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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 28.01.2004
Aktenzeichen: 18 Sa 1334/03
Rechtsgebiete: EFZG, ArbGG


Vorschriften:

EFZG § 3 Abs. 1
EFZG § 4 Abs. 1
ArbGG § 67 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 08.07.2003 - 3 Ca 2110/02 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.865,95 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz seit dem 01.12.2002 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Zahlungsklage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 23 % und der Beklagten zu 77 % auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand: Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erteilung einer Abrechnung und die Zahlung restlichen Arbeitsentgelts sowie die Herausgabe der Lohnsteuerkarte für das Jahr 2002. Der Kläger war in der Zeit vom 13.08.2002 bis zum 30.11.2002 bei der Beklagten als Versandarbeitnehmer beschäftigt. Sein Stundenlohn betrug 10,23 EUR. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war ein schriftlicher Arbeitsvertrag, in dem u.a. Folgendes vereinbart wurde: "Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt derzeit 38,0 Stunden. Die Lage der Arbeitszeit wird vom Arbeitgeber festgelegt." Die Beklagte betreibt ein Unternehmen, das sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Fenstern beschäftigt. Bei ihr werden regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt. Ein Betriebsrat ist nicht gewählt. Am 21.10.2002 fand ein Gespräch zwischen dem Kläger und Herrn V1xxxxxxxx jun. statt. Für den Zeitraum 22.10.2002 bis 22.11.2002 überreichte der Kläger der Beklagten ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Die Beklagte rechnete die Vergütung des Klägers bis zum 21.10.2002 ab. Mit Schreiben vom 05.11.2002 teilte sie dem Kläger u.a. Folgendes mit: "Des Weiteren möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir nur die tatsächlich gearbeiteten Tage im Oktober bezahlen werden. Das heißt: Die Bezahlung erfolgt bis einschließlich 21.10.2002. Ab dem 22.10.2002 haben Sie sich krankschreiben lassen. Wir haben Ihnen am 21.10.2002 die schriftliche Kündigung zum 31.11.2002 ausgehändigt. Sie haben daraufhin mehreren Kollegen im Versandbereich, in dem Sie tätig waren, mitgeteilt, dass Sie morgen nicht mehr kommen werden und sich krankschreiben lassen wollen. Die Kollegen können dies bezeugen." Die vorliegende Klage hat der Kläger am 28.11.2002 erhoben. Mit Schreiben vom 22.07.2003 teilte die IKK Westfalen dem Arbeitsgericht Folgendes mit: "Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, in obiger Angelegenheit verfolgen wir Erstattungsansprüche gemäß § 115 SGB X (Sozialgesetzbuch X). Es fand inzwischen eine Güteverhandlung beziehungsweise ein Kammertermin statt. Wir bitten Sie, uns eine Kopie des Sitzungsprotokolls zuzusenden. Dafür vielen Dank im Voraus." Mit Schreiben vom 15.08.2003 teilte die IKK Westfalen den Prozessbevollmächtigten des Klägers Folgendes mit: "Sehr geehrte Damen und Herren, wir beziehen uns auf unser Schreiben vom 12.05.2003. Die Herrn M2xxxx übersandte Erklärung wurde von ihm nicht zurückgesandt, so dass eine Überweisung der Geldleistung nicht möglich war. Sofern das Urteil jedoch mittlerweile rechtskräftig geworden ist und eine Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung beschlossen wurde, kann Krankengeld nicht mehr gezahlt werden. Die Ansprüche sind dann beim Arbeitgeber geltend zu machen." Der Kläger hat zur Stützung der Klage vorgetragen: Er habe mit Herrn V1xxxxxxxx jun. ein Gespräch über die ausstehende Abrechnung von Überstunden geführt. Die Bezahlung von Überstunden sei von Herrn V1xxxxxxxx jun. abgelehnt worden, worauf er angekündigt habe, für den Fall, dass die Überstunden nicht bezahlt werden, er auch zukünftig keine Überstunden mehr leisten werde. Herr V1xxxxxxxx jun. habe daraufhin angedeutet, dass er in diesem Fall nicht mehr zu kommen brauche und die Kündigung zugeschickt bekäme. Es sei nicht richtig, dass er - der Kläger - erklärt habe, dass er krankfeiern würde. Er sei in der Zeit vom 22.10.2002 bis 22.11.2002 arbeitsunfähig krank gewesen. Er verweise insoweit auf die Bescheinigung der IKK und beziehe sich auf das Zeugnis des ihn behandelnden Arztes. Die Lohnfortzahlungsansprüche stünden ihm weiterhin zu, da die Krankenkasse keine Zahlung geleistet habe. Da das Arbeitsverhältnis in jedem Fall bis zum 30.11.2002 bestanden habe, sei es bis zu diesem Zeitpunkt auch abzurechnen. Ein Zurückbehaltungsrecht der Lohnsteuerkarte 2002 sei gesetzlich ausgeschlossen. Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 22.10.2002 bis zum 30.11.2002 ordnungsgemäße Abrechnungen zu erteilen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.602,51 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 14.11.2002 zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn die ordnungsgemäß ausgefüllte Lohnsteuerkarte 2002 herauszugeben.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat vorgetragen: Dem Kläger stünde für die Zeit ab dem 22.10.2002 kein Entgeltanspruch mehr zu. Der Kläger sei am 21.10.2002 bei ihr erschienen und habe erklärt, er habe festgestellt, dass die Abzüge von seinem Bruttoeinkommen zu hoch seien. Er habe vorgeschlagen, den Nettolohn "schwarz" auszuzahlen, sonst wolle er nicht mehr arbeiten. Ihrerseits sei erklärt worden, dass sie dies nicht tun werde, woraufhin der Kläger erklärt habe, er werde dann krankfeiern. Daraufhin habe sie die Kündigung ausgesprochen. Der Kläger habe die Kündigung genommen, zerrissen und dann seinen Arbeitsplatz verlassen. Danach habe er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt. Der Kläger sei nicht krank gewesen, so dass ihm auch kein Urlaubsanspruch zustehe. Eine angebliche Arbeitsunfähigkeit werde mit Nichtwissen bestritten. Des Weiteren werde bestritten, dass der Kläger bezüglich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aktiv legitimiert sei. Sie gehe davon aus, dass die Ansprüche kraft Gesetzes auf die Krankenkasse übergegangen seien. Durch Urteil vom 08.07.2003 hat das Arbeitsgericht der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Die Kosten des Rechtsstreits hat es der Beklagten auferlegt. Der Streitwert ist auf 3.162,76 EUR festgesetzt worden. In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei durch den widersprüchlichen und unsubstantiierten Vortrag der Beklagten nicht erschüttert. Gegen dieses ihr am 28.07.2003 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 15.08.2003 Berufung eingelegt und diese am 11.09.2003 begründet. Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Sie stützt sich maßgeblich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag, der mit Schriftsatz vom 17.12.2003 modifiziert wird. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 08.07.2003 - 3 Ca 2110/02 - abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 08.07.2003 - 3 Ca 2110/02 - zurückzuweisen. Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung verwiesen. Entscheidungsgründe: A. Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit vom 22.10.2002 bis 21.11.2002 in Höhe von 1.865,95 EUR brutto nebst der begehrten Zinsen zu. I. Der Kläger war in diesem Zeitraum arbeitsunfähig krank. 1. Er hat das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Wege des Urkundsbeweises nachgewiesen. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist durch den Vortrag der Beklagten schon nicht erschüttert, wie das Arbeitsgericht richtig gesehen hat. a) Die Beklagte hat zur Stützung der Behauptung, der Kläger sei in diesem Zeitraum nicht krank gewesen, erstinstanzlich vorgetragen: "Der Kläger erschien bei der Beklagten am 21.10.2002 und erklärte dieser, dass er festgestellt habe, dass sein Nettolohn zu gering sei, da die Abzüge zu hoch seien. Er schlug daher vor, dass der Nettolohn "schwarz" ausgezahlt werden solle. Der Kläger wollte ansonsten nicht mehr arbeiten. Die Beklagte erklärte, dass sie dieses nun auf keinen Fall tun werde. Daraufhin erklärte der Kläger, dass er dann krankfeiern würde. Die Beklagte sprach daraufhin die Kündigung aus. Der Kläger nahm die Kündigung, zerriss diese und verließ den Arbeitsplatz. Er legte dann die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor." Die Beklagte hat die Richtigkeit und Vollständigkeit des erstinstanzlichen Vortrags in der Berufungsbegründung verteidigt und klargestellt, dass das Gespräch mit Herrn V1xxxxxxxx jun. geführt worden sei. Im Schriftsatz vom 17.12.2003 hat die Beklagte sich dann zur Stützung ihrer Behauptung auf folgenden Sachverhalt berufen: "Der Kläger und Berufungsbeklagte beschwerte sich unter dem 21.10.2002 bei Herrn P2xxx V1xxxxxxxx darüber, dass seine Abzüge zur Sozialversicherung, Lohnsteuer usw. zu hoch wären und er in Zukunft weniger bezahlen müsste. Herr V1xxxxxxxx teilte ihm daraufhin mit, dass er dafür der falsche Ansprechpartner wäre. Der Kläger, Herr M2xxxx, wollte daraufhin, dass ihm zukünftig geleistete Überstunden "schwarz" ausbezahlt würden, da er ansonsten nicht mehr bereit sei, Überstunden zu leisten. Daraufhin wurde ihm erwidert, dass man solche Geschäfte im Unternehmen der Beklagten nicht tätigen werde. Nach Ausspruch der Kündigung teilte der Kläger im Versand Herrn H4xxxx E3xxxxx und Herrn M5xx W1xxxx mit, dass er nunmehr zum Arzt gehe und sich krankschreiben ließe. Am 22.10.2002 kam er dann mit einer Krankmeldung in die Firma der Beklagten." Nach diesem Vortrag wird die Ankündigung der Erkrankung auf einen neuen Lebenssachverhalt gestützt. Die Ankündigung soll nicht Herrn V1xxxxxxxx jun. gegenüber erklärt worden sein, sondern erst nach Zugang der Kündigung den Zeugen E3xxxxx und W1xxxx gegenüber. b) Dieser neue Vortrag ist verspätet und durfte nach § 67 Abs. 4 ArbGG nicht zugelassen werden. Nach § 67 Abs. 4 ArbGG sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel spätestens vom Berufungskläger in der Berufungsbegründung, vom Berufungsbeklagten in der Berufungsbeantwortung, vorzubringen. Werden sie später vorgebracht, sind sie nur zuzulassen, wenn sie nach der Berufungsbegründung oder der Berufungsbeantwortung entstanden sind oder das verspätete Vorbringen nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder nicht auf ein Verschulden der Partei beruht. Solche Gründe für die Zulassung liegen nicht vor. Der Beklagten war die von ihr zuletzt vorgetragene Version der Vorgänge schon vor Beginn des Rechtsstreits bekannt, wie sich aus ihrem Schreiben an den Kläger vom 05.11.2002 ergibt. Insoweit beruht auch die verspätete Einbringung des nach ihrer Auffassung zutreffenden Vortrags in den Prozess auf Verschulden. Da erst in der mündlichen Verhandlung vom 28.01.2004 geklärt werden konnte, auf welche Sachverhaltsversion die Beklagte sich stützen will, hätte die Zulassung des verspäteten Vorbringens zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits geführt, da die Beklagte zwei Zeugen für die Richtigkeit ihres verspäteten Vortrags benannt hat. 2. Nach § 4 Abs. 1 EFZG steht dem Kläger als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit vom 22.10.2002 bis 21.11.2002 1.865,95 EUR brutto zu und nicht 2.602,51 EUR brutto. a) § 4 Abs. 1 EFZG bestimmt, dass für den in § 3 Abs. 1 EFZG bezeichneten Zeitraum dem Arbeitnehmer das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen ist. Maßgebend ist allein die individuelle Arbeitszeit des erkrankten Arbeitnehmers. Die individuelle Arbeitszeit ergibt sich in erster Linie aus dem Arbeitsvertrag, so auch im vorliegenden Fall. In Ziffer 4 des Arbeitsvertrags haben die Parteien vereinbart, dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 38,0 Stunden beträgt. Danach hat der Kläger für 24 Arbeitstage a` 7,6 Stunden bei einem Stundenlohn von 10,23 EUR einen Entgeltfortzahlungsanspruch in Höhe von 1.865,95 EUR. Allein aus der Leistung von Überstunden in den Monaten September und Oktober 2002 lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass entgegen der Vereinbarung im Arbeitsvertrag der Arbeitgeber eine entsprechende Arbeitsleistung ständig erwartet und entgegennehmen will, dass also eine Abweichung von der arbeitsvertraglichen Vereinbarung konkludend als vereinbart anzusehen ist. Zwar ist bei Schwankungen der individuellen Arbeitszeit zur Bestimmung der regelmäßigen Arbeitszeit eine vergangenheitsbezogene Betrachtung zulässig und geboten. Da eine ausdrückliche Vereinbarung im Arbeitsvertrag getroffen worden ist, reicht ein Vergleichszeitraum von zwei Monaten noch nicht aus, um feststellen zu können, was die Arbeitsvertragsparteien abweichend von der Bestimmung im Arbeitsvertrag als regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers gewollt haben (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 21.11.2001 - 5 AZR 296/01 - NZA 2002, 439; BAG, Urteil vom 26.06.2002 - 5 AZR 500/00 -; LAG Hamm, Urteil vom 30.10.2002 - 18 Sa 564/02 - NZA RR 2003, 461). b) Der Kläger ist auch Inhaber der Forderung geblieben. Wie sich aus dem Schreiben der IKK Westfalen vom 15.08.2003 an seine Prozessbevollmächtigten ergibt, ist eine Zahlung von Krankengeld durch die Krankenkasse bisher nicht erfolgt. II. Der Anspruch auf Abrechnung der Vergütung für den Zeitraum 22.10.2002 bis 30.11.2002 steht dem Kläger gemäß § 108 Abs. 1 der Gewerbeordnung zu. Die Beklagte hat die gerichtlichen Feststellungen im Urteil vom 08.07.2003 mit der Berufungsbegründung schon nicht angegriffen. Der Anspruch auf Zahlung von Annahmevergütung für die Zeit vom 22.10.2002 bis 22.11.2002 ist nicht Streitgegenstand dieser Klage geworden. III. Die Herausgabe der ausgefüllten Lohnsteuerkarte für das Jahr 2002 ergibt sich schon aus der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht. Auch insoweit hat die Beklagte die Feststellungen im arbeitsgerichtlichen Urteil mit der Berufungsbegründung nicht angegriffen. B. Nach alledem hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

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