Hinweis nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III - wie LAG Hamm 07.09.2004 19 Sa 1248/04, n.rkr: BAG 571/04
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgericht Bielefeld vom 01.06.2004 - 2 Ca 872/04 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch, weil diese ihn vor der Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses entgegen § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III nicht über die Verpflichtung zu unverzüglicher Meldung beim Arbeitsamt informiert hat (damaliger Gesetzeswortlaut, jetziger Wortlaut: "bei der Agentur für Arbeit"). Mit schriftlichen Arbeitsvertrag vom 29.08.2003 vereinbarten die Parteien eine befristete Tätigkeit des Klägers als Meister für den Zeitraum vom 01.08.2003 bis zum 31.01.2004. Das monatliche Bruttogehalt betrug 2800,00 EUR. Im Herbst 2003 sprachen die Parteien darüber, dass das Arbeitsverhältnis wohl nicht verlängert werde. Der Kläger meldete sich am 05.01.2004 arbeitslos. Die Bundesanstalt für Arbeit teilte dem Kläger mit Schreiben vom 25.02.2004 "ergänzend zu dem ......... gesondert zugehenden Bewilligungsbescheid" mit: er sei der Verpflichtung nach § 37 b SGB III, sich unverzüglich arbeitssuchend zu melden, nicht nachgekommen; er hätte sich spätestens am 02.11.2003 arbeitssuchend melden müssen, die Meldung sei somit um 65 Tage zu spät erfolgt; sein Anspruch mindere sich um 50,00 EUR für jeden Tag der verspäteten Meldung (längstens jedoch für 30 Tage); es errechne sich so ein Minderungsbetrag von 1500,00 EUR; bis zum vollständigen Erreichen des Minderungsbetrages erhalte er nur die Hälfte des ohne die Minderung zustehenden Betrages; die Höhe des täglichen Abzuges belaufe sich auf 50,00 EUR; die Anrechnung beginne mit dem 01.02.2004. (weitere Einzelheiten: Kopie des Schreibens Bl. 4 d.A.) Gegen den entsprechend ergangenen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein (Information in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer). Mit der am 19.03.2004 zugestellten Klage nimmt der Kläger die Beklagte wegen fehlender Information nach § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III auf Schadensersatz für den Minderungsbetrag in Anspruch. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei ihm zum Ersatz des durch die Kürzung entstandenen Vermögensschadens verpflichtet, weil sie den Hinweis nach § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III versäumt habe. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1500,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 19.03.2004 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat behauptet, sie habe den Kläger in einem Gespräch am 30.09.2003 aufgefordert, sich beim Arbeitsamt über die notwendigen Schritte angesichts der bevorstehenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu informieren. Die Verletzung der Obliegenheit aus § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III begründe zudem keine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers. Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 01.06.2004 abgewiesen. Es bestehe kein Schadensersatzanspruch des Klägers wegen einer Verletzung vertraglicher Pflichten nach §§ 241, 276 BGB. Die Regelung in § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III konkretisiere keine arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Dagegen spreche die Verankerung der Norm im SGB III. Dieses systematische Auslegungsergebnis werde dadurch bestätigt, dass § 37 b SGB III die Verantwortung für die unverzügliche Meldung dem Arbeitnehmer zuordne und diese Verantwortung nicht auf den Arbeitgeber überleite. Gegen dieses am 22.06.2004 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Die Berufung des Klägers ist am 28.06.2004 eingelegt und begründet worden. Der Kläger wendet ein, entgegen den Ausführungen des Arbeitsgerichts sei die Informationspflicht auch eine arbeitsvertragliche Pflicht des Arbeitgebers. Ihre Verletzung verpflichte den Arbeitgeber zum Schadensersatz. Es liege in der Intention des Gesetzgebers, dass bei unterbliebenem Hinweis nach § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III eine Ersatzpflicht des Arbeitgebers begründet werde. Ein anspruchsminderndes Mitverschulden des Klägers könne im Ergebnis nicht angenommen werden. Der Kläger beantragt, die Beklagte und Berufungsbeklagte unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 01.06.2004, Az. 2 Ca 872/04, zu verurteilen, an den Kläger und Berufungskläger EUR 1500,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 19.03.2004 zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Die Verantwortung für die rechtzeitige Meldung beim Arbeitsamt liege bei dem Arbeitnehmer. Aus der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III gehe hervor, dass die Norm ausschließlich arbeitsmarktpolitische Ziele verfolge. Wegen der weiteren Einzelheiten der rechtlichen Argumente der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Entscheidungsgründe: Die statthafte und zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. In Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht ist auch die erkennende Kammer zu dem Ergebnis gelangt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keinen Schadensersatz für eine Kürzung des Arbeitslosengeldes schuldet, wenn er dem Arbeitnehmer anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht die in § 2 Abs. 2 Nr.3 SGB III vorgesehene Information erteilt, dass eigene Aktivitäten bei der Suche nach einer anderen Beschäftigung notwendig sind und eine Verpflichtung zu unverzüglicher Meldung beim Arbeitsamt besteht (neuer Gesetzeswortlaut des § 2 Abs. 3 Nr.3 SGB III: Bundesagentur für Arbeit). 1. Diese Auffassung wird auch von den anderen hier bekannten arbeitsgerichtlichen Entscheidungen zur Problematik des § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III vertreten (a.A. aber beispielsweise: Zieglmeier, Meldepflicht bei der Agentur für Arbeit ....., DB 2004, 1830 ff mwN). Das ArbG Verden hat in seinem Urteil vom 27.11.2003 ausgeführt, es handele sich bei um eine "Soll"-Vorschrift, die keine zwingende Verpflichtung des Arbeitgebers begründe und allein sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen und keine zivilrechtlichen Folgen habe ( ArbG Verden 27.11.2003 - 3 Ca 1567/03 - NZA-RR 2004,103 u. LAGE § 2 SGB III Nr.1). Die 19.Kammer des erkennenden Gerichts hat am 07.09.2004 ebenso entschieden und in der Begründung hervorgehoben: Weder nach §§ 241 Abs.2, 280 Abs.1 S.1 BGB noch nach §§ 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III bestehe ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen eines unterbliebenen Hinweises; es handele sich bei § 2 Abs.3 Nr.3 SGB III um eine öffentlich-rechtliche Bestimmung zum Zusammenwirken von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit den Agenturen für Arbeit mit dem Ziel, den Eintritt einer Arbeitslosigkeit möglichst zu vermeiden; § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III verfolge nicht den Zweck, dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Erstattung einer Kürzung des Arbeitslosengeldes wegen verspäteter Meldung gemäß § 140 SGB III einzuräumen; der unterbliebene Hinweis könne für die Frage von Bedeutung sein, ob die Agentur für Arbeit den Anspruch des Arbeitslosen kürzen dürfe, was vor den Sozialgerichten auszutragen sei; wenn das SGB III eine Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für eine eingetretene Arbeitslosigkeit annehme, führe dies zu einer Erstattungspflicht des Arbeitgebers an die Agentur für Arbeit, nicht aber zu Ersatzansprüchen des Arbeitnehmers; eine unabhängig von § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III bestehende Aufklärungspflicht mit schadensersatzrechtlichen Rechtsfolgen komme nur nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht, etwa wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im konkreten Einzelfall zur Aufgabe seines Arbeitsplatzes veranlasst habe oder ihn falsch über die arbeitsförderungsrechtlichen Rechtsfolgen eines Ausscheidens aus dem Betrieb informiert habe; diese Voraussetzungen seien jedoch nicht bereits dann erfüllt, wenn der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer einen befristeten Arbeitsvertrag abgeschlossen habe (LAG Hamm 19 Sa 1248/04 m. umf. Nachw. zum Meinungsstand - nicht rechtskräftig: Revision BAG 8 AZR 571/04). Das LAG Düsseldorf schließlich stellt darauf ab, § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III verkünde nur eine programmatische Zielvorstellung; die konkrete Statuierung und Ausgestaltung von Handlungspflichten und von Rechtsfolgen bei Pflichtverstößen fänden erst in nachfolgenden spezifischen Regelungen statt, so in §§ 37 b, 140 SGB III mit der Anspruchskürzung zu Lasten des Arbeitnehmers bei nicht unverzüglicher Meldung. Eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers für eine den Arbeitnehmer nach §§ 37 b, 140 SGB III treffende Anspruchskürzung sehe das SGB III als Rechtsfolge eines unterbliebenen Hinweises nach § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III gerade nicht vor; es handele sich bei § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III um eine in den allgemeinen Appellationscharakter dieser Gesetzesvorschrift eingebettete Informationsobliegenheit; es könne nicht Sache der Gerichte sein, politische Rücksichtnahmen und Zurückhaltung des Gesetzgebers durch forsche Gesetzesauslegung zu kompensieren (LAG Düsseldorf 27.09.2004 12 Sa 1323/04). 2. Auch die erkennende Kammer verneint eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers bei unterlassenem Hinweis nach § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III. a) Ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs.1 BGB wegen der Verletzung einer Pflicht aus dem Schuldverhältnis scheidet aus, weil eine arbeitvertraglich qualifizierte Hinweispflicht i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr.3 SGB III nicht besteht. aa) Eine solche folgt nicht aus § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III. Dies ist das Ergebnis einer Auslegung dieser Norm. Der Wortlaut statuiert durch die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Sollvorschrift eine Verhaltensmaßregel minderer Intensität. Der Gesetzgeber hat von strikteren Formulierungen wie "muss informieren" oder "hat zu informieren" abgesehen. Der systematische Standort im SGB III spricht gegen eine arbeitsvertraglich zu qualifizierende Hinweispflicht. Im SGB III sind die Rechtsbeziehungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zur damaligen Bundesanstalt für Arbeit und jetzt zur Bundesagentur für Arbeit geregelt. Im Regelungszusammenhang des SGB III findet sich keine Sanktion gegen den Arbeitgeber für unterlassene Hinweise nach § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III, geregelt ist nur die Kürzung des Arbeitslosengeldanspruches gegenüber dem sich verspätet meldenden Arbeitnehmer. Der ebenfalls in § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III vorgesehenen Freistellung des Arbeitnehmers hatte der ursprüngliche Gesetzesentwurf zunächst mit § 629 a BGB eine korrespondierende zivilrechtliche Norm an die Seite gestellt (BT-Drucksache 15/25, S.20 - zum weiteren Gang der Gesetzgebung: Düwell FA 2003, 109, 111) . Eine solche ergänzende zivilrechtliche Normsetzung fand und findet sich zu § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III nicht. Der Gesetzesbegründung lässt sich als Zwecksetzung des § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III entnehmen, dass der Arbeitgeber durch den Hinweis nach § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III daran mitwirken soll, dass Arbeitslosigkeit durch eine frühzeitig ermöglichte Vermittlung gar nicht erst eintritt oder zumindest möglichst kurz währt ( BT-Drucksache 15/25 v. 05.11.2002, S. 25, 26 unter B "zu Buchstabe a"). Der Arbeitgeber soll durch sein Mitwirken den Übergang des Arbeitnehmers in eine neue Beschäftigung unterstützen. Eine schadensersatzbewehrte Vertragspflicht zu arbeitsförderungsrechtlichen Hinweisen an den Arbeitnehmer ist durch § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III nicht begründet. bb) Eine Vertragspflicht der Beklagten, den Kläger über die ihn treffende Obliegenheit zu frühzeitiger Meldung beim Arbeitsamt aufzuklären, ergibt sich auch nicht unabhängig von § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III nach allgemeinen Grundsätzen. Weder hat die Beklagte den Kläger zur Aufgabe eines Arbeitsverhältnisses veranlasst noch hat sie durch Rechtsausführungen bestimmte (Fehl-)Vorstellungen des Klägers zu seiner arbeitsförderungsrechtlichen Rechtsposition begründet (vgl. zu den Grundsätzen einer solchen Aufklärungspflicht: BAG 17.10.2000 3 AZR 605/99 und BAG 10.03.1988 8 AZR 420/85 AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116 u. 99; ErfK-Preis, 5.Aufl. 2005, § 611 BGB Rz. 782; - und verneinend für Fallgestaltungen der vorliegenden Art: LAG Hamm aaO unter II 1, LAG Düsseldorf aaO unter II 1 b). b) Ein Ersatzanspruch besteht auch nicht nach § 823 Abs.2 BGB i.V.m § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III. Voraussetzung einer Ersatzpflicht nach § 823 Abs.2 BGB ist die Verletzung eines zugunsten des Anspruchsstellers bestehenden Schutzgesetzes. Das verletzte Gesetz muss dabei zumindest auch den Zweck verfolgen, den Anspruchssteller gegen die Verletzung eines Rechtsgutes zu schützen (Palandt-Thomas, BGB 63. Auflage 2004, § 823 Rz. 141). Aus den oben unter 2 a) aa) ausgeführten Gründen ist § 2 Abs.2 Nr.3 SGB III kein Schutzgesetz, das den Arbeitnehmer vor einer Kürzung seines Anspruches auf Arbeitslosengeld gemäß §§ 37 b, 140 SGB III schützen soll. Gesetzeszweck ist vielmehr, auch den Arbeitgeber zur Mitwirkung zu veranlassen, um so im Sinne der Solidargemeinschaft den Eintritt des Versicherungsfalls Arbeitslosigkeit möglichst zu vermeiden und die Dauer eingetretener Arbeitslosigkeit möglichst einzugrenzen (Küttner-Voelzke, Personalhandbuch 2004, 43 Arbeitslosengeld Rz. 81; Bepler, juris PR-ArbR 35/2004 v. 01.09.2004 Anm. 3; Wolf, Doch keine Informationspflicht ?, NZA-RR 2004, 337ff) 3. Bei der hier gefundenen Lösung spielt es keine Rolle, ob das Arbeitsamt in der vorliegenden Situation trotz unterbliebenen Hinweises befugt war, den Anspruch des Klägers zu kürzen (bejahend entgegen der Vorinstanz: LSG B-W 09.06.2004 L 3 AL 1267/04), und ob dem Kläger die widerspruchslose Hinnahme des kürzenden Bescheides des Arbeitsamtes als Mitverschulden anzurechnen ist. Auch kommt es nicht auf die Rechtsfrage der von dem SG Frankfurt/Oder jüngst angenommenen Verfassungswidrigkeit der Kürzungsmöglichkeit an (Vorlagebeschluss zu § 140 SGB III v. 01.04.2004 S 7 AL 42/04 - Az. BverfG 1 BvL 6/04).

Ende der Entscheidung

Zurück