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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 03.05.2007
Aktenzeichen: 17 Sa 1647/06
Rechtsgebiete: TV Ang iöS, ArbGG, ZPO, BAT, EFZG


Vorschriften:

TV Ang iöS § 14 Abs. 1
TV Ang iöS § 14 Abs. 2
TV Ang iöS § 14 Abs. 2 Satz 2
TV Ang iöS § 14 Abs. 3
TV Ang iöS § 14 Abs. 3 Satz 1
TV Ang iöS § 14 Abs. 3 Satz 2
TV Ang iöS § 14 Abs. 5
TV Ang iöS § 14 Abs. 6
TV Ang iöS § 14 Abs. 7
TV Ang iöS § 14 Abs. 7 Satz 1 b
TV Ang iöS § 14 Abs. 8
TV Ang iöS § 14 Abs. 9
TV Ang iöS § 14 Abs. 10
TV Ang iöS § 16 Abs. 2
TV Ang iöS § 16 Abs. 2 Satz 2
ArbGG § 64 Abs. 2 a
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 6
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 519
ZPO § 520
BAT § 36 Abs. 1
BAT § 37 Abs. 3
BAT § 37 Abs. 4
BAT § 37 Abs. 5
BAT § 37 Abs. 6
BAT § 37 Abs. 7
BAT § 37 Abs. 8
BAT § 37 Abs. 9
EFZG § 4 Abs. 4
EFZG § 4 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 14.09.2006 - 5 Ca 990/06 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Berechnung von Krankenbezügen und Urlaubsvergütung.

Der Kläger ist seit dem 01.08.1997 bei der Beklagten als Fleischkontrolleur in der Fleischuntersuchung beschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis ist der Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und Einfuhruntersuchungsstellen vom 01.04.1969 i.d.F. vom 14.09.2000 (im weiteren TV Ang iöS) anwendbar.

Gemäß § 14 Abs. 3, § 16 Abs. 2 werden als Krankenbezüge bzw. Urlaubsvergütung für jeden Werktag 1/300 der Bezüge (Vergütung, Zeitzuschläge, Krankenbezüge, Krankengeldzuschuss und Urlaubsvergütung) des vorausgegangenen Kalenderjahres gezahlt. Hat der Angestellte nicht für jeden Kalendermonat des vorausgegangenen Kalenderjahres Bezüge erhalten, wird für jeden Werktag 1/25 der durchschnittlichen monatlichen Bezüge der abgerechneten vollen Kalendermonate des vorausgegangenen Kalenderjahres gezahlt. Hat der Angestellte während des gesamten vorausgegangenen Kalenderjahres keine Bezüge erhalten, wird für jeden Werktag 1/25 der durchschnittlichen monatlichen Bezüge der abgerechneten vollen Kalendermonate des laufenden Kalenderjahres gezahlt. Hat der Angestellte noch keinen vollen Kalendermonat Ansprüche auf Bezüge gehabt, wird für jeden Werktag als Krankenbezug der Betrag gezahlt, der dem Angestellten seit Bestehen des Arbeitsverhältnisses durchschnittlich je Werktag zugestanden hat.

Im Jahr 2005 war der Kläger über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig krank. Nach Aufstellung der Beklagten vom 24.01.2006 (Bl. 6 d.A.) erhielt der Kläger für die Monate September und Oktober 2006 ausschließlich einen Krankengeldzuschuss, der ihm im November 2005 nachgezahlt wurde. Nach Vortrag des Klägers erhielt er bis zum 18.07.2005 Krankenbezüge und vom 19.07.2005 bis zum 08.10.2005 einen Krankengeldzuschuss von kalendertäglich 1,34 €.

Im Februar 2006 war der Kläger an fünf Werktagen arbeitsunfähig krank und hatte an vier Werktagen Urlaub. Im März 2006 nahm er zehn Urlaubstage. Im April 2006 wies er dreizehn Arbeitsunfähigkeitstage und fünf Urlaubstage auf.

Gemäß ihrer Berechnung vom 24.01.2006 zahlte die Beklagte werktäglich Krankengeld bzw. Urlaubsvergütung in Höhe von 73,30 €. Wegen der Einzelheiten ihrer Abrechnungen für Februar, März und April 2006 wird auf die von dem Kläger mit der Klageschrift vorgelegten Kopien der Entgeltabrechnungen (Bl. 7 bis 9 d.A.) Bezug genommen.

Mit seiner am 16.05.2006 bei dem erstinstanzlichen Gericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Zahlung von Krankengeld bzw. Urlaubsvergütung i.H.v. 87,95 € werktäglich, insgesamt für alle in der Zeit von Februar 2006 bis April 2006 angefallenen Urlaubs- und Krankheitstage einen Betrag von 542,05 €.

Er ist der Auffassung:

Das Krankengeld bzw. die Urlaubsvergütung seien nach § 14 Abs. 3 Satz 2 bzw. § 16 Abs. 2 Satz 2 TV Ang iöS zu berechnen. Die beiden Monate, in denen er ausschließlich Krankengeldzuschüsse bezogen habe, seien außer Acht zu lassen. Entsprechend habe er in 2005 nicht für jeden Kalendermonat Bezüge erhalten. Deshalb sei für jeden Werktag 1/25 der durchschnittlichen monatlichen Bezüge der abgerechneten zehn Monate mit Bezügen in Form von Vergütung, Urlaubsvergütung und Krankengeld in Ansatz zu bringen.

Mit der Gewährung eines Krankengeldzuschusses sollten länger beschäftigte Arbeitnehmer begünstigt werden. Die Vergünstigung reduziere jedoch im darauffolgenden Kalenderjahr die Urlaubs- und Krankheitsbezüge deutlich, wenn die Krankengeldzuschüsse in die Berechnung einflössen. Es sei eine Ungleichbehandlung im Vergleich mit Arbeitnehmern gegeben, die keinen Krankengeldzuschuss erhielten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 542,05 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.05.2006 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ihre Berechnung als korrekt verteidigt und die Auffassung vertreten, der Begriff der Bezüge sei von den Tarifvertragsparteien abschließend definiert worden; eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes liege nicht vor, denn Krankengeldzuschüsse würden sich zusatzversorgungsrechtlich auswirken.

Mit Urteil vom 14.09.2006 hat das Arbeitsgericht Gelsenkirchen die Klage abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Gleichzeitig hat es die Berufung zugelassen.

Es hat ausgeführt:

Die zulässige Klage sei unbegründet, da dem Kläger ein Anspruch nach dem TV Ang iöS nicht zustehe,.

Die Kammer verkenne nicht, dass durch die Einbeziehung des Krankengeldzuschusses in die Berechnung des Folgejahres möglicherweise eine Ungleichbehandlung der längerfristig beschäftigten Arbeitnehmer gegenüber kürzer beschäftigten, nicht krankengeldzuschussberechtigten Mitarbeitern entstehen könne.

Das führe jedoch nicht dazu, dass der Tarifvertrag dahingehend auszulegen sei, dass der Begriff der Bezüge in § 14 Abs. 3 Satz 1 nicht anhand der Klammerdefinition hergeleitet werden könne und die Durchschnittsvergütung ohne Berücksichtigung des Krankengeldzuschusses zu errechnen sei.

Der Wortlaut des § 14 Abs. 3 Satz 1 TV Ang iöS sei eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich. An die eindeutige Regelung der Tarifvertragsparteien seien die Gerichte für Arbeitssachen gebunden. Sie hätten sie nicht auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen oder sie besseren Erkenntnissen anzupassen. Das sei Aufgabe der Tarifvertragsparteien.

Wegen der weiteren Einzelheiten von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf das Urteil vom 14.09.2006 (Bl. 23 - 28 d.A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 22.09 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.10.2006 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.12.2006 am 22.12.2006 eingehend begründet.

Er verteidigt seine erstinstanzlich vertretene Rechtsauffassung und führt aus, dass die tariflichen Normen zur Berechnung des Krankengeldes und der Urlaubsvergütung verfassungskonform unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auszulegen seien.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 14.09.2006 die Beklagte zu verurteilen, an ihn 542,05 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.05.2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des Parteivorbringens im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß §§ 64 Abs. 2 a, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO an sich statthafte und form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 14.09.2006 ist unbegründet.

Zu Recht hat das erstinstanzliche Gericht die Klage abgewiesen.

1. Der Zahlungsantrag ist zulässig. Er erfüllt insbesondere die Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Danach muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Der Kläger muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung er begehrt. Macht er mehrere selbständige Ansprüche geltend, muss er diese entsprechenden Teilbeträgen zuordnen. Die- selbe Zuordnung ist erforderlich, wenn er nur einen Teil seiner angeblich höheren Gesamtforderung geltend macht. Jeder Anspruch muss identifizierbar sein. Der zugrunde liegende Sachverhalt darf nicht beliebig sein (vgl. BAG, Urteil vom 09.10.2002 - 5 AZR 160/01, NZA 2003, 344).

Der Vortrag des Klägers erfüllt diese Voraussetzungen. Die geltend gemachten Ansprüche sind identifizierbar. Der Kläger begehrt eine höhere Vergütung für in der Zeit vom 01.02.2006 bis zum 30.04.2006 angefallene Urlaubstage und Tage der Arbeitsunfähigkeit mit Entgeltfortzahlung. Zwar hat er nur angegeben, wieviele Urlaubs- und Krankentage im jeweiligen Monat zu vergüten waren. Er hat sie nicht durch Angabe der konkreten Kalendertage unverwechselbar bezeichnet. Gleichwohl ist der dem Gericht zur Beurteilung vorgelegte Sachverhalt identifizierbar. Er ist abgeschlossen. Im Kammertermin vom 03.05.2007 hat der Kläger klargestellt, nicht einen Teil einer angeblichen höheren Gesamtforderung, sondern die Gesamtforderung aus dem streitgegenständichen Zeitraum abschließend geltend zu machen.

2. Die Klage ist unbegründet.

a. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von weiteren 263,70 € Entgeltfortzahlung aus § 14 Abs. 2 Satz 2 TV Ang iöS.

aa. Der Tarifvertrag ist unstreitig auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar. Der Kläger war auch im Sinne des § 14 Abs. 1 TV Ang iöS im Februar 2006 unverschuldet an fünf Arbeitstagen und im April 2006 an dreizehn Arbeitstagen arbeitsunfähig krank. Auch insoweit besteht kein Streit zwischen den Parteien.

bb. Die Krankenvergütung im Sinne des § 14 Abs. 1 TV Ang iöS berechnet sich nach Abs. 3 der Tarifnorm. Hat der Angestellte für jeden Kalendermonat des vorangegangenen Kalenderjahres Bezüge erhalten, werden für jeden Werktag der Arbeitsunfähigkeit nach § 14 Abs. 3 Satz 1 TV Ang iöS 1/300 der Bezüge gezahlt. Durch einen Klammerzusatz in Satz 1 haben die Tarifvertragsparteien den Begriff des Bezugs definiert. Dazu gehören auch nach § 14 Abs. 5 TV Ang iöS gezahlte Krankengeldzuschüsse.

Die Beklagte ist bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung für die Zeit ab dem 01.02.2006 gemäß ihrer Aufstellung vom 24.01.2006 von einem Referenzzeitraum 01.02.2005 bis zum 31.01.2006 ausgegangen. Maßgeblich ist jedoch nach § 14 Abs. 3 Satz 1 TV Ang iöS die Summe der Bezüge, die der Angestellte im unmittelbar vorausgegangenen Kalenderjahr, nicht in den letzten vorausgegangenen zwölf Monate erzielt hat (vgl. auch Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, § 14 TV Ang iöS Erl. 15). Der Fehler wirkt sich jedoch nicht anspruchsbegründend aus. Selbst wenn der Kläger im Januar 2005 gar keine Bezüge erhalten haben sollte, liegt der Betrag pro Werktag nicht über 73,30 €. Ausgehend von entsprechend der Auffassung der Beklagten elf Monaten mit Bezügen, davon zwei Monate mit Krankengeldzuschuss, ergibt sich ein durchschnittliches Einkommen von 1.786,88 € monatlich (19.655,70 € geteilt durch elf Monate) und ein werktäglicher Betrag von 71,48 € (1.786,88 geteilt durch 25), § 14 Abs. 3 Satz 2 TV Ang iöS. Dass sich bei Einbeziehung der Vergütung für Januar 2005 statt Januar 2006 ein höherer Anspruch ergibt, hat der Kläger nicht vorgetragen.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist unerheblich, ob er entsprechend seinem Vortrag im August und September oder entsprechend dem Vortrag der Beklagten im September und Oktober Krankengeldzuschüsse erhalten hat.

cc. Die Klageforderung rechtfertigt sich nur dann, wenn die beiden Monate mit ausschließlichem Krankengeldbezug bei der Ermittlung des werktäglichen Betrags außer Betracht zu lassen sind und die Berechnung gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2 TV Ang iöS erfolgen hat.

Das ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht der Fall.

(1) Das begehrte Ergebnis folgt weder aus einer erläuternden noch aus einer ergänzenden Auslegung der Tarifnorm.

Der normative Teil eines Tarifvertrages ist nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen. Auszugehen ist zunächst von dem Tarifwortlaut. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Regelung, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann (vgl. BAG, Urteil vom 21.11.2006 - 9 AZR 323/05, DB 2007, 1092; Urteil vom 21.04.2005 - 6 AZR 440/04, n.v.; Urteil vom 28.05.1998 - 6 AZR 349/96, AP Nr. 52 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag).

(a) Der Wortlaut des § 14 Abs. 3 Satz 1 TV Ang iöS ist eindeutig und nicht auslegungsbedürftig. Die Tarifvertragsparteien haben den Krankengeldzuschuss als Bezug im Sinne der Tarifvorschrift definiert, ohne zu differenzieren zwischen Monaten, in denen neben anderen Bezügen Krankengeldzuschuss geleistet wurde und Monaten, in denen der Angestellte ausschließlich Krankengeldzuschüsse erhalten hat.

Was sie unter Krankengeldzuschuss verstehen, an welche Voraussetzungen der Anspruch geknüpft ist, ergibt sich aus § 14 Absätze 5 bis 10 TV Ang iöS.

(b) Der Anspruch rechtfertigt sich auch nicht aus einer ergänzenden Auslegung der tariflichen Vorschrift.

Tarifliche Regelungen sind grundsätzlich einer ergänzenden Auslegung zugänglich. Diese kommt dann in Betracht, wenn die Tarifvertragsparteien unbewusst eine regelungsbedürftige Frage offen gelassen haben. Haben sie bewusst eine regelungsbedürftige Frage nicht geregelt und kommt dies in einer entsprechenden Auslassung zum Ausdruck, sind die Tarifvorschriften einer Ergänzung durch Auslegung nicht zugänglich. Im Falle einer unbewussten Regelungslücke haben die Gerichte grundsätzlich die Möglichkeit und die Pflicht, die Lücke zu schließen, wenn sich unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausreichende Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien ergeben (BAG, Urteil vom 24.02.1988 - 4 AZR 614/87, BAGE 57, 334; Urteil vom 10.12.1986 - 5 AZR 517/85, BAGE 54, 30; Urteil vom 03.11.1998 - 3 AZR 432/97, ZTR 1999, 375, Urteil vom 20.05.1999 - 6 AZR 451/97, BAGE 91, 358). Die Lückenschließung scheidet allerdings aus, wenn verschiedene Möglichkeiten bestehen und es deshalb aufgrund der bestehenden Tarifautonomie den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben muss, für welche Lösungsmöglichkeit sie sich entscheiden wollen (vgl. BAG, Urteil vom 20.05.1999 a.a.O.).

Unter Anwendung dieser Grundsätze konnte die Kammer eine unbewusste Lücke nicht feststellen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien nicht gesehen haben, dass sich das Krankengeld im Folgejahr reduziert, wenn im vorausgegangenen Jahr im einzelnen Monat nur der Krankengeldzuschuss von dem Angestellten bezogen wurde. Es handelt sich nämlich nicht um einen seltenen Ausnahmefall, sondern um einen typischen Lebenssachverhalt.

Gemäß § 14 Abs. 2 TV Ang iöS erhält der Arbeitnehmer Krankenbezüge bis zur Dauer von sechs Wochen. Nach Ablauf dieses Zeitraumes ist der Krankenzuschuss zu zahlen, § 14 Abs. 5 TV Ang iöS. Beide Bezüge, Krankengeld und Krankengeldzuschuss, sind nach § 14 Abs. 7 Satz 1 b TV Ang iöS innerhalb eines Kalenderjahres bei der für den Kläger maßgeblichen Beschäftigungszeit bis längstens für die Dauer von 26 Wochen vom Arbeitgeber zu leisten, unabhängig davon, ob eine Wiederholungserkrankung vorliegt (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese § 14 TV Ang iöS Erl. 15 i.V.m. § 37 BAT Erl. 15). In Ansehung dieser Regelungen liegt es auf der Hand, dass bei (nicht seltenen) längeren Erkrankungen in einzelnen Monaten nur der Krankengeldzuschuss gezahlt wird, ohne dass der Angestellte gleichzeitig Krankengeld i.S.v. § 14 Abs. 1 TV Ang iöS erhält. Gleichwohl haben die Tarifvertragsparteien keine Ausnahmeregelung für diesen Sachverhalt getroffen, sondern ihn § 14 Abs. 3 Satz 1 TV Ang iöS zugeordnet, obwohl sie in § 36 Abs. 1 BAT Zeiten, für die dem Angestellten lediglich Krankengeldzuschuss nach § 37 Abs. 3 bis 9 BAT zusteht, von der Vormonatsregelung für die Bemessung unselbständiger Bezüge ausgeklammert haben. In den Monaten, in denen ausschließlich Krankengeldzuschuss bezogen wird, können keine unselbständigen Bezügebestandteile gezahlt werden. Bei der Feststellung, welcher Monat Vorvormonat ist, bleiben diese Monate unberücksichtigt (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese § 36 BAT Erl. 5). Die Tarifvertragsparteien haben hier eine Sonderregelung geschaffen und damit gezeigt, dass ihnen sehr wohl bewusst war, dass es Monate nur mit Krankengeldzuschuss gibt mit der Folge von zu regelnden Auswirkungen auf die Vergütung.

Die Annahme, sie hätten bewusst auch den vorliegenden Sachverhalt § 14 Abs. 3 Satz 1 TV Ang iöS zugeordnet, widerspricht nicht dem Sinn und Zweck des Bezuges von Krankengeldzuschüssen. Zwar ist der Zuschuss eine Sonderleistung des Arbeitgebers bei einer Betriebstreue von mehr als einem Jahr. Dem Kläger ist auch zuzugestehen, dass diese Begünstigung im Einzelfall für die Zukunft relativiert wird, wenn Monate nur mit Krankengeldzuschuss in die Referenzberechnung nach § 14 Abs. 3 Satz 1 TV Ang iöS einfließen. Auf die Extremfälle hat das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.11.2000 - 4 Sa 2081/00, ZTR 2001, 474) hingewiesen. Zu bedenken ist jedoch, dass die Tarifvertragsparteien eine Einschätzungprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten eines Sachverhalts und die betroffenen Interessen haben. Sie sind nicht dazu verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung zu wählen (vgl. BAG, Urteil vom 27.05.2004 - 6 AZR 129/03, BAGE 111, 8). Der Begünstigung betriebstreuer Beschäftigter nach § 14 Abs. 5 TV Ang iöS steht das Bedürfnis gegenüber, für die Berechnung des Krankengeldes eine möglichst einfache und transparente Tarifregelung zu schaffen. Die Tarifvertragsparteien haben von der ihnen gesetzlich nach § 4 Abs. 4 EFZG eingeräumten Regelungsmacht Gebrauch gemacht, abweichend von § 4 Abs. 1 EFZG die Entgeltfortzahlung nach einem Referenzzeitraum zu berechnen. Wie das LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.11.2000 a.a.O.) festgestellt hat, haben die Fleischkontrolleure und Tierärzte nach dem TV Ang aöS grundsätzlich einen Anspruch auf eine erfolgsorientierte Stückvergütung. Das gilt auch für den TV Ang iöS. Durch diese Vergütungsstruktur ist der monatliche Verdienst erheblichen Schwankungen unterworfen, denen durch eine Pauschalierung der Krankengeldberechnung Rechnung getragen werden soll. Mit der pauschalierten Berechnung nach einem Referenzzeitraum unter Einbeziehung von Monaten nur mit dem Bezug von Krankengeldzuschüssen haben die Tarifvertragsparteien eine Vielfalt von unterschiedlichen Sachverhalten erfasst, Monate mit überwiegendem Krankengeld und geringfügiger Zahlung eines Krankengeldzuschusses, Monate mit einem ausgewogenen Verhältnis von Krankengeld und Krankengeldzuschuss und Monate, in denen weit überwiegend oder ausschließlich Krankengeldzuschüsse bezogen werden.

(2) Sie haben dabei ihre Einschätzungsprärogative nicht überschritten. Die Regelung verstößt nicht gegen Artikel 3 Abs. 1 GG.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts haben die Gerichte für Arbeitssachen Tarifverträge auch daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht verstoßen. Streitig ist, ob die Tarifvertragsparteien unmittelbar an die Grundrechte, insbesondere an das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot nach Artikel 3 Abs. 1 GG gebunden sind (so BAG, Urteil vom 15.01.1955 - 1 AZR 305/54, BAGE 1, 258; Urteil vom 28.05.1996 - 3 AZR 752/95, NZA 1997, 101; Urteil vom 04.04.2000 - 3 AZR 729/98, AP Nr. 2 zu § 1 Tarifvertragsgesetz Gleichbehandlung). Selbst wenn die unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien in Zweifel gezogen wird (so BAG, Urteil vom 31.07.2002 - 7 AZR 140/01, BAGE 102, 65; Urteil vom 30.08.2000 - 4 AZR 563/99, BAG 95, 277; Urteil vom 29.08.2001 - 4 AZR 352/00, BAGE 99, 31; Urteil vom 29.11.2001 - 4 AZR 762/00, AP Nr. 296 zu Art. 3 GG, Urteil vom 27.05.2004 - 6 AZR 129/03, BAGE 111, 8), wird anerkannt, dass bei der Prüfung der Vereinbarkeit tariflicher Regelungen mit Art. 3 Abs. 1 GG kein anderer Prüfungsmaßstab gelten kann als im Falle der Anerkennung einer unmittelbaren Grundrechtsbindung (vgl. BAG, Urteil vom 27.05.2004 a.a.O.).

Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz gebietet es, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, es sei denn, die Ungleichbehandlung ist gerechtfertigt. Dabei reicht der Prüfungsmaßstab von einer Willkürkontrolle bis hin zu einer an Verhältnismäßigkeitserwägungen orientierten Kontrolle. Der Gleichheitssatz ist um so strikter, je mehr er den einzelnen als Person betrifft, und ist umso mehr für Gestaltungen offen, als allgemeine Lebensverhältnisse geregelt werden (vgl. BAG, Urteil vom 13.06.2006 - 8 AZR 588/05, ZTR 2006, 664; BVerfG, Beschluss vom 10.11.1999 - 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151).

Die Tarifvertragsparteien haben in § 14 Abs. 3 TV Ang iöS einen allgemeinen Lebenssachverhalt geregelt, ohne die Person des einzelnen Arbeitnehmers oder bestimmte Arbeitnehmergruppen als Anknüpfungspunkt zu nehmen. Es geht nicht um die Ungleichbehandlung von Personengruppen, die an strengeren Maßstäben zu messen ist als die Ungleichbehandlung von Sachverhalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.05.1990 - 1 BvL 2/83, BVerfGE 82, 126).

Fraglich ist hier schon, wie die Vergleichssachverhalte zu bilden sind. Die Vergleichsgruppenbildung des Klägers scheint zu kurz gegriffen, denn eine messbare Senkung ihrer Durchschnittsvergütung erfahren nicht nur die Arbeitnehmer, die in einem Monat für alle Werktage Krankengeldzuschuss erhalten, sondern auch die Arbeitnehmer, die z.B. für einen Tag Krankengeld, im Übrigen aber den Krankengeldzuschuss erhalten. Auch sie sind schlechter gestellt als die nicht durch einen Anspruch auf Krankengeldzuschuss begünstigten Arbeitnehmer.

Eine Ungleichbehandlung unterstellt, ist sie weder willkürlich noch unverhältnismäßig. Pauschalierungen dienen der Rechtsvereinfachung, sind notwendigerweise typisierend und führen nicht jeden Einzelfall einer gerechten Lösung zu. Das ist angesichts der Vermutung, dass tarifliche Regelungen den Interessen beider Seiten gerecht werden und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht zukommt, deshalb regelmäßig die Interessen der Arbeitnehmer angemessen berücksichtigt sind (vgl. BAG, Urteil vom 10.03.1982 - 4 AZR 540/79, BAGE 38, 118) jedenfalls so lange hinzunehmen, wie hier der Bezug von Krankengeldzuschüssen nicht zu einer grundlegenden Schlechterstellung auf Dauer führt. Das Bedürfnis nach Rechtsvereinfachung ist ins Verhältnis zu den Nachteilen der Arbeitnehmer zu setzen.

Hier ist eine grundlegende Schlechterstellung schon deshalb zu verneinen, weil sich die Monate mit ausschließlichem Krankengeldzuschuss im Referenzjahr bei der Krankengeldberechnung primär im Folgejahr auswirken, wobei nicht verkannt wird, dass je nach Fallgestaltung auch die Durchschnittsberechnung für das weitere Kalenderjahr indirekt beeinflusst wird.

Die Nachteile sind jedoch nicht von Dauer. Die finanziellen Einbußen sind im typischen Fall der Kurzerkrankungen eher geringfügig. Hier hat der Kläger bei zwei vollen Monaten ausschließlichen Bezugs von Krankengeldzuschüssen eine Einbuße von 14,65 € je Ausfalltag durch Arbeitsunfähigkeit hinzunehmen.

b. Ihm steht aus den genannten Erwägungen auch kein Anspruch auf Zahlung einer weiteren Urlaubsvergütung von 287,35 € aus § 16 Abs. 2 TV Ang iöS zu.

Die Vorschrift ist wortgleich zu § 14 Abs. 2 TV Ang iöS, so dass die vorstehenden Ausführungen auch insoweit Geltung haben.

Hinzuzufügen bleibt, dass sich eine unverhältnismäßige Schlechterstellung der Arbeitnehmer bei typischer Betrachtung auch nicht daraus ergibt, dass Krankengeld und Urlaubsvergütung durch Einbeziehung von Monaten ausschließlich mit Krankengeldzuschussbezug im Referenzzeitraum gesenkt werden. Das Maß der Beeinträchtigung hängt vom Einzelfall ab. Hätte der Kläger im Jahre 2006 nur Erholungsurlaub von maximal 33 Werktagen ohne Arbeitsunfähigkeitszeiten gehabt, hätte sich die Einbuße auf 483,45 € beschränkt.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Zulassung der Revision aus § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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