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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 11.05.2005
Aktenzeichen: 18 Sa 2449/04
Rechtsgebiete: MTV Metall, BGB


Vorschriften:

MTV Metall § 12 Nr. 2
MTV Metall § 12 Nr. 3
BGB § 162
BGB § 242
Nimmt ein Arbeitnehmer das im Interessenausgleich/Sozialplan geregelte Angebot des Arbeitgebers an, in eine Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft überzuwechseln, kann er von seinem früheren Arbeitgeber nicht verlangen, ihn bezüglich der tariflichen Urlaubsabgeltung nach § 11 Nr. 3, § 12 Nr. 3 MTV Metall so zu behandeln wie einen Arbeitnehmer, der aufgrund der Betriebsänderung zu den Bedingungen des Sozialplans durch ordentliche betriebsbedingte Kündigung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 18.11.2004 - 3 Ca 1275/04 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Tatbestand: Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung. Der am 22.01.11xx geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.03.1979 als Arbeiter zu einem monatlichen Bruttoentgelt von zuletzt 2.248,47 € beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens Anwendung (MTV). Im Sommer 2004 traf die Beklagte den Entschluss, aus betriebsbedingten Gründen die Arbeitsverhältnisse mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern zu beenden. Am 08.06.2004 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste (Bl. 23 bis 31 d. A.), der auch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger vorsah, und einen Sozialplan (Bl. 32 bis 36 d. A.). In dem Sozialplan war u.a. Folgendes geregelt: § 2 - Transfergesellschaft Zur Vermeidung von sofortiger Arbeitslosigkeit im Zuge des genannten Personalabbaus wird allen auf dem Interessenausgleich als Anlage 1 und Anlage 2 beigefügten Namenslisten verzeichneten und betroffenen Arbeitnehmern zum maßgeblichen Eintrittsdatum das Angebot gemacht, in die T2xxxxxx- und Q1xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx S2xxxxxxx e2.V2. (T4xx) überzuwechseln. ... § 5 - Kündigungen Sofern betroffene Mitarbeiter den Übertritt in die Transfergesellschaft ablehnen, vereinbaren die Betriebsparteien, dass das mit diesen Mitarbeitern bestehende Arbeitsverhältnis durch Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen unter Einhaltung der individuellen anwendbaren Kündigungsfrist beendet wird. Auf der Grundlage des Interessenausgleichs und Sozialplans vom 08.06.2004 schloss der Kläger am 28.06.2004 mit der Beklagten sowie der T2xxxxxx- und Q1xxxxxxxxxxxxxxxxxxx-xxxxxx S2xxxxxxx e2.V2. (T4xx) einen dreiseitigen Vertrag, durch den das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten mit Wirkung zum 30.06.2004 einvernehmlich beendet wurde und mit dem ab 01.07.2004 ein befristetes Arbeitsverhältnis mit der T2xxxxxx- und Q1xxxxxxxxxxxxxxxx-xxxxxxxxx S2xxxxxxx e2.V2. vereinbart wurde. Wegen der Einzelheiten des dreiseitigen Vertrages wird auf Bl. 20 bis 22 d. A. Bezug genommen. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien war für den Kläger noch ein Resturlaubsanspruch aus dem Jahr 2003 offen in Höhe von fünf Tagen. Für das Urlaubsjahr 2004 hatte der Kläger noch keinen Urlaub in Anspruch genommen. Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte die Beklagte an den Kläger eine Urlaubsabgeltung für 20 Urlaubstage aus. Mit seiner am 22.09.2004 erhobenen Klage begehrt der Kläger Urlaubsabgeltung bezüglich 15 weiterer Urlaubstage. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe gegen die Beklagte der volle Urlaubsanspruch für das Jahr 2004 zu. Der volle Urlaubsanspruch ergebe sich gemäß § 12 Nr. 3 MTV, da er nach dem 01.04.2004 aus dem Arbeitsverhältnis zur Beklagten ausgeschieden sei. Zwar sei das Arbeitsverhältnis formell nicht durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers beendet worden. Der vorliegende Fall sei allerdings dem tariflich vorgesehenen Fall gleichzusetzen. Er sei durch Abschluss des Aufhebungsvertrages einer betriebsbedingten Kündigung zuvor gekommen. Es könne ihm nicht negativ angelastet werden, dass er das Angebot des Arbeitgebers angenommen habe und in die T2xxxxxx- und Q1xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx gewechselt sei. Falls er die Kündigung abgewartet hätte, wäre der Anspruch unzweifelhaft entstanden. Der Begriff "ordentliche Kündigung" in § 12 Nr. 3 MTV sei nach Sinn und Zweck dahin auszulegen, dass alle Beendigungstatbestände gemeint seien, die vom Arbeitgeber veranlasst worden seien. Weiter sei darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf die Urlaubsvergütung Unterschiede zwischen der Beklagten und der T2xxxxxx- und Q1xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx bestünden. Bei der T2xxxxxx- und Q1xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx werde ein erhöhtes Urlaubsgeld nach § 14 MTV nicht gezahlt. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.299,57 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2004 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe für das Urlaubsjahr 2004 nur ein anteiliger Urlaubsanspruch in Höhe von 15 Urlaubstagen zu. Insofern verweist die Beklagte auf den Wortlauf von § 12 Nr. 3 MTV, nach dem ein voller Urlaubsanspruch nur dann entsteht, wenn der Arbeitnehmer durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach dem 01. April des Urlaubsjahres ausscheide. Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf den vorliegenden Fall kommt aus Sicht der Beklagten nicht in Betracht. Das Arbeitsgericht ist der Auffassung der Beklagten gefolgt und hat durch Urteil vom 18.11.2004 die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt. Den Streitwert hat es auf 2.299,57 € festgesetzt. Gegen dieses ihm am 29.11.2004 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat der Kläger am 27.12.2004 Berufung eingelegt und diese am 28.01.2005 begründet. Der Kläger greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Er stützt sich weiterhin auf seine erstinstanzlich vertretene Rechtsauffassung. Weiter rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 162 BGB. Durch das Angebot der Überleitung des Arbeitsverhältnisses auf die T2xxxxxx- und Q1xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx habe die Beklagte eine betriebsbedingte Kündigung treuwidrig verhindert. Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 18.11.2004 - 3 Ca 1275/04 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.299,57 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2004 zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 18.11.2004 - 3 Ca 1275/04 - zurückzuweisen. Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen und auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung verwiesen. Entscheidungsgründe: I. Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger steht der begehrte Urlaubsabgeltungsanspruch nicht gemäß § 11 Nr. 3, § 12 Nr. 2 MTV in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag zu, wie das Arbeitsgericht richtig erkannt hat. Der Urlaubsanspruch des Klägers gegen die Beklagte nach § 12 MTV, über den der Kläger bei seinem Ausscheiden gegen die Beklagte nach §§ 13 Nr. 1, 12 Nr. 2 MTV, §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag verfügte, ist durch die erfolgte Urlaubsabgeltung der Beklagten erloschen. 1. Dem Kläger stand für das Urlaubsjahr 2003 unstreitig ein Restanspruch von fünf Urlaubstagen zu. Für das Urlaubsjahr 2003 ist gemäß §§ 12 Nr. 2, 13 Nr. 1 MTV lediglich ein Urlaubsanspruch in Höhe von 15 Urlaubstagen entstanden. Nach § 12 Nr. 2 MTV hat der Arbeitnehmer gegen den alten Arbeitgeber im Austrittsjahr einen Anspruch auf so viele Zwölftel des ihm zustehenden Urlaubs, als er Monate bei ihm gearbeitet hat. Da der Kläger im Jahr 2003 bis zum 30.06.2003 bei der Beklagten gearbeitet hat, ergibt sich aus der tariflichen Vorschrift ein anteiliger Urlaubsanspruch von 15 Urlaubstagen. Durch die Abgeltung von 20 Urlaubstagen beim Ausscheiden des Klägers sind seine Urlaubsansprüche durch Erfüllung erloschen. 2. Der Kläger kann, gestützt auf die Sonderregelung in § 12 Nr. 3 MTV, für das Jahr 2003 keine 30 Urlaubstage für sich beanspruchen. Nach § 12 Nr. 3 Abs. 1 MTV ist der volle Jahresurlaub zu gewähren in den auf das Eintrittsjahr folgenden Kalenderjahren, wenn das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach dem 01. April beendet wird. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgelegt hat, kann § 12 Nr. 3 MTV nicht entsprechend auf den vorliegenden Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen Aufhebungsvertrag angewendet werden. a) Die Auslegung von Tarifverträgen folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lassen sich auch so zuverlässige Auslegungsergebnisse nicht gewinnen, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge auf weitere Anhaltspunkte wie die Tarifgeschichte, die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags und die praktische Tarifübung zurückgreifen. Auch auf die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen fachgerechten zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 18.08.1999 - 4 AZR 247/98 - NZA 2000, 432, 433; BAG, Urteil vom 28.07.1999 - 4 AZR 175/98 - NZA 2000, 41,42; BAG, Urteil vom 11.11.1998 - 5 AZR 63/98 - NZA 1999, 605; BAG, Urteil vom 16.06.1998 - 5 AZR 97/97 - NZA 1998, 1288, 1290). b) Schon der Wortlaut der tariflichen Vorschrift ist eindeutig. Auszugehen ist vom allgemeinen Sprachgebrauch. Dieser stimmt schon mit der rechtlichen Bedeutung des Rechtsbegriffs "ordentliche Kündigung" überein. Danach kommt es allein auf die Form der Kündigung an und nicht auf den Anlass und auch nicht auf die Bedeutung und Schwere des Kündigungsgrundes (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 03.05.1984 - 6 AZR 555/81 - DB 1984, 1938; LAG Düsseldorf, Urteil vom 12.12.1994 - 4 Sa 1517/94 - n.v.; LAG Hamm, Urteil vom 11.01.1995 - 11 Sa 1677/94 - n.v.). c) Eine andere Wertung ergibt sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Der privilegierenden Vorschrift des § 12 Nr. 3 Abs. 1 MTV liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Arbeitnehmer in seinem Urlaubsanspruch nicht benachteiligt werden soll, wenn sich der Arbeitgeber einseitig unter Einhaltung der Kündigungsfrist von ihm lösen will (vgl. Ziepke/Weiss, MTV Metall NRW, 4. Aufl., § 12 Anm. 7 Abs. 1). 3. Der Beklagten ist es auch nicht nach § 242 BGB, § 162 BGB entsprechend, verwehrt, sich auf die tarifliche Vorschrift des § 12 Nr. 2 MTV zu berufen. a) Nach § 162 Abs. 1 BGB gilt die Bedingung als eingetreten, wenn der Eintritt der Bedingung von der Partei, zu deren Nachteil er gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert wird. § 162 BGB enthält den allgemeinen Rechtsgedanken, dass niemand aus einem von ihm treuwidrig herbeigeführten Ereignis Vorteile herleiten darf. Erforderlich ist eine tatsächliche Beeinflussung des Kausalverlaufes, die gegen Treu und Glauben verstößt. b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Beklagte hat eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung des Klägers durch ihr Verhalten nicht vereitelt. Nach § 5 des Sozialplanes vom 08.06.2004 konnte die Beklagte eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung nur den betroffenen Arbeitnehmern gegenüber aussprechen, die den Übertritt in die T2xxxxxx- und Q1xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx abgelehnt hatten. Sie war nach § 2 des Sozialplanes zunächst verpflichtet, den betroffenen Arbeitnehmern das Angebot zu machen, in die T2xxxxxx- und Q1xxxxxxxxxxxxxxxxxx-xxxxxxx S2xxxxxxx e2.V2. überzuwechseln. Die Beklagte ist im Fall des Klägers ihren Verpflichtungen aus dem Sozialplan nachgekommen. Dem Kläger stand es nach dem Sozialplan frei, nach Prüfung der beiden Alternativen zu wählen, ob er zur T2xxxxxx- und Q1xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx S2xxxxxxx e2.V2. überwechselt oder ob er dies ablehnt und damit die Kündigung wählt. Dem Kläger waren die Bedingungen der beiden Alternativangebote bekannt. Er hat den Überwechsel in die T2xxxxxx- und Q1xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx gewählt mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen. 4. Da sich der Kläger für diese Alternative des Sozialplanes entschieden hat, besteht auch keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Beklagte ihm gegenüber im Vergleich zu den Arbeitnehmern, die das Angebot abgelehnt und eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung erhalten haben. II. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

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