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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 25.04.2008
Aktenzeichen: 13 Sa 506/07
Rechtsgebiete: BGB, TVG, MTV Einzelhandel NRW, TV Sonderzahlung Einzelhandel NRW


Vorschriften:

BGB § 611 Abs. 1
TVG § 3 Abs. 1
TVG § 3 Abs. 3
TVG § 4 Abs. 3
TVG § 4 Abs. 4
TVG § 4 Abs. 5
MTV Einzelhandel NRW vom 25.07.2003
TV Sonderzahlung Einzelhandel NRW vom 20.09.1996
Eine arbeitsvertragliche Regelung, die auf Abänderung einer tariflichen Regelung zu Ungunsten des Arbeitnehmers gerichtet ist und dahin ausgelegt werden kann, dass sie zumindest nach Ablauf der Tarifbindung die Nachwirkung beseitigen soll, ist nicht nach § 4 Abs. 3 TVG unwirksam, sondern wird lediglich bis zum Ablauf der Tarifbindung durch den Tarifvertrag verdrängt.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 24.01.2007 - 3 Ca 1279/06 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Vergütungsdifferenzansprüche für die Monate April bis Juni 2006 sowie über die Gutschrift zweier Urlaubstage für das Kalenderjahr 2006.

Der am 30.07.1973 geborene Kläger trat mit Wirkung ab 01.09.2003 als Einrichtungsberater in ein zunächst befristet abgeschlossenes Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Nach § 2 Zif. 1 des am 18.08.2003 unterzeichneten Arbeitsvertrages betrug die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 37,5 Stunden. Gemäß § 2 Zif. 3 Satz 3 war der Kläger verpflichtet, "entsprechend dem gesetzlich zulässigen Rahmen Spätöffnungs-, Samstags- bzw. Sonntagsarbeit zu leisten". Nach § 4 Zif. 1a des Vertrages erhielt er eine Vergütung, bestehend aus einem monatlichem Fixum von 767,00 € brutto zuzüglich umsatzabhängiger Provisionen, wobei ihm gemäß § 16 des Vertrages monatlich 1.946,00 € brutto garantiert wurden. In § 8 Zif. 1 Satz 1 des Vertrages ist geregelt, dass sich der Urlaub "nach den gesetzlichen Bestimmungen" richtet. Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Arbeitsvertrages wird verwiesen auf die mit Klageschriftsatz vom 22.09.2006 eingereichte Kopie (Bl. 6 ff. d. A.).

Die Beklagte als Mitglied des Einzelhandelsverbandes Ostwestfalen-Lippe erklärte diesem gegenüber mit Schreiben vom 20.09.2004 (Bl. 97 d. A.) den Ausschluss der Tarifbindung. Mit einem vom Vorstandsvorsitzenden des Verbandes unterzeichneten Schreiben vom 23.09.2004 (Bl. 98 d. A.) erklärte der Arbeitgeberverband die Annahme des Antrages. So wird die Beklagte mit Wirkung ab 01.11.2004 nur noch als Mitglied ohne Tarifbindung (OT-Mitglied) geführt.

Knapp drei Monate später am 20.01.2005 vereinbarten die Arbeitsvertragsparteien zum einem die Verlängerung des befristet bestehenden Arbeitsverhältnisses bis zum 31.08.2005 (Bl. 15 d. A.). Zum anderen schlossen sie eine "Vereinbarung zur Änderung des Arbeitsvertrages", in der es unter anderem heißt:

Die wöchentliche Arbeitszeit wird ab dem 01.03.05 auf wöchentlich 40 Stunden erhöht. Eine Anpassung der monatlichen Gehaltszahlung findet ausdrücklich nicht statt.

...

Auf die Zahlung von evtl. anfallenden Spätöffnungs- und Mehrarbeitszuschlägen, sowie des Arbeitgeberzuschusses zu den vermögenswirksamen Leistungen, wird ab sofort verzichtet.

...

Der Urlaub beträgt ab dem 01.03.05 nach Lebensalter gestaffelt:

bis zum vollendeten 20. Lebensjahr 24 Arbeitstage je Kalenderjahr

nach dem vollendeten 20. Lebensjahr 26 Arbeitstage je Kalenderjahr

nach dem vollendeten 23. Lebensjahr 27 Arbeitstage je Kalenderjahr

nach dem vollendeten 30. Lebensjahr 28 Arbeitstage je Kalenderjahr.

Auf die Bindung an die verschiedenen Tarifverträge wird zukünftig, also ab Unterzeichnung dieser Vereinbarung, wechselseitig verzichtet. Im Übrigen gelten die Vereinbarungen aus dem Arbeitsvertrag.

Herr B1 erklärt, dass er diese Vereinbarung sorgfältig gelesen und nach reiflicher Überlegung freiwillig unterzeichnet hat.

Ab dem Monat März 2005 wurde der Kläger bei gleichbleibender Vergütung in der 40-Stunden-Woche eingesetzt.

Seit dem 01.09.2005 wird das Arbeitsverhältnis unbefristet fortgeführt. Zum selben Zeitpunkt trat der Kläger auch in die Gewerkschaft ver.di ein.

Mit der am 25.09.2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt er die Zahlung von Vergütungsdifferenzansprüchen sowie die Gutschrift zweier weiterer Tage Urlaub für das Kalenderjahr 2006. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, ihm für die Zeit von April bis Juni 2006 die über die 37,5 Wochenstunden hinaus geleisteten Stunden mit 413,49 € zu vergüten. Darüber hinaus müssten Zuschläge für Spätöffnungs- und Samstagsarbeit in Höhe von 134,19 € gezahlt werden. Schließlich habe die Gutschrift zweier weiterer Urlaubstage zu erfolgen, weil nach dem einschlägigen Manteltarifvertrag für den Einzelhandel NRW vom 25.07.2003 (im folgenden kurz: MTV) ein jährlicher Urlaubsanspruch von 30 Tagen bestehe.

Die Begründung einer OT-Mitgliedschaft der Beklagten könne keine Berücksichtigung finden, da sie schon unzulässig sei. Ebenso sei die von den Parteien unter dem 20.1.2005 geschlossene Änderungsabrede unwirksam, da hinsichtlich des einschlägigen MTV eine Nachbindung bestanden habe.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 547,68 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.09.2006 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, dem Urlaubskonto des Klägers zusätzlich zwei Tage gutzuschreiben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stünden wegen der am 20.01.2005 wirksam geschlossenen Vereinbarung die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Ihr Wechsel zu einer OT-Mitgliedschaft ab 01.11.2004 sei wirksam erfolgt.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 24.01.2007 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die zunächst in vollen Umfang wirksame arbeitsvertragliche Regelung vom 20.01.2005 zwar nach dem Gewerkschaftseintritt des Klägers im Zeitraum ab 01.09.2005 kraft beiderseitiger Tarifbindung durch die tariflichen Bestimmungen verdrängt worden sei. Für die Zeit ab Januar 2006 seien die arbeitsvertraglichen Regelungen aber wieder aufgelebt, so dass die geltend gemachten Ansprüche nicht bestehen würden.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er weist - insoweit jetzt unbestritten - hinsichtlich der Berechnung der Ansprüche daraufhin, dass sich bei insgesamt 39,8 Differenzstunden für das zweite Quartal 2006 ein Betrag in Höhe von 484,93 € errechne (1.986,00 € monatliches Garantieeinkommen : 163 Stunden x 39,8 Stunden).

Als Zuschläge für Spätöffnungs- und Samstagsarbeit schlage ein Betrag in Höhe von 128,13 € (für 52,6 Stunden pro Stunde ein Betrag in Höhe von 20% der Stundenvergütung von 12,18 €) zu Buche.

Im Übrigen wiederholt der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen und beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 24.01.2007 - 3 Ca 1279/06 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,

1. an den Kläger 613,06 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.05.2007 zu zahlen und

2. dem Urlaubskonto des Klägers zwei Tage Erholungsurlaub für das Kalenderjahr 2006 gutzuschreiben.

Unter Verteidigung der erstinstanzlichen Entscheidung beantragt die Beklagte,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Den geltend gemachten Ansprüchen auf Zahlung von Vergütungsdifferenzen und Zuschlägen in einer Gesamthöhe von 613,06 € brutto für den streitbefangenen Zeitraum von April bis Juni 2006 sowie der Gutschrift von zwei Urlaubstagen für das Kalenderjahr 2006 steht die zwischen den Parteien geschlossene Vereinbarung zur Änderung des Arbeitsvertrages vom 20.01.2005 entgegen. Die genannte vertragliche Abrede ist nicht wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 3 TVG unwirksam (§ 134 BGB).

I.

Zum Zeitpunkt des Abschlusses der vertraglichen Änderungsabrede bestand keine beiderseitige Gebundenheit an die Tarifverträge des Einzelhandels NRW, namentlich auch nicht an den MTV. Der Kläger war nämlich im Januar 2005 noch nicht Mitglied der Tarifvertragspartei ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e.V. (§ 3 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 TVG).

So war es im Rahmen der bestehenden Vertragsfreiheit zulässig, mit Wirkung ab 01.03.2005 die wöchentliche Arbeitszeit um 2,5 auf 40 Stunden zu erhöhen - mit der unmissverständlichen Maßgabe im zweiten Satz der Änderungsvereinbarung, dass eine entsprechende Gehaltsanpassung nicht erfolgt.

Ebenfalls war es zulässig, einen Verzicht auf die Zahlung evtl. bis dahin gegebener Ansprüche auf Spätöffnungs- und Samstagszuschläge zu vereinbaren.

Schließlich konnte der Urlaubsanspruch nach vollendetem 30. Lebensjahr auf 28 Arbeitstage je Kalenderjahr festgelegt werden; in dem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass dem Kläger nach § 8 Zif. 1 Satz 1 des Ausgangsarbeitsvertrages vom 18.08.2003 ein Urlaubsanspruch "nur" nach den gesetzlichen Bestimmungen, also im Umfang von 24 Werktagen (§ 3 Abs. 1 BurlG), zugesagt worden war.

II.

Mit dem Gewerkschaftsbeitritt des Klägers zum 01.09.2005 trat dann allerdings bei ihm gemäß § 3 Abs. 1 TVG Tarifgebundenheit ein.

III.

Zu diesem Zeitpunkt war die Beklagte aber nicht mehr tarifgebunden, nachdem sie mit Wirkung ab 01.11.2004 wirksam von der Mitgliedschaft mit Tarifbindung zu einer solchen ohne Tarifbindung im Einzelhandelsverband Ostwestfalen-Lippe gewechselt war.

Die von der Beklagten begründete sogenannte OT-Mitgliedschaft ist in der nach der Satzung vorgeschriebenen Form wirksam erfolgt. Ein Arbeitgeberverband kann in seiner Satzung - wie vorliegend in § 3 Zif. 2 der Satzung des Einzelhandelsverbandes Ostwestfalen-Lippe e.V. - eine Form der Mitgliedschaft vorsehen, die nicht zur Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG führt. Die Koalitionen sind nämlich grundsätzlich nicht gehindert, in ihren Satzungen die Rechte und Pflichten der Mitglieder unterschiedlich auszugestalten. Dies schließt auch die Möglichkeit ein, Mitgliedschaften ohne die Wirkung des § 3 Abs. 1 TVG vorzusehen. Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestehen dagegen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken (zuletzt BAG, Urt. v. 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 - AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 42 m. w. N.). Insoweit ist der Wechsel der Mitgliedschaft nicht anders zu behandeln als der Austritt aus dem Verband.

Im konkreten Fall erfolgte der Wechsel auch in der vorgeschriebenen Form. So hat die Beklagte am 20.09.2004 einen entsprechenden schriftlichen Antrag gestellt, der durch das Antwortschreiben des Verbandes vom 23.09.2004 wirksam angenommen worden ist.

IV.

Allerdings bestand im September 2005 für die Beklagte noch eine sogenannte Nachbindung (§ 3 Abs. 3 TVG) bzgl. des am 25.07.2003 abgeschlossenen MTV, der nach erfolgter Kündigung erst mit Ablauf des 31.12.2005 bzw. 31.03.2006 endete.

Die Vereinbarung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden wich also von dem ab 01.09.2005 auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren § 2 Abs. 1 Satz 1 MTV, wonach die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 37,5 Stunden betrug, ab. Entsprechendes gilt für den Ausschluss von Zuschlägen für Spätöffnungs- und Samstagsarbeit entgegen der tariflichen Regelung in § 7 Abs. 1 MTV und für die Reduzierung des jährlichen Erholungsurlaubes um zwei Tage unter Verstoß gegen § 15 Abs. 3 MTV.

Dies führte dazu, dass ab dem 01.09.2005 das Arbeitsverhältnis inhaltlich durch die zwingenden (§ 4 Abs. 1 TVG) günstigeren kollektivvertraglichen Regelungen des MTV bestimmt wurde.

Im hier streitbefangenen Zeitraum ab April 2006 war die zwingende Wirkung des MTV nach dessen Ablauf zum 31.12.2005/31.03.2006 aber entfallen. Dessen Regelungen befanden sich im Stadium der Nachwirkung und konnten gemäß § 4 Absatz 5 TVG durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

V.

Diese andere Abmachung ist aus Sicht der Kammer in der am 25.01.2005 zwischen den Parteien geschlossenen Abrede zu sehen. Diese hatte zuvor über ein halbes Jahr vom 01.03. bis zum 31.08.2005 das Arbeitsverhältnis wirksam gestaltet, bevor die Vereinbarung aufgrund der mit dem Gewerkschaftsbeitritt des Klägers eingetretenen beiderseitigen Tarifbindung für den Zeitraum ab 01.09. von den zwingenden kollektivrechtlichen Normen des MTV verdrängt wurde. In dieser Konstellation ergibt sich im Wege der Auslegung (§§ 133,157 BGB), dass es dem Willen der Arbeitsvertragsparteien entsprach, einer im Zeitpunkt ihres Abschlusses wirksamen Vertragsabrede später eine die Nachwirkung ablösende Wirkung zuzubilligen (vgl. Buchner, RdA 2006, 308, 311; Wiedemann/ Wank, TVG, 7. Aufl., § 4 Rdnr. 359). So hat das Bundesarbeitsgericht (Urt. v. 21.09.1989 - 1 AZR 454/88 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 43) zu Recht herausgestrichen, dass nichts dafür spricht, dass eine einmal getroffene arbeitsvertragliche Vereinbarung nicht mehr gelten soll, wenn eine zwischenzeitlich gegebene zwingende Wirkung von Tarifnormen wieder wegfällt (vgl. jetzt auch BAG, Urt. v. 12.12.2007 - 4 AZR 998/06). Hier kommt hinzu, dass es der Beklagten wegen der angespannten wirtschaftlichen Situation und der Gefährdung von Arbeitsplätzen Anfang des Jahres 2005 erkennbar darum ging, eine möglichst dauerhafte Minderung der Lohnkosten zu erreichen. Das hat der Kläger durch seine Unterschrift unter die Vereinbarung vom 20.01.2005 akzeptiert.

Nach alledem ist bei verständiger Würdigung aller Umstände davon auszugehen, dass es dem Parteiwillen entsprach, die im Januar 2005 vereinbarte Vertragsänderung für den Zeitraum jedenfalls ab 01.04.2006 wieder in vollem Umfang wirksam werden zu lassen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die arbeitsvertragliche Vereinbarung zeitlich schon weit vor dem Beginn der Nachwirkung geschlossen worden ist (vgl. BAG, Urt. v. 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 - AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 42).

Nach alledem konnte das Rechtsmittel keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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