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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 24.11.2006
Aktenzeichen: 13 Sa 1100/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 27.04.2006 - 6 Ca 326/06 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor folgende Fassung erhält:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.01.2006 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Drucker zu unveränderten Arbeitsbedingungen in D3xxxxxx bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

4. Der Streitwert wird auf 22.500,00 € festgesetzt.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung; der Kläger begehrt seine Weiterbeschäftigung.

Der am 21.11.12xx geborene, ledige Kläger trat mit Wirkung ab 01.10.1990 als Drucker zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 4.500,00 € in die Dienste der Beklagten, einem Betrieb mit ca. 80 Beschäftigten, in dem unter anderem eine D7xxxxxxxx Tageszeitung gedruckt wird. Der Kläger ist Mitglied des Betriebsrates.

Am Mittwoch, den 28.12.2005, nahm er an einer ab 20.02 Uhr stattgefundenen Betriebsversammlung teil, bevor er um 20.58 Uhr das Zeiterfassungsgerät bediente. Seine Schicht begann an diesem Tag um 22.00 Uhr; erst ab diesem Zeitpunkt berücksichtigte das Zeiterfassungssystem die (vergütete) Arbeitszeit, die sich ohne Pause bis 4.00 Uhr erstreckte.

Der Kläger war an dem Abend an der älteren Druckmaschine "Commander" tätig, und zwar neben zwei weiteren Druckern und drei Rotationshelfern. Alle genannten Mitarbeiter sind grundsätzlich in den 30 Minuten zwischen Schichtbeginn und Zeitungsandruck um 22.30 Uhr mit der Einrichtung der Maschine voll beschäftigt. Dies galt besonders für die in Rede stehende Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, weil die Druckmaschine nach der vorherigen Nachtschicht nicht gereinigt worden und in der Tagschicht ungenutzt geblieben war.

Der Kläger brachte an diesem Abend mehrere 100 Flugblätter (Bl. 30 d. Akten) seiner Gewerkschaft ver.di mit in den Betrieb. Er war von dieser beauftragt worden, den darin enthaltenen Aufruf zur Teilnahme an den bevorstehenden Betriebsratswahlen an die Zusteller zu verteilen. Zu diesem Zweck sprach er verschiedene im Gebäudekomplex tätige Beschäftigte an und bat sie, Flugblätter zu Hause an ihre Briefkästen zu heften. Er wandte sich unter anderem auch an die im Postversand A und B tätigen Mitarbeiter der Firma M6 Z1xxxxxxxxxxxxxxx-G2xxxxxxxxxx mbH & Co. (im folgenden kurz: Fa. M6). Der dort beschäftigte Arbeitnehmer M7xxx machte den Vorschlag, die Flugblätter - gemeinsam mit den Tourenblättern - auf die zu verpackenden Zeitungen zu legen. Dem stimmte der Kläger zu. Auf dem Rückweg berichtete er der bei der Beklagten tätigen Mitarbeiterin A2xxx im Postversand C von der Idee, woraufhin auch dort Flugblätter den Postsendungen beigefügt wurden.

Der Kläger war deshalb zumindest in der Zeit von 22.10 Uhr bis kurz vor 22.30 Uhr nicht an seinem Arbeitsplatz. Bevor pünktlich um 22.30 Uhr der Zeitungsdruck begann und innerhalb des üblichen Zeitplans abgeschlossen wurde, waren noch die letzten aus Aktualitätsgründen bis 22.24 Uhr belichteten Druckplatten in die Maschine eingelegt worden. Die Zeitungen wurden pünktlich verpackt und an die Zusteller ausgeliefert.

Mit einem fünfseitigen Schreiben vom 05.01.2006 beantragte die Beklagte beim Betriebsrat die Zustimmung zur fristlosen Kündigung des Klägers, die daraufhin mit Schreiben vom 06.01.2006 erteilt wurde. Hinsichtlich des Inhalts beider Schreiben wird Bezug genommen auf die mit Klageschriftsatz vom 19.01.2006 eingereichten Kopien (Bl. 24 - 29 der Akten).

Daraufhin sprach die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 09.01.2006 (Bl. 22 der Akten), zugegangen am selben Tag, die "außerordentliche, fristlose" Kündigung aus.

Gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung wendet sich der Kläger mit der am 20.01.2006 erhobenen Klage.

Er hat behauptet, am 28.12.2005 gemeinsam mit einem Kollegen bereits vor 22.00 Uhr mit der Einrichtung der Druckmaschine begonnen zu haben; nach der Betriebsversammlung seien nämlich alle bereits ca. eine Stunde vor Schichtbeginn im Betrieb anwesend gewesen. So sei die "Commander" um 22.10 Uhr, als er seinen Arbeitsplatz verlassen habe, komplett eingerichtet gewesen. Lediglich die Titel- und die Hauptsportseite seien aus Aktualitätsgründen - wie immer - erst kurz vor Andruck eingespannt worden. Daran sei er im vollen Umfang bzgl. der in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden Rot- und Blauform der Titelseite beteiligt gewesen.

Zuvor sei er nach Aufenthalten im Postversand der Linie C und im Postversand A + B gegen 22.20 Uhr zur Druckmaschine zurückgekehrt. Da keine Arbeit vorhanden gewesen sei, habe er in Absprache mit dem Maschinenführer L4xxxxxxxxxx den Betriebsratsvorsitzenden P1xxx aufgesucht und sei im Vorbeigehen auf den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden T1xxxx getroffen; beiden habe er Flugblätter zur Weiterleitung übergeben. Deutlich vor 22.30 Uhr sei er dann wieder an die Maschine zurückgekehrt und habe die restlichen Arbeiten ordnungsgemäß erledigt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, durch die Flugblattaktion sei der Beklagten kein Schaden entstanden. So sei in seiner Abwesenheitszeit nichts für ihn zu tun gewesen. Die von ihm angesprochenen Mitarbeiter habe er auch nicht von der Arbeit abgehalten. Durch das Zupacken der Flugblätter sei es nicht zu einer Verlängerung der Arbeitszeiten der betroffenen Mitarbeiter in den Postversandbereichen A, B und C gekommen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 09.01.2006 nicht aufgelöst worden ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern über den 09.01.2006 hinaus fortbesteht,

3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Drucker in D3xxxxxx über die Kündigungsfrist hinaus weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Kläger habe sich am 28.12.2005 weder vor noch nach Beginn seiner Arbeitszeit an der Einrichtung der Druckmaschine beteiligt. An seinem Arbeitsplatz sei er frühestens um 22.30 Uhr erschienen und habe sich um 22.45 Uhr nochmals zur Fortführung der Flugblattaktion in einer anderen Produktionshalle aufgehalten.

Die Abwesenheit des Klägers jedenfalls ab 22.10 Uhr sei nicht hinnehmbar, weil es aus Aktualitätsgründen jederzeit zu einem Arbeitsanfall kommen könne; im Übrigen fielen an der alten Druckmaschine immer Pflege- und Wartungsarbeiten von kurzer Dauer an.

Was die Verteilung von Flugblättern angehe, habe der Kläger in der sensibelsten Produktionsphase von 21.30 Uhr - 2.30 Uhr die Arbeit behindert, indem er Mitarbeiter mit betriebsfremden Arbeiten befasst habe. Durch das Einstecken der Flugblätter seien ihr, der Beklagten, etwa 1,5 Arbeitsstunden entgangen - mit einem Schaden in Höhe von 22,50 €.

Durch die Flugblattaktion sei der Vertrieb empfindlich gestört worden. Deshalb habe sich die Firma V2xxxx L1xxxxx- W1xxx GmbH & Co.KG (im folgenden kurz: Verlag) mit Schreiben vom 04.01.2006 die Geltendmachung einer Vertragsstrafe von bis zu 50.000,00 € vorbehalten.

Das Arbeitsgericht hat mir Urteil vom 27.04.2006 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, selbst bei einer unterstellten 3/4stündigen Abwesenheit des Klägers am 28.12.2005 ab 22.00 Uhr rechtfertige dieser Pflichtverstoß keine fristlose Kündigung, weil in der Produktion kein Schaden entstanden sei und die Beklagte ihre geschuldeten Leistungen gegenüber Dritten im Ergebnis ordnungsgemäß erbracht habe. Selbst bei Annahme eines wirtschaftlichen Nachteil in Höhe von 22,50 € stehe dem die Beanstandungsfreie Tätigkeit des Klägers über mehr als 15 Jahre gegenüber.

Gegen dieses der Beklagten am 01.06.2006 zugestellte Urteil hat sie am 30.06.2006 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel zugleich auch begründet.

Sie ist der Ansicht, der Kläger habe sich eines die fristlose Kündigung rechtfertigenden Betruges strafbar gemacht, als er am 28.12.2005 trotz Betätigung des Zeiterfassungsgeräts seine Arbeit zu Schichtbeginn nicht aufgenommen habe.

So habe er die erforderlichen laufenden und vielfältigen Reinigungs-, Wartungs- und Kontrollarbeiten unterlassen und damit die Störanfälligkeit der älteren Druckmaschine "Commander" erhöht.

Im Übrigen habe er sich von seinem Arbeitsplatz unerlaubt entfernt, um Flugblätter zu verteilen. In dem Zusammenhang habe er unzulässigerweise Betriebsmittel zu eigenen Zwecken in Anspruch genommen und den Ablauf im Versandbereich gestört. Dadurch sei sie gezwungen gewesen, Ende Januar 2006 an den Verlag wegen einer Verletzung des Geschäftsbesorgungsvertrages vom 11.11.2004 (Bl. 286 ff. der Akten) eine Vertragsstrafe in Höhe von 40.000,00 € zu zahlen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird insoweit verwiesen auf die Ausführungen im Beklagtenschriftsatz vom 31.07.2006 nebst Anlagen (Bl. 283 ff. der Akten).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 27.04.2006 - 6 Ca 326/06 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass Ziffer 2 des arbeitsgerichtlichen Tenors entfällt und die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits verlangt wird.

Er behauptet, am Abend des 28.12.2005 ab 22.10 Uhr nach ordnungsgemäßem Abschluss der Maschineneinrichtung lediglich im Umfang von 10 Minuten für die Weitergabe von etwa 300 Flugblättern an Zeitungszusteller gesorgt zu haben. Der fristgerechte Andruck und die pünktliche Fertigstellung des Druckauftrages seien dadurch nicht beeinträchtigt worden.

Durch die Flugblattaktion sei kein materieller Schaden entstanden. Namentlich liege keine Rufschädigung vor, weil die Flugblätter nur den Zustellern ausgehändigt worden seien.

Wegen des weiteren Vorbringens beider Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Denn das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.01.2006 aufgelöst worden ist, und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung verurteilt.

I.

Nach § 626 Abs. 1 BGB ist die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber nur dann gerechtfertigt, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer diesem unter Berücksichtung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht mehr zumutbar ist, das Vertragsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen.

1. In diesem Zusammenhang entspricht es allgemeiner Meinung, dass Manipulationen im Zusammenhang mit der elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten wegen des damit verbundenen schweren Vertrauensbruchs die sofortige Beendigung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen können (vgl. z.B. BAG AP SGB IX § 91 Nr. 4; AP BGB § 123 Nr. 51; AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 7; LAG Hamm DB 1986, 1338; LAG Köln LAGE BGB § 626 Nr. 153; ErfK/Müller-Glöge, 7. Aufl., § 626 Rdnr. 158; KR/Fischermeier, 7. Aufl., § 626 BGB Rdnr. 444).

Die genannten Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt.

So bleibt auch in der von der Beklagten in Auftrag gegebenen gutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. N2xxxx ausweislich des unter II. des Gutachtens wiedergegebenen Sachverhaltes der für die Gesamtbeurteilung wesentliche Gesichtspunkt unberücksichtigt, dass der Kläger vorträgt, er habe am 28.12.2005 bereits vor 22.00 Uhr den größten Teil der von ihm bis 22.30 Uhr geschuldeten Arbeit erbracht. In dem Zusammenhang führt die Beklagte in dem umfangreichen Berufungsschriftsatz vom 30.06.2006 auf Seite 18 "lediglich" aus, dafür gebe es keine Anhaltspunkte, jedenfalls sei dem Schichtführer K3xxxx nichts aufgefallen. Dabei verkennt sie, dass sie für den kündigungsrelevanten Sachverhalt in vollem Umfang darlegungspflichtig ist. Dazu gehört hier ein Vortrag, der es ausschließt, dass der Kläger bereits vor 22.00 Uhr einen Großteil der von ihm eigentlich erst nach 22.00 Uhr geschuldeten Arbeitsleistung erbracht hat. Denn nur im Falle einer ganz unterlassenen Arbeitsleistung kann der für einen Betrug relevante Schaden und der damit einhergehende gravierende Vertrauensbruch eintreten (vgl. gutachterliche Stellungnahme, Seite 13 f. B. IV. 1. e). Anderenfalls liegt "nur" ein Verstoß gegen den mit dem Betriebsrat im Rahmen des § 87 Abs 1 Nr. 2 BetrVG vereinbarten Beginn der Arbeitszeit erst ab 22.00 Uhr vor. Diese Verletzung der betrieblichen Ordnung könnte allenfalls dann kündigungsrelevant sein, wenn die Beklagte dargelegt hätte, dass der Produktionsprozess in der Nacht vom 28. zum 29.12.2005 durch eine eigenmächtige Verlagerung der Arbeitszeit seitens des Klägers konkret beeinträchtigt worden ist, beispielsweise durch Störungen, die durch die Druckmaschine "Commander" hervorgerufen worden sind.

So ist zugunsten des Klägers davon auszugehen, dass er in möglicherweise abmahnwürdiger Art und Weise am 28.12.2005 bis kurz vor 22.30 Uhr die Lage seiner Arbeitszeit eigenmächtig verändert hat. Da aber eine messbare Beeinträchtigung der betrieblichen und/oder wirtschaftlichen Interessen der Beklagten nicht feststellbar ist, scheidet unter diesem Gesichtspunkt der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung aus.

2. Auch die vom Kläger durchgeführte Flugblattaktion kann die außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen.

a) In dem Zusammenhang ist vorauszuschicken, dass er am Abend des 28.12.2005 erkennbar als Vertreter der Gewerkschaft ver.di Flugblätter verteilt hat und insoweit für sich den verfassungsrechtlichen Schutz in Anspruch nehmen kann, den Art. 9 Abs. 3 GG der Werbung für seine Gewerkschaft angedeihen lässt, und zwar auch während der Arbeitszeit (vgl. BVerfG AP Art. 9 GG Nr. 80). Dem gegenüber steht die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers, die insbesondere bei einer Störung des Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens tangiert ist (BverfG, a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser grundrechtlich geschützten Positionen beider Vertragspartner kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger, als er während der Arbeitszeit die Flugblätter zum Anbringen an Briefkästen und zum Versand mit den Zeitungen verteilte, in kündigungsrelevanter Art gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat.

So lässt sich weder bei ihm selbst noch bei den von ihm kontaktierten Personen feststellen, dass sie dadurch in nennenswertem Umfang von der Verrichtung ihrer geschuldeten Arbeitsleistung abgehalten worden sind; vielmehr hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen, dass die Produktion und Auslieferung der Zeitung auch in der Nacht vom 28. zum 29.12.2005 ungehindert und ohne Verzögerung vonstatten gegangen ist.

b) Was den Gesichtspunkt angeht, dass der Vertriebsweg unzulässigerweise genutzt wurde, um kostenlos gewerkschaftliche Flugblätter an Zeitungszusteller zu verteilen, ist zunächst einmal zu bemerken, dass dies nicht die Idee des Klägers war, sondern auf einen Vorschlag des M6-Mitarbeiters M7xxx zurückgeht. Dieser wurde deshalb bemerkenswerterweise von seinem Arbeitgeber bei einer zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Personenidentität auf Geschäftsführerebene nicht mit einer Kündigung belegt.

Es bleibt allerdings festzuhalten, dass der Kläger sich den unrechtmäßigen Vorschlag des Arbeitnehmers M7xxx zu eigen gemacht hat und anschließend seine Kollegin A2xxx im Postversand C dazu gebracht hat, entsprechend zu verfahren.

Dieses weder mit der Beklagten noch mit der Firma M6 abgestimmte Verhalten ist zwar arbeitsvertragswidrig, kann aber namentlich angesichts eines im Kündigungszeitpunkt über 15 Jahre beanstandungsfrei bestandenen Arbeitsverhältnisses allenfalls den Ausspruch einer Abmahnung rechtfertigen, nicht aber die sofortige Beendigung des Vertragsverhältnisses.

c) Was schließlich die von Seiten des Verlages mit Schreiben vom 04.01.2006 geltend gemachte und erst rund drei Wochen nach Anhörung des Betriebsrates und Ausspruch der streitbefangenen Kündigung gezahlte Vertragsstrafe in Höhe von 40.000,00 € angeht, kann dieser Gesichtspunkt ebenfalls die streitbefangene Kündigung nicht rechtsfertigen. Es handelt sich nämlich um eine der Höhe nach weit überzogene und damit insgesamt unwirksame Sanktionierung einer Verletzung des Geschäftsbesorgungsvertrages vom 11.11.2004, wobei bemerkenswerterweise wiederum innerhalb des "Medienhauses L1xxxxx" sowohl auf Seiten der Beklagten wie auch auf Seiten des anspruchstellenden Verlages Herr L3xxxxx L1xxxxx-W1xxx als damaliger jeweiliger Mitgeschäftsführer tätig geworden ist.

Auslöser für die Beanspruchung der Vertragsstrafe war ein Schreiben der Firma L1xxxxx-W1xxx Pressevertriebsgesellschaft mbH & Co. KG vom 03.01.2006, in dem diese darauf hinwies, sie müsse fortan bis zur Betriebsratswahl, also über eine Zeitraum von nur maximal fünf Monaten bis Ende Mai 2006, Stichproben durchführen, wodurch es zu Verzögerungen bei der Zeitungsauslieferung kommen könne. Wenn in einer solchen Konstellation der Verlag sich mit Schreiben vom 04.01.2006 an die Beklagte gewandt hat mit der Erwartung, dass geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um Wiederholungsfälle zu vermeiden, war dies eine angemessene Reaktion auf die vom Kläger (mit)veranlasste Flugblattaktion und des damit einhergegangenen Verstoßes gegen den Geschäftsbesorgungsvertrag vom 11.11.2004. Zur "Absicherung der Gewährleistung einer höchstmöglichen Produktions- und Terminierungssicherheit" bedurfte es nicht zusätzlich der Verhängung einer Vertragsstrafe "für den Fall entsprechender Gefährdungen" und bei Gefahren für "das gute Ansehen der Zeitungstitel" (vgl. § 3 des Vertrages).

Die geschilderten Gefahrenlagen, sollten sie angesichts der Aushändigung der Flugblätter nur an die Zeitungszusteller überhaupt entstanden seien, konnten vielmehr durch entsprechende Anweisungen an alle betroffenen Arbeitnehmer, zukünftig den Zeitungssendungen keine ungenehmigten Flugblätter beizulegen, ohne weiteres ausgeräumt werden.

Nach alledem ist die außerordentliche Kündigung unwirksam.

II.

Der Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten auf Fortbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen ergibt sich aus den §§ 611, 613, 242 BGB i.V.m. Artikel 1, 2 Abs. 1 GG.

Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Großen Senats des BAG (AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14) kann der gekündigte Arbeitnehmer die arbeitsvertragsgemäße Beschäftigung über den Zeitpunkt des Zugangs der streitbefangenen Kündigung hinaus verlangen, wenn diese unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers nicht entgegenstehen.

In Fällen wie hier, wo die Kündigungen, wie unter I. der Gründe festgestellt, rechtsunwirksam sind, überwiegt in aller Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers. In einer solchen Situation ist es die Aufgabe des Arbeitgebers, zusätzliche Umstände darzulegen, aus denen sich im Einzelfall ein fortdauerndes vorrangiges Interesse ergibt, den Arbeitnehmer trotzdem nicht zu beschäftigen (BAG AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14, Bl. 13 R f.).

Solche besonderen Umstände sind vorliegend von der Beklagten nicht dargelegt worden. So war auch dem Beschäftigungsbegehren des Klägers stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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