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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 12.01.2005
Aktenzeichen: 18 Sa 1661/04
Rechtsgebiete: EntgFG


Vorschriften:

EntgFG § 3 Abs. 1
EntgFG § 4 Abs. 1
EntgFG § 8 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 14.07.2004 - 3 Ca 39/04 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt

Tatbestand: Die Parteien streiten über den Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für die Zeit vom 20.10.2003 bis zum 30.11.2003. Der am 12.11.1976 geborene Kläger war in der Zeit vom 21.05.2003 bis zum 05.11.2003 im Betrieb der Beklagten, die Inhaberin der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung ist, beschäftigt. Am Wochenende des 18.10./19.10.2003 war der Kläger bei dem Bruder seiner Freundin, der Zeugin Z2xxxxx, zu Besuch, wo eine Feier stattfand. Bei dieser Feier gab es eine tätliche Auseinandersetzung, in die der Kläger involviert war. Die Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig. Der Kläger erlitt bei der Feier einen Armbruch, wobei streitig ist, ob dies anlässlich der Schlägerei oder eines Sturzes auf der Treppe geschah. Nach der Auseinandersetzung begab sich der Kläger in die Nähe seines PkwŽs, wo er von der hinzugerufenen Polizei angetroffen wurde. Die Polizei nahm dem Kläger den Führerschein ab. Am Montag, dem 20.10.2003, erschien der Kläger bei der Beklagten und meldete sich arbeitsunfähig. Hierbei erklärte er gegenüber der Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin J1xxxxxxx, er habe sich den Armbruch bei der Schlägerei am Wochenende mit seinem Schwager zugezogen, als er dessen Frau in Schutz genommen habe. Den vom Kläger geschilderten Sachverhalt teilte Frau J1xxxxxxx dem Geschäftsführer der Beklagten mit. Mit Schreiben vom 21.10.2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 05.11.2003. Der Kläger war zumindest bis zum 30.11.2003 arbeitsunfähig krank. Die Beklagte zahlte an den Kläger keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab 20.10.2003. Der Kläger hat die vorliegende Klage am 08.01.2004 erhoben. Der Kläger hat behauptet, ihm sei von der Beklagten aus Anlass seiner Arbeitsunfähigkeit gekündigt worden. Dies habe ihm die Zeugin J1xxxxxxx auch nach Zugang der Kündigung nochmals bestätigt, indem sie ihm gesagt habe, ihm wäre nicht gekündigt worden, wenn nicht der Eindruck entstanden wäre, dass er sich den Armbruch bei einer Schlägerei zugezogen habe. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.555,75 € brutto zu zahlen nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 01.12.2003. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet, da er die Phase der Tätlichkeit eingeleitet habe. Des weiteren sei ihm wegen des Verlustes der Führerscheins gekündigt worden. Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeuginnen S4xxxxxx Z2xxxxx und B2xxxx J1xxxxxxx. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung des Arbeitsgerichts vom 14.07.2004 verwiesen. Durch Urteil vom 14.07.2004 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Den Streitwert hat es auf 1.555,75 € festgesetzt. In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei nicht bewiesen, dass der Kläger die Arbeitsunfähigkeit verschuldet habe, noch dass die Kündigung nicht aus Anlass der Erkrankung erfolgt sei. Gegen diese ihr am 17.08.2004 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 31.08.2004 Berufung eingelegt und diese ebenfalls am 31.08.2004 begründet. Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Sie stützt sich maßgeblich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 14.07.2004 - 3 Ca 39/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 14.07.2004 - 3 Ca 39/04 - zurückzuweisen. Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen und auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung verwiesen. Entscheidungsgründe: A. Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Dem Kläger steht für die Zeit vom 20.10.2003 bis zum 30.11.2003 die begehrte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 EntgFG zu, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat. I. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgFG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zu sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihm ein Verschulden trifft. Diese Voraussetzungen liegen vor. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger die Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 20.10.2003 bis zum 30.11.2003 nicht verschuldet im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgFG. 1. Schuldhaft im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgFG handelt der Arbeitnehmer, der gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. z.B. BAG, Urteil vom 11.11.1987 - 5 AZR 497/96 - AP Nr. 75 zu § 616 BGB; LAG Hamm, Urteil vom 24.09.2003 - 18 Sa 785/01 - NZA-RR 2004, 68). a) Das Gesetz schließt den Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei eigenem Verschulden des Arbeitnehmers aus, weil es unbillig wäre, den Arbeitgeber mit der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung zu belasten, wenn der Arbeitnehmer zumutbare Sorgfalt sich selbst gegenüber außer Acht gelassen und dadurch seine Arbeitsunfähigkeit verschuldet hat (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. z.B. BAG, Urteil vom 11.03.1987- 5 AZR 739/85 - AP Nr. 71 zu § 1 LohnFG; Schmitt, EFZG, 4. Aufl., § 3 Rz. 114; Marienhagen/Künzl, EFZG, § 3 Rz. 26 c). b) Im Streitfall hat der Arbeitgeber zu beweisen, dass der Arbeitnehmer besonders leichtfertig, grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat (vgl. BAG, Urteil vom 23.11.1971 - 1 AZR 404/70 - AP Nr. 9 zu § 1 LohnFG; BAG, Urteil vom 01.06.1983 - 5 AZR 536/80 - AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG; BAG, Urteil vom 07.08.1991 - 5 AZR 410/90 - AP Nr. 94 zu § 1 LohnFG). Es kann allerdings zu einer Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers an der Aufklärung kommen, wenn die Lebenserfahrung und die Umstände des Falles für ein Verschulden des Arbeitnehmers sprechen. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer den Beweis des ersten Anscheins dadurch zu entkräften, dass er Tatsachen für seine Schuldlosigkeit vorbringt und nachweist (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 06.04.1971 - 3 Sa 150/71 - DB 1971, 873; Schmitt, EFZG, 5. Aufl., § 3 Rz. 120 m.w.N.; LAG Hamm, Urteil vom 25.09.2003 - 18 Sa 785/03 - NZA-RR 2004, 68). 2. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist nicht bewiesen, dass der Kläger die Phase der Tätlichkeiten bei der Auseinandersetzung mit dem Bruder der Zeugin Z2xxxxx begonnen hat. Die Zeugin Z2xxxxx hat glaubhaft bekundet, dass der Kläger sich schützend vor ihre Schwägerin gestellt habe, um sie vor ihrem Ehemann zu schützen. Erst als der Kläger von dem Bruder der Zeugin geschlagen worden sei, habe er zurückgeschlagen. Danach hat, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, nicht der Kläger sondern der Bruder der Zeugin Z2xxxxx die Schlägerei angefangen und der Kläger hat in Nothilfe gehandelt. II. Der Anspruch steht dem Kläger auch in der begehrten Höhe zu und ist nicht begrenzt auf die Zahlung der Vergütung für die Zeit der Kündigungsfrist . Die Kündigung erfolgte aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 EntgFG). 1. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 EntgFG wird der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. a) Durch diese Vorschrift wird dem Arbeitgeber verwehrt, sich von der Entgeltfortzahlungsverpflichtung dadurch zu befreien, dass er die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zum Anlass der Kündigung nimmt (vgl. Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, EFZG, 5. Aufl., § 8 Rdnr. 4). b) Wie das Arbeitsgericht richtig gesehen hat, bezieht sich der gesetzliche Wortlaut "aus Anlass" auf den zur Kündigung bewegenden Grund. Innerhalb der Ursachenkette muss die Arbeitsunfähigkeit eine die Kündigung wesentlich mitbestimmende Bedingung sein, sie muss den entscheidenden Anstoß für den Entschluss des Arbeitgebers zum Ausspruch der Kündigung gegeben haben (vgl. BAG, Urteil vom 05.02.1998 - 2 AZR 270/97 - NZA 1998, 644). 2. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 EntgFG hat grundsätzlich der Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen. a) Kündigt der Arbeitgeber jedoch im zeitlichen Zusammenhang mit der Krankmeldung eines Arbeitnehmers oder der Anzeige, dass eine bekannte Arbeitsunfähigkeit fortdauere, so spricht ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit oder deren Fortdauer Anlass der Kündigung war. Diesen Beweis des ersten Anscheins kann der Arbeitgeber dadurch erschüttern, dass er Tatsachen vorträgt und erforderlichenfalls beweist, aus denen sich ergibt, dass andere Gründe seinen Kündigungsentschluss bestimmt haben (vgl. BAG, Urteil vom 05.02.1998 - 2 AZR 270/97 - NZA 1998, 655; Schmitt, EFZG, 5. Aufl., § 8 Rdnr. 43 ff.). b) Wegen des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Kenntnisnahme der Arbeitsunfähigkeit und des Ausspruchs der Kündigung durch die Beklagte spricht vorliegend der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Kündigung aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit erfolgte. Das Berufungsgericht teilt die Auffassung des Arbeitsgerichtes nach der Beweiswürdigung, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Anscheinsbeweis nicht widerlegt ist. aa) Dass der Verlust des Führerscheins vorliegend die allein bestimmende Ursache für die Kündigung war und die Arbeitsunfähigkeit nicht zumindest eine wesentlich mitbestimmende Ursache darstellte, lässt sich aus der Aussage der Zeugin J1xxxxxxx nicht mit der notwendigen Bestimmtheit entnehmen. Die Aussage ist nicht ergiebig. Die Zeugin J1xxxxxxx hat ausgesagt, dass sie, nachdem sie das erste Mal mit dem Kläger gesprochen hat, zu Frau E1xxx ins Büro gegangen sei, wo Herr E1xxx hinzugekommen sei. Sie habe beiden den Sachverhalt erzählt, den der Kläger geschildert habe und dann sei beschlossen worden, dem Kläger zu kündigen. Später habe ein weiteres Gespräch mit dem Kläger stattgefunden, wieviel Tage später, das könne sie nicht sagen. Auf dem Vorbehalt des Gerichtes erklärte die Zeugin "ob ich beim ersten Mal mit dem Kläger über den Führerschein gesprochen habe, weiß ich nicht genau. Ich habe jedenfalls zweimal mit dem Kläger über den verlorenen Führerschein gesprochen." Da nach der Aussage der Zeugin der Kündigungsentschluss der Beklagten nach dem ersten Gespräch gefasst wurde, steht nach der Aussage der Zeugin nicht fest, dass sie überhaupt dem Geschäftsführer der Beklagten bei dem ersten Gespräch die Tatsache des Verlustes des Führerscheins mitteilen konnte. Das zweite Gespräch hat nach der Bekundung der Zeugin erst ein paar Tage später nach dem ersten Gespräch stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt war die Kündigung vom 21.10.2003 schon ausgesprochen. bb) Des Weiteren ist die Aussage der Zeugin zu allgemein, wenn sie bekundet, dass nach ihrer Vorstellung eine Weiterbeschäftigung eines Mitarbeiters ohne Führerschein nicht denkbar sei und aus ihrer Sicht die Kündigung wegen des Entzuges des Führerscheins erfolgt sei. Eine solche Erklärung ist lediglich eine subjektive Schlussfolgerung. III. Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB. B. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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