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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 07.03.2005
Aktenzeichen: 13 TaBV 139/04
Rechtsgebiete: RVG, BetrVG, KSchG


Vorschriften:

RVG § 23
RVG § 33
BetrVG § 111
KSchG § 17
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit ist bei einstweiligen Verfügungen, gerichtet auf die Unterlassung einer Betriebsänderung in Gestalt des Abbaus von Personal, nach den Zahlenwerten des § 17 Abs. 1 KSchG zu bemessen.

Für den Grundfall einer Entlassung von sechs Arbeitnehmern sind 4.000,00 € in Ansatz zu bringen und für jeden weiteren betroffenen Mitarbeiter 666,67 €.


Tenor:

Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Siegen vom 12.11.2004 - 2 BVGa 10/04 - teilweise abgeändert.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 16.000,00 € festgesetzt.

Im Übrigen werden die Beschwerde der Arbeitgeberin und die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates zurückgewiesen.

Gründe: A. Im Ausgangsverfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat der antragstellende Betriebsrat von der Arbeitgeberin verlangt, bis zum Abschluss der Verhandlung über ein Interessenausgleich den Abbau von 24 der vorhandenen insgesamt 59 Arbeitsplätze zu unterlassen. Das Beschlussverfahren wurde durch Abschluss eines Vergleichs erledigt. Auf Antrag des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates hat das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 12.11.2004 den Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit auf 24.000,00 € festgesetzt. Gegen den ihm am 17.11.2004 zugestellten Beschluss hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrates am 22.11.2004 Beschwerde eingelegt mit der Begründung, es sei eine Anlehnung an die Streitwertnorm des § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG geboten. Auch die Arbeitgeberin hat gegen den ihr ebenfalls am 17.11.2004 zugestellten Beschluss am 26.11.2004 Beschwerde eingelegt mit dem Begehren, den Gegenstandswert auf 8.000,00 € festzusetzen. Das Arbeitsgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen.

B.

Beide Beschwerden sind gemäß § 33 Abs. 3 RVG zulässig. Hingegen ist die arbeitgeberseits eingelegte Beschwerde nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, während sie im Übrigen - ebenso wie die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates - als unbegründet zurückzuweisen war. Bei der Bemessung des Gegenstandswertes ist von § 23 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz RVG auszugehen. Danach ist der Gegenstandswert auf 4.000,00 €, je nach Lage des Falles aber auch niedriger oder höher bis zu 500.000,00 € anzunehmen, sofern es sich um nicht vermögensrechtliche Gegenstände handelt. Hiervon ist im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren immer dann auszugehen, wenn um das Bestehen und die Beachtung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte gestritten wird, weil die Begehren weder auf Geld noch auf eine geldwerte Leistung gerichtet sind und auch ihre Grundlage nicht in einem Verhältnis stehen, dem ein Vermögenswert zukommt (BAG NZA 2005, 70; LAG Hamm LAGE Nr. 50 zu § 8 BRAGO; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rdn. 169, 181, 266). I. Vorliegend haben die Beteiligten darum gestritten, ob im Rahmen des § 111 BetrVG die Beteiligungsrechte des Betriebsrates gewahrt worden sind; folglich handelt es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit. II. Die danach einschlägige Auffangvorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz RVG mit ihrem außerordentlich weiten Bewertungsrahmen und dem Hilfswert in Höhe von derzeit 4.000,00 € stellt die Rechtsprechung vor die Aufgabe, die im Beschlussverfahren in Frage kommenden Streitgegenstände in ein Bewertungssystem einzubinden, das falladäquate Abstufungen zulässt und zugleich tragenden Grundsätzen des Arbeitsgerichtsprozesses ausreichend Rechnung trägt; erforderlich ist die Herausarbeitung typisierender Bewertungsgrundsätze, um zu einer gleichförmigen und damit den Gleichbehandlungsgrundsatz wahrenden Rechtsanwendung zu gelangen (LAG Hamm EzA Nr. 70 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; Schneider, Anm. zu BAG EzA Nr. 36 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; GK-ArbGG 1979 Streitwert; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rdn. 132 b, 264). Maßgeblich ist allerdings immer die "Lage des Falles"; es bedarf also einer auf die konkreten Umstände des einzelnen Verfahrens abgestellten Wertfestsetzung. Was die maßgeblichen Einzelfallumstände angeht, kann auf die vergleichbare Regelung zur Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitigkeiten in § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zurückgegriffen werden, wonach es vor allem auf die Bedeutung der Angelegenheit und daneben auf den Umfang sowie die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ankommt (vgl. BVerfG NJW 1989, 2047; siehe auch § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG). Mit der Bedeutung der Angelegenheit als Ausgangspunkt der Bewertung ist die Tragweite der gerichtlichen Entscheidung für die materielle und ideelle Stellung der Betroffenen angesprochen, was ihnen selbst die Sache "wert" ist. Maßgeblich sind also nicht nur die unmittelbar mit dem Verfahren verfolgten Ziele, sondern auch die weiteren Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Stellung und das Ansehen der Beteiligten (BVerfG, a.a.O.).

Auch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit können bei der Wertfestsetzung zu berücksichtigen sein.

Allerdings müssen beide Gesichtspunkte in Relation zur Bedeutung der Sache gesehen werden. Entspricht also der anwaltliche Arbeitsaufwand von seinem Umfang und seiner Schwierigkeit her typischerweise der Bedeutung der Sache, bleibt es bei deren Bewertung; die Bedeutung ist also letztlich das ausschlaggebende Moment für die vorzunehmende Wertfestsetzung (BVerfG, a.a.O.; LAG Hamm LAGE Nr. 50 zu § 8 BRAGO).

Andererseits ist der im Beschlussverfahren zum Ausdruck kommenden Grundtendenz Rechnung zu tragen, wonach die dem Arbeitgeber gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG obliegende Verpflichtung, die außergerichtlichen Kosten zu tragen, bei ihm nicht zu einer unangemessenen Belastung führen darf (LAG Hamm EzA Nr. 70 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rdn. 265; vgl. auch § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG und § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG).

Damit steht wiederum die Sonderbestimmung des § 2 Abs. 2 GKG in Einklang, wonach in Beschlussverfahren keine Gerichtskosten erhoben werden.

Nach alldem ist also ein Wert zu finden, der für den Rechtsanwalt angemessene und für den Arbeitgeber tragbare Gebühren ergibt (LAG Hamm LAGE Nr. 50 zu § 8 BRAGO).

Unter Anwendung dieser Grundsätze kommt es also zunächst auf das (wirtschaftliche) Interesse an, das mit dem konkret gestellten Verfahrensantrag durchgesetzt werden soll. Insoweit hat die erkennende Kammer in dem grundlegenden Beschluss vom 28.08.2003 (LAG Hamm AP Nr. 165 zu § 112 BetrVG 1972) betont, dass es bei einstweiligen Verfügungen, gerichtet auf die vorläufige Unterlassung von Betriebsänderungen, um das Interesse des Betriebsrates geht, seine in § 111 Satz 1 BetrVG verankerten Ansprüche auf Unterrichtung und Beratung zu wahren; es soll ihm die Möglichkeit gesichert werden, durch Argumente auf die Willensbildung des Unternehmers Einfluss zu nehmen. Dementsprechend ist dieses Sicherungsbegehren bei der Bestimmung des angemessenen Gegenstandswertes maßgeblich zu berücksichtigen und nicht so sehr die wirtschaftlichen Folgen einer beabsichtigten Betriebsänderung, die erst im Rahmen der sich anschließenden Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans von entscheidender Relevanz sind.

Vor diesem Hintergrund hält es die Kammer jedenfalls in Fällen wie hier, wo es um eine Betriebsänderung in Form eines Personalabbaus ging, für sachgerecht, sich auch bei der Festsetzung des Gegenstandswerts an den Zahlenwerken des § 17 Abs. 1 KSchG zu orientieren, wie sie das Bundesarbeitsgericht im Rahmen des § 111 BetrVG zugrunde legt (erstmals: BAG AP Nr. 12 zu § 111 BetrVG 1972)

Demzufolge ist der Grundfall einer Entlassung von mindestens sechs Arbeitnehmern (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG) mit dem Auffangwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz RVG in Höhe von 4.000,00 € zu bewerten (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern LAGE Nr. 47 zu § 8 BRAGO). Daran anknüpfend, ist zur Gewährleistung der erforderlichen Berechenbarkeit eine Bewertungsstaffel zugrunde zu legen, in deren Rahmen pro betroffenem Arbeitnehmer regelmäßig ein Teilwert von 666,67 € (4.000,00 € : 6) in Ansatz zu bringen ist.

Hieraus errechnet sich im vorliegenden Fall, der keine besonderen werterhöhenden Umstände aufweist, bei 24 betroffenen Arbeitnehmern ein Gegenstandswert in Höhe von 16.000,00 €.

Damit ist nach Ansicht der Kammer das Sicherungsbegehren des Betriebsrates wertmäßig hinreichend gewürdigt. Es bedarf deshalb nicht mehr des vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern im Beschluss vom 16.11.2000 (LAGE Nr. 47 zu § 8 BRAGO) befürworteten Zuschlags wegen der Betroffenheit des Betriebs im Ganzen; denn bei der Unterrichtung und namentlich bei der Beratung mit dem Betriebsrat im Rahmen des § 111 Satz 1 BetrVG bilden die Wahrung der Interessen der betroffenen Arbeitnehmer und die Auswirkungen auf den gesamten Betrieb ein untrennbares Ganzes, das auch bei der Festsetzung des Gegenstandswertes nicht getrennt werden kann. Im Übrigen trägt das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern mit seiner Entscheidung der Grundtendenz, wonach dem Arbeitgeber gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG keine unangemessene Kostenlast treffen soll, nicht ausreichend Rechnung. Es ist nämlich bei 80 betroffenen Arbeitnehmern zu einem Gegenstandswert von (umgerechnet) 106.666,66 € gelangt, was erstinstanzlich zu mindestens 3.385,00 € und zweitinstanzlich zu weiteren 3.791,20 € Gebühren pro Rechtsanwalt führen würde. Diese sehr hohe Kostenbelastung ist in Verfahren, in denen es "nur" um die Sicherung bestimmter Unterrichtungs- und Beratungsrechte geht, nicht mehr falladäquat.

Ende der Entscheidung

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