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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 07.03.2007
Aktenzeichen: 18 Sa 1663/06
Rechtsgebiete: EFZG, BGB


Vorschriften:

EFZG § 3 Abs. 1
EFZG § 4 Abs. 1
EFZG § 4 a
BGB § 307 Abs. 1
BGB § 611 Abs. 1
Haben die Parteien im Arbeitsvertrag vereinbart: "Gewährt der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt Sonderzuwendungen, so ist der Arbeitgeber berechtigt, eine prozentuale Kürzung vorzunehmen, sofern der Arbeitnehmer infolge Krankheit arbeitsunfähig krank ist. Für die Kürzung von Sonderzuwendungen gelten die gesetzlichen Bestimmungen (§ 4 a EFZG)", so ist eine Kürzung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nur zulässig, wenn die Parteien eine Vereinbarung im Sinne des § 4 a Satz 1 EFZG geschlossen haben, die die konkrete Prozentangabe der Kürzung enthält.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 21.09.2006 - 2 Ca 65/06 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der am 01.02.13xx geborene, verheiratete und drei Kindern unterhaltspflichtige Kläger steht bei der Beklagten seit 1986 in einem Arbeitsverhältnis als Schweißer. Er erhält einen Montagelohn in Höhe von 12,13 € brutto.

Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der zuletzt im Februar 2004 geschlossene Arbeitsvertrag, in dem u.a. Folgendes geregelt ist:

§ 4 Vergütung

...

5. Sonderzuwendungen

5.1

Sonderzuwendungen, insbesondere Gratifikationen wie z.B. Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Tantiemen, Prämien und sonstige soziale Leistungen liegen im freien Ermessen des Arbeitgebers und begründen keinen Rechtsanspruch auf Seiten des Arbeitnehmers. Dies gilt auch dann, wenn die Zahlung wiederholt ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt, d.h. ein Rechtsanspruch entsteht auch nicht durch mehrmalige Zahlungen.

5.2.

Die Verteilung der Prämien erfolgt nach Maßgabe der Bauleitung unter Mitwirkung des Prämienobmannes (Betriebsrat). Anspruch auf Prämie besteht nur, wenn an dem jeweiligen Ergebnis aktiv mitgewirkt wurde.

5.3

Sofern Sonderzuwendungen im vorgenannten Sinne gezahlt werden, erfolgt dies zur Abgeltung vergangener Dienste und/oder zur Belohnung hinsichtlich zukünftiger Betriebstreue. Für die Zeit des Ruhens des Arbeitsverhältnisses besteht kein Anspruch. Dabei ist es unerheblich, ob das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes oder kraft Vereinbarung ruht. Auch für Zeiten der Elternzeit und des Mutterschutzes bzw. Wehr- oder Ersatzdienstes werden Sonderzuwendungen gleich welcher Art nicht gewährt. Jedwede Zahlung setzt zudem voraus, dass zum Zeitpunkt der Auszahlung das Arbeitsverhältnis noch in ungekündigtem Zustand besteht und kein Aufhebungsvertrag geschlossen ist. Weiter ist Voraussetzung, dass das Arbeitsverhältnis ab Beginn des Kalenderjahres, in dem die Sonderzuwendung zur Auszahlung gelangt, fortlaufend bestanden hat.

...

§ 9 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

1.

Ist der Arbeitnehmer infolge auf Krankheit beruhender Arbeitsunfähigkeit an der Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so erhält er Gehaltsfortzahlung für die Dauer von 6 Wochen nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz.

2.

Ein Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber, insbesondere nach § 616 Abs. 1 BGB, in Fallen des § 45 SGB V (Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten Kindes unter 12 Jahren) wird ausgeschlossen.

3.

Gewährt der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt Sonderzuwendungen, ist der Arbeitgeber berechtigt, eine prozentuale Kürzung vorzunehmen, sofern der Arbeitnehmer infolge Krankheit arbeitsunfähig ist. Für die Kürzung von Sonderzuwendungen gelten die gesetzlichen Bestimmungen (§ 4 a EFZG).

...

Zusätzlich zum Zeitlohn erhielt der Kläger seit Beginn des Arbeitsverhältnisses Prämien in unterschiedlicher Höhe. Bis Februar 2005 war die Prämie als Prämienlohn in den Lohnabrechnungen ausgewiesen.

Im Jahre 2004 erhielt der Kläger bei einem Jahresbruttoeinkommen in Höhe von 28.054,30 € einen Prämienlohn in Höhe von 3.466,-- €.

Ab März 2005 wurde die Verdienstabrechnung von einem anderen Unternehmen erstellt und nunmehr der zusätzliche Vergütungsanteil als "Prämie" ausgewiesen.

In den neuen Abrechnungen ist neben dem Stundenlohn auch ein Durchschnittssatz 1 und ein Durchschnittssatz 2 angegeben. Nach diesen Durchschnittssätzen, die immer höher liegen als der Stundenlohn, wird der Feiertagslohn sowie das Urlaubsentgelt gezahlt.

Der Kläger war im Juli 2005, im August 2005, im Januar 2006 und im Februar 2006 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte rechnete für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit im Juli 2005 111 Stunden, für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit im August 2005 111 Stunden, für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit im Januar 2006 74 Stunden und für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit im Februar 2006 148 Stunden nur mit dem Stundenlohn in Höhe von 12,13 €, ohne Berücksichtigung der Prämie ab.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Prämie sei bei der Entgeltfortzahlung zu berücksichtigen.

Das System der Berechnung der Prämie sei so kompliziert, dass eine Berechnung für den Arbeitnehmer nicht möglich sei. Auf der Baustelle M2xx, an der er eingesetzt gewesen sei, werde das Ergebnis der Aufträge bewertet. Wenn ein "gutes" Ergebnis erzielt werde, stehe ein Überschuss zur Verfügung, der sich in drei Teile aufgliedere. Über das erste Drittel könne der Baustellenleiter verfügen und damit auch z.B. "schlecht" gelaufene Kommissionen ausgleichen. Ein weiteres Drittel gehe an den Betrieb in R2xxxxxxxxxxxx. Das verbleibende Drittel werde vom Obermonteur auf die Arbeitsgruppe als Leistungsprämie verteilt. Die Verteilung erfolge nach einem bestimmten Schlüssel, wobei Grundlage dafür, was der einzelne Arbeitnehmer erhalte, eine persönliche Bewertungskennziffer zwischen 1 und 4 sei. Diese Bewertung werde von den Obermonteuren vorgenommen. Die einzelnen Mitarbeiter wüssten aber nicht, wie sie bewertet würden. Aufgrund dieses Systems sei er nicht in der Lage, im Einzelnen mitzuteilen, wie sich die Prämien berechneten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 919,45 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz jeweils seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei in vollem Umfang für die geltend gemachten Ansprüche darlegungs- und beweispflichtig auch bezüglich der Höhe. Es handele sich bei der Prämie um eine freiwillige Prämie, auf die kein Rechtsanspruch bestehe, so auch nicht im Rahmen der Entgeltfortzahlung.

Bei der Prämie handele es sich nicht um eine Leistungsprämie, sondern um eine Prämie, die die Anwesenheit im positiven Sinne belohne und fördere. Die Zahl der Stunden hänge von den Einsatzmöglichkeiten der Beklagten, von der persönlichen Bereitschaft einzelner Arbeitnehmer, Mehrarbeit zu leisten, und im Übrigen auch davon ab, ob eine krankheitsbedingte Ausfallzeit gegeben sei oder nicht. Je mehr ein Arbeitnehmer tatsächlich stundenmäßig Arbeit verrichte, desto höher sei die Prämie. Jedenfalls sei sie ohne Weiteres berechtigt, bei freiwilligen Prämien Erkrankungszeiten auszunehmen. Dabei seien lediglich die Grenzen des § 4 a EFZG zu beachten. Dies sei geschehen. Zudem sei in § 9 Ziffer 3 des Arbeitsvertrages für alle Sonderzuwendungen ausdrücklich eine entsprechende Kürzung vereinbart.

Das Arbeitsgericht ist der Auffassung des Klägers gefolgt und hat der Klage stattgegeben.

Gegen dieses ihr am 02.10.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.10.2006 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 02.01.2007 am 02.01.2007 begründet.

Die Beklagte stützt die Berufung maßgeblich auf ihre erstinstanzlich vertretene Auffassung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 21.09.2006 - 2 Ca 65/06 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 21.09.2006 - 2 Ca 65/06 - zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Dem Kläger steht die begehrte Prämie als Teil seines Vergütungsanspruchs für die Tage der Arbeitsunfähigkeit im Juli 2005, August 2005, Januar 2006 und Februar 2006 gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG zu, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat.

1. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Prämie um laufendes Arbeitsentgelt oder um eine Sondervergütung im Sinne des § 4 a EFZG handelt.

a) Das laufende Arbeitsentgelt, d.h. die versprochene Vergütung für bestimmte Zeitabschnitte oder die Vergütung für eine bestimmte Leistung innerhalb einer genau bemessenen Zeit, wird von § 4 a EFZG nicht berührt (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 26.09.2001 - 5 AZR 539/00 - NZA 2002, 387; BAG, Urteil vom 25.07.2001 - 10 AZR 502/00 - ZTR 2002, 42).

b) Für eine Kürzung der Entgeltfortzahlung um die Prämie fehlt, falls es sich bei der Prämie um eine Sonderleistung im Sinne des § 4 a Satz 1 EFZG handelt, eine Vereinbarung im Sinne dieser Vorschrift, wie auch das Arbeitsgericht zutreffend gesehen hat.

aa) Die Parteien haben die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in § 9 des Arbeitsvertrages geregelt. Hier handelt es sich um eine Spezialvorschrift für den Bereich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Nach § 9 Nr. 3 Satz 1 des Arbeitsvertrages ist der Arbeitgeber berechtigt, eine prozentuale Kürzung vorzunehmen, sofern der Arbeitnehmer infolge Krankheit arbeitsunfähig krank ist und zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt Sonderzuwendungen gewährt. Satz 2 des § 9 Nr. 3 des Arbeitsvertrages bestimmt, dass für die Kürzung von Sonderzuwendungen die gesetzlichen Bestimmungen (§ 4 a EFZG) gelten.

Welche Leistungen unter den Begriff Sonderleistungen im Sinne des § 9 Nr. 3 Satz 1 des Arbeitsvertrages fallen, ist in § 4 Ziffer 5.1. des Arbeitsvertrages geregelt. Im Rahmen der Regelung der Entgeltfortzahlung ist zu berücksichtigen, dass, auch wenn in § 4 Ziffer 5.1. des Arbeitsvertrages bestimmt ist, dass die Zahlung der Sonderzuwendungen im freien Ermessen des Arbeitgebers liege und keinen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers begründe, § 9 Nr. 3 des Arbeitsvertrages für die Kürzung der Sonderzuwendungen im Rahmen der Entgeltfortzahlung eine spezielle Regelung enthält, die für die Beklagte bindend ist. Satz 1 des § 9 Nr. 3 des Arbeitsvertrages begründet die Berechtigung einer Kürzung. Für die Kürzung der Sonderzuwendungen sollen nach Satz 2 dann die gesetzlichen Bestimmungen (§ 4 a EFZG) gelten. Nach § 4 a Satz 1 EFZG ist über die Kürzung von Leistungen, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt, im Rahmen der Entgeltfortzahlung eine Vereinbarung notwendig.

bb) Eine solche Vereinbarung ist zwischen den Parteien nicht getroffen worden.

Sie wäre insbesondere deshalb notwendig gewesen, weil sich aus § 9 Ziffer 3 Satz 1 des Arbeitsvertrages zwar die Berechtigung der Beklagten zur Kürzung ergibt, nicht aber in welcher Höhe die Kürzung vorzunehmen ist. Wegen der Unbestimmtheit der Berechtigung wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts zu § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verwiesen.

Eine solche Vereinbarung ergibt sich auch nicht aus § 4 Nr. 5 des Arbeitsvertrages, wie die Beklagte meint. Gegenüber § 4 Nr. 5 des Arbeitsvertrages enthält § 9 Nr. 3 des Arbeitsvertrages - wie schon oben dargelegt - eine Sonderregelung für die Behandlung von Sonderzahlungen bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Insoweit wird § 4 Nr. 5 des Arbeitsvertrages durch § 9 Nr. 3 des Arbeitsvertrages verdrängt.

Weiter ist auch die Entgeltfortzahlung bei der Aufzeigung der Tatbestände, in denen kein Anspruch auf Sonderzahlungen besteht, in § 4 Nr. 5.3 Satz 2 bis 6 des Arbeitsvertrages nicht aufgeführt.

2. Bezüglich der Höhe des Anspruchs ist die vom Kläger zugrunde gelegte Durchschnittsprämienzahlung in Übereinstimmung mit der arbeitsgerichtlichen Entscheidung nicht zu beanstanden.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 EFZG gilt grundsätzlich für das Entgeltfortzahlungsgesetz das Lohnausfallprinzip. Da sich die Beklagte über die konkreten Voraussetzungen und die konkreten Bemessungsgrundlagen der Prämie nicht nach § 138 Abs. 2 ZPO erklärt hat, war es dem Kläger zulässigerweise nur möglich, die Berechnungsregelung in § 4 Abs. 1 a Satz 2 EFZG entsprechend anzuwenden.

II. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr.1 ArbGG für die Beklagte zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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