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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 26.03.2009
Aktenzeichen: 17 Sa 1898/08
Rechtsgebiete: BetrVG, ArbGG, ZPO, TVG


Vorschriften:

BetrVG § 77 Abs. 3
BetrVG § 77 Abs. 3 S. 1
BetrVG § 77 Abs. 3 S. 2
BetrVG § 87 Abs. 1
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 2
ArbGG § 8 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2 a
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 519
ZPO § 520
TVG § 3 Abs. 1
TVG § 4 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 01.07.2008 - 2 Ca 872/08 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Vergütung eines Arbeitszeitguthabens des Klägers.

Dieser ist seit Oktober 1999 als Produktionshelfer mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt in Höhe von 1.954,74 € monatlich bei der Beklagten beschäftigt. Sein Stundenlohn beträgt 12,24 € brutto.

Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der Nord-Westdeutschen Textilindustrie kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung und Tarifbindung der Parteien Anwendung.

Die Beklagte führt für ihre ca. 620 in der Produktion tätigen Arbeitnehmer seit dem 01.09.2007 Arbeitszeit- und Freischichtenkonten nach der Betriebsvereinbarung Nr. 38 2 b neu, wegen deren Einzelheiten auf die von dem Kläger mit der Klageschrift vorgelegte Kopie (Bl. 14 - 19 d.A.) Bezug genommen wird.

Das Arbeitszeitkonto des Klägers wies zum 31.12.2007 ein Guthaben von 35,70 Stunden aus. Die Beklagte verweigerte die Vergütung einschließlich von Mehrarbeitszuschlägen in Höhe von 496,48 € brutto bzw. 496,49 € brutto.

Sie beruft sich auf § 5 Abs. I der Betriebsvereinbarung, der u.a. folgenden Inhalt hat:

I. Für jedes Kalenderjahr wird ein Freischichtenkonto eingerichtet, das am Ende des Kalenderjahres nach Maßgabe von § 5 Abs. V abgerechnet wird.

Am 31.12. jeden Jahres, erstmalig am 31.12.2007, werden bis zu 40 Stunden vom Guthaben des Arbeitszeitkontos eines Mitarbeiters mit Zubuchungswirkung vom 01.01. des Folgejahres auf das Freischichtenkonto umgebucht. Hat das Freischichtenkonto am Jahresanfang einen Stand von weniger als 40 Stunden, werden die ersten Plusstunden des Jahres nicht auf das Arbeitszeitkonto, sondern auf das Freischichtenkonto gebucht, bis die am Jahresanfang fehlende Differenz zu 40 Plusstunden erstmals erreicht ist. Weitere Zubuchungen im Verlaufe des Jahres erfolgen auf dieses Konto nicht mehr.

II. Die Plusstunden auf dem Freischichtkonto dürfen nur zur Abdeckung von kollektiven Freischichten verwendet werden. Die auf dem Freischichtenkonto befindlichen Stunden werden zur Abdeckung der jeweils zeitnächsten kollektiven Freischichten verwendet. Eines Urlaubsantrags des Mitarbeiters bedarf es dazu nicht.

Im Übrigen werden gemäß § 4 Abs. I der Betriebsvereinbarung alle anfallenden Stunden auf das Arbeitszeitkonto gebucht und dieses gemäß § 7 Abs. I zum Ende des laufenden Kalenderjahres nach Umbuchung auf das Freischichtenkonto abgerechnet. Gemäß § 7 Abs. II können Arbeitgeber und Mitarbeiter vereinbaren, dass am Ende des laufenden Kalenderjahres bestehende Minus- und Plusstunden auf den nächsten Ausgleichszeitraum übertragen werden. Geschieht dies nicht, werden Minusstunden gelöscht und Zeitguthaben mit den tariflichen Mehrarbeitszuschlägen abgerechnet und ausgezahlt.

Das zwischen dem Verband der Nord-Westdeutschen Textilindustrie e.V. und der IG Metall geschlossene Arbeitszeitabkommen vom 04.04.1996/12.10.2004 enthält in § 6 unter dem Titel Arbeitszeitkonten folgende Regelung:

1. Soweit erforderlich, werden für die Arbeitnehmer Arbeitszeitkonten eingerichtet, aus denen ersichtlich sein sollen

- die regelmäßige Arbeitszeit,

- die geleisteten Stunden

- die jeweiligen Zeitsalden.

Die Festlegung des Inhaltes der Arbeitszeitkonten ist betrieblich zu vereinbaren.

2. Arbeitsausfälle, für die aufgrund gesetzlicher oder tariflicher Bestimmungen das Arbeitsentgelt fortzuzahlen ist bzw. bei denen für den Arbeitgeber eine Zuschusspflicht besteht, werden als er-bracht auf die Arbeitszeit angerechnet.

Durch freiwillige Betriebsvereinbarung kann für diese Anrechnung auch die durchschnittliche Arbeitszeit zugrunde gelegt werden.

3. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können vereinbaren, dass am Ende des Ausgleichszeitraumes bestehende Minus- und Pluszeiten auf den nächsten Ausgleichszeitraum übertragen werden. Wird keine Übertragung vereinbart, so sind nicht geleistete Arbeitsstunden mit dem persönlichen Durchschnittsverdienst zu vergüten. Bestehende Zeitguthaben einschließlich der Mehrarbeitszuschläge sind abzugelten.

4. Bei Ausscheiden werden etwaige Zeitguthaben oder Zeitschulden ausgeglichen. Der Ausgleich erfolgt vorrangig in Zeit. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich. entfallen Zeitschulden ersatzlos ohne Einkommensminderung und Zeitguthaben sind abzugelten.

In § 7 ist die Arbeitszeitsouveränität der Mitarbeiter u.a. wie folgt angesprochen:

Die Tarifvertragsparteien stimmen darüber überein, dass den Arbeitnehmern ein größeres Maß an Arbeitszeitsouveränität gewährt werden sollte. Wird der Ablauf des Betriebes nicht gestört und werden die Belange anderer Arbeitnehmer gewahrt, was anderenfalls vom Arbeitgeber zu begründen und offenzulegen ist, gelten folgende Regelungen:

....

Arbeitnehmer können einzelne Tage als bezahlte Freizeit oder Freizeitblöcke beantragen, wenn sie über ein entsprechendes Zeitguthaben verfügen.

....

Arbeitnehmer und Arbeitgeber können vereinbaren, dass Zuschläge in Form von Zeit auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitszeitabkommens wird auf die von dem Kläger mit der Klageschrift vorgelegte Kopie (Bl. 5 - 13 d.A.) verwiesen.

Mit Schreiben vom 19.12.2008 (Bl. 38 d.A.) verlangte der Kläger die Vergütung seiner Plusstunden per 31.12.2007 mit seinem persönlichen Durchschnittsverdienst zuzüglich 25 %.

Mit Schreiben vom 21.01.2008 (Bl. 39 d.A.) lehnte die Beklagte einen Anspruch ab mit der Begründung, sein Zeitguthaben sei auf das Freischichtenkonto umgebucht worden.

Mit seiner am 10.04.2008 bei dem Arbeitsgericht Bochum eingegangenen Klage hat der Kläger zunächst die Vergütung von 35,7 Plusstunden per 31.12.2007 mit 554,24 € brutto begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, die Umbuchung von 40 Plusstunden auf das Freischichtenkonto sei von § 6 Nr. 3 des Arbeitszeitabkommens nicht gedeckt, da es an einer Vereinbarung zwischen den Parteien fehle. Eine Öffnungsklausel für eine die Übertragung von Plusstunden in den nächsten Ausgleichszeitraum vorsehende Betriebsvereinbarung enthalte § 6 nicht.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 554,24 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (16.04.2008) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ausgeführt:

Die Betriebsparteien hätten im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens die Betriebsvereinbarung Nr. 38 2 b neu auf der Basis des geltenden Arbeitszeitabkommens vereinbart. Hintergrund der Arbeitszeitflexibilisierung im Produktionsbereich sei die Tatsache, dass eine betriebliche Notwendigkeit dafür bestehe, auf etwaige Volumenreduzierungen bzw. Erhöhungen der Kunden O2 und F1 und der daraus resultierenden Frei- bzw. Sonderschichten flexibel zu reagieren. Um diese Zielsetzung zu erreichen, seien für jeden Mitarbeiter im Produktionsbereich ein Arbeitszeit- und ein Freischichtenkonto eingeführt worden. Das Arbeitszeitkonto erfasse sowohl die tatsächlich erbrachte Arbeitszeit als auch die Zeit, in der nicht gearbeitet worden sei. Daraus könnten Plus- und Minussalden resultieren.

Sie habe das Guthaben des Klägers von 35,7 Stunden zum 01.01.2008 auf sein Freischichtenkonto umgebucht.

Mit Urteil vom 01.07.2008 hat das Arbeitsgericht Bochum die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen.

Es hat ausgeführt:

Entgegen der Auffassung des Klägers liege ein Verstoß gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht vor. Nach dieser Vorschrift könnten Arbeitsentgelt und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt seien oder üblicherweise geregelt würden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Das gelte jedoch nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulasse.

Das sei der Fall, da § 6 Ziff. 1 des Arbeitszeitabkommens regele, dass die Festlegung des Inhaltes betrieblich zu vereinbaren sei. Damit hätten die Tarifvertragsparteien den Betriebspartnern die Möglichkeit der Konkretisierung der Arbeitszeitkontenregelungen durch Betriebsvereinbarung eröffnet.

Eine solche Regelung zur Gestaltung des Arbeitszeitkontos enthalte § 5 Abs. 1 der Betriebsvereinbarung Nr. 38 2 b neu.

Gegen das ihm am 17.11.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.12.2008 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese am 15.01.2009 eingehend begründet.

Er beruft sich weiterhin auf die Regelungssperre in § 77 Abs. 3 BetrVG und führt aus:

Gemäß § 6 Abs. 3 des Arbeitszeitabkommens könnten Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren, dass am Ende des Ausgleichszeitraumes bestehende Plus- und Minuszeiten auf den nächsten Ausgleichszeitraum übertragen würden. Vorliegend sei die Umbuchung jedoch in einer Betriebsvereinbarung geregelt. Damit liege ein Verstoß gegen das Arbeitszeitabkommen vor.

Die Betriebsvereinbarung Nr. 38 2 b neu regele auch nicht im Sinne von § 6 Nr. 1 Arbeitszeitabkommen den Inhalt des Arbeitszeitkontos.

Die Betriebsvereinbarung berücksichtige auch nicht, dass nach § 7 des Arbeitszeitabkommens die Arbeitszeitsouveränität der Arbeitnehmer zu wahren sei. Die Tarifvorschrift zeige, dass der einzelne Beschäftigte die Verfügungsgewalt über die Entnahme in Zeit und/oder Geld habe und diese nicht bei den Betriebsparteien liege. Deshalb sei es nur folgerichtig, die Abrechnungsmodalitäten ausschließlich in die Hände von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu legen. Wegen der Berechnung seiner nur noch in Höhe von 496,49 € geltend gemachten Klageforderung wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 13.01.2009 (Bl. 79 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bochum vom 01.07.2008, AZ: 2 Ca 872/08, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 496,49 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (16.04.2008) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und behauptet:

Von den 35,7 auf den Ausgleichszeitraum 2008 übertragenen Stunden seien 30,8 Stunden durch bezahlten Freizeitausgleich realisiert worden. Der Kläger habe am 02.05.2008 und 29.05.2008 jeweils Freizeitausgleich in Höhe von 8 Stunden und am 29.12.2008 und am 30.12.2008 in Höhe von jeweils 7,4 Stunden erhalten.

Sie führt aus:

§ 5 Abs. I der Betriebsvereinbarung Nr. 38 2 b neu verstoße nicht gegen tarifvertragliche Regelungen. Die Bestimmung verweise ausdrücklich auf § 6 Abs. 3 des Arbeitszeitabkommens mit der Folge, dass ein Ausschluss etwaiger tarifvertraglicher Rechte des Arbeitnehmers gerade nicht eingreife. Die Betriebsparteien hätten klargestellt, dass die tarifvertragliche Regelung unangetastet bleibe.

Im Übrigen hätten es die Tarifvertragsparteien in § 6 Abs. I des Arbeitszeitabkommens den Betriebsparteien überlassen, den Inhalt der Arbeitszeitkonten zu bestimmen.

Die Betriebsvereinbarung verstoße auch nicht gegen § 7 des Arbeitszeitabkommens. Keine der dort genannten Fallgruppen sei einschlägig. Im Übrigen postuliere die tarifvertragliche Regelung die Arbeitszeitsouveränität nicht uneingeschränkt, sondern mache sie abhängig von dem Betriebsablauf und Belangen anderer.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 a, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO an sich statthafte und form- sowie fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 01.07.2008 ist unbegründet. Zu Recht hat das erstinstanzliche Gericht die zulässige Klage abgewiesen.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung von 496,49 € nebst Zinsen zu.

1. Dabei kann dahinstehen, inwieweit die Beklagte seinen Anspruch auf Vergütung von 35,7 Stunden zuzüglich eines Mehrarbeitszuschlags auf 19,45 Stunden durch vergütete Freizeit am 02.05.2008, 29.05.2008, 29.12.2008 und 30.12.2008 im Umfang von insgesamt 30,8 Stunden erfüllt hat.

2. Der geltend gemachte Anspruch rechtfertigt sich nicht aus § 6 Nr. 3 S. 3 des Arbeitszeitabkommens vom 04.04.1996 in der Fassung vom 12.10.2004.

Danach sind bestehende Zeitguthaben einschließlich der Mehrarbeitszuschläge zu vergüten, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine Vereinbarung treffen, dass am Ende des Ausgleichszeitraums bestehende Minus- und Pluszeiten auf den nächsten Ausgleichszeitraum übertragen werden.

a. Der Tarifvertrag ist kraft Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. §§ 4 Abs. 1, 3 Abs. 1 TVG.

b. Die Parteien haben keine Individualvereinbarung zur Übertragung der zum 31.12.2007 erarbeiteten Plusstunden in das Jahr 2008 getroffen.

c. Einem Vergütungsanspruch steht jedoch § 5 Abs. I der Betriebsvereinbarung vom 13.08.2007 entgegen.

aa. Nach §§ 11, 12 der Betriebsvereinbarung ist zum 01.09.2007 ein Freischichtenkonto eingeführt worden, auf das erstmalig zum 31.12.2007 bis zu 40 Stunden aus dem Guthaben des Arbeitszeitkontos mit Zubuchungswirkung vom 01.01.2008 umgebucht werden sollten.

Gemäß § 5 Abs. II der Betriebsvereinbarung dürfen die Plusstunden nur zur Abdeckung von kollektiven Freischichten verwendet werden. Nicht in Anspruch genommene Plusstunden auf dem Freischichtenkonto sind gemäß § 5 Abs. V der Betriebsvereinbarung zum Jahresende vorbehaltlich einer Übertragungsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abzurechnen und auszuzahlen. Auf dem Arbeitszeitkonto verzeichnete Plusstunden sind ebenfalls gemäß § 7 Abs. II der Betriebsvereinbarung nach Umbuchung der 40 Plusstunden auf das Freischichtenkonto abzurechnen und auszuzahlen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine Übertragung vereinbaren.

Mit seiner am 10.04.2008 bei dem erstinstanzlichen Gericht eingegangenen Klage hat der Kläger jedoch keinen zum Jahresende 2008 fälligen Vergütungsanspruch geltend gemacht. Streitgegenstand ist ein seiner Auffassung nach am 31.12.2007 fälliger Abgeltungsanspruch von in diesem Jahr erwirtschafteten Plusstunden, während die Beklagte der Meinung ist, die streitgegenständlichen Plusstunden zu Recht auf das Freischichtenkonto umgebucht zu haben. Streitgegenstand ist nicht ein Auszahlungsanspruch nach §§ 6 Abs. III, 7 Abs. II der Betriebsvereinbarung.

bb. Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt die Betriebsvereinbarung nicht gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Danach können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.

Die Vorschrift gewährleistet die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie und räumt den Tarifvertragsparteien dazu den Vorrang zur Regelung der Arbeitsbedingungen ein. Diese Befugnis soll nicht durch ergänzende oder abweichende Regelungen der Betriebspartner ausgehöhlt werden. Eine gegen § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung ist - schwebend oder endgültig - unwirksam (vgl. BAB 09.12.2003 - 1 ABR 52/02, EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 6).

§ 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG gilt jedoch dann nicht, wenn es um eine Angelegenheit geht, die nach § 87 Abs. 1 BetrVG der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt (vgl. BAG 09.12.2003 a.a.O.; GS 03.12.1991 - GS 2/90, BAGE 69, 143). Diese ist jedoch nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG dann ausgeschlossen, wenn ein Gesetz oder ein Tarifvertrag, an den zumindestens der Arbeitgeber gebunden ist, die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit abschließend und zwingend regelt und damit schon dem Schutzzweck des Mitbestimmungsrechts Genüge tut (vgl. BAG 09.12.2003 a.a.O.; GS 03.12.1991 a.a.O.).

Nach § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG gilt die Regelungssperre des Satzes 1 außerdem dann nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt. Dies muss nicht wörtlich geschehen. Die Zulassung muss aber im Tarifvertrag ausdrücklich zum Ausdruck kommen (vgl. BAG 09.12.2003 a.a.O.; 29.10.2002 - 1 AZR 573/01, AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 18).

(1) Die Betriebsvereinbarung Nr. 38 2 b neu betrifft eine nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitbestimmungspflichtige Angelegenheit. Danach hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts umfasst das Mitbestimmungsrecht auch die Einführung und Ausgestaltung variabler Arbeitszeitmodelle (vgl. BAG 09.12.2003 a.a.O.; 18.04.1989 - 1 ABR 3/88, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 33).

Hier geht es um ein typisches Element eines solchen variablen Arbeitszeitmodells, nämlich um die Frage des Ausgleichs bzw. der Übertragung eines Zeitguthabens, das durch Schwankungen der Arbeitszeit entsteht (vgl. dazu auch BAG 09.12.2003 a.a.O.).

(2) Dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates steht die Binnengrenze des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht entgegen. Das Arbeitszeitabkommen enthält in § 6 keine abschließende und zwingende Regelung bezüglich der Übertragung eines Arbeitszeitguthabens, wobei noch einmal herauszustellen ist, dass die Betriebsvereinbarung mit unmittelbarer und zwingender Wirkung nur die Übertragung von 40 Plusstunden regelt, im Übrigen die Übertragung einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer anheimstellt.

Die Tarifvertragsparteien haben mit dem Verweis in § 6 Nr. 3 auf eine Individualvereinbarung bezüglich der Übertragungsvoraussetzungen eine kollektivrechtliche Regelung durch Betriebsvereinbarung nicht ausgeschlossen. Das ergibt die Auslegung der Tarifnorm.

Die Auslegung von Tarifverträgen folgt den Regeln über die Auslegung von Gesetzen (vgl. BAG 12.09.1984 - 4 AZR 336/82, BAGE 46, 308). Auszugehen ist von dem Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung sind ferner Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Tarifvertragsparteien ist zu berücksichtigen, sofern und soweit er in der Tarifnorm seinen Niederschlag gefunden hat. Verbleiben bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs im Einzelfall noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte zurückgegriffen werden.

Nach dem Wortlaut von § 6 Nr. 3 des Arbeitszeitabkommens ist die Ausgestaltung einer Übertragung von Plus- und Minuszeiten zwar durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu regeln. Aus dem Gesamtzusammenhang der Tarifnorm ergibt sich jedoch, dass es dieser Individualvereinbarung nur dann bedarf, wenn keine Betriebsvereinbarung mit entsprechenden Regelungen besteht.

Die Ausgestaltung der Übertragung bzw. des Abgeltungsanspruchs gehört zu dem wesentlichen Inhalt einer Regelung zur Führung von Arbeitszeitkonten. Gemäß § 6 Nr. 1 des Arbeitszeitabkommens ist die Festlegung des Inhalts eines Arbeitszeitkontos betrieblich zu vereinbaren. In einem betriebsratslosen Betrieb bedarf es gemäß § 13 Nr. 1 des Arbeitszeitabkommens einer Anhörung der Belegschaft bzw. der betroffenen Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber. Besteht ein Betriebsrat, ist die Ausgestaltung des Arbeitszeitkontos zwingend mitbestimmt. § 6 Nr. 1 des Arbeitszeitabkommens enthält nur drei Vorgaben zu dem Inhalt des Arbeitszeitkontos, aus dem die regelmäßige Arbeitszeit, die geleisteten Stunden und die jeweiligen Zeitsalden ersichtlich sein sollen. Ansonsten besteht eine Öffnung zugunsten betrieblicher Regelungen.

§ 6 Nr. 2 des Arbeitszeitabkommens regelt eine sich aus der Führung eines Arbeitszeitkontos ergebende Einzelfrage der Anrechnung von Ausfallzeiten und öffnet die tarifliche Regelung einer freiwilligen Betriebsvereinbarung, soweit die Anrechnung unter Berücksichtigung der durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit erfolgen soll. In einem betriebsratslosen Betrieb ist wiederum die Anhörung der Mitarbeiter geboten.

In § 6 Nr. 4 haben die Tarifvertragsparteien Regelungen zum Ausgleich von Zeitguthaben und Zeitschulden bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen, ebenfalls eine Einzelfrage zum Inhalt des Arbeitszeitkontos. Ergänzt wird die Regelung durch § 9 Nr. 1 des Arbeitszeitabkommens. Danach ist ein nach Ablauf des Ausgleichszeitraumes nicht ausgeglichenes Zeitguthaben Mehrarbeit, wenn keine Übertragung vereinbart ist.

Ist die inhaltliche Ausgestaltung des Arbeitszeitkontos einer Betriebsvereinbarung zugänglich und haben die Tarifvertragsparteien in § 6 Nr. 2 - 4 Einzelfragen geregelt, so kann Nr. 2 nur dahin verstanden werden, dass dann, wenn das Arbeitszeitkonto in einem betriebsratslosen Betrieb nach Anhörung der Belegschaft durch den Arbeitgeber eingeführt wird, die Frage der Übertragung gesondert durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu regeln ist. Insoweit reicht entgegen § 13 Nr. 1 des Arbeitszeitabkommens eine Anhörung nicht aus. Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, gilt die Rechtsfolge der §§ 6 Nr. 3 S. 2 und 3, 9 Nr. 1 des Arbeitszeitabkommens.

In § 7 Abs. 8, 9 des Arbeitszeitabkommens haben die Tarifvertragsparteien eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gefordert, sollen die Zuschläge in Form von Zeit auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden, während sie in §§ 3, 4, 5 für bestimmte Regelungen Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bzw. Betriebsvereinbarungen fordern. Die getroffenen Unterscheidungen erklären sich aber durch die Regelung in § 13 Nr. 1 des Arbeitszeitabkommens. Immer dann, wenn eine Regelung durch Betriebsvereinbarung tariflich gefordert ist, bedarf es im betriebsratslosen Betrieb der Anhörung der Belegschaft oder der betroffenen Arbeitnehmer. Ausnahmsweise reicht diese Beteiligung dann nicht aus, wenn der Tarifvertrag eine Regelung durch Individualvereinbarung verlangt.

Für dieses Verständnis spricht der Zweck des Arbeitszeitkontos. Dieser besteht nicht nur darin, den Arbeitnehmern mehr Arbeitszeitsouveränität einzuräumen, wie sich aus § 7 Abs. 1 S. 1 des Arbeitszeitabkommens ergibt, sondern die Führung eines Arbeitszeitkontos liegt auch im betrieblichen Interesse, bei der Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit ein hohes Maß an Flexibilisierung zu erreichen. Dieser Zweck hat Niederschlag gefunden in der Präambel des Textil-Bekleidungs-Bündnisses für Beschäftigung und Ausbildung, wie sie in § 4 Nr. 4 des Arbeitszeitabkommens wiedergegeben ist. Dem Flexibilisierungsbedürfnis entspricht es, die Frage der Übertragung hier von Plusstunden in einem beschränkten Umfang ebenfalls in einer Betriebsvereinbarung zu regeln, zumal sie nicht nur individuelle, sondern insbesondere kollektive Interessen berührt.

Die Tarifvertragsparteien, die in § 6 Nr. 1 des Arbeitszeitabkommens die Ausgestaltung des Arbeitszeitkontos einer betrieblichen Regelung zugänglich gemacht haben, können vernünftigerweise nicht gewollt haben, dass die Regelung der Übertragung in einem Betrieb offen ist mit der Folge, dass Arbeitgeber und/oder Arbeitnehmer jährlich initiativ werden müssen und je nach Umstand, ob überhaupt und wenn ja mit welchem Inhalt eine Übertragung stattfindet, völlig unterschiedliche Regelungen auf betrieblicher Ebene bestehen, obwohl die Führung des Arbeitszeitkontos grundsätzlich durch eine Betriebsvereinbarung geregelt ist.

(3) Folgt man dem gefundenen Auslegungsergebnis nicht, ist die Übertragung von Arbeitszeitschulden und -guthaben auf den nächsten Ausgleichszeitraum ausschließlich einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zugänglich, so steht der Regelung des Übertragungstatbestandes in der Betriebsvereinbarung gleichwohl § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG nicht entgegen. Wie ausgeführt, greift die Sperrwirkung nicht ein, wenn die Tarifvertragsparteien einen bestimmten Bereich ausdrücklich nicht tariflich regeln wollen. Eine Nichtregelung liegt aber auch dann vor, wenn sie die Gestaltung bestimmter Arbeitsbedingungen unter Verzicht auf eine eigene Regelung ausdrücklich der einzelvertraglichen Vereinbarung vorbehalten. Auch wenn mit dem Verweis auf die einzelvertragliche Regelung zugleich der Ausschluss einer kollektivrechtlichen Regelung durch Betriebsvereinbarung beabsichtigt sein sollte, stellt dies keine die Sperrwirkung auslösende Regelung dar. Der Zweck der Regelungssperre, die ausgeübte Tarifautonomie zu sichern, gibt den Tarifvertragsparteien nicht die Möglichkeit, unter Verzicht auf eine eigene Regelung auch eine kollektivrechtliche Gestaltung durch eine Betriebsvereinbarung zu unterbinden. Insoweit unterliegt die durch das Betriebsverfassungsgesetz den Betriebspartnern eingeräumte kollektive Regelungsautonomie nicht der Disposition durch die Tarifvertragsparteien (vgl. BAG 01.12.1992 - 1 AZR 234/92, NZA 1993, 613). Nur eine die sachliche Substanz selbst regelnde gesetzliche oder tarifliche Norm kann das Mitbestimmungsrecht verdrängen (vgl. BAG 14.12.1993 - 1 ABR 31/93, NZA 1994, 809).

Hier haben die Tarifvertragsparteien bezüglich der Ausgestaltung des Übertragungstatbestandes von ihrer Regelungskompetenz keinen Gebrauch gemacht. In diesem Punkt liegt eine Nichtregelung vor, auch wenn sie die Rechtsfolgen für den Fall geregelt haben, dass eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zustande kommt. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist nicht verdrängt.

(4) Die Betriebsparteien waren auch nicht durch § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG gehindert, die Übertragung von 40 Stunden auf ein Freischichtenkonto zu regeln.

Das Freischichtenkonto selbst ist ein Arbeitszeitkonto im Sinne des § 6 Nr. 1 des Arbeitszeitabkommens, dessen inhaltliche Ausgestaltung für eine Betriebsvereinbarung offen ist.

Der Regelung zur Übertragung von 40 Plusstunden steht auch nicht das in § 7 des Arbeitszeitabkommens formulierte Prinzip der Arbeitszeitsouveränität entgegen. Gemäß § 7 Nr. 5 des Arbeitszeitabkommens können Arbeitnehmer Einzeltage als bezahlte Freizeit oder Freizeitblöcke beantragen, wenn sie über ein entsprechendes Zeitguthaben verfügen und weder der Betriebsablauf gestört wird noch Belange anderer Arbeitnehmer entgegenstehen.

Da gemäß § 5 Abs. I, III der Betriebsvereinbarung das Freischichtenkonto mit 40 Stunden im Plus geführt werden muss und die Plusstunden der Abdeckung von kollektiven Freischichten dienen, kann der Mitarbeiter erst dann nach § 6 Abs. I der Betriebsvereinbarung über sein Guthaben durch Inanspruchnahme von Freizeit verfügen, wenn Arbeitszeit- und Freischichtenkonto mehr als 40 Plusstunden aufweisen, § 6 Abs. I, III der Betriebsvereinbarung. Insoweit ist die Arbeitszeitsouveränität der Arbeitnehmer berührt, aber nicht ausgeschlossen. Einen bestimmten Umfang von frei verfügbaren Plusstunden legt § 7 des Arbeitszeitabkommens nicht fest.

Auch bezüglich der Übertragung selbst ist die Souveränität der Arbeitnehmer, über ihre Guthaben nach Ende des Ausgleichszeitraumes zu verfügen, nur auf 40 Stunden beschränkt berührt. Im Übrigen bedürfen auch nach der Betriebsvereinbarung weitere Übertragungen des Einvernehmens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die Zulassung der Revision aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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