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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 14.12.2005
Aktenzeichen: 18 Sa 168/05
Rechtsgebiete: EFZG


Vorschriften:

EFZG § 3 Abs. 1
EFZG § 4 Abs. 1
1. Ist ein Arbeitnehmer innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig krank, reicht die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht aus, um das Vorliegen einer neuen Erkrankung nachzuweisen.

2. Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Erkrankung, hat der Arbeitnehmer Tatsachen darzulegen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Der Arbeitnehmer hat dabei die Ärzte, die ihn behandelt haben, von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden.

3. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung trägt der Arbeitgeber, den nach der sprachlichen Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 EFZG die Beweislast trifft.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 15.12.2004 - 2 (1) Ca 1067/04 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Tatbestand: Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum vom 26.02.2004 bis zum 07.04.2004. Die am 10.11.1964 geborene Klägerin ist seit dem 06.01.1992 bei der Beklagten als Bäckergesellin tätig. Ihr monatliches Bruttoeinkommen beträgt 2.160,20 €. Am 06.01.2004 erlitt die Klägerin einen Wegeunfall. Aufgrund dieses Wegeunfalls war sie in der Zeit vom 07.01.2004 bis zum 23.02.2004 arbeitsunfähig krank. Sie wurde wegen des Wegeunfalls behandelt von dem Durchgangsarzt Dr. R. B4xxxxxxxx, Chefarzt des Krankenhauses M2xxx H4xx in W1xxxxxx. Die Beklagte zahlte zunächst für diesen Zeitraum keine Entgeltfortzahlung. Durch rechtskräftiges Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 11.07.2004 wurde die Beklagte verurteilt, als Entgeltfortzahlung für diesen Zeitraum an Klägerin 3.008,33 € zu leisten. Ab 26.02.2004 bis zum 27.04.2004 war die Klägerin erneut arbeitsunfähig krank. Behandelt wurde sie in diesem Zeitraum von dem Facharzt für Orthopädie Dr. F. T1xxxxxxx. Die Beklagte weigerte sich, für diesen Zeitraum Entgeltfortzahlung zu leisten. Mit dieser am 26.07.2004 erhobenen Klage, die der Beklagten am 31.07.2004 zugestellt worden ist, hat die Klägerin Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 26.02.2004 bis zum 07.04.2004 von der Beklagten begehrt. Die Klägerin hat vorgetragen, sie sei in dem Zeitraum vom 26.02.2004 bis zum 07.04.2004 aufgrund eines Wirbelsäulenleidens arbeitsunfähig krank gewesen. Es habe sich um keine Fortsetzungserkrankung gehandelt. Aufgrund der wirbelsäulenbedingten Probleme habe sie sich ab 26.02.2004 in die Behandlung des Dr. T1xxxxxxx begeben und sei erneut arbeitsunfähig krank geworden. Durch Versäumnisurteil vom 18.08.2004 hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3008,33 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.07.2004 zu zahlen. Das Versäumnisurteil wurde der Beklagten am 26.08.2004 zugestellt. Die Beklagte hat gegen das Versäumnisurteil am 27.08.2004 Einspruch eingelegt. Die Klägerin hat beantragt, das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 18.08.2004 aufrecht zu erhalten. Die Beklagte hat beantragt, das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 18.08.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 26.02.2004 bis zum 07.04.2004 bestehe nicht. Sie hat behauptet, die Arbeitsunfähigkeit ab 26.02.2004 sei keine neue Erkrankung, sondern handele sich um dieselbe Erkrankung, die Ursache der vorangegangenen Arbeitsunfähigkeit gewesen sei. Der Arzt Dr. T1xxxxxxx habe der Krankenkasse gegenüber bestätigt, dass es sich um eine Fortsetzungserkrankung gehandelt habe. Durch Urteil vom 15.12.2004 hat das Arbeitsgericht das Versäumnisurteil vom 18.08.2004 aufrecht erhalten. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits sind der Beklagten auferlegt worden. In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, eine Fortsetzungserkrankung sei nicht bewiesen. Die schriftliche Auskunft des Dr. T1xxxxxxx gegenüber der Krankenkasse sei nicht ausreichend. Sie beziehe sich lediglich auf den Zeitraum 26.02.2004 bis zum 15.03.2004. Im Übrigen ergebe sich aus dem Schreiben nicht, warum es sich eine Folgeerkrankung gehandelt habe. Gegen diese ihr am 04.01.2005 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Entscheidung hat die Beklagte am 27.01.2005 Berufung eingelegt und diese ebenfalls am 27.01.2005 begründet. Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Sie stützt sich weiterhin maßgeblich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 15.12.2004 - 2 (1) Ca 1067/04 - abzuändern und das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 18.08.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 15.12.2004 - 2 (1) Ca 1067/04 - zurückzuweisen. Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen. Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch die Einholung von Auskünften nach § 377 Abs. 3 ZPO bei den sachverständigen Zeugen Dr. T1xxxxxxx und Dr. B4xxxxxxxx. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Aussagen des Dr. T1xxxxxxx vom 24.06.2005 (Bl. 106 f d. A.) und vom 25.08.2005 (Bl. 117 f d.A.) und auf die schriftlichen Aussagen des Dr. B4xxxxxxxx vom 08.06.2005 (Bl. 103 bis 105 d.A.) und vom 12.07.2005 (Bl. 111 f d.A.) verwiesen. Entscheidungsgründe: A. Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. I. Der Klägerin steht für die Zeit vom 26.02.2004 bis zum 07.04.2004 der begehrte Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EFZG in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag in Höhe von 3.008,33 € zu. 1. Nach § 3 Abs. 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Wird der Arbeitnehmer nach wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit erneut krankheitsbedingt arbeitsunfähig, so entsteht ein neuer Anspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht. Ist dagegen dieselbe Krankheit Ursache für die erneute Arbeitsunfähigkeit, liegt eine Fortsetzungserkrankung vor. In diesem Fall entsteht die Leistungspflicht des Arbeitgebers nicht mit jeder einzelnen Erkrankung neu. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG besteht bei Fortsetzungserkrankungen ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch nur, wenn der Arbeitnehmer vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (Nr. 1) oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (Nr. 2). a) Wiederholte Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit und damit eine Fortsetzungserkrankung liegt vor, wenn die Krankheit, auf der die frühere Arbeitsunfähigkeit beruhte, in der Zeit zwischen dem Ende der vorausgegangenen und dem Beginn der neuen Arbeitsunfähigkeit medizinisch nicht vollständig ausgeheilt war, sondern als Grundleiden latent weiter bestanden hat, so dass die neue Erkrankung nur eine Fortsetzung der früheren Erkrankung darstellt. Die wiederholte Arbeitsunfähigkeit muss auf demselben nicht behobenen Grundleiden beruhen. Dieses kann auch verschiedene Krankheitssymptome zur Folge haben (vgl. BAG, Urteil vom 13.07.2005 - 5 AZR 389/04 - DB 2005, 2359; BAG, Urteil vom 04.12.1985 - 5 AZR 656/84 - NZA 1986, 286; BAG, Urteil vom 14.11.1984 - 5 AZR 394/82 - DB 1985, 710; Marienhagen/Künzl, EFZG, § 3 Rz. 54; Schmitt, EFZG, 5. Aufl., § 3 Rz. 221 ff., Geyer/Knorr/Grasney, EFZG, § 3 Rz. 194 ff.). b) Im Rahmen der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast muss zunächst der Arbeitnehmer darlegen, dass eine neue Erkrankung und keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Der Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankheitsursachen ist bei der Verteilung der Darlegungslast zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung Rechnung zu tragen. Der Arbeitgeber ist nicht in der Lage, das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung darzulegen, weil er über die Ursachen der Arbeitsunfähigkeit durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht unterrichtet wird. Zwar kann er nach § 69 Abs. 4 SGB X bei der zuständigen Krankenkasse nachfragen, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Diese Vorschrift greift jedoch nicht bei Arbeitnehmern, die nicht in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind. Hinzu kommt, dass für den Arbeitgeber keine Möglichkeit besteht, die wertende Mitteilung der Krankenkasse zu überprüfen. Der Arbeitnehmer muss deshalb darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, obliegt dem Arbeitnehmer die Darlegung der Tatsachen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Dabei hat der Arbeitnehmer den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. c) Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung sind allerdings vom Arbeitgeber zu tragen, denn nach der sprachlichen Fassung des § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 EFZG trifft den Arbeitgeber die objektive Beweislast (vgl. zur Änderung der Rechtsprechung des BAG zur Darlegungslast des Arbeitnehmers bei einer Fortsetzungserkrankung BAG, Urteil vom 13.07.2005 - 5 AZR 289/04 - DB 2005, 2359). 2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Klägerin ihrer Darlegungslast für das Vorliegen einer neuen Erkrankung nachgekommen. Sie hat sich auf den Nachschaubericht der sie behandelnden Durchgangsärzte Drs. B4xxxxxxxx und S7xxxxxxx, Krankenhaus M2xxx H4xx in W1xxxxxx vom 18.02.2004 berufen und diese Ärzte sowie den Arzt Dr. T1xxxxxxx, der sie ab 26.02.2004 behandelt hat, von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden. 3. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist nicht bewiesen, dass es sich bei der Erkrankung der Klägerin ab 26.02.2004 um eine Fortsetzung der Erkrankung aufgrund der Unfallverletzung vom 06.01.2005 handelt. Den Nachteil des nicht erbrachten Beweises hat die Beklagte nach den oben aufgezeigten Grundsätzen zu tragen. a) Zwar hat der sachverständige Zeuge Dr. T1xxxxxxx in seiner Auskunft vom 24.06.2005 und vom 25.08.2005 bestätigt, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab 26.02.2004 "absolut und eindeutig" auf die Verletzung vom 06.01.2004 beruhe. b) Diese Feststellung des Dr. T1xxxxxxx steht aber im Widerspruch zu den schriftlichen Bekundungen des Durchgangsarztes Dr. B4xxxxxxxx vom 08.06.2005 und vom 12.07.2005. Dr. B4xxxxxxxx stimmt den Feststellungen des sachverständigen Zeugen T1xxxxxxx weder bezüglich des Ursachenzusammenhangs noch bezüglich der weiteren Behandlungsindikation zu. Nach den Feststellungen des Dr. B4xxxxxxxx war die Arbeitunfähigkeit der Klägerin wegen der Unfallfolgen am 22.02.2004 beendet. Unfallfolgen waren zum Zeitpunkt der Abschlussuntersuchung am 18.02.2004 nicht mehr zu objektivieren. Angesichts der Feststellungen des Dr. B4xxxxxxxx kann auch unter Berücksichtigung der Bekundungen des sachverständigen Zeugen T1xxxxxxx nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei der Erkrankung ab 26.02.2004 um eine neue Erkrankung handelt. Wie im Abschlussbericht des Dr. B4xxxxxxxx vom 18.02.2004 dargelegt, wurden bei der Abschlussuntersuchung bei der Klägerin andere unfallunabhängige wirbelsäulenbedingte gesundheitliche Probleme festgestellt. Auch Dr. T1xxxxxxx erweitert die primäre Diagnose Schulterprellung um eine Verletzung der Brustwirbelsäule und der angrenzenden Halswirbelsäule sowie des linken Armes. Es ist nicht auszuschließen, dass ab 26.02.2004 Ursache der Erkrankung ein nicht unfallbedingtes Wirbelsäulenleiden war. Dies gilt um so mehr, da zu berücksichtigen ist, dass der sachverständige Zeuge Dr. T1xxxxxxx, im Gegensatz zu dem sachverständigen Zeugen Dr. B4xxxxxxxx, seine Diagnose maßgeblich auf die subjektive Darstellung der Beschwerden durch die Klägerin gestützt hat. II. Der Zinsanspruch ist gem. §§ 288 Abs. 1, 291 BGB gerechtfertigt. B. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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