Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 18.01.2006
Aktenzeichen: 14 Sa 1126/05
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 2
Eine ordentliche Änderungskündigung, bei der die neuen Arbeitsbedingungen sofort in Kraft treten sollen, ist sozial ungerechtfertigt.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 12.04.2005 - 2 Ca 4197/04 - wird kostenfällig zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung und die Zahlung einer Jahressondervergütung für 2004.

Die Beklagte bildet mit der Firma M1xxx M2xxxxxxxxxxxxx GmbH und B1. M1xxx Wasserkraft GmbH einen gemeinsamen Betrieb, in welchem 70 Mitarbeiter beschäftigt werden.

Bei der Beklagten werden Anlagen gefertigt, die für die Holz- und Müllzerkleinerung bestimmt sind. Sie geriet im Sommer 2004 in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Am 27.09.2004 wurde auf einer Betriebsversammlung die Belegschaft über die Lage informiert. Es ging in erster Linie darum, kurzfristig eine Kostenentlastung zu erreichen. Mit dem Betriebsrat wurde in der Betriebsvereinbarung vom 01.10.2004 ein Interessenausgleich vereinbart, der neben der Kündigung von zehn Mitarbeitern Gehaltsanpassungen und Umsetzungen für die verbleibende Belegschaft vorsah. Mit der Mehrheit der Belegschaft erreichte die Beklagte den Verzicht auf die Jahressonderzahlung und fünf Tage Jahresurlaub. Der Kläger und neun weitere Mitarbeiter lehnten einen Verzicht auf vertragliche Rechte ab. Daraufhin vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat unter dem 09.12.2004 eine Ergänzung des Interessenausgleichs, in welcher Änderungskündigungen aus dringenden betrieblichen Erfordernissen angekündigt wurden, welche den Entfall der Jahressondervergütungen in 2004 und den Folgejahren sowie die Reduzierung des Jahresurlaubs ab 2005 von 30 auf 25 Tage beinhalten sollten. Der Vereinbarung war eine Liste mit den Namen der betroffenen Mitarbeiter als Anhang beigefügt. Die Liste enthält auch den Namen des Klägers.

Der 45-jährige Kläger, verheiratet und Vater von zwei Kindern ist zu 40 % schwerbehindert und trat zum 01.11.1998 als Fräser in die Dienste der Beklagten. Sein Bruttomonatslohn beträgt 2.322,00 €. Der schriftliche Arbeitsvertrag vom 13.08.2001 sieht unter 2.4 eine Jahressondervergütung in Höhe eines Bruttomonatsgehalts vor. Der Urlaubsanspruch wurde auf 30 Arbeitstage pro Kalenderjahr festgelegt.

Mit Schreiben vom 10.12.2004 sprach die Beklagte zum 28.02.2005 eine Änderungskündigung aus, zu der der Betriebsrat am 09.12.2004 angehört worden war und zugestimmt hatte. Die Änderungskündigung enthielt das Angebot, mit Wirkung ab dem 20.12.2004 auf der Grundlage eines neuen Arbeitsvertrages das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Der beigefügte neue Vertrag bezog sich auf die Betriebsvereinbarung vom 01.10.2004 und sollte seinem Wortlaut gemäß ab dem 01.10.2004 gelten. Der Jahresurlaub war nunmehr auf 25 Arbeitstage reduziert. Eine Jahressondervergütung war nicht vorgesehen. Mit Schreiben vom 23.12.2004 nahm der Kläger die Änderung der Arbeitsbedingungen unter Vorbehalt an und erhob am 27.12.2004 eine Änderungsschutzklage, welche um die Zahlung der zweiten Hälfte der Jahressondervergütung 2004 und um einen weiteren Betrag von 258,12 €, der für die Berufungsinstanz nicht mehr von Interesse ist, erweitert wurde.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die ihm angesonnene Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt sei, weil es nicht angehe, dass die Beklagte ihr unternehmerisches Verlustrisiko auf ihre Arbeitnehmer abwälze. Die Beklagte habe keinen umfassenden Sanierungsplan vorgelegt, aus dem sich ergebe, dass die den Mitarbeitern angesonnenen Kürzungen das einzige und letzte Mittel gewesen sei, um eine Stilllegung oder Insolvenz des Betriebes zu verhindern. Auch sei der Betriebsrat zur anstehenden Kündigungen nur rudimentär angehört worden. Die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen seien ihm nicht umfassend mitgeteilt worden.

Da die Änderungskündigung unwirksam sei, habe er, der Kläger, nach wie vor Anspruch auf die ungekürzte Jahressondervergütung für 2004.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 10.12.2004, zugegangen am 10.12.2004 sozial ungerechtfertigt und unwirksam ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.161,00 € zu zahlen nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.12.2004,

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 258,12 € brutto zu zahlen nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz von 80,04 € ab dem 01.11.2004, von 146,07 € ab dem 01.12.2004 und von 231,01 € ab dem 01.01.2005.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Sommer 2004 zu bedrohlichen Fehlbeträgen geführt hätten. Die hierüber informierte Belegschaft sei weit überwiegend bereit gewesen, ihrerseits zu einer Entlastung der Beklagten durch Anspruchsverzicht beizutragen. Auch der Betriebsrat sei jederzeit voll über die Situation informiert gewesen und habe die Sanierungsmaßnahmen mitgetragen. Von einer fehlerhaften Information des Betriebsrats zur streitbefangenen Änderungskündigung könne daher keine Rede sein. Für die Rechtfertigung der Kündigung gelte die Regelung nach § 1 Abs. 5 KSchG. Danach werde die Betriebsbedingtheit der Kündigung vermutet. Diese gesetzliche Vermutung habe der Kläger nicht erschüttert.

Da somit die Änderungskündigung Bestand habe, könne der Kläger die zweite Hälfte der Jahressondervergütung für 2004 nicht beanspruchen.

Das Arbeitsgericht hat durch sein am 12.04.2005 verkündetes Urteil wie folgt erkannt:

1. Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 10.12.2004, zugegangen am 10.12.2004, unwirksam ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.161,00 € brutto zu zahlen nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2004.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Für den Kläger wird die Berufung nicht zugelassen.

5. Von den Kosten tragen der Kläger 5 % und die Beklagte 95 %.

6. Streitwert: 6.063,12 €.

In den Entscheidungsgründen des Urteils wird ausgeführt, dass es der streitbefangenen Änderungskündigung an einer sozialen Rechtfertigung fehle. Die Beklagte habe es versäumt, ihre betriebliche Situation umfassend darzustellen und darzulegen, warum andere als die mit der Änderungskündigung beabsichtigten Einsparungen nicht in Betracht gekommen seien. Zu Unrecht berufe sich hier die Beklagte darauf, dass § 1 Abs. 5 KSchG wegen der mit dem Interessenausgleich verbundenen Namensliste die Betriebsbedingtheit der Änderungskündigung zu Lasten des Klägers vermute. Denn die genannte Vorschrift beziehe sich nur auf Beendigungskündigungen und nicht auf die streitbefangene Änderungskündigung. Da nach alledem die Änderungskündigung die bisherige vertragliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses nicht geändert habe, bleibe es dabei, dass dem Kläger auch für 2004 die volle Jahressondervergütung zustehe.

Wegen der Ausführungen des Arbeitsgerichts im Einzelnen wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihr am 02.05.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 01.06.2005 Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel am 28.06.2005 begründet.

Sie verteidigt ihre Rechtsansicht, dass die namentliche Benennung eines von einer Änderungskündigung betroffenen Mitarbeiters in einem Interessenausgleich die gesetzliche Vermutungswirkung nach § 1 Abs. 5 KSchG auslöse. Zu Recht gehe nämlich die ganz überwiegende Literaturmeinung dahin, dass § 1 Abs. 5 KSchG auch bei Änderungskündigungen Anwendung finden müsse. Diese gesetzliche Vermutung habe der Kläger nicht erschüttert. Nach wie vor sei daher davon auszugehen, dass die streitbefangene Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt gewesen sei. Die daher rechtswirksame Änderungskündigung habe das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß dem der Kündigung beigefügten neuen Arbeitsvertrag verändert, weshalb der Kläger die restliche Jahressonderzahlung für 2004 nicht beanspruchen könne.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten konnte in der Sache keinen Erfolg haben. Mit Recht hat das Arbeitsgericht der Klage in den jetzt noch streitigen Punkten stattgegeben. Im Einzelnen gilt folgendes:

1. Die mit der Kündigung vom 10.12.2004 verbundene Änderung der Arbeitsbedingungen ist sozial nicht gerechtfertigt (§ 2 KSchG i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 - 3). Der Kläger hat die ihm angetragene Änderung der Arbeitsbedingungen zwar unter Vorbehalt angenommen, jedoch innerhalb der Frist nach § 2 Abs. 2 KSchG eine Änderungsschutzklage erhoben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien unterfällt streitlos dem Kündigungsschutzgesetz.

2. Die Änderungskündigung ist unwirksam, weil die von der Beklagten angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen vor Ablauf der Kündigungsfrist in Kraft treten sollen (vgl. LAG Köln, Urteil vom 21.06.2002 in NZA-RR 2003, 247).

Dabei ist festzustellen, dass der dem Kündigungsschreiben beigefügte neue Arbeitsvertrag nach den Vorstellungen der Beklagten bereits zum 01.10.2004, also schon vor Ausspruch der Kündigung, wirksam werden sollte. Im Kündigungsschreiben selbst ist die Rede davon, dass die neuen Bedingungen zum 20.12.2004 wirksam werden sollten. Abgesehen davon, dass schon im Hinblick auf die unterschiedlichen Datierungen Unklarheit bezüglich des Inkrafttretens besteht, sollen die neuen Arbeitsbedingungen in jedem Falle weit vor Ablauf der dem Kläger zustehenden Kündigungsfrist gelten. Damit wird vom Kläger verlangt, dass er auf die ihm gesetzlich zustehende Kündigungsfrist verzichtet, ohne dass hierfür ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB vorliegt.

3. Da bereits der vorgenannte Punkt zur Unwirksamkeit der streitbefangenen Kündigung führt, braucht sich die Berufungskammer nicht mit der vom Arbeitsgericht als streitentscheidend herausgestellten Frage befassen, ob auch bei einer Änderungskündigung im Sinne von § 2 KSchG die Vermutungswirkung nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG gilt, also bei einem vereinbarten Interessenausgleich und der namentlichen Bezeichnung des betroffenen Arbeitnehmers dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG vermutet werden. Die wohl überwiegende Literaturmeinung bejaht diese Frage (vgl. KR-Rost, 7. Aufl., § 2 KSchG Rn. 103 c m.w.N. im Gegensatz zu KR-Etzel, § 1 KSchG Rn. 703 siehe auch Löwisch in DB 05, 554; ErfK/Ascheid, 5. Aufl., § 1 KSchG Rn. 517 f; Preis in Stahlhacke, Preis, Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Aufl., Rn. 1281 c).

4. Ergibt sich die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Änderungskündigung bereits aus dem den Kläger angesonnenen vorzeitigen Inkrafttreten der neuen Arbeitsbedingungen, so bedarf es auch keines Eingehens darauf, ob der Betriebsrat umfassend über die geänderten Bedingungen informiert wurde. Der Kläger hat weiterhin Anspruch auf die ihm durch Vertrag vom 13.08.2001 zugestandenen Bedingungen, wozu die Jahressondervergütung zählt. Für das Jahr 2004 stand dem Kläger ein vom Betrag her unstreitiger Rest von 1.161,00 € zu, der dem Kläger vom Arbeitsgericht einschließlich der Zinsen zu Recht zugesprochen wurde.

5. Die Kosten ihrer erfolglosen Berufung hat die Beklagte nach § 97 ZPO zu tragen.

Der Streitwert hat sich gegenüber der Vorinstanz (geringfügig) geändert. Er ist nunmehr auf 5.805,00 € festzusetzen, wobei für den Änderungsschutzantrag zwei Monatsentgelte, wie erstinstanzlich festgesetzt, berücksichtigt wurden.

Die Zulassung der Revision erfolgte gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

Zurück