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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 17.04.2008
Aktenzeichen: 17 Sa 1768/07
Rechtsgebiete: TV ERA-APF


Vorschriften:

TV ERA-APF § 4 c
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 29.08.2007 - 3 Ca 508/07 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, an die Klägerin für die Zeit von März 2006 bis Mai 2007 ausgehend von einem monatlichen Bruttolohn in Höhe von 1.960,50 € 2,79 % monatlich als Einmalzahlung gemäß § 4 c des Tarifvertrages ERA-Anpassungsfonds (TV ERA-APF) in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 18.12.2003 in der Fassung vom 05.03.2004/02.06.2005 zu zahlen.

Die Klägerin ist Mitglied der IG Metall und des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrats.

Die Beklagte war bis zum 31.07.2005 tarifgebundenes Mitglied im Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie Lüdenscheid e.V.. Ab dem 01.08.2005 ist sie Mitglied ohne Tarifbindung im Sinne von § 3 Abs. 5 der S5 des Arbeitgeberverbandes vom 20.04.1948 in der Fassung vom 14.05.2004.

Mit Wirkung zum 01.06.2006 führte die Beklagte das ERA für die Klägerin und den weiteren Arbeitnehmer B3 ein. Mit den übrigen ca. 88 Beschäftigten schloss sie Änderungsverträge, nach denen die ERA-Tarifverträge bis auf Weiteres nicht umgesetzt, sondern auch zukünftig die Lohn- und Gehaltsrahmenabkommen der Metallindustrie Anwendung finden sollen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Änderungsverträge wird auf die von der Beklagten in dem weiteren Rechtsstreit der Klägerin LAG Hamm 17 Sa 1767/07 mit Schriftsatz vom 30.01.2008 vorgelegte Kopie (Bl. 164 bis 166 der Verfahrensakte 17 Sa 1767/07) verwiesen.

Die Klägerin und der weitere Mitarbeiter B3 verweigerten den Abschluss einer entsprechenden Änderungsvereinbarung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlich unstreitigen und streitigen Sachverhaltes wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 29.08.2007 (Bl. 37 - 40 d.A.) Bezug genommen.

Das erstinstanzliche Gericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt:

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 4 c TV ERA-APF seien dem Wortlaut nach erfüllt, das Ergebnis sei jedoch mit Rücksicht auf den Gesamtwirkungszusammenhang der tariflichen Regelungen zu korrigieren.

Das ERA sei im Betrieb noch nicht eingeführt worden. Die Einführung könne nur betriebseinheitlich erfolgen. Das ließen eine Vielzahl von Vorschriften im ERA-Einführungstarifvertrag erkennen.

Die Sichtweise der Beklagten, das ERA nur bei den Arbeitnehmern einführen zu können, die die Abänderungsvereinbarung nicht unterzeichnet hätten, vermöge nicht zu überzeugen. Gemäß § 3 Abs. 3 TVG bestehe eine Tarifbindung der Beklagten an den ERA-Einführungstarifvertrag (ERA-ETV) vom 18.12.2003 sowie an den TV ERA-APF. Der ERA-ETV sei frühestens zum 31.12.2014 kündbar, der TV ERA-APF ende mit dem 28.02.2015.

Sowohl der ERA-ETV als auch der TV ERA-APF seien auf die Einführung des ERA ausgerichtet und entfalteten ihre Wirkung nur im Zusammenhang mit dem ERA-Entgeltabkommen (EA). Das ERA-EA vom 18.12.2003, das mit dem 28.02.2006 ausgelaufen sei, sei auf die Arbeitsverhältnisse im Betrieb nie angewendet worden, da ERA allenfalls zum 01.03.2006 eingeführt worden sei. Das ERA-EA vom 22.04.2006 habe seine Wirkung zum 01.03.2006 entfaltet, sei aber mangels Tarifbindung der Beklagten auf die Arbeitsverhältnisse nicht anwendbar. Kämen die ERA-EA jedoch infolge der fehlenden Tarifbindung der Beklagten nicht mehr zur Anwendung, fehle es auch an den nach dem Wirkungszusammenhang der tarifvertraglichen Vorschriften erforderlichen Anwendungsvoraussetzungen für den ERA-ETV und den TV ERA-APF.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil vom 29.08.2007 (Bl. 40 bis 43 d.A). Bezug genommen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 06.09.2007 zugestellte Urteil am 04.10.2007 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese am 31.10.2007 eingehend begründet.

Sie rügt:

Das erstinstanzliche Gericht habe nicht beachtet, dass die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln folge. Danach sei zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Bei nicht eindeutigem Wortlaut sei der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden habe. Abzustellen sei stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang.

Der Wortlaut von § 4 c TV ERA-APF sei eindeutig. Eine dem Wortlaut entgegenstehende Auslegung sei nicht durch Sinn und Zweck der Tarifnorm gerechtfertigt. Der TV ERA-APF sei zwar grundsätzlich auf die Einführung von ERA ausgerichtet. Es sollten jedoch nach § 2 TV ERA-APF durch die vorübergehende Einbehaltung nicht ausgezahlter ERA-Strukturkomponenten und deren spätere Verwendung entweder zum Ausgleich von betrieblichen Kosten oder zur unmittelbaren Auszahlung an die Beschäftigten spätere Verwerfungen bei der Umstellung vermieden werden. Daraus folge, dass der Anspruch nach § 4 c TV ERA-APF von der Frage späterer ERA-Einführung unabhängig sei. Dieses Ergebnis werde auch von § 3 TV ERA-APF bestätigt. Die Klägerin mache nämlich lediglich einen Anspruch geltend, den sie in der Vergangenheit durch Verteilung des tariflichen Erhöhungsvolumens in den Jahren 2002 und 2004 auf zwei Komponenten, u.a. die ERA-Strukturkomponente erworben habe.

Im Übrigen verkenne das erstinstanzliche Gericht, dass das ERA-EA vom 16.02.2004 aufgrund seiner Nachwirkung für das Arbeitsverhältnis der Parteien gelte.

Die Klägerin bestreitet vorsorglich mit Nichtwissen, dass die Beklagte wirksam in eine OT-Mitgliedschaft wechselte, und weist darauf hin, dass sie jederzeit in die Vormitgliedschaft zurückkehren könne.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 29.08.2007 - 3 Ca 508/07 -, zugestellt am 06.09.2007, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 820,47 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB von 656,38 € brutto seit Rechtshängigkeit des Schriftsatzes vom 07.02.2007 (26.02.2007) sowie von weiteren 164,09 € brutto seit Rechtshängigkeit des Schriftsatzes vom 21.05.2007 (24.05.2007) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und behauptet:

Sie habe die ordentliche Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband mit Schreiben vom 27.01.2005 unter Einhaltung der satzungsmäßigen Kündigungsfrist zum 31.07.2005 gekündigt. Unerheblich sei, ob sie in eine OT-Mitgliedschaft gewechselt sei.

Sie ist der Auffassung:

Der geltend gemachte Anspruch sei schon deshalb ausgeschlossen, weil sie bei allen Beschäftigten, bei denen es ihr rechtlich möglich gewesen sei, das ERA eingeführt habe.

Im Übrigen stelle § 4 c TV ERA-APF keine Grundlage für den geltend gemachten Anspruch dar. Die Berechnungsgrundlage für die Einmalzahlung finde sich in dem am 22.04.2006 abgeschlossenen Gehalts- und Lohnabkommen 2006, an das sie nicht gebunden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 64 Abs. 2 b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO an sich statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 29.08.2007 ist unbegründet. Zu Recht hat das erstinstanzliche Gericht die zulässige Klage als unbegründet abgewiesen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von 820,47 € aus § 4 c TV ERA-APF. Nach der Tarifnorm ist der Arbeitgeber verpflichtet, ab März 2006 die ERA-Strukturkomponenten in Höhe von 2,79 % als Einmalzahlung zu leisten, wenn das ERA bis zu diesem Zeitpunkt im Betrieb nicht eingeführt worden ist. Der Anspruch ist zeitlich beschränkt bis zur betrieblichen ERA-Einführung, die gemäß § 2 Ziffer 2 des ERA-ETV verbindlich bis zum 01.03.2009 erfolgen muss. Gemäß einer Vereinbarung der Tarifvertragsparteien zum Umgang mit der ERA-Strukturkomponente ab März 2006 vom 23.01.2005 kann der Auszahlungszeitpunkt der Einmalzahlung durch freiwillige Betriebsvereinbarung geregelt werden. Die Betriebsparteien können auch regeln, die ERA-Strukturkomponente nicht auszuzahlen, sondern dem Anpassungsfonds zuzuführen. Fehlt eine derartige Betriebsvereinbarung, erfolgt die Auszahlung mit der tariflichen Sonderzahlung. Gemäß Ziffer 4 der Vereinbarung erfolgt die Berechnung der Einmalzahlung auf der Basis der Formel "2,79 % x von der Einmalzahlung/Zuführung erfasste Monate des Jahres 2006 x Tarifeinkommen des Auszahlungsmonats", wobei der Monatsfaktor für März bis Juni 2006 jeweils um 0,17 %-Punkte und für Juli bis Dezember 2006 um jeweils 0,09 %-Punkte anzuheben ist. Die Vereinbarung wurde mit Wirkung zum 01.03.2006 bzw. 01.03.2007 abgelöst durch § 6 bzw. § 7 der Gehaltsabkommen vom 22.04.2006 und 08.05.2007 und § 7 bzw. § 8 der Lohnabkommen vom 22.04.2006 und 08.05.2007.

§ 4 c TV ERA-APF regelt demnach den Anspruch auf die ERA-Strukturkomponenten als Einmalzahlungen nur dem Grunde nach, ist aber ergänzungsbedürftig hinsichtlich der Berechnung der Höhe und des Fälligkeitszeitpunktes durch weitere tarifliche Vereinbarungen. Der TV ERA-APF gilt gemäß § 3 Abs. 3 TVG zunächst weiter, wenn die Tarifbindung der Beklagten mit Wirkung zum 01.08.2005 geendet hat, denn der Tarifvertrag läuft bis zum 28.02.2015, § 5 TV ERA-APF. Die § 4 c TV ERA-APF ergänzenden tariflichen Vereinbarungen sind jedoch erst nach dem 31.07.2005 in Kraft getreten und binden die Beklagte gemäß §§ 4 Abs. 1, 3 Abs. 1 TVG bei wirksamer Beendigung der Mitgliedschaft mit Tarifbindung im Arbeitgeberverband nicht. Ob schon deshalb ein Anspruch der Klägerin aus § 4 c TV ERA-APF ausgeschlossen ist, brauchte die Kammer jedoch nicht abschließend zu entscheiden.

Denn der vorliegende Sachverhalt wird von der Norm nicht erfasst. Sie setzt voraus, dass das ERA zwar nicht zum 01.03.2006 betrieblich eingeführt wurde, aber noch eingeführt werden soll. Für einen vorübergehenden Zeitraum längstens bis Februar 2009 sollen die ERA-Strukturkomponenten als Einmalzahlungen geleistet werden. Es handelt sich dabei um die Weitergabe der in den Vorjahren vereinbarten Tariferhöhungen, die jedoch im Hinblick auf die angestrebte Kostenneutralität der ERA-Einführung nicht tabellenwirksam geworden waren, sondern dem Anpassungsfonds zugeflossen sind (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 16.10.2007 - 14 Sa 1415/07). § 4 c TV ERA-APF stellt die tatsächliche Auszahlung der Tariflohnerhöhungen an die Mitarbeiter sicher, übt aber auch einen Druck auf den Arbeitgeber aus, das ERA noch vor dem 28.02.2009 einzuführen.

Ist hier das ERA entsprechend der Auffassung der Beklagten für die Klägerin wirksam zum 01.03.2006 eingeführt worden, sind die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt. Ist das ERA entsprechend der Meinung der Klägerin nicht betrieblich eingeführt worden, fehlt es an der Perspektive, dass das Entgeltrahmenabkommen noch eingeführt werden wird. Wie die Kammer mit Urteil vom 28.02.2008 - 17 Sa 1767/07 - festgestellt hat, hat die Beklagte weder die Pflicht zur ERA-Einführung noch kann sie nach Abschluss von Änderungsvereinbarungen mit nahezu allen Arbeitnehmern mit Ausnahme der Klägerin und des Kollegen B3 das ERA nicht mehr betrieblich einführen. Anhaltspunkte für eine Absicht, in die ordentliche Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband zurückzukehren mit der Folge einer Tarifbindung nach §§ 4 Abs. 1, 3 Abs. 1 TVG liegen nicht vor. Die Beklagte hat eine derartige Absicht ausdrücklich verneint.

§ 4 c TV ERA-APF ist auch nicht lückenhaft für den Fall der dauerhaften Nichteinführung des ERA. Eine ergänzende Tarifauslegung mit der Folge eines Anspruchs der Klägerin kommt nicht in Betracht. Denn die Tarifvertragsparteien haben diesen Sonderfall bedacht. In § 4 d TV ERA-APF haben sie geregelt, dass dann, wenn in den der Auszahlungsperiode folgenden Tarifperioden feststeht, dass das ERA betrieblich nicht eingeführt wird, die gemäß dieser Norm zu berechnenden Strukturkomponenten nicht dem Anpassungsfonds zugeführt werden, sondern die Beschäftigten Einmalzahlungen in entsprechender Höhe erhalten. In § 4 e TV ERA-APF haben sie bestimmt, wie zu verfahren ist, wenn die sich auf dem ERA-Konto befindlichen Beträge nicht zur Deckung der ERA-Einführung verwendet werden, weil feststeht, dass das ERA betrieblich nicht eingeführt wird. Die Auszahlung der Fondsbeträge ist in einer Betriebsvereinbarung zu regeln. Individuelle Ansprüche auf Beträge aus dem ERA-Anpassungsfonds bestehen vor Inkrafttreten einer Betriebsvereinbarung nicht. Beide Regelungen zeigen, dass die Tarifvertragsparteien die Einmalzahlung nach § 4 c TV ERA-APF für den Fall der nur verzögerten ERA-Einführung für die Dauer der Wartezeit vorgesehen haben. Der Klägerin bleibt entsprechend nur die Möglichkeit, als Betriebsratsmitglied den Abschluss einer Betriebsvereinbarung über die Auszahlung der Fondsbeträge zu initiieren.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Zulassung der Revision aus § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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