Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 18.12.2006
Aktenzeichen: 13 TaBV 49/06
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 103
BGB § 626
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 10.05.2006 - 4 BV 16/06 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes zu ersetzen ist.

Die antragstellende Arbeitgeberin beschäftigt am Firmenstandort G1xxxxxxxxxxx in den Bereichen Produktion, Logistik und Verwaltung insgesamt ca. 210 Arbeitnehmer. Es werden dort dreischichtig Aktenordner in Großserienfertigung hergestellt.

Der Beteiligte G3xx, geboren am 01.12.1954, verheiratet, ein Kind, ist seit dem 22.03.1977 bei der Arbeitgeberin beschäftigt, zuletzt als Maschinenverantwortlicher in der Aktenordnerproduktion. Er gehört dem im Betrieb bestehenden Betriebsrat an.

In der Nachtschicht vom 06. auf den 07.02.2006 wurden unter der Verantwortung des Beteiligten G3xx an der Kaschierlinie 7 unter drei Auftragsnummern insgesamt 14690 Halbfertigerzeugnisse, sogenannte kaschierte Deckel, produziert. Dabei werden in einem automatisierten Prozess auf eine vorgeschnittene Pappe der Ordnerrücken und das Deckpapier aufgeklebt.

Zu den Aufgaben des Maschinenverantwortlichen an der ca. 12 Meter langen Maschine gehört die Bestückung mit den Ausgangsmaterialien, die Einrichtung der Maschine und die in halbstündigen Abständen vorzunehmende Kontrolle, die aus Sicht- und Maßprüfungen besteht (sogenannte Werkerselbstkontrolle). Insoweit existiert ein arbeitgeberseitiges Schreiben vom 02.12.2005, auf dessen Inhalt als Anlage zum Antragsschriftsatz vom 15.02.2006 Bezug genommen wird (Bl. 10 d.Akten).

Bei der Maßprüfung ist die Maßgenauigkeit des Prüfstücks anhand vorgegebener und im System hinterlegter und nachzulesender Angaben nachzuhalten. Die ordnungsgemäße Durchführung der Kontrollen ist an einem als Prüfplatz eingerichteten PC zu bestätigen, was in der fraglichen Nachtschicht durch den Beteiligten G3xx geschah.

Nach erfolgtem Schichtwechsel am 07.02.2006 um 6.00 Uhr gab der die Linie des Beteiligten G3xx übernommene Mitarbeiter nach Durchführung einer manuellen Prüfung an, die Abmaße der kaschierten Deckel seien nicht korrekt gewesen.

Daraufhin wandte sich die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 13.02.2006 an den Betriebsrat mit der Absicht, dem Beteiligten G3xx "eine außerordentliche (fristlose) Kündigung zu sofort und hilfsweise (fristlose) Kündigung mit Auslauffrist entsprechend der maßgeblichen individuellen Kündigungsfrist auszusprechen". Zur Begründung führte sie unter anderem aus:

Die fehlerhaften Deckel weisen einen bis zu 7 mm starken Versatz des Ordnerrückens auf, wodurch bei der anschließenden Ordnermontage die Rado-Ösen bis in den Rücken hineingesetzt werden. Dies ist ein qualitativer Mangel, der den Ordner unverkäuflich macht. Der entstandene Schaden beziffert sich auf mindestens 7.000,00 EUR.

In dem Personalgespräch am 09.02.2006 zwischen Herrn V1xxxx, Herrn H3xxx und Herrn G3xx erklärte dieser, dass er die Werkerselbstprüfung in der vorgeschriebenen Form nicht durchgeführt, wohl aber im Schwabesystem als ordnungsgemäß durchgeführt bestätigt hat.

Die Frage, ob ihm bekannt sei, dass die Maßprüfung zu den zwingenden Bestandteilen der Werkerselbstprüfung gehört, bejahte Herr G3xx. Eine Erklärung, weshalb er die Prüfung trotzdem nicht durchgeführt, aber dennoch bestätigt hat, konnte er nicht abgeben.

Am 02.12.2005 wurde per Aushang nochmals eindringlich darauf hingewiesen, dass die ordnungsgemäße Durchführung der Werkerselbstprüfung unmittelbar disziplinarische Maßnahmen zur Folge hat. Dieser Aushang ist jedem Maschinenverantwortlichen zudem persönlich ausgehändigt worden. Der Empfang dieses Aushangs ist von jedem Maschinenverantwortlichen, auch von Herrn G3xx, unterschriftlich bestätigt worden.

Herr G3xx hat die Werkerselbstprüfung, die im Intervall von 30 Minuten und somit mindestens 14 mal pro Schicht durchgeführt werden muss, im Schwabesystem insgesamt 11 mal als ordnungsgemäß durchgeführt gemeldet. Die Tatsache, dass nicht eine einzige dieser Prüfungen inhaltlich ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, kann keinesfalls als Versehen oder Ausnahmefall angesehen werden. Herr G3xx hat sich hier kontinuierlich und vorsätzlich über die Anweisungen des Arbeitgebers hinweggesetzt und dem Unternehmen damit einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Erschwerend kommt hier hinzu, dass Herr G3xx durch die Eintragung im Schwabesystem vorgegeben hat, die Prüfungen ordnungsgemäß durchgeführt zu haben. Indem er diese Dokumentation durchgängig gefälscht hat, hat er hier vorsätzlich und betrügerisch gehandelt.

Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist dem Unternehmen unter diesen Umständen nicht zumutbar. ...

Wir beantragen hiermit bei Ihnen die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 103 (1) BetrVG des Herrn H2xxxx G3xx.

Mit Schreiben vom 15.02.2006 verweigerte der Betriebsrat die Zustimmung und führte darin unter anderem aus:

Es ist richtig das Herr G3xx die Werkerselbstprüfung nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat, wir bezweifeln aber, dass Herr G3xx vorsätzlich und betrügerisch gehandelt hat. Auch spricht für Herrn G3xx, dass an diesem Tag kein E1xx Mitarbeiter, sondern ein Leiharbeitnehmer sein Abpacker war. Durch Gespräche die wir mit Kollegen geführt haben, weiß der Betriebsrat, dass es nicht immer möglich ist, die Werkerselbstprüfung ausführlich durchzuführen. Oftmals reicht es nur zur Sichtkontrolle.

Aus oben genannten Gründen halten wir eine außerordentliche Kündigung für nicht gerechtfertigt.

Herr G3xx ist sei 29 Jahren E1xx Mitarbeiter.

Da sich in der Personalakte von Herrn G3xx keine disziplinarische Maßnahme in Form einer Abmahnung befindet, ist der Betriebsrat der Meinung, dass eine Abmahnung im vorliegendem Fall ausreichend wäre.

Die Arbeitgeberin hat unter Berufung auf die Ausführungen im Anhörungsschreiben an den Betriebsrat die Auffassung vertreten, die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten G3xx sei zu ersetzen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds H2xxxx G3xx zu ersetzen.

Der Betriebsrat und der Beteiligte G3xx haben beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie haben behauptet, die im EDV-Programm bestätigten Kontrollen seien auch tatsächlich durchgeführt worden. Sollten die Mängel an den Ordnerrücken tatsächlich aufgetreten sein, habe er, G3xx, der in der Vergangenheit immer beanstandungsfrei gearbeitet habe, sie nicht erkannt. Im Übrigen sei arbeitgeberseits zu keinem Zeitpunkt verbindlich festgelegt worden, welche konkreten Prüfungen durchzuführen seien; vielmehr sei es der Eigeninitiative der Mitarbeiter überlassen worden.

Es sei auch in der Vergangenheit immer wieder zu fehlerhaften Produktionen gekommen, ohne dass gegenüber den zuständigen Mitarbeitern bislang arbeitsrechtliche Maßnahmen ergriffen worden seien.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 10.05.2006 den Antrag abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass zugunsten der Arbeitgeberin allenfalls davon ausgegangen werden könne, dass der Beteiligte G3xx es unterlassen habe, durch Benutzung eines Maßbandes bzw. Lineals eine vollständige Prüfung der Ordnungsgemäßheit des Produktionsprozesses vorzunehmen. Der darin liegende (einmalige) Pflichtverstoß rechtfertige eine Abmahnung, aber nicht die sofortige Beendigung eines 29 Jahre währenden Arbeitsverhältnisses.

Gegen den der Arbeitgeberin am 29.05.2006 zugestellten Beschluss hat diese am 23.06.2006 Beschwerde eingelegt und sie - nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 29.08.2006 - am 28.08.2006 begründet.

Sie behauptet, der Beteiligte G3xx habe die sieben bis acht Mal erforderlich gewesene Maßprüfung mittels eines vorhandenen Messgeräts unterlassen, sich vielmehr auf bloße Sichtkontrollen beschränkt und anschließend falsche Eingaben in das EDV-System vorgenommen. Diese Vorwürfe rechtfertigten den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 10.05.2006 - 4 BV 16/06 - abzuändern und die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung mit sofortiger Wirkung des Betriebsratsmitglieds H2xxxx G3xx zu ersetzen.

Der Betriebsrat und der Beteiligte G3xx beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie weisen darauf hin, er, G3xx, habe keine Prüfungen unterlassen und dementsprechend alle Einträge in das EDV-System korrekt vorgenommen. Bei einer verbindlichen Festlegung eines erweiterten Prüfungsumfangs durch die Arbeitgeberin werde dann zukünftig so verfahren; es müsse dann allerdings die Produktionslinie jeweils zur Vornahme von Messungen gestoppt werden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird verwiesen auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht nämlich die gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG begehrte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung (§ 626 BGB) des Betriebsratsmitglieds G3xx versagt.

In Fällen wie hier, wo dem betroffenen Arbeitnehmer im Kern qualitativ schlechte Leistungen - und in deren Folge unzutreffende EDV-Eingaben - vorgehalten werden, kann eine außerordentliche, fristlose Kündigung als einschneidenste arbeitgeberseitige Maßnahme unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nur gerechtfertigt sein, wenn der Beschäftigte vorsätzlich seine Arbeitskraft zurückhält und beharrlich nicht unter angemessener Anspannung seiner Kräfte und Fähigkeiten arbeitet (vgl. BAG AP GewO § 123 Nr. 27; ErfK/Müller-Glöge, 7. Aufl., § 626 BGB Rdnr. 145; KR/Fischermeier, 7. Aufl., § 626 BGB Rdnr. 462, jeweils m. w. N.).

Die genannten Voraussetzungen lassen sich hier nicht feststellen.

So ist zu Lasten der Arbeitgeberin festzuhalten, dass sie über die doch sehr vagen Hinweise im Schreiben vom 02.12.2005 hinaus den Maschinenverantwortlichen nicht präzise vorgegeben hat, welche Maßnahmen im Rahmen der durchzuführenden Maßprüfung zu ergreifen sind. Gerade wenn man berücksichtigt, welche wirtschaftlichen Folgen ein arbeitnehmerseitiges Fehlverhalten im Bereich der Großserienfertigung von Aktenordnern haben kann, wäre es doch für die Arbeitgeberin - nicht zuletzt auch zur Sicherstellung eines "funktionierenden QS-Systems" - ein Leichtes gewesen, allen betroffenen Arbeitnehmern möglichst schriftlich vorzugeben, bei der Maßprüfung zwingend ein Maßband oder ein Lineal zu benutzen, sich also nicht auf bloße Sichtkontrollen zu beschränken. So wäre (auch für alle Zukunft) der Gefahr unzureichender Prüfungen in dem genannten Bereich adäquat begegnet (worden), und kein Mitarbeiter könnte sich insoweit mehr "unsicher fühlen" (vgl. Schreiben vom 02.12.2005). Wenn sich die Arbeitgeberin stattdessen - unverändert - darauf stützt, die "Vorgehensweise der Eigenkontrolle sei an allen Arbeitplätzen erklärt" (Schreiben vom 02.12.2005), gehen die damit verbundenen Unsicherheiten für die Beschäftigten bei einem Streit um den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu ihren Lasten.

So kann nämlich nicht beweiskräftig festgestellt werden, dass der Beteiligte G3xx sich in der Nachtschicht vom 06. auf den 07.02.2006 bewusst arbeitvertragswidrig verhalten und beharrlich seine geschuldete Arbeitskraft zurückgehalten hat.

Daraus folgt wiederum, dass dem arbeitgeberseits nicht eindeutig instruierten Beteiligten G3xx auch nicht nachweisbar vorgeworfen werden kann, er habe bewusst unrichtige Eingaben in das EDV-System vollzogen, wenn er aus seiner Sicht die vorgenommenen Maßprüfungen für ausreichend und nur so mit einem ungestörten Produktionsablauf für vereinbar hielt.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

Zurück