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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.06.2006
Aktenzeichen: 13 TaBV 10/06
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 05.10.2005 - 6 BV 47/05 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der Arbeitgeber zu 1) und die Arbeitgeberin zu 2) eine betriebsratsfähige Organisationseinheit bilden.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob die beiden Arbeitgeber einen gemeinsamen Betrieb führen.

Der Antragsteller ist der bei dem Z1xxxx e.V., dem Beteiligten zu 2.) - im folgenden kurz: Verein - gewählte Betriebsrat.

Der Verein mit ca. 136 Mitarbeitern betreut im Kreis Gütersloh bedürftige Personen (geistig und seelisch behinderte Menschen) in insgesamt 56 Wohneinheiten, bestehend aus Wohngruppen und Einzelappartements. Er wird vertreten durch einen ehrenamtlich tätigen Vorstand; dieser hat die Führung der Geschäfte einschließlich der Ausübung aller Arbeitgeberbefugnisse auf Herrn W1xxxxxx B5xxxxxxxxxxx übertragen. Die Verwaltung wird von Frau H2xxxxxx geleitet, während Frau B11xxxx die Förder- und Organisationsleitung innehat und stellvertretende Heimleiterin ist. Im Abwesenheitsfall vertreten die beiden den die Vereinsgeschäfte führenden B5xxxxxxxxxxx.

Parallel ist dieser alleiniger Geschäftsführer und - neben dem Verein - auch zu 50 % Gesellschafter der Z1xxxx gGmbH, der Beteiligten zu 3.) - im folgenden kurz: Gesellschaft. Diese beschäftigt sich mit der Erbringung von Fachleistungen im medizinisch-therapeutischen Bereich. Ihre ca. 20 Arbeitnehmer betreuen behinderte Menschen bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Diese erfolgt zum Teil in selbst betriebenen Zweckbetrieben oder in fremden Unternehmen, die sich auf ein Kooperation eingelassen haben. In der Regel werden die Behinderten durch einen Mitarbeiter in den Betrieb begleitet und während der Arbeitszeit dort betreut. Dies führt dazu, dass Mitarbeiter der Gesellschaft von ihnen betreute Personen, die in einer Einrichtung des Vereins untergebracht sind, vor Arbeitsbeginn dort abholen bzw. Unterstützung bei der Vorbereitung leisten. Sie sind dann in den Dienstplänen der jeweiligen Einrichtung mit aufgeführt.

Verschiedene Mitarbeiter unterhalten neben ihrem Hauptarbeitsverhältnis zum Verein auch noch ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis zur Gesellschaft. Insoweit kommt es vor, dass Beschäftigte der Gesellschaft nach Absprache mit dem Geschäftsführer zu Ableistung z. B. des Frühdienstes von 6.00 Uhr bis 8.00 Uhr von Einrichtungen des Vereins herangezogen und dann auch in den entsprechenden Dienstplan aufgenommen werden.

Der Gesellschaft gehören Bullis, die auch vom Verein genutzt werden; hierüber findet eine Abrechnung statt.

Auch im Internet treten beide gemeinsam auf, und sie werben auch zusammen auf Infoblättern und einheitlich gestalteten Aufklebern.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, zwischen der Gesellschaft und dem Verein bestehe ein gemeinsamer Betrieb. Dies ergebe sich schon aus der Vermutungswirkung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Beide Arbeitgeber seien durch die Person des Herrn W1xxxxxx B5xxxxxxxxxxx miteinander verbunden. Ebenso würden die Arbeitnehmer gemeinsam eingesetzt, wie sich z. B. in den einheitlichen Dienstplänen dokumentiere. Auch ließen sich die Tätigkeiten der Mitarbeiter, die zu beiden Arbeitgebern ein Arbeitsverhältnis unterhielten, nicht voneinander abgrenzen.

Selbst wenn man nicht von der geschilderten Vermutungswirkung ausgehe, läge ein gemeinsamer Betrieb vor, da die einheitliche Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten durch Herrn B5xxxxxxxxxxx ausgeübt werde. Dieser habe alle Arbeitsverträge der Mitarbeiter beim Verein unterzeichnet und sei für personelle Maßnahmen wie Versetzungen und Kündigungen zuständig. Für die Gesellschaft habe er aufgrund des Geschäftsführeramtes dieselben Befugnisse.

Der Betriebsrat hat beantragt,

festzustellen, dass zwischen den Beteiligten zu 2.) und 3.) eine betriebsratsfähige Organisationseinheit/gemeinsamer Betrieb besteht.

Die Arbeitgeber haben beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie haben die Auffassung geäußert, es liege kein gemeinsamer Betrieb, sondern lediglich eine unternehmerische Zusammenarbeit vor.

Hinsichtlich des gemeinsamen Einsatzes der Arbeitnehmer sei es treuwidrig, wenn sich der Betriebsrat auf die Vermengung in den Dienstplänen berufe. Dies sei allein auf seinen Wunsch hin geschehen. Es würden jedoch die wesentlichen Funktionen nach wie vor durch den jeweiligen Vertragsarbeitgeber wahrgenommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 05.10.2005 den Antrag abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Betriebsrat könne sich nicht auf die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG berufen, weil der Verein und die Gesellschaft nicht gemeinsam sachliche Betriebsmittel und Arbeitnehmer einsetzen würden. Es liege vielmehr nur eine unternehmerische Kooperation in bestimmten Bereichen vor.

Auch nach allgemeinen Grundsätzen liege kein gemeinsamer Betrieb zweier Unternehmen vor, weil der erforderliche einheitliche Führungsapparat nicht gegeben sei. So sei nicht ersichtlich, dass es namentlich durch Herrn B5xxxxxxxxxxx zu arbeitgeberübergreifenden Personalmaßnahmen gekommen sei.

Gegen diesen ihm am 02.01.2006 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 27.01.2006 Beschwerde eingelegt und diese am 28.02.2006 begründet.

Er behauptet, sowohl der Verein als auch die Gesellschaft verfolgten im Rahmen ihrer Unternehmensziele den Zwecke, geistig und seelisch behinderte Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Insoweit würden sie auch die bestehenden Wohneinheiten und sonstigen Räumlichkeiten gemeinsam nutzen. So komme es vor, dass Arbeitnehmer der Gesellschaft allein in Wohngruppen und damit in Räumlichkeiten des Vereins tätig seien, um dort im Rahmen eines Minijobs Betreuungsarbeiten abzuleisten, während sie daneben eine volle Stelle beim Verein innehaben würden.

Auch die Verwaltungsräume nutze man gemeinsam. Dort erstelle man die Dienstpläne einheitlich für beide Unternehmen.

Im Zuge der gemeinsamen Nutzung von ca. 6 Bullis erfolgten nur teilweise Abrechnungen.

Arbeitnehmer des Vereins und der Gesellschaft würden ohne Änderung der Arbeitsbedingungen ausgetauscht, wie sich z. B. in den Fällen H3xx und V3xxxxxxx zeige. Auch die Urlaubsplanung stimme man aufeinander ab.

Herr B5xxxxxxxxxxx führe beide Unternehmen einheitlich gemeinsam mit der stellvertretenden Geschäftsführerin B11xxxx.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 05.10.2005 - 6 BV 47/05 - abzuändern und festzustellen, dass die Beteiligten zu 2.) und 3.) eine betriebsratsfähige Organisationseinheit bilden.

Die Arbeitgeber beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie weisen darauf hin, dass die Wohneinheiten nicht von der Gesellschaft mitbenutzt würden. In den Dienstplänen würden nur dann Mitarbeiter der Gesellschaft aufgeführt, wenn diese später abzurechnende Tätigkeiten für den Verein erbringen würden. Von einer gemeinsamen Führung beider Unternehmen könne keine Rede sein.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 28.06.2006 (Bl.181 f.d.Akten) ergänzend Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Betriebsrats ist begründet.

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts bilden die beiden beteiligten Arbeitgeber, der Verein und die Gesellschaft, in G1xxxxxxx eine gemeinsame betriebsratsfähige Organisationseinheit in Gestalt eines einheitlichen Betriebes (§ 18 Abs. 2 BetrVG).

Nach der zutreffenden ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. BAG AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 8, 12, 22, 23; AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 15; zustimmend z. B. Fitting, 23. Auflage, § 1 Rn. 63 ff.) ist ein Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern unter Einsatz technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Ein Betrieb kann auch von mehreren Arbeitgebern als gemeinsamer Betrieb geführt werden. Von einem solchen gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen ist auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen bestimmen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben. Die einheitliche Leitung muss sich auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen Angelegenheiten erstrecken. Eine lediglich unternehmerische Zusammenarbeit genügt nicht. Vielmehr müssen die Funktionen des Arbeitgebers institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden. Für die Frage, ob der Kern der Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung ausgeübt wird, ist vor allem entscheidend, ob ein arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz praktiziert wird, der charakteristisch für den normalen Betriebsablauf ist.

Die genannten Voraussetzungen für einen Gemeinschaftsbetrieb sind hier gegeben.

Dem steht die unterschiedliche Zwecksetzung der beiden beteiligten juristischen Personen nicht entgegen, weil es im vorliegenden Zusammenhang entscheidend auf die einheitliche Leitungsmacht ankommt, auch wenn innerhalb des Betriebes mehrere unternehmerische Ziele parallel verfolgt werden.

Die arbeitgeberseitigen Kernfunktionen namentlich in sozialen und personellen Angelegenheiten werden im Verein und der Gesellschaft von der selben Leitung unter Führung des Herrn B5xxxxxxxxxxx ausgeübt.

Dieser ist von dem ehrenamtlich tätigen Vereinsvorstand damit betraut worden, die Geschäfte zu führen (§ 30 BGB). Dazu gehört nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Anhörung am 28.06.2006 die Ausübung aller Arbeitgeberbefugnisse für die ca. 136 Vereinsbeschäftigten. Dabei wird er von der stellvertretenden Heimleiterin Brandes und der Verwaltungsleiterin H2xxxxxx unterstützt, die ihn aber nur im Abwesenheitsfall vertreten.

Zugleich ist Herr B5xxxxxxxxxxx alleiniger Geschäftsführer der Gesellschaft und schon als solcher berufen, für die dort tätigen ca. 20 Beschäftigten alle Arbeitgeberbefugnisse wahrzunehmen (§ 35 Abs. 1 GmbHG). Tatsächlich geschieht dies auch, wie der vom Geschäftsführer selbst geschilderte Beispielsfall W2xxx zeigt. Danach muss er selbst immer sein Einverständnis geben, wenn die bei der Gesellschaft beschäftigte W2xxx zu einem Frühdienst im Vereinsbereich, für den er auch die arbeitgeberseitige Verantwortung trägt, herangezogen werden soll.

Diese Konstellation macht zugleich auch exemplarisch deutlich, dass von einer institutionalisierten Leitung unter Führung von Herrn B5xxxxxxxxxxx ein koordinierter (arbeitgeberübergreifender) Personaleinsatz im Betreuungsbereich praktiziert wird, wie er für den normalen Ablauf eines einheitlichen Betriebes charakteristisch ist.

Für die enge Verflechtung beider Unternehmen spricht auch, dass zahlreiche Arbeitnehmer (z. B. S6xxxx, P3xx, P4xxxxxx, D5xxxxxxx, G5xxxxxx, M4xxxxxx) für beide juristischen Personen inhaltlich identische Arbeitsleistungen erbringen und es zum Wechsel von Mitarbeitern kommt, z. B. in den aktuellen Fällen H3xx und V3xxxxxxx.

Schon wegen der darin zum Ausdruck kommenden einheitlichen Leitungsstruktur in mitbestimmungsrelevanten Angelegenheiten war dem Antrag des Betriebsrats stattzugeben, ohne das noch näher auf die Bedeutung tatsächlich bestehender einheitlicher Dienstpläne, eines einheitlichen Leistungsangebots und auf den koordinierten Einsatz vorhandener Betriebsmittel (z.B. Fahrzeuge) einzugehen war.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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