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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 11.03.2004
Aktenzeichen: 16 (15) Sa 1437/03
Rechtsgebiete: KSchG, BGB, MAVO, SGB IX, ZPO


Vorschriften:

KSchG § 1
KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 9
KSchG § 9 Abs. 1 Satz 2
KSchG § 9 Abs. 2
KSchG § 10
BGB § 130
BGB § 130 Abs. 1
BGB § 242
BGB § 1004
MAVO § 30
MAVO § 30 Abs. 5
SGB IX § 85
ZPO § 307 Abs. 1
Gibt eine im Rahmen ihrer Facharztausbildung in einem Krankenhaus beschäftigte Ärztin Krankenunterlagen, die ihr zur Anfertigung eines Gutachtens überlassen werden, nach einer eingetretenen Dienstunfähigkeit nicht heraus, so ist eine Kündigung zwar nur dann gerechtfertigt, wenn die Ärztin wirksam abgemahnt worden ist. Jedoch ist dieses Verhalten geeignet, das Vertrauen des Arbeitgebers in die ärztliche Zuverlässigkeit zu erschüttern und vermag deshalb einen Auflösungsgrund abzugeben.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 15.07.2003 - 7 Ca 8000/02 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 11.12.2002 nicht aufgelöst worden ist.

Auf Antrag der Beklagten wird das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von 6.000,-- EUR zum 31.03.2003 aufgelöst.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 2/3, die Beklagte zu 1/3.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sowie um die Rücknahme einer der Klägerin erteilten Abmahnung.

Die Beklagte ist Trägerin eines Katholischen Krankenhauses in D2xxxxxx. Sie beschäftigt dort regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. In diesem Krankenhaus ist ein Mitarbeitervertretung gebildet.

Die am 23.01.1965 geborene Klägerin wurde zum 01.08.2000 als Assistenzärztin auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 14.09.2000 in der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie eingestellt. Chefarzt dieser Klinik ist Prof. Dr. W1xxxxxxxxx. Nach § 2 des Arbeitsvertrages finden auf das Arbeitsverhältnis die "Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes" (AVR) in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung.

Die Klägerin war ab dem 03.09.2001 arbeitsunfähig. Am 01.11.2001 nahm sie ihre Tätigkeit im Rahmen einer Wiedereingliederungsmaßnahme in der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie für 4 Stunden täglich auf. Am 08.11.2001 erhielt der Chefarzt Prof. Dr. W1xxxxxxxxx von der Gutachterkommission für Ärztliche Haftpflichtfragen bei der Ärztekammer Westfalen-Lippe einen Gutachterauftrag mit Originalkrankenblatt-Unterlagen. Herr Prof. Dr. W1xxxxxxxxx, der ehrenamtliches Mitglied der Gutachterkommission ist, beauftragte die Klägerin Ende November 2001 mit der Erstellung des Gutachtens und übergab ihr die Unterlagen. Wenige Tage später erkrankte die Klägerin erneut und war durchgehend arbeitsunfähig. Sie gab weder den Gutachterauftrag noch die ihr überlassenen Unterlagen zurück.

Am 06.06.2002 fragte der Vorsitzende der Gutachterkommission für ehrenamtliche Haftpflichtfragen bei der Ärztekammer Westfalen-Lippe telefonisch bei der Klägerin nach, wann er mit dem Eingang des Gutachtens rechnen könne. Die Klägerin stellte ihm in Aussicht, das Gutachten bis Ende Juli 2002 fertig zu stellen. Diesen Termin sowie den bei nochmaliger Anfrage des Kommissionsvorsitzenden mit Ende August angekündigten Abgabetermin hielt die Klägerin nicht ein. Nachdem sich der Kommissionsvorsitzende an Prof. Dr. W1xxxxxxxxx gewandt hatte, forderte dieser die Klägerin mit Schreiben vom 31.10.2002 auf, die Unterlagen zurückzugeben. Nachdem dies nicht geschehen war, kam es am 14.11.2002 zu einem Telefonat der Klägerin mit dem Personalleiter der Beklagten. Der von der Klägerin in diesem Telefonat zugesagte Anruf bei Prof. Dr. W1xxxxxxxxx fand aus zwischen den Parteien streitigen Gründen nicht statt. Unter dem 18.11.2002 erteilte die Beklagte der Klägerin die streitgegenständliche Abmahnung (Bl. 4 d.A.). In einem weiteren Schreiben vom 18.11.2002 forderte die Beklagte die Klägerin auf, die Unterlagen bis spätestens zum 27.11.2002 bei Herrn Prof. W1xxxxxxxxx abzugeben und bot an, die Unterlagen bei der Klägerin abzuholen. In einem weiteren Telefonat mit dem Personalleiter der Beklagten erklärte die Klägerin diesem, die Patientenunterlagen, nach Vortrag der Beklagten am 28.11.2002, bei Prof. Dr. W1xxxxxxxxx persönlich abzugeben. Am 16.12.2002 gingen die Unterlagen bei Prof. Dr. W1xxxxxxxxx ein, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob das Gutachten beigefügt war.

Bereits am 04.12.2002 hatte die Beklagte die bei ihr bestehende Mitarbeitervertretung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses angehört (vgl. Bl. 88 - 89 d.A.). Diese teilte unter dem 09.12.2002 schriftlich mit, dass die Mitarbeitervertretung in ihrer außerordentlichen Sitzung vom 09.12.2002 die ordentliche Kündigung zur Kenntnis genommen habe. Mit Schreiben vom 11.12.2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2003. Dieses Kündigungsschreiben wurde nach Angaben der Beklagten am 15.12.2002, einem Sonntag, durch eine Botin mittags in den Briefkasten der Klägerin unter deren Anschrift geworfen.

Am 17.12.2002 beantragte die Klägerin beim zuständigen Versorgungsamt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, die ihr mit Bescheid vom 25.02.2003 mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 15 % mit Rückwirkung zum 17.12.2002 zuerkannt wurde. Nach erneuter Anhörung der Mitarbeitervertretung und nachdem das Integrationsamt mit Bescheid vom 13.02.2003 die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung der Klägerin erteilt hatte, kündigte die Beklagte ein zweites Mal mit Schreiben vom 12.03.2003 zum 30.06.2003. Mit ihrer am 20.12.2002 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung vom 11.12.2002 und begehrt die Rücknahme der ihr unter dem 18.11.2002 erteilten Abmahnung sowie deren Entfernung aus der Personalakte. Gegen die Kündigung vom 12.03.2003 hat die Klägerin am 18.03.2003 Kündigungsschutzklage erhoben.

Durch Urteil vom 15.07.2003 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kündigung vom 11.12.2002 habe das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.03.2003 aufgelöst. Sie sei aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Der Klägerin könne zwar nicht vorgeworfen werden, dass sie das ihr aufgetragene Gutachten tatsächlich nicht erstellt habe. Sie sei arbeitsunfähig und zur Tätigkeit für die Beklagte nicht verpflichtet gewesen. Ihr sei aber vorwerfbar, dass sie die ihr übergebenen Unterlagen auch nach Abmahnung nicht herausgegeben und in diesem Zusammenhang wiederholt Zusagen nicht eingehalten habe. Damit habe sie die auch während des Ruhens eines Arbeitsverhältnisses bestehende Verpflichtung, im Rahmen des Zumutbaren auf die gegenseitigen Interessen Rücksicht zu nehmen, in besonders grober und beharrlicher Weise verletzt. Gründe dafür, dass es ihr nicht möglich oder zumutbar gewesen sein sollte, die Akten rechtzeitig zurückzuschicken oder von der Beklagten abholen zu lassen, habe sie nicht vorgetragen. Sie seien auch nicht ersichtlich. Da das Arbeitsverhältnis am 31.12.2003 beendet worden sei, sei die Klage im Hinblick auf die Kündigung vom 12.03.2003 unbegründet. Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses könne die Klägerin auch die Rücknahme der Abmahnung und die Entfernung aus der Personalakte nicht verlangen.

Gegen dieses, ihr am 14.08.2003 zugestellte Urteil, auf das wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands Bezug genommen wird, hat die Klägerin am 28.08.2003 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 31.10.2003 am 22.10.2003 begründet.

Sie behauptet, sowohl das Schreiben des Prof. Dr. W1xxxxxxxxx vom 31.10.2002 als auch die Abmahnung vom 18.11.2002 habe sie nicht zur Kenntnis nehmen können. Das Schreiben von Prof. Dr. W1xxxxxxxxx habe ihre Mutter entgegengenommen. Sie selbst habe zu dieser Zeit an sehr starken Schmerzen und auch an einer depressiven Störung gelitten. Vom Inhalt dieses Schreibens habe sie erst anlässlich des erstinstanzlichen Verfahrens erfahren. Die Abmahnung vom 18.11.2002 sei ausweislich des Poststempels erst am 28.11.2002 zur Post gegeben worden. Sie selbst habe sich zu dieser Zeit in stationärer Krankenhausbehandlung in Bad L2xxxxxxxxx befunden, was der Beklagten bekannt gewesen sei. Ihre Mutter habe die Abmahnung entgegengenommen, sich aber wegen ihrer Erkrankung dafür entschieden, sie selbst damit zunächst zu verschonen und die Abmahnung statt dessen per Telefax an den Prozessbevollmächtigten erster Instanz übersandt. Das Gutachten habe sie fertig gestellt und zusammen mit den Krankenunterlagen am 13.12.2002 per Express an Prof. Dr. W1xxxxxxxxx versandt. Wenige Tage darauf, nämlich am 17.12.2002, habe ihre Mutter die Kündigung vom 11.12.2002 erhalten und ihren Prozessbevollmächtigten mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage beauftragt. Hiervon habe sie selbst erst später erfahren.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Dortmund

1. zu verurteilen, die ihr unter dem 18.11.2002 erteilte Abmahnung aus ihrer Personalakte zu entfernen,

2. vorher festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die seitens der Beklagten mit Schreiben vom 11.12.2002 ausgesprochene Kündigung noch in sonstiger Weise aufgelöst worden ist, sondern unverändert fortbesteht,

3. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die mit Schreiben der Beklagten vom 12.02.2003 ausgesprochene Kündigung aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

das Arbeitsverhältnis gemäß §§ 9, 10 KSchG gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird und deren Höhe den Betrag von 6.000,-- EUR nicht überschreiten sollte, zum 31.03.2003 aufzulösen.

Die Klägerin beantragt,

den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat die Beklagte den Kündigungsschutzantrag hinsichtlich der Kündigung vom 11.12.2002 anerkannt.

Zur Begründung ihres Auflösungsantrages beruft sich die Beklagte darauf, dass durch die beharrliche Weigerung der Klägerin, die für das Gutachten notwendigen Unterlagen herauszugeben, das Vertrauen in die ärztliche Zuverlässigkeit der Klägerin zerstört worden sei. Der Leiter der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie habe das Verhalten der Klägerin als extreme ärztliche Pflichtverletzung empfunden. Ärztliche Entscheidungen und Tätigkeiten seien umfassend zu dokumentieren. Aufgrund ihres Verhaltens sei das Vertrauen darin, dass die Klägerin diese Dinge zum Wohl des Krankenhauses und der Patienten erledige, erschüttert. Eine Ärztin habe eine besondere Vertrauensfunktion innerhalb eines Krankenhauses. Dieses beziehe sich einerseits auf die betreuten Patienten und andererseits auf das Verhältnis zu den direkten Vorgesetzten und der Arbeitgeberin. Die Klägerin habe zum einen gegen ihre eigenen berufsrechtlichen Verpflichtungen verstoßen, durch die verschleppte Herausgabe der Gutachtenunterlagen aber auch verhindert, dass ihr Vorgesetzter die auch für ihn geltenden berufsrechtlichen Pflichten einhalten konnte und dadurch seinem Ruf und seinem Ansehen geschadet. Die Klägerin habe erst unter äußerstem Druck die Gutachtenunterlagen herausgegeben. Im Krankenhaus müsse jedoch schnell zum Wohle der Patienten gehandelt werden, ein Abwarten bis zu einem ersten Schaden sei nicht möglich. Eine solche Handlungsfähigkeit sei der Klägerin nicht mehr zuzutrauen. Es bestehe vielmehr die Befürchtung, dass sie sowohl den Patienten als auch ihr, der Beklagten, erhebliche Schäden zufügen werde, sollte sie weiterbeschäftigt werden.

Zum weiteren Sachvortrag der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet.

I

Aufgrund des Anerkenntnisses der Beklagten steht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 11.12.2002 nicht zum 31.03.2003 aufgelöst worden ist. Im Umfang dieses Anerkenntnisses hat die Klägerin den Erlass eines Anerkenntnisurteils beantragt, sodass gemäß § 307 Abs. 1 ZPO ein Anerkenntnisurteil zu ergehen hatte.

II

Jedoch ist das Arbeitsverhältnis der Parteien auf Antrag der Beklagten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.03.2003 aufzulösen, da Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen der Klägerin und der Beklagten nicht erwarten lassen.

1) Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers setzt voraus, dass die Kündigung sozialwidrig im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG ist. Dies ist der Fall.

Das Arbeitsgericht hat vorwerfbares Verhalten zu Recht darin gesehen, dass die Klägerin die ihr übergebenen Unterlagen nicht herausgegeben hat und dieses Verhalten jedenfalls nach Abmahnung als so schwerwiegend betrachtet, dass es eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen vermöchte. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin demgegenüber vorgetragen, dass sie die Abmahnung tatsächlich nicht zur Kenntnis habe nehmen können, weil sie sich zum Zeitpunkt des Zugangs des Abmahnungsschreibens bereits in stationärer Krankenhausbehandlung in Bad L2xxxxxxxxx aufgehalten habe, ihre Mutter das Schreiben geöffnet und sie wegen ihrer Erkrankung hierüber nicht informiert habe. Träfe dieser Vortrag der Klägerin zu, so läge eine wirksame Abmahnung nicht vor. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist es nicht ausreichend, dass die Abmahnung der Klägerin im Sinne des § 130 Abs. 1 BGB zugegangen ist, was vorliegend der Fall war.

Als Voraussetzung für die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung ist eine Abmahnung nur dann wirksam, wenn der Adressat tatsächlich Kenntnis von ihr hat nehmen können. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck der Abmahnung.

Das Erfordernis der Abmahnung beruht auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass der Gläubiger vor einer so einschneidenden Maßnahme und Rechtsfolge wie der einseitigen Aufhebung des Vertrages dem Schuldner noch einmal die Folgen seines säumigen Verhaltens vor Augen führen soll. Diese kündigungsrechtliche Hinweis- und Warnfunktion kann die Abmahnung jedoch nur erfüllen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gegenüber das beanstandete Verhalten genau bezeichnet und ihm verdeutlicht wird, dass hierdurch Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet sei. Nur wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Abmahnung ihre Warn- und Ankündigungsfunktion erfüllen. Dies setzt aber grundsätzlich die Kenntnisnahme des Arbeitnehmers von den Beanstandungen voraus und nicht nur die mehr oder weniger von objektiven Merkmalen abhängige Möglichkeit hiervon im Sinne des Zugangsbegriffs des § 130 BGB Kenntnis zu nehmen (vgl. BAG vom 09.08.1984 - 2 AZR 400/83 - DB 1984, 2703).

Auf der Grundlage des Sachvortrages der Klägerin ist demnach von der Sozialwidrigkeit der Kündigung auszugehen, was die Beklagte anerkannt hat.

2) Ein Arbeitgeber kann eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG nur verlangen, wenn der geltend gemachte Kündigungssachverhalt lediglich nach § 1 KSchG wegen Sozialwidrigkeit zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Ist die Kündigung auch aus anderen Gründen unwirksam, kann er einen Auflösungsantrag nicht stellen (st. Rspr. des BAG, vgl. Beschluss vom 21.09.2000 - 2 AZN 576/00 - NZA 2001, 102 m.w.N.).

Die Kündigung ist nicht auch aus anderen Gründen rechtsunwirksam.

a) Nach § 30 Abs. 5 MAVO ist eine Kündigung freilich unwirksam, wenn das im § 30 MAVO vorgeschriebene Verfahren zur Anhörung und Mitberatung der Mitarbeitervertretung bei ordentlichen Kündigungen nicht eingehalten worden ist. Danach hat der Arbeitgeber der Mitarbeitervertretung vor jeder ordentlichen Kündigung nach Ablauf der Probezeit die Absicht der Kündigung sowie die Gründe hierfür schriftlich mitzuteilen. Nur bei Einwendungen der Mitarbeitervertretung, die im Streitfall nicht vorliegen, schließt sich das in Abs. 2 geregelte Verfahren an. Im Entscheidungsfall kommt es damit nur darauf an, ob die Beklagte die Mitarbeitervertretung nach Abs. 1 ordnungsgemäß unterrichtet hat und bei Ausspruch der Kündigung das Anhörungsverfahren abgeschlossen war. Dies hat die Beklagte substanziiert dargelegt.

Mit Schreiben vom 04.12.2002, das die Beklagte erstinstanzlich in Kopie zur Akte gereicht hat, hat die Beklagte den Kündigungssachverhalt der Mitarbeitervertretung im Einzelnen schriftlich dargestellt, sie hat die Sozialdaten der Klägerin angegeben und die Mitarbeitervertretung um Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin zum 31.03.2003 gebeten. Hierzu hat die Mitarbeitervertretung am 09.12.2002 mitgeteilt, dass sie in ihrer außerordentlichen Sitzung vom 09.12.2002 die ordentliche Kündigung der Klägerin zur Kenntnis genommen habe. Erst im Anschluss daran hat die Beklagte die Kündigung vom 11.12.2002 erklärt.

Erstinstanzlich hat die Klägerin zur Anhörung der Mitarbeitervertretung keine weitere Stellungnahme abgegeben. Erst im Berufungsverfahren, außerhalb der Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 03.11.2002 hat sie erklärt, dass mit Nichtwissen bestritten werden müsse, dass die Mitarbeitervertretung betreffend die Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden sei. Hiermit genügt sie jedoch nicht den an ihren prozessualen Vortrag zu stellenden Anforderungen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 16.03.2000 - 2 AZR 75/99 - EzA § 622 BGB n.F. Nr. 179), die auf das Anhörungsverfahren der Mitarbeitervertretung übertragbar ist, hat der Arbeitgeber zunächst eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung im Detail schlüssig darzulegen. Im Rahmen der der Klägerin obliegenden abgestuften Darlegungslast wäre es sodann ihre Sache gewesen, konkret zu beanstanden, in welchen Punkten sie die Anhörung für fehlerhaft hält, wobei auch ein völliges oder teilweises Bestreiten mit Nichtwissen wegen fehlender eigener Wahrnehmung möglich und zulässig ist. Bei einem komplexen Sachverhalt wie dem der Anhörung des Betriebsrates muss jedoch die nicht beweisbelastete Partei nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast auf substanziierte Darlegungen der Gegenseite hin deutlich machen, welche Angaben sie für zutreffend erachtet und welche nicht. In diesem Fall kann es nämlich durchaus sein, dass die nicht beweisbelastete Partei einzelne der gegnerischen Angaben, sei es aufgrund eigener Wahrnehmung, aufgrund von Informationen beteiligter Personen ihres Vertrauens oder aufgrund der Plausibilität und voraussichtlich problemlosen Beweisbarkeit des Vorbringens, für glaubhaft erachtet und nicht länger in Zweifel zieht, oder dass sie einen anderen Sachverhalt darlegen kann. Bei solch komplexen Sachverhalten genügt deshalb kein undifferenziertes pauschales Bestreiten, vielmehr muss die nicht beweisbelastete Partei ihr Bestreiten zumindest soweit substanziieren, dass für das Gericht erkennbar wird, über welche einzelnen Behauptungen der beweisbelasteten Partei Beweis erhoben werden soll. Dies hat die Klägerin unterlassen. Sie hat in ihrem Schriftsatz vom 03.11.2003 lediglich sehr vage erklärt, dass die ordnungsgemäße Beteiligung der Mitarbeitervertretung mit Nichtwissen bestritten werden müsse, womit sie nicht einmal hinreichend deutlich gemacht hat, dass sie tatsächlich keine Informationen über das durchgeführte Verfahren besitzt. Der Vortrag der Beklagten zur Anhörung der Mitarbeitervertretung war immerhin seit Juni bekannt und war im Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils als unstreitig dargestellt worden. Unter diesen Umständen hätte es weiterer Ausführungen der Klägerin entsprechend den oben dargestellten Grundsätzen bedurft.

b) Die erklärte Kündigung ist auch nicht wegen des Sonderkündigungsschutzes nach § 85 SGB IX rechtswidrig. Voraussetzung des Sonderkündigungsschutzes ist es, dass vor Zugang der Kündigung entweder ein Bescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft ergangen ist oder der Schwerbehinderte jedenfalls einen entsprechenden Anerkennungsantrag beim Integrationsamt gestellt hat (st. Rspr. des BAG, vgl. Urteil vom 07.03.2002 - 2 AZR 612/00 - NZA 2002, 1145).

Die Klägerin hat mit einem am 17.12.2002 beim Hessischen Amt für Versorgung und Soziales in Frankfurt eingegangenen Antrag ihre Anerkennung als Schwerbehinderte beantragt. Mit Bescheid vom 25.02.2003 ist ein Grad der Behinderung von 50 rückwirkend zum 17.12.2002 festgestellt worden. Nach dem Sachvortrag der Beklagten ist das Kündigungsschreiben am 15.12.2002 unter der Wohnanschrift der Klägerin durch Bote in den Briefkasten geworfen worden. Hierbei handelte es sich um einen Sonntag, für den der Zugang einer rechtsgeschäftlichen Erklärung noch nicht angenommen werden kann. Spätestens mit dem darauf folgenden Werktag, Montag, dem 16.12.2002, wäre damit jedoch der Zugang des Kündigungsschreibens bewirkt worden.

Auch zu diesem substanziierten Sachvortrag der Beklagten hat die Klägerin erstinstanzlich nicht Stellung genommen, sodass das Arbeitsgericht den Zugang der Kündigung mit dem 16.12.2002 als unstreitig in den Tatbestand des Urteils aufgenommen hat. In ihrer Berufungsbegründung hat die Klägerin sich darauf beschränkt zu erklären, dass ihre Mutter am 17.12.2002 die Kündigung erhalten habe. Dieser Sachvortrag lässt schon nicht erkennen, ob die Klägerin den Zugang der Kündigung am 16.12.2002 bestreiten will. Denkbar wäre es, dass die Mutter der Klägerin am 16.12.2002 nicht ortsanwesend gewesen wäre oder aus anderen Gründen nicht nach der Post gesehen hätte, was an einem Zugang der Kündigung am 16.12.2002 nichts ändern würde. Unter den gegebenen Umständen wäre eine genaue Angabe dazu, was die Klägerin an der Darstellung der Beklagten bestreitet, erforderlich gewesen.

3) Das Arbeitsverhältnis ist durch gerichtliches Urteil aufzulösen, weil Auflösungsgründe für die Beklagte vorliegen.

Nach der Grundkonzeption des Kündigungsschutzgesetzes führt eine Sozialwidrigkeit der Kündigung zu deren Rechtsunwirksamkeit und dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Das Kündigungsschutzgesetz ist vorrangig ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Dieser Grundsatz wird durch § 9 KSchG unter der Voraussetzung durchbrochen, dass - bezogen auf den Auflösungsantrag des Arbeitgebers - eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht. Da hiernach eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur ausnahmsweise in Betracht kommt, sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Der Auflösungsantrag ist trotz seiner nach § 9 Abs. 2 KSchG gesetzlich angeordneten Rückwirkung auf den Kündigungszeitpunkt in die Zukunft gerichtet. Das Gericht hat eine Vorausschau anzustellen. Im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ist zu fragen, ob in Zukunft noch mit einer den Betriebszwecken dienenden weiteren Zusammenarbeit der Parteien zu rechnen ist (zu den Auflösungsgrundsätzen aus jüngerer Rechtsprechung: BAG vom 10.10.2002 - 2 AZR 240/01 - DB 2003, 999).

Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen in dem Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers liegen. Dabei sind nur solche Tatsachen heranzuziehen, die von der darlegungspflichtigen Partei aufgegriffen worden sind (BAG vom 30.09.1976 - 2 AZR 402/75 - AP Nr. 3 zu § 9 KSchG 1969).

Als Auflösungsgründe können auch solche Umstände geeignet seien, die die Kündigung selbst nicht rechtfertigen. Zwar genügt der Arbeitgeber durch die bloße Bezugnahme auf nicht ausreichende Kündigungsgründe seiner Darlegungslast noch nicht. Er muss vielmehr im Einzelnen vortragen, welche der zur Kündigung herangezogenen Tatsachen auch den Auflösungsantrag begründen sollen und aus welchem Grunde diese einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit entgegenstehen sollen (vgl. BAG vom 16.05.1984 AP KSchG 1969 § 9 Nr. 11; APS/Biebel, § 9 KSchG RdNr. 51).

Die Beklagte hat sich zur Begründung des Auflösungsantrages auf das bezogen, was sie für die Kündigung vorgetragen hat, jedoch zusätzlich erklärt, dass insbesondere die beharrliche Weigerung, die für das Gutachten notwendigen Unterlagen herauszugeben, dazu geführt hätte, dass das Vertrauen in die ärztliche Zuverlässigkeit der Klägerin zerstört wurde. Dem ist zu folgen. Zwar war die Klägerin nicht dazu verpflichtet, nach ihrer erneuten Erkrankung den Gutachterauftrag zu erfüllen. Es ist jedoch unverständlich, dass sie die Krankenunterlagen behalten hat, sich auch, nachdem für sie deutlich geworden sein musste, dass sie das Gutachten nicht in angemessener Zeit werde anfertigen können, sich nicht mit der Beklagten oder ihrem Vorgesetzten Prof. Dr. W1xxxxxxxxx in Verbindung gesetzt hat, um abzuklären, wie sie mit den ihr überlassenen Krankenunterlagen verfahren sollte. Auch nachdem sie durch den Vorsitzenden der Gutachterkommission auf die Fertigstellung des Gutachtens angesprochen worden war, ist sie weder gegenüber der Beklagten noch gegenüber Prof. Dr. W1xxxxxxxxx aktiv geworden. Dieses Verhalten der Klägerin ist geeignet, das Vertrauen in ihre ärztliche Zuverlässigkeit zu erschüttern. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob ein Verschulden der Klägerin vorliegt (vgl. BAG vom 30.06.1969 - AP Nr. 56 zu § 1 KSchG; APS-Biebel, aaO. , § 9 KSchG RdNr. 51). Allerdings ist im vorliegenden Fall ein Verschulden der Klägerin auch nicht ausgeschlossen. Die Klägerin selbst hat vorgetragen, dass sie trotz ihrer Arbeitsunfähigkeit an der Erstellung des Gutachtens gearbeitet habe. War dies jedoch der Fall, so wäre es ihr auch möglich gewesen, eine Abklärung mit der Beklagten vorzunehmen und die Krankenunterlagen gegebenenfalls herauszugeben. Der die Vertrauensgrundlage für eine künftige Tätigkeit der Klägerin erschütternde Vorwurf besteht gerade darin, dass die Klägerin diese Krankenunterlagen über ein Jahr in Besitz gehalten und sie erst nach mehrmaliger dringender Aufforderung durch die Beklagte herausgegeben hat. Für das Vorliegen von Auflösungsgründen nach § 9 KSchG, für die nicht einmal ein Verschulden des Arbeitnehmers gegeben sein muss, kommt es, anders als für die soziale Rechtfertigung einer Kündigung, nicht darauf an, ob sie die ihr erteilte Abmahnung zur Kenntnis genommen hat.

Die vom Gericht festzusetzende Abfindung ist in Höhe von 6.000,-- EUR, das entspricht etwa 1 1/2 Monatseinkommen, angemessen.

III

Der Antrag der Klägerin auf Entfernung der Abmahnung vom 18.11.2002 aus der Personalakte ist unbegründet.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer grundsätzlich keinen Anspruch darauf, eine ihm erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen (vgl. BAG vom 14.09.1994 - 5 AZR 632/93 - NZA 1995, 220). Zwar kann der Arbeitnehmer nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte verlangen. Dieser Anspruch beruht darauf, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht grundlos Nachteile zufügen und ihn der Gefahr eines Schadens aussetzen darf. Abmahnungen, die zu den Personalakten eines Arbeitnehmers genommen werden, können dessen weitere berufliche Entwicklung nachteilig beeinflussen oder auch seine Ehre berühren und damit sein Persönlichkeitsrecht verletzen. Wegen dieser dauerhaften und nachteiligen Gefährdung der Rechtsstellung des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber dafür Sorge tragen, dass die Personalakte ein zutreffendes Bild des Arbeitnehmers in dienstlicher und persönlicher Hinsicht vermittelt. Solche Nachteile treten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses jedoch nicht ohne weiteres mehr auf. Dies bedeutet, dass nur dann, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden kann, ein Anspruch auf die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte besteht. Die Möglichkeit der künftigen Gefährdung durch das Verbleiben einer Abmahnung in der Personalakte muss der Arbeitnehmer im Prozess darlegen und gegebenenfalls beweisen. Hierzu liegt ein Sachvortrag der Klägerin nicht vor.

IV

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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