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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 13.05.2005
Aktenzeichen: 13 Sa 2307/04
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 37 Abs. 2
Bei der Teilnahme eines Betriebsratsmitgliedes an einem von einer Gewerkschaft organisierten Arbeitskreis sind die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 BetrVG regelmäßig nicht erfüllt.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 15.11.2004 - 9 Ca 1379/04 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Tatbestand: Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Arbeitsvergütung für die Zeit der Teilnahme der Klägerin an einem von der Gewerkschaft ver.di initiierten "Arbeitskreis S4xxxxxxx" zu zahlen. Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit Filialen im gesamten Bundesgebiet. Die Klägerin ist seit ca. 2 Jahren nicht freigestelltes Mitglied des Betriebsrats, der nach einem auf der Basis des § 3 BetrVG abgeschlossenen Tarifvertrag für annähernd 70 Filialen im Bezirk D1xxxxxx zuständig ist. Auf der Grundlage einer entsprechenden Gesamtbetriebsvereinbarung finden in den einzelnen Bundesländern zweimal jährlich Regionalversammlungen der Betriebsräte statt; im Jahr 2003 kam es zu den beiden Treffen am 18.02. und 11.09. - Daneben wird regelmäßig mindestens einmal pro Jahr eine bundesweite Betriebsrätekonferenz abgehalten. Am 08.12.2003 nahm die Klägerin - zusammen mit der teilweise freigestellten Betriebsratsvorsitzenden W1xxxxxxxxx - am "Arbeitskreis S4xxxxxx" in Düsseldorf teil. Zu dieser vierten im Jahr 2003 abgehaltenen Veranstaltung hatte die Gewerkschaft ver.di Betriebsratsmitglieder aus Betrieben der Beklagten in Nordrhein-Westfalen eingeladen. Die Gewerkschaft stellte die Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung und übernahm die übrigen Konferenz- sowie die Reisekosten. In der zunächst verfassten Tagesordnung für das Treffen heißt es unter anderem: 1. Die bisher erstellten Musterbetriebsvereinbarungen NRW - Erfahrungen, Verhandlungsstände, Änderungs- bzw. Ergänzungsbedarf

2. Berichte aus den BR-Gremien zu dringenden aktuellen Problemen - Wo drückt der Schuh (besonders)?

3. Musterbetriebsvereinbarung Arbeitszeit Bitte dazu vorbereitend die beiliegenden bisherigen Betriebsvereinbarungen lesen. 4. Mitteilungen, Anregungen, Fragen, Wünsche ("Verschiedenes"; u.a. Kalender und Terminplanung 04). Ihr seht, wir haben diesmal eine überschaubare Tagesordnung. Ich erwarte allerdings, dass der TOP 3 so hohen Informations- und Diskussionsbedarf beinhaltet, dass nicht gewährleistet ist, das wir am 08.12. komplett durchkommen. Ggf. wird auch in der 1. Sitzung 04 diese Problematik wiederum aufgerufen. Später wurde die Tagesordnung wie folgt ergänzt: a) Einstellung nach § 100 BetrVG b) Besetzung der Geschäftstellen nach Überfällen c) Mehrstundenregelung bei Pyrotechnik-Verkauf d) Mehrstundenregelung bei Pyrotechnik-Schulung e) Aktuelle Seminarteilnahmen f) Fehlen der kompletten Unterlagen bei Vorlage zu Personalanträgen g) Fehlende Nachricht über vollzogene Einstellungen Die Beklagte weigerte sich in der Folgezeit, der Klägerin für den 08.12.2003 das Arbeitsentgelt in Höhe von 95,52 € brutto zu zahlen. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Teilnahme an der Veranstaltung sei erforderliche Betriebsratstätigkeit gewesen. Man habe Themen diskutiert, die für alle Betriebe des Unternehmens von Bedeutung seien; so habe man mitbestimmungspflichtige Sachverhalte erörtert, die insbesondere in den örtlichen Betrieben in Nordrhein-Westfalen zu regeln seien. Auch seien konkret Probleme der jeweiligen Niederlassung diskutiert worden. Des Weiteren habe man abgesprochen, welche Themen vom Gesamtbetriebsrat weiter zu verfolgen seien. Die Regionalversammlungen und die Betriebsrätekonferenzen würden der Erforderlichkeit nicht entgegen stehen. Es handele sich dabei nämlich um allgemeine Informations- und Orientierungsveranstaltungen, ohne das konkret anstehende Probleme diskutiert würden. So müsste dem sehr hohen Informations- und Abstimmungsbedarf auf andere Art und Weise Rechnung getragen werden. Abgesehen von alledem verhalte die Beklagte sich widersprüchlich, weil sie in der Vergangenheit für die Zeit der Teilnahme an den Veranstaltungen immer das Arbeitsentgelt gezahlt und erstmals mit Schriftsatz vom 29.09.2003 die Erforderlichkeit des Treffens am 01.10.2003 in Abrede gestellt habe. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 95,52 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.01.2004 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Meinung vertreten, die Teilnahme der Klägerin an der Veranstaltung in Düsseldorf sei nicht erforderlich gewesen. Es habe sich um eine gewerkschaftliche Veranstaltung gehandelt, zu der nur Mitglieder eingeladen worden seien. Da die Tagesordnung in weiten Teilen pauschal und nichtssagend gewesen sei, habe der Betriebsrat keine Prüfung der Erforderlichkeit und des konkreten, betriebsbezogenen Anlasses vornehmen können. Es habe sich um ein zwangloses Treffen von Gewerkschaftsmitgliedern gehandelt, das mit dem Schein der Betriebsratsarbeit habe versehen werden sollen. Ein Erfahrungsaustausch zwischen Mitgliedern verschiedener Betriebsräte sei im Hinblick auf die zweimal jährlich stattfindenden Regionalversammlungen und die bundesweite Betriebsrätekonferenz nicht erforderlich. Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 15.11.2004 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es lasse sich dem Parteivortrag nicht entnehmen, dass es sich bei dem Treffen am 08.12.2003 um eine Schulungsveranstaltung im Sinne des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG gehandelt habe; davon abgesehen sei nicht dargelegt worden, dass der Betriebsrat insoweit einen ordnungsgemäßen Beschluss gefasst habe. Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 BetrVG seien ebenfalls nicht erfüllt. So ergebe sich aus den in der Tagesordnung und ihrer Ergänzung ausgewiesenen Themen keine Notwendigkeit der Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern verschiedener Betriebe an der Veranstaltung am 08.12.2003. Soweit es um die Vermittlung von Informationen und Kenntnissen gegangen sei, könne dies nur unter den (hier nicht gegebenen) Voraussetzungen des § 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG vergütungspflichtig sein. Was die Frage angehe, ob überhaupt eine Betriebsratsaufgabe vorliege, stehe dem betroffenen Betriebsratsmitglied kein Beurteilungsspielraum zu. Ein schützenswertes Vertrauen habe die Beklagte nicht hervorgerufen, weil sie bereits am 29.09.2003 im Hinblick auf die Vorgängerveranstaltung am 01.10.2003 die Erforderlichkeit bestritten habe und dies auch am 05.12.2004 fernmündlich geschehen sei. Gegen dieses ihr am 29.11.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.12.2004 Berufung eingelegt und diese am 19.01.2005 begründet. Sie ist der Ansicht, die Teilnahme an der Veranstaltung sei im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG erforderlich gewesen. Koordination und Absprachen zwischen den Betriebsräten innerhalb des Gesamtunternehmens der Beklagten seien bei einer Vielzahl gleichgelagerter individual- und kollektivrechtlicher Probleme nicht nur legitim, sondern auch geboten. Dazu seien Zusammenkünfte wie die am 08.12.2003 erforderlich, um den jeweiligen Handlungsbedarf zu ermitteln. So habe man an dem genannten Tag zunächst anhand der Tagesordnung das Handeln der Arbeitgeberseite gegenüber dem jeweiligen Betriebsrat ermittelt, um dann eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Neben einer Diskussion habe auch eine gemeinschaftliche (rechtliche) Beratung mit dem zuständigen Gewerkschaftssekretär stattgefunden. Letztlich habe es sich eher um eine koordinierende Gruppenrechtsberatung gehandelt. Aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten habe sie, die Klägerin, anhand des Inhalts der Tagesordnung als Betriebsratsmitglied von der Erforderlichkeit der Veranstaltung ausgehen können. Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 15.11.2004 - 9 Ca 1379/04 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 95,52 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2004 zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie ist der Meinung, bei dem "Arbeitskreis S4xxxxxxx" handele es sich um eine Gewerkschaftsveranstaltung. Die Teilnahme daran habe nicht der Durchführung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben gedient. Im Übrigen könne ein Erfahrungsaustausch mit anderen Betriebsräten zwar nett sein, sei aber nicht erforderlich. Dem Koordinationsbedürfnis innerhalb des Unternehmens werde durch die Arbeit des Gesamtbetriebsrats, der Betriebsrätekonferenzen sowie der Regionalversammlungen ausreichend Rechnung getragen. Es liege auch keine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats vor, weil bei dem (Vorrats-)Beschluss am 05.08.2003 noch gar keine Tagesordnung vorgelegen habe. Entscheidungsgründe: Die gemäß § 64 Abs. 2a, Abs. 3 Nr. 1 ArbGG zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Sie hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung der Arbeitsvergütung in Höhe von 95,52 € brutto für den 08.12.2003. Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 BetrVG (i.V.m. § 611 Abs. 1 BGB), auf den sich die Klägerin in der Berufungsinstanz allein noch beruft, sind nicht gegeben. Nach der genannten Vorschrift sind Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Diese Voraussetzungen hat die Klägerin in ihrer Person nicht erfüllt, als sie am 08.12.2003 am "Arbeitskreis S4xxxxxxx" der Gewerkschaft ver.di in Düsseldorf teilnahm. Dem Bedarf an Information, Koordination, Anregungen und "koordinierender Gruppenrechtsberatung" hätte nämlich auf andere Art und Weise Rechnung getragen werden können und müssen. I. Soweit in der ursprünglichen Tagesordnung namentlich unter TOP 3 auf Musterbetriebsvereinbarungen abgestellt worden ist und zur Arbeitszeitproblematik ein hoher Informations- und Diskussionsbedarf erwartet wurde, gehört dieser Themenbereich im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG zum Kernbestand der Mitbestimmungsrechte des jeweiligen örtlichen Betriebsrats; Entsprechendes gilt für "Mehrstundenregelungen" im Zusammenhang mit der Schulung und dem Verkauf von Pyrotechnik als Punkte c) und d) der Ergänzung der Tagesordnung. Sollte darüber hinaus ein Koordinierungsbedarf bestehen, ist dieser im Rahmen des § 50 BetrVG vom bestehenden Gesamtbetriebsrat, dem gemäß § 47 Abs. 2 BetrVG Mitglieder aller Betriebsräte angehören, zu decken - gegebenenfalls nach konkreten Vorbesprechungen einzelner oder aller örtlichen Betriebsräte (vgl. BAG NZA 1995, 796). Entsprechendes gilt für das Thema "Kameraüberwachung", um eine "Zerfaserung von komplexen Mitbestimmungstatbeständen" zu verhindern, sowie für den Bereich der "Besetzung der Geschäftsstellen nach Überfällen" als Punkt b) der Ergänzung der Tagesordnung. II. Soweit es um eine unzureichende Unterrichtung bei personellen Einzelmaßnahmen einschließlich der Einstellung nach § 100 BetrVG ging, ist auch hierfür der jeweilige örtliche Betriebsrat orginär zuständig. Sollte es trotzdem im Einzelfall über den jeweiligen Betrieb hinaus einen Bedarf für eine unternehmensweite Koordinierung geben, wäre dieser ebenfalls namentlich im Rahmen des § 50 Abs. 2 BetrVG durch den Gesamtbetriebsrat zu decken. III. Im Übrigen besteht für jeden einzelnen Betriebsrat bei den "mindestens" einmal im Kalenderjahr einzuberufenden Betriebsräteversammlungen nach § 53 BetrVG sowie bei den zweimal jährlich stattfindenden Regionalversammlungen die Möglichkeit, Gespräche und Diskussionen zur Abstimmung und Koordinierung der Interessen der einzelnen Betriebsräte zu führen (vgl. GK-BetrVG/Wiese/ Weber, Band I, 7. Aufl., § 37 Rdnr. 31). IV. Soweit die Klägerin auf die von ihr sogenannte koordinierende Gruppenrechtsberatung abstellt, bedurfte es auch insoweit nicht der Teilnahme an der Veranstaltung am 08.12.2003. Grundsätzlich vollzieht sich die Tätigkeit des Betriebsrats und seiner Mitglieder nämlich innerhalb des Betriebs. In diesem Rahmen können auch Besprechungen mit Vertretern von Gewerkschaften im Zuge des Gebots zur vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG durchgeführt werden (Fitting, BetrVG, 22. Aufl., § 37 Rdnr. 23); dabei haben die Gewerkschaftsbeauftragen nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 BetrVG ein Zutrittsrecht zum Betrieb, und nur bei besonderem Anlass können solche Besprechungen außerhalb des Betriebs stattfinden (ErfK/ Eisemann, 5. Aufl., § 37 Rdnr. 3; Fitting, a.a.O., § 37 Rdnr. 27). Des Weiteren besteht unter den Voraussetzungen des § 31 BetrVG die Möglichkeit, einen Gewerkschaftsbeauftragten zu Beratungszwecken zu Betriebsratssitzungen zu laden. Sollte danach noch spezifischer Rechtsberatungsbedarf bestehen, können einzelne Betriebsratsmitglieder im Rahmen des § 37 Abs. 2 BetrVG einen Gewerkschafts- bzw. Rechtssekretär oder einen Rechtsanwalt aufsuchen (vgl. BAG AP Nr. 39 zu § 37 BetrVG 1972; LAG Hamm LAGE Nr. 22 zur § 37 BetrVG 1972; Fitting, a.a.O., § 37 Rdnr. 27; GK-BetrVG/Wiese/Weber, a.a.O., § 37 Rdnr. 29). Vor dem Hintergrund dieser betriebsverfassungsrechtlich vorgegebenen Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme namentlich mit Gewerkschaftsvertretern bedarf es keiner zusätzlichen Veranstaltung der hier in Rede stehenden Art.

V. Abgesehen davon wird von der Klägerin auch an keiner Stelle dargelegt, warum es erforderlich war, dass sie - neben der teilweise freigestellten Betriebsratsvorsitzenden W1xxxxxxxxx - als zweites Mitglied des D5xxxxxxxx Betriebsrats an dem Düsseldorfer Treffen teilnahm (vgl. ArbG Dortmund, Urteil vom 09.09.2004 - 6 Ca 1381/04, Seite 3). VI. Letztlich ist auch äußerst fraglich, ob der bereits am 05.08.2003 gefasste Entsendungsbeschluss zur Teilnahme der Klägerin an der Veranstaltung am 08.12.2003 angesichts der zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegenen Tagesordnung überhaupt wirksam ergangen ist (vgl. BAG AP Nr. 68 zur § 40 BetrVG 1972). Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision war zuzulassen, weil die entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 72 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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