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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 07.12.2005
Aktenzeichen: 13 TaBV 107/05
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 87 Abs. 1
BGB § 1004
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 06.04.2005 - 3 BV 47/04 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor folgende Fassung erhält:

Die Arbeitgeberin wird unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 10.000,00 € für jeden Fall der Zuwiderhandlung verpflichtet, es zu unterlassen, am Standort A1xxxxxxxxxxxxxx T1x-xx/Werk 06/Abteilung ,,IT A1xxxxxxxxxxxxxx Weltweit" Mehrarbeit anzuordnen oder deren Durchführung zu dulden, solange nicht die Zustimmung des Betriebsrats oder ein die Zustimmung ersetzender Beschluss der Einigungsstelle vorliegt, es sei denn, es liegt ein Notfall oder eine Arbeitskampfmaßnahme vor oder es handelt sich um unvorhersehbare, nicht planbare Zusatzstunden im Sinne der Betriebsvereinbarung vom 04.02.1998, die nachzumelden sind.

Gründe:

A. Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Unterlassungsanspruchs um die Wahrung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates vor der Ableistung von Mehrarbeit. Im Unternehmen der Arbeitgeberin gilt eine Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 27 (Bl. 14 ff. d. Akten), in der unter anderem Gleitzeitspannen geregelt sind; danach ist das späteste Arbeitszeitende auf 17.45 Uhr festgelegt. Weiterhin kommt eine Betriebsvereinbarung vom 04.02.1998 (Bl. 21 f. d. Akten) zur Anwendung, wonach "unvorhersehbare, nicht planbare Zusatzstunden" jeweils bis zum Dienstag der Folgewoche dem Betriebsrat nachgemeldet werden müssen. In einem vorangegangenen Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht Paderborn (Aktenzeichen: 1 BV 11/04) stritten die Beteiligten um die Wahrung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei der Anordnung von Überstunden. Am 27.05.2004 kam es zum Abschluss eines Vergleichs. Die Arbeitgeberin verpflichtete sich darin, zukünftig bei der Anordnung bzw. Duldung von Überstunden am Standort A1xxxxxxxxxxxxxx T1xxx, unter anderem Werk 06, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten. Im Zeitraum ab 01.07. bis zum 31.08.2004 leisteten vier Mitarbeiter des Werkes 06, Abteilung " IT A1xxxxxxxxxxxxx W3xxxxxx", ohne vorangegangene Zustimmung des Betriebsrates Mehrarbeit. In zahlreichen Fällen lag ihr Arbeitsende erheblich nach 17.45 Uhr, und es wurden teilweise 9 oder 10 Stunden geleistet. Hinsichtlich der Einzelheiten wird verwiesen auf die mit Antragschriftsatz vom 25.10.2004 eingereichten Zeitnachweislisten (Bl. 6 ff. d. Akten). Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, es handele sich um gravierende Pflichtverletzungen des Arbeitgebers, sodass ihm ein Unterlassungsanspruch zustehe. Der Betriebsrat hat beantragt,

1. dem Arbeitgeber aufzugeben, es zu unterlassen, am Standort A6xxxx-xxl1xxxxxx T1xxx/ Werkt 06/ Abteilung "IT A1xxxxxxxx W3xxxxxx" Überstunden anzuordnen oder zu dulden, die nach dem in der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 28.07.1998 geregelten Gleitzeitende von 17:45Uhr liegen, sofern nicht die Zustimmung des Betriebsrats erteilt ist oder die fehlende Zustimmung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde oder es sich um Notstandsfälle im Sinne der Rechtssprechung handelt oder es sich um unvorhersehbare, nicht planbare Zusatzstunden im Sinne der Betriebsvereinbarung vom 04.02.1998 handelt, die nach zu melden sind,

2. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Nr. 1 die Antragsgegnerin, bezogen auf jeden Tag und jeden Arbeitnehmer, ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, anzudrohen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Sie hat darauf hingewiesen, die Überstunden seien hauptsächlich bei der Absolvierung von Dienstreisen angefallen. Es seien zwischenzeitlich eindringlich Anweisungen an die entsprechenden Abteilungen gegeben worden, Mehrarbeit rechtzeitig zu melden. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 06.04.2005 den Anträgen stattgeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es sei ein grober Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gegeben, weil bei der Arbeitgeberin in der Vergangenheit über vorherige Zustimmung des Betriebsrates geleistet worden seien. Gegen diesen ihr am 19.05.2005 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am 16.06.2005 Beschwerde eingelegt und diese - nach Verlängerung der Beschwerdegründungsfrist bis zum 19.08.2005 - am 19.08.2005 begründet. Sie weist darauf hin, in der hier streitgegenständlichen Abteilung sei durch Gespräche mit den Vorgesetzten und der Abteilungsleiterebene sowie entsprechender Anweisungen erreicht worden, dass die erforderlichen Verfahren mit dem Betriebsrat seit einigen Monaten auch ordnungsgemäß abgewickelt würden. Folglich sei keine Wiederholungsgefahr mehr gegeben. Die Arbeitgeberin beantragt, den Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 06.04.2005 - 3 BV 47/04 - abzuändern und die Anträge abzuweisen. Der Betriebsrat beantragt, die Beschwerde mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Arbeitgeberin unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 10.000,00 € für jeden Fall der Zuwiderhandlung verpflichtet wird, es zu unterlassen am Standort A1xxxxxxxxxxxxx T1xxx/ Werk 06/ Abteilung "IT A1-xxxxxxxxxxxxx W3xxxxxx" Mehrarbeit anzuordnen oder deren Durchführung zu dulden, solange nicht die Zustimmung des Betriebsrats oder ein die Zustimmung ersetzender Beschluss der Einigungsstelle vorliegt, es sei denn, es liegt ein Notfall oder eine Arbeitskampmaßnahme vor oder es handelt sich um unvorhersehbare, nicht planbare Zusatzstunden im Sinne der Betriebsratsvereinbarung vom 04.02.1998, die nachzumelden sind.

Der Betriebsrat hält die Wiederholungsgefahr weiterhin für gegeben - namentlich auch aufgrund der Vielzahl der Verstöße und der groben, beharrlichen Pflichtverletzungen der Arbeitgeberin in der Vergangenheit.

B.

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Der Betriebsrat kann unverändert die begehrte Unterlassung verlangen.

Im Anschluss an die grundlegende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 03.05.1994 (BAG AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 23) ist nunmehr allgemein anerkannt, dass dem Betriebsrat bei einer Verletzung seines Mitbestimmungsrechts aus § 87 BetrVG ein eigenständiger, allgemeiner Unterlassungsanspruch zusteht (z. B. Fitting, 22. Aufl., § 23 Rdnr. 98 ff. m. w. N.).

Dessen Voraussetzungen sind hier erfüllt. Es wurden nämlich im Werk 06, Abteilung " IT A1xxxxxxxxxxxxxx W3xxxxxx", von vier Mitarbeitern in den Monaten Juli und August 2004 in ganz erheblichen Umfang Mehrarbeitsstunden geleistet, ohne dass zuvor die § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats eingeholt worden war bzw. eine Nachmeldung unter den Voraussetzungen der Betriebsvereinbarung vom 04.02.1998 erfolgte. Dies geschah bemerkenswerter Weise, nachdem sich die Arbeitgeberin erst gut 1 Monat zuvor am 27.05.2004 in einem gerichtlichen Vergleich zur Einhaltung der Beteiligungsrechte des Betriebsrates verpflichtet hatte.

Die darin zum Ausdruck kommende erhebliche Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG begründet eine tatsächliche Vermutung, dass auch zukünftig weitere Verstöße zu besorgen sind, die erforderliche Wiederholungsgefahr also vorliegt (vgl. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB). An deren Wegfall sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen (BAG DB 2005, 2530; AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 105; BGHZ 140,1); davon kann nur in "Sondersituationen" (BAG BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 105) ausgegangen werden.

Die Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Vielmehr handelt es sich im Werk 06 bei der Abteilung "IT A1xxxxxxxxxxxxx W3xxxxxx" um einen Bereich, in dem auch zukünftig namentlich Dienstreisen mit den damit einhergehenden Planungserschwernissen auftreten werden und damit auch die Gefahr mitbestimmungswidrigen Verhaltens nicht ausgeschlossen werden kann. Auch wenn die Arbeitgeberin durch entsprechende Vorkehrungen dafür gesorgt hat, dass bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Anhörung am 07.12.2005 seit mehr als einem Jahr keine einschlägigen Verstöße mehr vorgekommen sind, reicht diese erst in einem laufenden zweiten gerichtlichen Verfahren eingeleitete Entwicklung nicht aus, um eine weitere Verletzung des Mitbestimmungsrechtes zukünftig für unwahrscheinlich halten zu können. Deshalb war die Arbeitgeberin weiterhin durch einen entsprechenden gerichtlichen Titel anzuhalten, ihren betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten nachzukommen; sollte ihre Prognose zutreffen, werden sich für ihr daraus keine weiteren Konsequenzen, namentlich die Festsetzung eines Ordnungsgeldes, ergeben.

Die Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zum 10.000,00 € folgt aus §§ 87 Abs. 2 S. 1 i.V. m. § 85 Abs. 1 S. 3 ArbGG und § 890 Abs. 2 ZPO sowie § 23 Abs. 3 S. 5 BetrVG.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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