Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 10.04.2008
Aktenzeichen: 15 Sa 2174/07
Rechtsgebiete: MTV für die Betriebe und Betriebsabteilungen


Vorschriften:

MTV für die Betriebe und Betriebsabteilungen der Brot- und Backwarenindustrie, die Betriebe der Großbäckereien und des Brot- und Backwarenvertriebs vom 22.03.1989 in der Fassung vom 18.11.1996
Führende Parallelsache zu: 15 Sa 2175/07
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 31.10.2007 - 2 Ca 515/07 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.210,16 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.03.2007 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger für das Kalenderjahr 2006 zustehenden tariflichen Jahressonderzuwendung.

Der Kläger ist seit dem 22.08.1977 als Schichtführer bei der Beklagten mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet unter anderem der Manteltarifvertrag für die Betriebe und Betriebsabteilungen der Brot- und Backwarenindustrie, die Betriebe der Großbäckereien und des Brot- und Backwarenvertriebs vom 22.03.1989, in der Fassung vom 18.11.1996 Anwendung (i. F. MTV).

Der Kläger war in der Zeit vom 18.04.2006 bis zum 31.12.2006 arbeitsunfähig krank. Im Dezember 2006 zahlte die Beklagte an ihn eine anteilige Jahressonderzuwendung von 4/12 in Höhe von 967,22 EUR brutto. Wegen der Abrechnung für Dezember 2006 wird auf Bl. 9 d.A. Bezug genommen. Mit Schreiben vom 05.02.2007 verlangte der Kläger von der Beklagten die Zahlung eines weiteren Betrages von 1.210,16 EUR brutto im Hinblick auf die Jahressonderzuwendung für 2006. Wegen der Einzelheiten des Schreibens vom 05.02.2007 wird auf Bl. 8 d.A. verwiesen. Mit Schreiben vom 09.02.2007 wies die Beklagte den vom Kläger geltend gemachten Anspruch zurück. Mit vorliegender Klage, die am 12.03.2007 beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen einging, verfolgt der Kläger diesen Anspruch weiter.

Der Kläger hat vorgetragen, nach dem Wortlaut der Regelung in § 11 Ziff. 8 e des MTV sei davon auszugehen, dass ein ruhendes Arbeitsverhältnis erst bei einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechsmonatiger Dauer, also erst ab dem 7. Arbeitsunfähigkeitsmonat, gegeben sei. Auch die Systematik des MTV spreche für diese Auffassung; danach dürfe eine Kürzung der Jahressonderzuwendung noch nicht für die ersten sechs Monate der Arbeitsunfähigkeit vorgenommen werden. Während nach § 11 Ziff. 8 a und f MTV das Arbeitsverhältnis bereits ab Beginn der Wehr-, Zivildienst- bzw. Erziehungsurlaubszeiten ruhe, so dass insoweit sämtliche Zeiten von Beginn an zu einer Kürzung der Jahressonderzuwendung führten, verhalte es sich in den Fällen des § 11 Ziff. 8 b bis e MTV anders. Hier werde ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses erst nach Ablauf der dort geregelten Zeiten angenommen. In diesen Fällen sei demnach auch erst eine Kürzung mit dem Beginn des Ruhens des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der im MTV angegebenen Zeiten gerechtfertigt.

Eine Differenzierung zwischen Zeiten des Wehr- und Zivildienstes bzw. des Erziehungsurlaubs auf der einen Seite und Zeiten der Arbeitsunfähigkeit auf der anderen Seite sei auch deshalb erforderlich, weil im letzteren Fall zum Zeitpunkt des Beginns der Arbeitsunfähigkeit noch nicht feststehe, wie lange sie andauern werde. Werde im Falle einer länger als 6 Monate andauernden Arbeitsunfähigkeit entsprechend der Auffassung der Beklagten mit Beginn der Arbeitsunfähigkeit von einem ruhenden Arbeitsverhältnis ausgegangen, so hätte dies unter Umständen zur Folge, dass ein gemäß § 11 Ziff. 5 MTV bereits ausgezahlter Teil der Jahressonderzuwendung wieder zurückgezahlt werden müsse. Entsprechende Rückzahlungsregelungen seien aber im MTV nicht vorgesehen.

Nur die von ihm, dem Kläger, vertretene Auffassung sei darüber hinaus mit den gesetzlichen Regelungen über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vereinbar. Zweck der gesetzlichen Regelungen sei es, den erkrankten Arbeitnehmer für die Dauer von sechs Wochen wirtschaftlich so zu stellen wie den gesunden Arbeitnehmer. Dieser Zweck sei nicht mehr gewährleistet, wenn einem Arbeitnehmer, der im Bezugszeitraum mehr als sechs Monate erkrankt gewesen sei, keine Sonderzuwendung für die ersten sechs Monate der Arbeitsunfähigkeit zustehe, falls er über diesen Zeitraum hinaus erkrankt sei. In diesem Fall werde auch für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit eine Kürzung der Sonderzuwendung vorgenommen.

Zudem führe die Auffassung der Beklagten, wonach eine Arbeitsunfähigkeit in einem Kalenderjahr von mehr als sechs Monaten rückwirkend zu einem vollständigen Wegfall der Jahressonderzuwendung für diesen Zeitraum führe, zu ungerechten Ergebnissen. Ausgehend von der Auffassung der Beklagten erhalte ein Arbeitnehmer, der beispielsweise von August bis Dezember des Vorjahres und von Januar bis März des Folgejahres, insgesamt also acht Monate, arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, die Jahressonderzuwendung für beide Jahre in voller Höhe. Dagegen erhalte ein Arbeitnehmer, der in einem Jahr von Januar bis August arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, lediglich 4/12 der Jahressonderzuwendung. Für eine unterschiedliche Behandlung beider Arbeitnehmer, die jeweils durchgehend acht Monate arbeitsunfähig krank gewesen seien, sei ein sachlicher Grund nicht ersichtlich.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte sei die Beklagte verpflichtet, an ihn weitere 5/12 der Jahressonderzuwendung in Höhe eines Betrages von 1.210,16 EUR brutto zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.210,16 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, der Kläger habe keinen Anspruch auf weitere 5/12 der Jahressonderzuwendung für 2006. Sie, die Beklagte, habe die tarifliche Bestimmung in § 11 des genannten MTV zutreffend angewandt. Die Voraussetzungen für eine Kürzung der Jahressonderzuwendung gemäß § 11 Ziff. 8 e des MTV seien gegeben, da der Kläger im Kalenderjahr 2006 nur im Januar, Februar, März und anteilig im April gearbeitet habe. Die Tarifvertragsparteien hätten in der genannten Tarifbestimmung einen vertraglichen Ruhenstatbestand geschaffen, der dazu führe, dass Arbeitnehmer, bei denen in einem Kalenderjahr eine mehr als sechsmonatige Arbeitsunfähigkeit vorliege, die nicht auf einem Betriebsunfall beruhe, für eben diese Zeiten von der tarifvertraglichen Jahressonderzuwendung ausgenommen seien. Dies basiere auf der Vorstellung, dass ein Arbeitnehmer mit derart langen Arbeitsunfähigkeitszeiten in einem Kalenderjahr keinen wesentlichen Beitrag zum Betriebsergebnis leisten könne und daher auch keine Sondervergütung in Form einer vollen Jahressonderzahlung erhalten solle.

Vom Umfang her hätten die Tarifvertragsparteien eine sechsmonatige Grenze gesetzt. Unterhalb dieses Zeitraumes erhalte ein Arbeitnehmer auch bei einer 5 1/2-monatigen Arbeitsunfähigkeit die ungekürzte Jahressonderzuwendung. Bei einer sechs Monate andauernden Arbeitsunfähigkeit wirkten sich dagegen die kompletten Arbeitsunfähigkeitszeiten anspruchsmindernd aus. Entgegen der Auffassung des Klägers hätten die Tarifvertragsparteien gerade nicht vereinbart, dass sich erst Zeiten, die über eine sechsmonatige Arbeitsunfähigkeit hinausgingen, anspruchsmindernd auswirkten. Ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes sei hierin nicht zu sehen.

Der Hinweis des Klägers auf vermeintlich ungerechte Ergebnisse stütze seine Rechtsauffassung ebenso wenig wie der Umstand, dass die Jahressonderzuwendung in zwei Raten ausgezahlt werde und es daher zu einer Überzahlung kommen könne, falls der Arbeitnehmer nach Erhalt der ersten Rate dauerhaft erkranke. Trete ein solcher Fall ein, so habe der Arbeitgeber das Recht und die Möglichkeit, eine Verrechnung oder Rückzahlung des überzahlten Betrages zu erwirken.

Das Arbeitsgericht hat mit Schreiben vom 17.07.2007 eine Auskunft bei den Tarifvertragsparteien eingeholt. Wegen der Auskunft des Verbandes Deutscher Großbäckereien e.V. vom 10.09.2007 wird auf Bl. 34 ff. d.A. und wegen der Auskunft der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Landesbezirk Nordrhein-Westfalen vom 10.09.2007 auf Bl. 37 d.A. Bezug genommen.

Durch Urteil vom 31.10.2007 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung, die dem Kläger am 28.11.2007 zugestellt worden ist, richtet sich die Berufung des Klägers, die am 18.12.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und am 22.01.2008 begründet worden ist.

Der Kläger vertritt weiter die Auffassung, er habe Anspruch auf Zahlung weiterer 5/12 der Jahressonderzuwendung für 2006 in Höhe von 1.210,16 EUR brutto. Der Hinweis des Arbeitsgerichts, die Sonderzahlung sei auf das jeweilige Kalenderjahr bezogen, besage nichts darüber, ab wann die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers anspruchsmindernd zu berücksichtigen sei. Für die streitige Frage, ob erst ab dem 7. Arbeitsunfähigkeitsmonat ein ruhendes Arbeitsverhältnis im Sinne der tariflichen Regelung angenommen werden könne, biete die grundsätzliche Bezogenheit der Jahressonderzuwendung auf das Kalenderjahr keine Lösung an. Auch dann, wenn entscheidend nur auf die Arbeitsunfähigkeitsmonate im jeweiligen Kalenderjahr abzustellen sei, könne eine Kürzungsmöglichkeit erst ab dem 7. Arbeitsunfähigkeitsmonat bestehen. Der Wortlaut der tariflichen Regelung hierzu sei nicht eindeutig.

Auch aus Sinn und Zweck der Regelung sei nicht zwingend zu entnehmen, dass im Falle eines "übermäßigen Fehlens", also über einen Zeitraum von 6 Monaten hinaus, die Kürzungsmöglichkeit für die gesamte Dauer der Arbeitsunfähigkeit bestehe und nicht erst ab dem 7. Arbeitsunfähigkeitsmonat. Aus der Regelung in § 11 Ziff. 8 e des MTV gehe nicht hervor, dass der Sechsmonatszeitraum nur im jeweiligen Kalenderjahr zu erfüllen sei. Es sei dort nur von Zeiten der Arbeitsunfähigkeit "von mehr als 6-monatiger Dauer" die Rede. Diese Voraussetzung sei auch erfüllt, wenn die lang andauernde Arbeitsunfähigkeit bereits im vorherigen Kalenderjahr begonnen und bis ins Folgejahr herübergereicht habe. Auch dann liege vom Sinn und Zweck der Regelung ein "übermäßiges Fehlen" vor. Allein auf das Kalenderjahr abzustellen, führe zu den bereits erstinstanzlich vorgetragenen ungerechten Ergebnissen.

Auch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.07.1994 - 5 AZR 226/93 - sei nicht geeignet, die Auslegung des Arbeitsgerichts zu stützen. Zwar habe das Bundesarbeitsgericht die tarifliche Kürzungsmöglichkeit während der Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich als zulässig erachtet. Diese Möglichkeit bestehe nach der genannten Entscheidung aber nur eingeschränkt, nämlich nicht für Arbeitsunfähigkeitszeiten, in denen noch ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegeben sei. Ausgehend von der Auffassung des Arbeitsgerichts werde die vom Bundesarbeitsgericht gemachte Einschränkung nicht beachtet. Dies zeige auch der vorliegende Fall. Er, der Kläger, sei vom 18.04.2006 bis zum 31.12.2006 arbeitsunfähig krank gewesen. Da die Kürzungsmöglichkeit nach Auffassung des Arbeitsgerichts ab Mai 2006 bestehe, seien hiervon auch Zeiträume erfasst, in denen noch ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung begründet gewesen sei. Dies zeige, dass die tarifliche Regelung rechtlich zulässig nur so ausgelegt werden könne, dass die Kürzungsmöglichkeit erst ab dem 7. Arbeitsunfähigkeitsmonat bestehe.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts zeigten auch die von ihm, dem Kläger, herangezogenen Beispielsfälle, dass nur die von ihm vertretene Auffassung zu gerechten und widerspruchsfreien Ergebnissen führe. Nur dann ließen sich die von ihm genannten Beispielsfälle widerspruchsfrei in die Systematik des Tarifvertrages einfügen. Diese Auslegung verdiene deshalb angesichts des nicht eindeutigen Wortlauts der tariflichen Regelung den Vorzug. Gerade das Fehlen einer Rückforderungsregelung im Falle der ersten Teilzahlung und des späteren Eintritts einer lang andauernden Arbeitsunfähigkeit mache deutlich, dass die Tarifvertragsparteien die Kürzungsmöglichkeit erst ab dem 7. Monat hätten zulassen wollen. Ansonsten hätten sie eine Rückzahlungsklausel in die tarifliche Regelung aufgenommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 31.10.2007 - 2 Ca 515/07 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.210,16 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und trägt vor, die vom Kläger vertretene Auffassung finde in § 11 des MTV keine Stütze. Zutreffend weise das Arbeitsgericht darauf hin, dass § 11 Ziff. 3 des MTV die Jahressonderzuwendung nach Erfüllung der Wartezeit ausdrücklich für das laufende Kalenderjahr regele, wonach der Arbeitnehmer je vollem Beschäftigungsmonat 1/12 der Jahressonderzuwendung erhalte. Die Tarifvertragsparteien hätten eine Verknüpfung mit vorangegangenen Kalenderjahren im Hinblick auf etwaige kürzungsrelevante Vorerkrankungen gerade nicht vorgenommen. Bei "übermäßigen" Fehlzeiten hätten Arbeitnehmer weder individuell noch kollektiv voll umfänglich zum Betriebsergebnis beigetragen. Ihr Anspruch auf die Jahressonderzuwendung könne deshalb entsprechend ihrer Teilhabe am Betriebsergebnis durch Arbeitszeiten gekürzt werden. Ein Verstoß gegen Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes sei hierin nicht zu sehen, zumal der Arbeitnehmer im Rahmen des Entgeltfortzahlungsgesetzes seine tarifvertragliche Grundvergütung bei Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen erhalte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Klägers ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Der Sache nach hat die Berufung Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung restlicher Jahressonderzuwendung gemäß § 11 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren MTV im geltend gemachten Umfang von 5/12 des Jahresanspruchs in rechnerisch nicht streitiger Höhe von 1.210,16 EUR brutto nebst Zinsen im zuerkannten Umfang. Denn die Beklagte war nicht berechtigt, die Jahressonderzuwendung wegen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers in den Monaten Mai bis September 2006 um insgesamt 5/12 zu kürzen. Entgegen der Auffassung der Beklagten galt das Arbeitsverhältnis des Klägers erst mit Beginn des Monats Oktober 2006 als ruhend im Sinne von § 11 Ziff. 8 e des MTV. Dies ergibt die Auslegung dieser tariflichen Bestimmung.

1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggfls. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, Urteil vom 14.03.2001 - 4 AZR 161/00, AP Nr. 4 zu § 620 BGB schuldrechtliche Kündigungsbeschränkung m.w.N.).

2. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die erkennende Kammer sich anschließt, ist davon auszugehen, dass erst nach Ablauf von sechs Monaten der Arbeitsunfähigkeit, also mit Beginn des 7. Monats der Arbeitsunfähigkeit, ein ruhendes Arbeitsverhältnis im Sinne von § 11 Ziffer 8 e des MTV gegeben ist.

a) Dem Wortlaut der genannten Tarifbestimmung ist zunächst zu entnehmen, dass Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von weniger als sechsmonatiger Dauer nicht zu einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses führen. Überschreitet die Dauer der Arbeitsunfähigkeit also nicht die der Grenze von sechs Monaten, so hat der Arbeitnehmer auch für Monate, in denen er arbeitsunfähig krank war, jeweils Anspruch auf 1/12 der Jahressonderzuwendung. Erst wenn die Arbeitsunfähigkeitszeit den Zeitraum von sechs Monaten übersteigt, gilt das Arbeitsverhältnis als ruhend im Sinne der genannten Tarifbestimmung. Nicht geregelt haben die Tarifvertragsparteien, ob das Arbeitsverhältnis in diesem Fall rückwirkend mit dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit oder erst mit Beginn des 7. Monats der Arbeitsunfähigkeit als ruhend im Sinne des MTV gilt. Allerdings haben die Tarifvertragsparteien in § 11 Ziffer 8 a und f des MTV für Zeiten des Wehrdienstes, des Zivildienstes und des Erziehungsurlaubs bestimmt, dass Arbeitsverhältnisse in diesen Fällen vom ersten Tage an als ruhend gelten. Bei den anderen in § 11 Ziff. 8 MTV geregelten Fällen ist ein Ruhenstatbestand erst nach Ablauf bestimmter Zeiten gegeben. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Tarifvertragsparteien in den zuletzt genannten Fällen die Zeit bis zum Beginn eines Ruhenstatbestandes nicht als anspruchsmindernd im Hinblick auf die Jahressonderzuwendung behandelt wissen wollten. Andernfalls hätte es nahegelegen, in den MTV eine Regelung aufzunehmen, dass beispielsweise bei Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechsmonatiger Dauer eine Kürzung der Jahressonderzuwendung unter rückwirkender Einbeziehung der gesamten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit möglich ist. Eine dahingehende Regelung enthält der MTV nicht. Dies spricht dafür, dass die Tarifvertragsparteien das Arbeitsverhältnis erst mit Beginn des 7. Monates der Arbeitsunfähigkeit als ruhend angesehen haben, so dass die ersten sechs Monate der Arbeitsunfähigkeit nicht zu einer Kürzung der Jahressonderzuwendung berechtigen.

b) Für ein dahingehendes Verständnis von § 11 Ziffer 8 e des MTV spricht insbesondere auch die Regelung in § 11 Ziffer 5 dieses Tarifvertrages. Danach wird die Jahressonderzuwendung in zwei Teilen gezahlt mit der Maßgabe, dass bei Antritt des Urlaubs den Arbeitnehmern 50 % der Jahressonderzuwendung zu zahlen sind. Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass Fälle denkbar sind, in denen ein Arbeitnehmer zum Beispiel im März eines Jahres einen vierwöchigen Urlaub angetreten und deshalb 50 % der Jahressonderzuwendung erhalten hat. Wird er dann von April bis Dezember desselben Jahres arbeitsunfähig krank, so stünde ihm nach Auffassung der Beklagten nur eine Jahressonderzuwendung von 3/12 des Jahresbetrages zu. Tatsächlich hat der Arbeitnehmer aber bereits 6/12 der Jahressonderzuwendung erhalten. Eine Rückzahlungsklausel haben die Tarifvertragsparteien für diesen Fall im MTV nicht vorgesehen. Dies spricht dafür, dass die Tarifvertragsparteien nicht davon ausgegangen sind, dass sich aus den Regelungen über die Höhe der Jahressonderzuwendung in Fällen des ruhenden Arbeitsverhältnisses Überzahlungstatbestände mit der Notwendigkeit der Schaffung von Rückzahlungsmodalitäten ergeben. Diese Annahme wird durch die Bestimmung in § 11 Ziffer 10 des MTV bekräftigt. Dort haben die Tarifvertragsparteien bestimmt, dass der Arbeitnehmer in bestimmten Fällen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet ist, die Jahressonderzuwendung zurückzuzahlen. Angesichts dessen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Rückzahlungsklauseln im Hinblick auf § 11 Ziffer 8 des MTV fehlen, ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien insoweit Rückzahlungsbestimmungen nicht für notwendig gehalten haben. Dies spricht für ein Verständnis der tariflichen Regelungen im Sinne der Auffassung des Klägers.

c) Die Auffassung, dass ein Arbeitsverhältnis erst mit Beginn des 7. Monats der Arbeitsunfähigkeit als ruhend im Sinne des MTV gilt, führt zu vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösungen (vgl. BAG, Urteil vom 12.09.1984 - 4 AZR 336/82, AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Unter Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten erhielten Arbeitnehmer, die im gleichen zeitlichen Umfang arbeitsunfähig krank waren, je nach Lage der Arbeitsunfähigkeitszeiten eine Jahressonderzuwendung in unterschiedlicher Höhe. Erkrankt ein Arbeitnehmer zum Beispiel von August bis Dezember des Vorjahres und von Januar bis März des Folgejahres, insgesamt also für acht Monate, so erhält er bei Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten die Jahressonderzuwendung für beide Jahre in ungekürzter Höhe. Erkrankt ein Arbeitnehmer dagegen vom 01.01. bis zum 31.08. eines Jahres, so erhält er in diesem Jahr lediglich 4/12 der Jahressonderzuwendung. Einen sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung konnte die Kammer nicht erkennen. Der Gesichtspunkt des "übermäßigen" bzw. "geringfügigen" Fehlens, auf den der tarifschließende Arbeitgeberverband in seiner Auskunft vom 10.09.2007 verweist, führt bei dem o.g. Beispiel nicht weiter, da die Arbeitnehmer in beiden Fällen durchgehend acht Monate arbeitsunfähig erkrankt waren. Der Gesichtspunkt, dass die Tarifvertragsparteien vernünftige, gerechte, zweckorientierte und praktisch brauchbare Regelungen schaffen wollen, spricht deshalb dafür, dass ein Arbeitsverhältnis erst mit Beginn des siebten Monats der Arbeitsunfähigkeit, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt er angefallen ist, als ruhend gilt. Ist also ein Arbeitnehmer seit dem 01.08. eines Kalenderjahres arbeitsunfähig krank, so beginnt die Ruhenszeit erst mit Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit über den 31.01. des Folgejahres. Erst von da an kann die Jahressonderzuwendung gemäß § 11 Ziffer 8 e des MTV gekürzt werden.

d) Auch der Gesichtspunkt der gesetzeskonformen Auslegung spricht für ein Verständnis der genannten tariflichen Bestimmungen im Sinne der Auffassung des Klägers. Würde das Arbeitsverhältnis im Falle der Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechsmonatiger Dauer rückwirkend vom ersten Tage der Arbeitsunfähigkeit als ruhend gelten, so sind Fälle denkbar, in denen eine Kürzung der Jahressonderzuwendung auch für Zeiten erfolgt, in denen der Arbeitnehmer noch Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat. Im vorliegenden Fall war der Kläger vom 18.04.2006 bis zum 31.12.2006 arbeitsunfähig krank. Unter Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten könnte die Jahressonderzuwendung beginnend mit Mai 2006 unter Hinweis auf den Ruhenstatbestand in § 11 Ziffer 8 e des MTV gekürzt werden. Diese Kürzung beträfe auch Zeiträume, in denen der Kläger noch Anspruch auf Entgeltfortzahlung hatte. Eine tarifliche Regelung mit diesem Inhalt ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts als nichtig anzusehen (vgl. BAG, Urteil vom 25.07.1984 - 5 AZR 226/83 - m.w.N.).

3. Die Zinsentscheidung beruht auf den §§ 288, 291 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

Die Kammer hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

Zurück