Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.11.2008
Aktenzeichen: 14 Sa 1507/08
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 62 Abs. 1 Satz 3
ZPO § 719
ZPO § 769
1. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem arbeitsgerichtlichen Urteil durch das Berufungsgericht erfolgt ausschließlich nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i.V.m. § 719 Abs. 1 ZPO. Das gilt auch für den Fall, dass der Arbeitgeber zusammen mit einer Stattgabe der Kündigungsschutzklage zur Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung verurteilt wird und danach eine erneute Kündigung ausspricht.

2. § 769 ZPO findet auch dann keine Anwendung, wenn der Einwand gegen den im arbeitsgerichtlichen Urteil festgestellten Anspruch erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden ist und der Schuldner uneingeschränkt Berufung einlegt, so dass eine Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO unzulässig ist (gegen LAG Sachsen-Anhalt, 25. September 2002, 8 Sa 344/02, AuA 2003, S. 49).


Tenor:

Der Antrag der Beklagten vom 27. Oktober 2008 auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 26. August 2008 (7 Ca 2077/08) wird zurückgewiesen.

Gründe:

Der Antrag der Beklagten ist nicht begründet.

1. Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem arbeitsgerichtlichen Urteil ist durch das Berufungsgericht nach § 62 Absatz 1 Satz 3 ArbGG, § 719 Abs. 1 ZPO nur ausnahmsweise zulässig: Der Schuldner muss glaubhaft machen, dass ihm die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Ein unersetzlicher Nachteil im Sinne der genannten Vorschrift wiegt schwerer als lediglich ein schwer zu ersetzender Nachteil, wie ein Vergleich der verschiedenen Begriffe in § 707 Absatz 1 Satz 2, § 719 Absatz 2 Satz 1 ZPO einerseits und § 710 ZPO andererseits ergibt. Nicht zu ersetzen ist ein Nachteil nach herrschender Auffassung, wenn die Wirkung der Vollstreckung nachträglich nicht wieder beseitigt oder ausgeglichen werden kann.

a) Eine Einstellung der Zwangsvollstreckung ist im Falle der Verurteilung zur Weiterbeschäftigung nur dann möglich, wenn durch die Beschäftigung selbst ein unersetzbarer Nachteil wirtschaftlicher oder immaterieller Art eintreten würde, für den aller Wahrscheinlichkeit nach ein Ersatz von dem Arbeitnehmer nicht erlangt werden könnte. Dafür reicht die fehlende Möglichkeit einer Rückabwicklung allein nicht aus (vgl. BAG GS, 27. Februar 1985, GS 1/84, AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14). Der Wegfall des Arbeitsplatzes, auf dem der Arbeitnehmer bisher beschäftigt war, kann nur dann ein unersetzbarer Nachteil sein, wenn der Arbeitgeber keinerlei vergleichbare Beschäftigungsmöglichkeit schaffen kann. Die Umstände des Einzelfalles sind hier von besonderer Bedeutung (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 6. Auflage, § 62 Rn. 22).

b) Die Beklagte hat die vorstehenden Voraussetzungen für die Annahme eines nicht zu ersetzenden Nachteils nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Sie beruft sich zur Begründung ihres Antrags auf Einstellung der Zwangsvollstreckung letztlich nur auf den der Kündigung vom 31. März 2008 zugrunde liegenden Kündigungsgrund. Diesen hat das Arbeitsgericht für nicht ausreichend dargelegt erachtet, weil zum einen das Vorliegen eine Organisationsentscheidung bezüglich der Verteilung der vom Kläger zu verrichtenden Tätigkeiten zum Zeitpunkt der Kündigung fraglich sei, so dass keine hinreichend sichere Prognose für einen Wegfall seiner Tätigkeit bei Ablauf der Kündigungsfrist bestehe. Zum anderen ergebe sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht, dass die übrigen Arbeitnehmer die Arbeit des Klägers ohne eine überobligationsmäßige Belastung übernehmen könnten. Die Beklagte behauptet zwar nunmehr darüber hinausgehend, dass die unternehmerische Entscheidung von Ende März 2008 tatsächlich worden umgesetzt sei. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um einen Wegfall jeglicher Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger im Unternehmen der Beklagten glaubhaft zu machen, insbesondere im Hinblick auf den zuletzt genannten Aspekt überobligationsmäßiger Belastung anderer Mitarbeiter, die durch eine Umsetzung weiterhin bestehen kann. Die Beklagte kann, wie der Kläger zu Recht rügt, ihm seine bisherigen Aufgaben wieder übertragen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Neuverteilung der Aufgaben nur im Wege der Änderungskündigung gegenüber den übrigen Mitarbeitern rückgängig gemacht werden kann.

Ob die Einstellung der Zwangsvollstreckung schon deswegen nicht erfolgen kann, weil die Beklagte es versäumt hat, vor Erlass des Urteils den Ausschluss der vorläufigen Vollstreckbarkeit zu beantragen (so LAG Berlin-Brandenburg, 23. August 2007, 515 Sa 1630/07, NZARR 2008, S. 42; a. A. LAG Baden-Württemberg, 26. August 2008, 5 Sa 52/08, ArbuR 2008, S. 363), bedarf hier keiner Entscheidung.

2. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung folgt auch nicht aus einer analogen Anwendung des § 769 ZPO im Rahmen der Entscheidung des Berufungsgerichts nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, § 719 Abs. 1 ZPO.

a) Grundsätzlich liegt kein Fall der Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen eines nicht zu ersetzenden Nachteils vor, wenn der Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers verpflichtet wird, danach jedoch erneut eine Kündigung ausspricht. In diesem Falle endet zwar die Wirkung der Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung auf Grund des zuerst verkündeten Urteils, zur Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruches bedarf es nunmehr eines neuen Titels. Denn der durch das Urteil festgestellte Anspruch wird in seiner Existenz betroffen (vgl. BAG GS, 27. Februar 1985, a.a.O.; LAG Hamm, 22.01.2008, 7 Ta 10/08; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, a.a.O.). Diese materiell-rechtliche Bewertung greift jedoch nicht automatisch auf das formalisierte Vollsteckungsrecht durch, so dass die Vollstreckung aus dem Titel solange statthaft bleibt, als der Titel selbst existiert und seine Vollstreckungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist (LAG Hamm, a.a.O.).

b) Dem Arbeitgeber verbleibt danach zunächst nur der Weg über die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO, hier kann die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 ZPO durch einstweilige Anordnung erfolgen (vgl. LAG Hamm, a.a.O.; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, a.a.O.). Allerdings fehlt für eine Vollstreckungsabwehrklage das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Schuldner (hier: die Beklagte als Arbeitgeber) gegen das Urteil eine zulässige Berufung einlegt und er den Einwand gegen den in dem angefochtenen Urteil festgestellten Anspruch im Berufungsverfahren geltend machen kann. Dies ist für den gegen den Weiterbeschäftigungsanspruch gerichteten Einwand des Ausspruchs einer erneuten Kündigung der Fall (vgl. BAG, 28. März 1985, 2 AZR 548/83, EzA ZPO § 767 Nr. 1).

Letzteres soll sich im Hinblick auf § 767 ZPO im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht zum Nachteil des Schuldners im Rahmen der von ihm beantragten einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Berufungsgericht auswirken. Vielmehr sei in diesen Fällen im Verfahren nach § 62 Abs. 1 Satz 3, § 719 Abs. 1 ZPO des Regelung des § 769 ZPO entsprechend zu berücksichtigen (vgl. LAG Sachsen-Anhalt, 25. September 2002, 8 Sa 344/02, AuA 2003, S. 49). § 769 ZPO erfordere aber keinen nicht zu ersetzenden Nachteil im Sinne des § 62 Abs. 1 ArbGG, weil die Vorschrift nur nachträglich entstandene Einwendungen gegen den im Urteil festgestellten Anspruch betreffe, die noch nicht Gegenstand eines Erkenntnisverfahrens sein konnten (vgl. LAG Sachsen-Anhalt, a.a.O.)

c) Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung der Frage, ob im Falle der (unmittelbaren) Anwendung des § 769 ZPO bei bereits rechtskräftigen Urteilen oder bestandskräftigen gerichtlichen Vergleichen § 62 Abs. 1 ArbGG in der Weise Anwendung findet, dass ein nicht zu ersetzender Nachteil erforderlich ist und eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nur ohne Sicherheitsleistung erfolgt (vgl. zum Meinungsstreit: LAG Berlin, 28.April 1986, 9 Ta 5/86, MDR 1986, S. 787; LAG Bremen, 24. Juni 1996, 2 Ta 28/96, NZA 1997, S. 338; LAG Köln, 12. Juni 2002, 4 Sa 480/02, LAGE ArbGG 1979 § 62 Nr. 28 (für Anwendbarkeit § 62 Abs. 1 ArbGG) einerseits; LAG Köln, 16. Juni 1983, 3 Ta 86/83, DB 1983, 1827; LAG Nürnberg, 7. Mai 1999, 7 Ta 89/99, BB 1999, S. 1387; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, a.a.O., Rn. 50 (ausschließliche Anwendbarkeit § 769 ZPO) andererseits).

Für das Berufungsverfahren hat der Gesetzgeber die Frage der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 1 ZPO aus einem kraft Gesetzes vorläufig vollstreckbaren arbeitsgerichtlichen Urteil in § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG eindeutig geregelt und sie an das Vorliegen eines nicht zu ersetzenden Nachteils gebunden. Soweit das erstinstanzliche Urteil durch eine Berufung überprüft wird, besteht keine andere Möglichkeit der Einstellung im arbeitsgerichtlichen Verfahren. Der Umstand, dass mit der eingelegten zulässigen Berufung auch Einwände, die erst nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils entstanden sind, gegen den dort festgestellten Anspruch geltend gemacht werden müssen und eine auf diese Einwände gestützte Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO mangels Rechtsschutzbedürfnis nicht zulässig ist, rechtfertigt eine analoge Anwendung des § 769 ZPO bei einer Entscheidung des Berufungsgerichts nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, § 719 Abs. 1 ZPO nicht. Der Schuldner hat die Wahl zwischen Vollstreckungsabwehrklage und Berufung, wenn die Einwendung nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz, aber vor Eintritt der Rechtskraft entstanden ist (Zöller/Herget, ZPO, 26. Auflage, § 767 Rn. 4). Dabei kann er auch die Möglichkeit, auf welchem Wege ggf. eine Einstellung der Zwangsvollstreckung leichter erreicht werden kann, mit in die Entscheidung einbeziehen. Entscheidet er sich für einen Weg, hat er die damit verbundenen gesetzlich normierten Konsequenzen für die Möglichkeit der Einstellung der Zwangsvollstreckung zu tragen. Bloße Billigkeitserwägungen wie diejenige, dass der Schuldner keinen Nachteil erleiden dürfe, rechtfertigen eine analoge Anwendbarkeit des § 769 ZPO nicht, sie beruhen auf seiner Entscheidung.

So hat der Arbeitgeber, der erstinstanzlich im Kündigungsschutzprozess unterlegen sowie zur Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits verurteilt worden ist und nach Schluss der mündlichen Verhandlung eine erneute Kündigung ausspricht, die Wahl, entweder gegen das arbeitsgerichtliche Urteil in vollem Umfang Berufung einzulegen oder lediglich gegen die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung das erforderliche Rechtsmittel einzulegen, hinsichtlich der dann rechtskräftigen Verurteilung zur Weiterbeschäftigung Vollstreckungsgegenklage zu erheben und eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 ZPO zu beantragen, auch wenn dies im arbeitsgerichtlichen Verfahren mit dem Risiko verbunden ist, dass im Hinblick auf den vorstehend erwähnten Meinungsstreit auch in diesem Fall § 62 Abs. 1 ArbGG Anwendung finden könnte.

4. Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, § 719 Abs. 1 Satz 1, § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück