Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 21.12.2004
Aktenzeichen: 13 Sa 1279/04
Rechtsgebiete: SGB VII, BGB


Vorschriften:

SGB VII § 104
BGB § 823
BGB § 847
BGB § 253
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 12.05.2004 - 7 Ca 229/04 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Tatbestand: Die Klägerin macht aus einem Arbeitsunfall Schmerzensgeld gegenüber den Beklagten geltend und will festgestellt wissen, dass diese auch zum Ersatz aller zukünftigen Schäden verpflichtet sind. Die Klägerin war seit dem 01.08.2000 in der Buchbinderei des F1xxxxxxx W1xxxxx H3xxxxx O1xxxxxx tätig; dieser ist am 24.03.2002 verstorben und allein von seiner Ehefrau, der Beklagten zu 1), beerbt worden. Am 22.01.2001 übte die Klägerin ihre Tätigkeit an der Registerschneidemaschine Hunkeler (Baujahr 1980/1981), Typ RE 320, aus. Beim Bedienen der Maschine (Einlegen des Materials, Fixieren des Materials an den Anschlägen und Auslösen des Schneidevorganges mittels eines Fußschalters) löste sie versehentlich den Fußschalter aus, während sich ihre linke Hand noch unter dem Abschlagsmesser befand. Bei dem ausgelösten Stanzvorgang wurden vier Langfinger der linken Hand abgetrennt. Die erforderliche stationäre Behandlung dauerte vom 22.01. bis zum 28.01.2001. Daran schloss sich eine weitere ambulante berufsgenossenschaftliche Behandlung in Bielefeld sowie eine erneute stationäre Behandlung vom 19.06. bis zum 24.08.2003 in der Median-Klinik für Rehabilitationen in Bad Salzuflen an. Die Klägerin ist seit dem Arbeitsunfall auf eine Teilprothese angewiesen; wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 % bezieht sie seit dem 28.04.2003 von der zuständigen Berufsgenossenschaft eine Rente auf unbestimmte Zeit. Ausweislich einer "Technischen Mitteilung" vom 24.02.1986 (Bl. 10 d.A.) wurden bei der zum Einsatz gekommenen Registerschneidemaschine Abweichungen von Unfallverhütungsvorschriften festgestellt. Wegen der Möglichkeit, über den Abschlager in die Gefahrstellen am Messer zu greifen, wurde die Installation einer achtkanaligen Lichtschranke vorgesehen. In einem Schreiben des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes Bielefeld vom 08.07.1986 (Bl. 11 f. d.A.), gerichtet an die Firma H3xxxxx O1xxxxxx, wurde auf die Notwendigkeit einer Absicherung der Gefahrenstellen am Messer bzw. am Abschlager und eine entsprechende Nachrüstung hingewiesen. In einem Schreiben der Berufsgenossenschaft Druck- und Papierverarbeitung vom 31.10.1986 (Bl. 13 ff. d.A.) wurde auf den Inhalt des letztgenannten Schreibens verwiesen, bevor diese Behörde mit Schreiben vom 20.06.1988 (Bl. 17 ff. d.A.) nochmals ausführte: "... Diese Auflagen sind umgehend zu erfüllen oder die Registerschneidemaschinen sind stillzulegen". In einem weiteren Schreiben vom 11.04.1989 (Bl. 22 f. d.A.) bat man nochmals darum, die Beanstandungen unverzüglich zu beheben und dies zu einem bestimmten Zeitpunkt schriftlich zu bestätigen; Entsprechendes verlangte man letztmals mit Schreiben vom 20.06.1990 (Bl. 176 ff. d.A.). Die Klägerin hat behauptet, unfallursächlich sei gewesen, dass ihr damaliger Arbeitgeber O1xxxxxx trotz der vorgenannten behördlichen Schreiben untätig geblieben sei und die vorgeschriebene und mehrfach geforderte sicherheitstechnische Nachrüstung der Maschine zur Absicherung des Schnittwerkzeuges nicht vorgenommen habe. Er habe hartnäckig die wiederholten Aufforderungen ignoriert und bewusst seine Mitarbeiter gefährdet. Daraus folge, so hat die Klägerin gemeint, dass er in Kauf genommen habe, dass die an den Maschinen eingesetzten Mitarbeiter zu Schaden kommen konnten. Deshalb sei aufgrund der gravierenden Verletzungsfolgen und der weiter behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 € angemessen. Da im Übrigen ungewiss sei, wie lange die psychotherapeutische Behandlung noch andaure und ob die Chance bestehe, nach der beruflichen Eingliederungsmaßnahme einen behindertengerechten Arbeitsplatz zu erhalten, verbunden mit dem Risiko eines Erwerbsschadens, sei auch die Feststellung zu treffen, dass die Beklagten verpflichtet seien, ihr zukünftig sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen. Auch die beklagte Firma O1xxxxxx B2xxxxxxxxxx GmbH & Co. KG sei wegen eines erfolgten Betriebsübergangs zum Ersatz der geltend gemachten Schäden verpflichtet. Insoweit hat die Klägerin behauptet, der Betrieb der Einzelfirma H3xxxxx O1xxxxxx sei Anfang April 2001 auf die nunmehr Beklagte zu 2) übertragen worden. Diese habe die vorhandene Betriebsausstattung sowie die laufenden Aufträge übernommen. Sämtliche Beschäftigten seien ohne Unterbrechung weiterbeschäftigt worden. Die Klägerin hat beantragt, 1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen; 2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin den ihr zukünftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben bestritten, dass der ehemalige Firmeninhaber O1xxxxxx mit Vorsatz gehandelt habe. Im Übrigen hat die nunmehr Beklagte zu 2) behauptet, es habe keine rechtsgeschäftliche Vereinbarung über den Übergang des Betriebes gegeben. Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 12.05.2004 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem klägerischen Vortrag lasse sich ein Vorsatz des damaligen Firmeninhabers O1xxxxxx nicht entnehmen. Namentlich angesichts des Zeitraums zwischen dem letzten Schreiben der Berufsgenossenschaft vom 20.06.1990 und dem Vorfall am 22.01.2001 könne aus den Umständen nicht geschlossen werden, dass arbeitgeberseits ein Unfallereignis wie geschehen billigend in Kauf genommen worden sei. Gegen dieses ihr am 09.06.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 06.07.2004 Berufung eingelegt und diese am 06.08.2004 begründet. Sie ist der Ansicht, ein vorsätzliches Verhalten des damaligen Firmeninhabers O1xxxxxx ergebe sich daraus, dass er trotz mehrfacher behördlicher Aufforderungen die Registerschneidemaschine nicht habe nachrüsten lassen, sie vielmehr unter Gefährdung des dort arbeitenden Personals unverändert weiter eingesetzt habe. Damit habe er billigend in Kauf genommen, dass Mitarbeiter aufgrund der fehlenden Sicherungsmaßnahmen zu Schaden kommen konnten. Die Klägerin beantragt, 1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen und 2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin den ihr zukünftig anlässlich des Arbeitsunfalls vom 22.01.2001 entstehenden materiellen und immateriellen Schaden - letzteren, soweit er nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht entsteht - zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergehen werden. Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen. Die Beklagte zu 1) ist der Ansicht, wegen eines erfolgten Betriebsübergangs auf die Firma H8xxxxx H9xxx Verpackungen GmbH & Co. KG sei sie gar nicht (mehr) passivlegitimiert. Im Übrigen sei sich der damalige Firmeninhaber O1xxxxxx einer konkreten Gefährlichkeit des Einsatzes der Registerschneidemaschine nicht bewusst gewesen. So hätten ihm die Behörden nie untersagt, sie weiter einzusetzen. Auch habe die Maschine über 20 Jahre einwandfrei gearbeitet, ohne dass es zu einem vergleichbaren Unfallereignis gekommen sei. Die nunmehr Beklagte zu 2) bestreitet mangels eigener Kenntnis den gesamten Sachverhalt. Davon abgesehen, so meint sie, liege kein Vorsatz vor, weil der damalige Firmeninhaber O1xxxxxx darauf vertraut habe, es werde zu keinem Schadensfall kommen. - Die Voraussetzungen des § 613 a BGB seien auch nicht gegeben; die Vorschrift erfasse im Übrigen die hier streitgegenständlichen Ansprüche gar nicht. Entscheidungsgründe: Die Klage ist, auch was den in der mündlichen Verhandlung am 21.12.2004 präzisierten Feststellungsantrag angeht, zwar zulässig, aber in vollem Umfang unbegründet. In dem Zusammenhang kann die Frage, ob die Voraussetzungen des § 613 a BGB vorliegen und welche Ansprüche die Norm erfasst, offen bleiben. Denn potentielle Schadensersatzansprüche, namentlich gestützt auf § 823 BGB, § 847 BGB a.F. (jetzt § 253 BGB), scheitern am Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Nach dieser Norm kommt in Arbeitsunfallversicherungsfällen - wie vorliegend - eine Haftung des Unternehmers gegenüber seinen Arbeitnehmern wegen des Ersatzes von Personenschäden nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Dabei muss der Vorsatz nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen, was bedeutet, dass allein die vorsätzliche Missachtung von Unfallverhütungsvorschriften den Haftungsausschluss nicht aufhebt (BAG NZA 2003, 436; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23.08.2004 - 1 Ta 106/04; LAG Köln NZA-RR 2003, 350; Hess. LAG NZA-RR 2002, 288). Vorliegend hat die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Klägerin nicht ausreichend durch entsprechende Indizien dargetan, dass der verstorbene Unternehmer O1xxxxxx Anfang des Jahres 2001 ein Unfallereignis, wie es dann am 22.01. des Jahres geschehen ist, mit den daraus resultierenden einschneidenden Folgen für die Klägerin zumindest billigend in Kauf genommen hat. Sicherlich hat er die bereits am 24.02.1986 verfügte unfallversicherungsrechtliche Vorgabe, die Registerschneidemaschinen der Firma H10xxxxx, Typ RE 320, mit einer Lichtschranke zu versehen, in der Folgezeit bewusst missachtet. Entsprechendes gilt für das Schreiben des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes B1xxxxxxx vom 08.07.1986 mit Verweis auf § 32 der Unallverhütungsvorschrift "Druck- und Papierverarbeitung" (VBG 7i) sowie für die Schreiben der Berufsgenossenschaft Druck- und Papierverarbeitung vom 31.10.1986, 20.06.1988, 11.04.1989 und 20.06.1990. In dem Zusammenhang ist im Übrigen für die Kammer völlig unverständlich, warum namentlich die Berufsgenossenschaft Druck- und Papierverarbeitung trotz der Ankündigung im Schreiben vom 20.06.1988, die Registerschneidemaschinen gegebenenfalls stillzulegen, und der fristgebundenen Aufforderungen zur Erledigungsmitteilung in den Schreiben vom 11.04.1989 und 20.06.1990 in den folgenden fast zehn Jahren keine wirkungsvollen Maßnahmen ergriffen hat, um die schon spätestens seit Mitte des Jahres 1986 bekannte erhebliche Gefahrenquelle zu beseitigen. Es musste erst der für die Klägerin äußerst einschneidende Unfall passieren, bevor sich das zuständige Amt für Arbeitsschutz (endlich) veranlasst sah, die Maschine still zu setzen, bis die sicherheitstechnische Nachrüstung erfolgt ist. Das darin zum Ausdruck kommende gravierende behördliche Fehlverhalten ändert aber nichts daran, dass sich der ehemalige Firmeninhaber O1xxxxxx zwar grob schuldhaft verhielt, als er den behördlichen Auflagen zuwider die Registerschneidemaschinen unverändert über mehr als ein Jahrzehnt zum Einsatz brachte. Ein Vorsatz gerade in Bezug auf den bei der Klägerin eingetretenen Schaden kann ihm aber nicht unterstellt werden. Denn wer spätestens seit dem 08.07.1986 den möglicherweise eintretenden Erfolg zwar sieht, nämlich dass über den Abschlager in die Gefahrstellen am Messer gegriffen wird, aber trotzdem über dreizehneinhalb Jahre die Registerschneidemaschinen unverändert betreibt und davon auch nicht durch wirkungsvolle behördliche Maßnahmen abgehalten wird (vgl. LAG Köln, Urteil vom 30.01.2003 - 5 Sa 966/02 -), der hofft, der (dann tatsächlich eingetretene) Erfolg werde ausbleiben; zumindest ist es ihm gleichgültig gewesen, ob er eintritt. Die darin liegende bewusste Fahrlässigkeit reicht aber nicht aus, um von dem erforderlichen unternehmerseitigen Vorsatz, also dem Wissen und Wollen hinsichtlich des Erfolges einschließlich des konkreten Schadensumfangs, ausgehen zu können (vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 636 RVO; LAG Hamm LAGE Nr. 1 zu § 636 RVO; ErfK/Rolfs, 5. Aufl., § 104 SGB VII Rdn. 20). Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

Zurück