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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 26.01.2007
Aktenzeichen: 13 TaBV 67/06
Rechtsgebiete: BetrVG, KSchG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 103
KSchG § 15 Abs. 1
BGB § 626
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 07.06.2006 - 3 BV 28/06 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Im vorliegenden Beschlussverfahren begehrt die Arbeitgeberin die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds S3xxx.

Die Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen für die Herstellung und den Vertrieb von Schubladen, insbesondere für Küchenmöbel. Die im Betrieb beschäftigten ca. 110 Arbeitnehmer haben einen siebenköpfigen Betriebsrat gewählt, dem die Beteiligte S3xxx angehört. Sie ist am 31.08.1967 geboren, ledig und seit dem 10.06.1991 als kaufmännische Angestellte bei der Arbeitgeberin bzw. deren Rechtsvorgängerin tätig. Ab dem Jahre 1993 nimmt sie die Position der Einkaufsleiterin war, wofür sie zuletzt eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von 3.591,00 € bezog.

Am 20.03.2006 hatte sich die Beteiligte S3xxx in der Mittagszeit auf den Weg gemacht, um mit ihrem Fahrzeug die Firmenpost zu holen. Ihr Kfz stand auf einem firmeneigenen Parkstreifen, der sich außerhalb des durch einen Zaun umfriedeten Besitztums der Arbeitgeberin befindet. Hinsichtlich der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den mit Schriftsatz der Arbeitgeberin vom 01.06.2006 eingereichten Lageplan sowie verschiedene Fotos (Bl. 53 ff. der Akten).

Durch ihr Bürofenster beobachtete die Personalleiterin L1xxxx, dass die Beteiligte S3xxx von Herrn U2xxxxxxx begleitet wurde. Dieser ist Außendienstmitarbeiter bei der in Ö1xxxxxxxx ansässigen Firma G1xxx GmbH, die ebenso wie die Arbeitgeberin als Tochterunternehmen dem W4xxx-Konzern angehört und deren Mitgeschäftsführer der alleinige Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der Arbeitgeberin ist.

Die Personalleiterin sah, dass die Beteiligte S3xxx den Kofferraum ihres PKW öffnete und von dort etwas in einen Papierkorb packte, den Herr U2xxxxxxx mit sich führte. Insbesondere der Papierkorb erregte die Aufmerksamkeit der Zeugin L1xxxx. Sie machte den Prokuristen und technischen Leiter P2xxxxxx Mitteilung von ihrer Beobachtung. Darauf teilte dieser ihr mit, im Betrieb gebe es Gerüchte, dass die Beteiligte S3xxx mit unverzollten Zigaretten handele.

Nach ihrer Rückkehr von der Post wurde die Beteiligte S3xxx von L1xxxx und P2xxxxxx angesprochen. In einem von der Personalleiterin am 20.03.2006 gefertigten schriftlichen Vermerk, dessen inhaltliche Richtigkeit von P2xxxxxx und dem ebenfalls eingeschalteten Betriebsratsvorsitzenden B5xxx bestätigt worden ist, heißt es unter anderem:

...

Nachdem Frau S3xxx von der Post zurück war, wurde Sie von Herrn P2xxxxxx und Frau L1xxxx gefragt, was Sie dort umgepackt hätte, sie sagte, dass Sie für Herr U2xxxxxxx etwas besorgt hätte, auf die Nachfrage, ob es sich eventuell um unverzollte Zigaretten handeln würde, (Herr P2xxxxxx hatte gerüchteweise gehört, dass man bei Frau S3xxx günstig an Zigaretten kommen könnte) sagte sie, sie wüsste es nicht genau, die Zigaretten kämen aus F1xxxxxxxx, auf welchem Weg diese über die Grenze gekommen sind, könnte sie nicht genau sagen. Frau L1xxxx fragte sie dann, ob Ihr klar wäre, dass es sich beim Verkauf von unverzollten Zigaretten um eine Straftat handeln würde, antwortete Frau S3xxx mit ja und, dass sie es hier nicht wieder machen würde.

Frau L1xxxx informierte dann Herr B5xxx (Betriebsratsvorsitzender) über den Vorfall und bat ihn darum, gemeinsam mit Frau S3xxx zu sprechen und sie zu bitten, Auskunft darüber zu geben in welchem Umfang ihre "Verkaufstätigkeiten" während der Arbeitszeit erfolgen würden. Frau S3xxx wurde ins Büro von Frau L1xxxx gebeten, auf die Frage wie viel Zigaretten sie noch im Kofferraum haben würde, gab sie 15 Stangen an, sie war einverstanden, dass Herr B5xxx und Frau L1xxxx dies persönlich in Augenschein nehmen konnten. Im Kofferraum von Frau S3xxx war ein halbleerer Karton, in dem sich noch 15 Stangen unverzollte Marlboro-Zigaretten befanden, angeblich "Urlaubsmitbringsel".

...

Man öffnete eine Stange Zigaretten und nahm eine Packung der Marke Marlboro in Augenschein. Sie trug keine Steuermarke; zwischen den Beteiligten ist aber streitig, ob sie mit dem Aufdruck " For Duty Free Sale Only" versehen war.

Nach diesem Geschehen versuchte die Arbeitgeberin aufzuklären, ob die Beteiligte S3xxx in der Vergangenheit noch an andere Personen auf dem Betriebsgelände Zigaretten veräußert hatte.

In dem am 24.03.2006 an den Betriebsrat gestellten schriftlichen Antrag auf Zustimmung der außerordentlichen Kündigung wird dann zur Begründung unter anderem ausgeführt:

Zwischenzeitlich hat Frau S3xxx mit Herr P2xxxxxx gesprochen und ihn gefragt, ob er in dieser Angelegenheit noch etwas für sie tun könne, in dem Zusammenhang erklärte sie, dass sie die "Ware" immer in B3xxxxxxx abholen würde. Von dem Mitarbeiter Herrn E2xxxxxxx haben wird erfahren, dass er mindestens seit einem Jahr von Frau S3xxx immer wieder unverzollte Zigaretten auf unserem Betriebsgelände gekauft hat und dass auch noch andere Kollegen sich bei Frau S3xxx mit Zigaretten eingedeckt hätten. Herr E2xxxxxxx war jedoch nicht bereit, uns die Namen der weiteren involvierten Kollegen zu benennen.

Wegen des weiteren Inhalts des arbeitgeberseitigen Schreibens wird Bezug genommen auf die mit Antragsschriftsatz vom 31.03.2006 eingereichte Kopie (Bl. 14 ff. d. Akte).

Nachdem der Betriebsratsvorsitzende der Arbeitgeberin am 27.03.2006 mündlich mitgeteilt hatte, dass der Betriebsrat keine Zustimmung erteilen werde, leitete die Arbeitgeberin mit Antrag vom 31.03.2006 das vorliegende Beschlussverfahren ein.

Um Klarheit zu gewinnen, mit welchen Lieferanten die seit dem 22.03.2006 von der Arbeit freigestellte Beteiligte S3xxx welche Absprachen getroffen hatte, wollte die Arbeitgeberin den geschäftlichen E-Mailverkehr der Beteiligten S3xxx sichten. Diese hatte aber sämtliche E-Mails gelöscht. Bei Durchsicht des Archivordners wurde dann am 03.04.2006 festgestellt, dass die Beteiligte S3xxx am 19.07.2005 um 12.22 Uhr an N1xxxx G3xxx M4xxxxxx folgende dienstliche E-Mail gerichtet hatte:

Hallo Niki,

was ist mit Olli, möchte er noch immer 2 Stangen Lucky haben für 52 Euro????

Bitte Rückinfo, werden die Zigaretten heute ansonsten für Montag nächste Woche bestellen.

Daraufhin wandte sich die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 07.04.2006 erneut an den Betriebsrat und führte darin unter anderem aus:

Da wir den beschriebenen Sachverhalt erst jetzt in Erfahrung gebracht haben, sich dieser jedoch vor unserem Antrag zur Zustimmung ereignet hat, schieben wir hiermit diesen Kündigungsgrund nach und bitten um Neubewertung unserer Anhörung.

Wegen des weiteren Inhalts des genannten Schreibens wird verwiesen auf die mit Arbeitgeberschriftsatz vom 13.04.2006 eingereichte Kopie (Bl. 33 f. d. Akten).

Nachdem sich der Betriebsrat in der Folgezeit dazu nicht mehr geäußert hatte, schob die Arbeitgeberin die neuen Erkenntnisse im vorliegenden Beschlussverfahren mit Schriftsatz vom 13.04.2006 nach.

Parallel leitete sie am selben Tag unter dem Aktenzeichen 3 (5) BV 40/06 (Arbeitsgericht Bielefeld) = 10 TaBV 65/06 (LAG Hamm) ein zweites Beschlussverfahren ein mit dem Begehren, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten S3xxx zu ersetzen, gestützt auf den gesamtem Sachverhalt einschließlich des E-Mail-Komplexes.

Die Arbeitgeberin hat die Ansicht vertreten, der geschilderte Sachverhalt rechtfertige die außerordentliche Kündigung des Betriebsratsmitgliedes S3xxx. Diese habe wiederholt im Betrieb mit unverzollter Ware gehandelt, wie die fehlende Steuerbanderole auf der am 20.03.2006 inspizierten Packung exemplarisch zeige.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Zustimmung des Betriebsrates zur Kündigung des Betriebsratsmitglieds und Wahlvorstandsmitglieds A2xx S3xxx zu ersetzen.

Der Betriebsrat und die Beteiligte S3xxx haben beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Beteiligte S3xxx hat behauptet, auf Nachfrage der Personalleiterin L1xxxx sofort erklärt zu haben, Herrn U2xxxxxxx 5 Stangen Marlboro übergeben zu haben. Im Kofferraum hätten sich dann noch weitere 10 Stangen befunden. Sie wolle nicht bestreiten, in einigen wenigen Fällen befreundeten Kollegen, darunter Herrn E2xxxxxxx, gefälligkeitshalber bei Gelegenheit Zigaretten zur Verfügung gestellt zu haben; regelmäßig sei dies aber nicht erfolgt.

Die E-Mail sei privat versandt worden und trage nur versehentlich den dienstlichen Absender.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen E2xxxxxxx und L1xxxx. Der Zeuge E2xxxxxxx hat das Zeugnis verweigert unter Berufung auf die Gefahr, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Vernehmung der Zeugin L1xxxx wird verwiesen auf die Sitzungsniederschrift des Arbeitsgerichts vom 07.06.2006 (Bl. 63 f. d. Akten).

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 07.06.2006 den Antrag abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass das Verhalten der Beteiligten S3xxx an sich geeignet sei, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu bilden. Allerdings sei eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur bei einer Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung der sich aus der E-Mail vom 19.07.2005 ergebenen Indizien gerechtfertigt.

Gegen diesen ihr am 28.06.2006 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am 28.07.2006 Beschwerde eingelegt und diese am 28.08.2006 begründet.

Sie ist der Meinung, der zulässigerweise nachgeschobene Sachverhalt betreffend die E-Mail vom 19.07.2005 hätte bei der Entscheidung berücksichtigt werden müssen.

Abgesehen davon sei eine außerordentlichen Kündigung schon deshalb gerechtfertigt, weil die Beteiligte S3xxx in ihrer herausgehobenen Position als Einkaufsleiterin auf dem Betriebsgelände wiederholt Handel mit unverzollten Zigaretten betrieben und dadurch Steuerstrafdelikte begangen habe.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 07.06.2006 - 3 BV 28/06 - abzuändern und die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten S3xxx zu ersetzen.

Der Betriebsrat und die Beteiligte S3xxx beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie weisen darauf hin, es bliebe völlig unklar, warum die Zigaretten im Kofferraum der Beteiligten S3xxx am 20.03.2006 illegal eingeführt worden seien. Sogenannte "duty-free-Ware" könne innerhalb bestimmter Freimengen zollfrei nach Deutschland gelangen. Auch der Zeuge E2xxxxxxx habe nicht sagen können, dass es sich bei den von ihm bezogenen Zigaretten um unverzollte Ware gehandelt habe. Die Beteiligte S3xxx habe sich also erwiesenermaßen keiner Straftat schuldig gemacht.

Bei der E-Mail sei schon zweifelhaft, ob deren Inhalt überhaupt zur Grundlage der Entscheidung gemacht werden dürfe - unter anderem wegen des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und wegen der fehlenden Zustimmung des Betriebsrates.

Abgesehen davon liege kein strafbarer Sachverhalt vor. Die Beteiligte S3xxx habe in der E-Mail lediglich ihre Nichte gefragt, ob deren Lebensgefährte 2 Stangen Lucky Strike haben wolle, die ein mit ihr, der Beteiligten S3xxx, befreundeter Zeuge K3xxxxxxxx verkaufen wolle, weil dessen Ehefrau mit dem Rauchen aufgehört habe.

Wegen des weiteren Vorbringens aller Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet.

Auch unter Einbeziehung des Sachverhaltes im Zusammenhang mit der E-Mail vom 19.07.2005 liegen nämlich keine ausreichenden Tatsachen vor, um die verweigerte Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des über 15 Jahre bestehenden Arbeitsverhältnisses des Betriebsratsmitglieds S3xxx zu ersetzen (§ 103 Abs. 2 BetrVG i.V. m. § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG und § 626 BGB).

Allerdings können nach der zu folgenden ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z. B. BAG BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39; AP BGB § 626 Nr. 163) strafbare Handlungen von Arbeitnehmern eine fristlose Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB rechtfertigen, sofern sie einen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben. So hat das Bundesarbeitsgericht in dem von der Arbeitgeberin herangezogenen Urteil vom 06.11.2003 (AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39) bei der Hehlerei mit insgesamt 100 Handys im Marktwert zwischen ca. 430 und 490 DM, die auf dem umfriedeten und besonders geschützten Firmenparkplatz übergeben worden sein sollten, eine außerordentlichen Kündigung für möglich gehalten.

Vergleichbare Umstände lassen sich hier aber nicht feststellen.

1. Was das Geschehen auf dem zwar zum Firmengrundstück gehörenden, sich aber außerhalb des umzäunten Besitztums befindlichen Parkstreifens am 20.03.2006 angeht, war der Bezug zum Arbeitsverhältnis der Beteiligten S3xxx zwar gegeben, weil sie sich bei der Erledigung einer arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgabe befand, nämlich die Firmenpost zu holen, und bei dieser Gelegenheit Herrn U2xxxxxxx 5 Stangen Zigaretten auf dem firmeneigenen Parkstreifen übergeben hat.

Es lässt sich aber nicht feststellen, worauf die Arbeitgeberin namentlich auch im Verhältnis zum Betriebsrat im Rahmen des § 103 BetrVG entscheidend abgehoben hat, dass die Beteiligte S3xxx dabei "unverzollte" Zigaretten verkauft und sich damit wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO 1977) strafbar gemacht hat. Denn auch wenn auf den einzelnen Packungen (sogenannte Kleinverkaufspackungen) kein gültiges Steuerzeichen (vgl. § 23 Abs. 1 S. 1 TabStG) angebracht war, lässt das nicht den zwingenden Rückschluss auf ein strafbewehrtes Zollvergehen zu. Es ist nämlich zum Beispiel auch möglich, dass in begrenztem Umfang Zigaretten in sogenannten Duty-free-Shops an Flughäfen in Drittländern unter Vorlage des Flugtickets erworben und dann zollfrei eingeführt werden können; wenn überhaupt, befindet sich dann auf den einzelnen Packungen lediglich ein Aufdruck wie zum Beispiel "For Duty Free Sale Only", aber kein Steuerzeichen.

Zwar dürfen solche Zigaretten nach dem zutreffenden Hinweis der Arbeitgeberin nur für den Eigenbedarf verwandt werden. Aber im Rahmen der Prüfung, ob ein Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet werden kann, macht es wertungsmäßig einen entscheidenden Unterschied, ob, wovon die Arbeitgeberin (auch gegenüber dem Betriebsrat) ausgeht, die Beteiligte S3xxx illegal eingeführte Ware weiterveräußert oder "nur" ledig in die Bundesrepublik Deutschland verbrachte Ware verkauft hat, statt sie für den Eigenbedarf zu verwerten. Im letzteren Fall ist der Unwertgehalt deutlich geringer, wie zum Beispiel auch der bloße Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 30a TabStG in Abgrenzung zum Straftatbestand des § 370 AO 1977 zeigt.

2. Davon abgesehen hat die Arbeitgeberin unter anderen in ihrem schriftlichen Antrag an den Betriebsrat vom 24.03.2006 herausgestellt, dass die Beteiligte S3xxx "immer wieder unverzollte Zigaretten" verkauft habe. Sie hat dann bei der Interessenabwägung namentlich auf die "Dauer" des "fortgesetzten Handels" abgestellt. Auch im Antragsschriftsatz vom 31.03.2006 wird herausgestrichen, die Beteiligte S3xxx habe "wiederholt" die betrieblichen Gegebenheiten für ihre Straftaten genutzt und damit das Integritätsinteresse erheblich verletzt. Darin wird deutlich, dass für die Kündigungsabsicht der wiederholte illegale Handel mit Zigaretten wesentlich war. Auch dies lässt sich aber nicht feststellen.

a) Zwar soll der Arbeitnehmer E2xxxxxxx nach Angaben der Arbeitgeberin regelmäßig und nicht nur gelegentlich von der Beteiligten S3xxx Zigaretten bezogen haben. Davon kann aber nach der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme nicht ausgegangen werden. Nachdem nämlich der Zeuge E2xxxxxxx unter Berufung auf § 384 Nr. 2 ZPO sein Zeugnis zulässigerweise verweigert hatte, konnte die Zeugin L1xxxx (verständlicherweise) nur sehr unpräzise Angaben zum Inhalt des Gesprächs, das sie mit dem Arbeitnehmer E2xxxxxxx geführt hatte, machen. So hat sie zum Beispiel zugestanden, dass der Beschäftigte E2xxxxxxx keine Angaben zur Frage der Regelmäßigkeit gemacht habe. Auch im Übrigen konnte sie nicht genau genug angeben, wann der genannte Mitarbeiter in welchem Umfang welche wie gekennzeichneten Zigarettenpackungen erhalten hat; nur dann wäre es der Beteiligten S3xxx aber möglich gewesen, sich mit den diesbezüglichen Vorwürfen auseinanderzusetzen.

b) Auch aus dem Inhalt der in das vorliegende Verfahren eingebrachten E-Mail vom 19.07.2005 ergeben sich keine aussagekräftigen kündigungsrelevanten Gesichtspunkte.

aa) Allerdings konnte dieser Sachverhalt in das hier mit Schriftsatz vom 31.03.2006 eingeleitete Zustimmungsersetzungsverfahren eingeführt werden, so dass sich das weitere erst am 13.04.2006 angestrengte Zustimmungsersetzungsverfahren (ArbG Bielefeld 3 (5) BV 40/06 = LAG Hamm - 10 TaBV 65/06) erledigt hat.

Denn nach zutreffender Ansicht (z.B. BAG AP BetrVG 1972 Nr. 39; AP BGB § 626 Nachschieben von Kündigungsgründen Nr. 1; BGH NZA 2004, 173; ErfK/Müller-Glöge, 7. Aufl., § 626 BGB Rdnr. 78 und 291) ist es grundsätzlich möglich, Gründe, die im Kündigungszeitpunkt bereits vorlagen, im laufenden gerichtlichen Verfahren nachzuschieben. In Konstellationen wie hier muss allerdings hinzukommen, dass zunächst der Betriebsrat im Rahmen des § 103 BetrVG ergänzend beteiligt wird (LAG Düsseldorf BB 1994, 793, 794; vgl. auch ErfK/ Müller-Glöge, a.a.O., § 626 BGB Rdnr. 80 f.).

Die genannten Voraussetzungen liegen hier vor, weil der Sachverhalt aus dem Jahr 2005 herrührt und der Betriebsrat mit Schreiben vom 07.04.2006 darüber ordnungsgemäß informiert wurde.

bb) Ob der Inhalt der E-Mail unter Berücksichtigung der Bestimmungen des Art. 2 Abs. 1 GG und § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG überhaupt verwertbar ist, kann offen bleiben. Denn in jedem Fall stützt er nicht die Vorhaltung der Arbeitgeberin, die Beteiligte S3xxx habe wiederholt mit unverzollten Zigaretten gehandelt.

Es kann ihr nämlich nicht wiederlegt werden, dass es in der an die Nichte G3xxx M4xxxxxx gerichteten E-Mail um den Verkauf zweier Zigarettenstangen an deren Lebensgefährten ging, die übrig geblieben waren, nachdem die Ehefrau eines Freundes der Beteiligten S3xxx das Rauchen aufgegeben hatte. Zwar passt dazu nicht das im zweiten Satz verwandte Verb "bestellen"; es kann aber jedenfalls nicht festgestellt werden, dass dieser Vorgang einen illegalen Handel mit unverzollten Zigaretten dokumentiert.

So ergibt sich insgesamt, dass sich die Beteiligte S3xxx am 20.03.2006 auf dem Parkstreifen zwar nicht arbeitsvertragsgemäß verhielt, als sie Herrn U2xxxxxxx 5 Stangen Zigaretten übergab. Dieses Fehlverhalten hat sie aber auch gegenüber der Personalleiterin L1xxxx sofort eingeräumt mit dem Versprechen, es "hier", also auf dem Firmengelände mit einer entsprechenden Relevanz für das Arbeitsverhältnis, nicht zu wiederholen. Darin liegt gegebenenfalls ein abmahnwürdiges Verhalten. Dieses kann aber ohne den ausgebliebenen Nachweis eines kontinuierlichen strafbaren Handels mit Zigaretten in der Vergangenheit nicht den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung als einschneidenste arbeitsrechtliche Maßnahme rechtfertigen, zumal wenn bedacht wird, dass das Arbeitsverhältnis der 39-järigen Beteiligten S3xxx schon über 15 1/2 Jahre - offensichtlich im Übrigen unbeanstandet - besteht.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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