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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 27.08.2003
Aktenzeichen: 18 Sa 419/03
Rechtsgebiete: BGB, BRTV Bau, VTV Bau


Vorschriften:

BGB § 280 Abs. 1
BGB § 611 Abs. 1
BRTV Bau § 8 Ziff. 7
BRTV Bau § 8 Ziff. 8
VTV Bau § 18
Lehnt ein Arbeitgeber die Nachentrichtung nicht geleisteter Beiträge für einen Arbeitnehmer an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse des Baugewerbes endgültig ab, so steht dem Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch in Höhe der Urlaubsentschädigung nach § 8 Nr. 8 BRTV zu, wenn die Kasse die Auszahlung der Entschädigung wegen der nichtentrichteten Beiträge verweigert.
Landesarbeitsgericht Hamm Im Namen des Volkes Urteil

18 Sa 419/03

Verkündet am: 27.08.2003

In Sachen

hat die 18. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 09.07.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Knipp sowie die ehrenamtlichen Richter Biederlack und Stelter

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 25.02.2003 - 4 Ca 2069/02 L - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der am 01.02.13xx geborene Kläger war in der Zeit vom 04.01.1999 bis zum 31.03.2000 und vom 05.06.2000 bis zum 14.11.2000 bei der Beklagten, die ein Tiefbauunternehmen betreibt, als Baggerfahrer tätig.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge für das Baugewerbe Anwendung, so auch der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV) vom 03.02.1981 in der Fassung vom 13.11.1998, allgemeinverbindlich ab 01.01.1999, in der Fassung vom 20.12.1999, allgemeinverbindlich ab 01.01.2000 und in der Fassung vom 19.04.2000, allgemeinverbindlich ab 01.04.2000.

Für das Jahr 1999 zahlte die Beklagte keine Beiträge für den Kläger an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse für das Baugewerbe in W1xxxxxxx.

Im September 2001 beantragte der Kläger bei der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft in W1xxxxxxx die Auszahlung des Urlaubsanspruchs für das Jahr 1999. Die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse bestätigte den Eingang des Antrags mit Schreiben vom 28.09.2001 unter anderem wie folgt:

"Ihr Antrag auf Urlaubsgeltung/Entschädigung für verfallene Urlaubsansprüche beziehungsweise Ihre Anfrage liegt der zuständigen Fachabteilung vor.

Die Bearbeitung nimmt erfahrungsgemäß bei der Menge der uns vorliegenden Anträge/Anfragen mehrere Wochen in Anspruch. Um eine Gleichbehandlung aller Antragsteller gewährleisten zu können, erfolgt die Bearbeitung in der Reihenfolge des Einganges. Daher können einzelne Anträge/Anfragen nicht bevorzugt behandelt werden.

Um eine Verzögerung der Bearbeitung zu vermeiden, bitten wir von einer unaufgeforderten Kontaktaufnahme abzusehen. Wir können erst Auskunft geben, wenn die Bearbeitung abgeschlossen ist."

Seit dem 11.02.2002 ist der Kläger nicht mehr im Baugewerbe tätig.

Nachdem ihm die Beklagte das Lohnnachweisblatt für 1999 am 25.03.2002 ausgehändigt hatte, beantragte der Kläger mit Schreiben vom 26.03.2002 erneut bei der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft die Auszahlung des Urlaubsanspruchs.

Diese lehnte die begehrte Auszahlung mit Schreiben vom 15.04.2002 unter anderem wie folgt ab:

"Sehr geehrter Herr S2xxxx,

wir können leider keine Auszahlung des Urlaubsanspruches 1999 vornehmen.

Wir dürfen den Urlaubsanspruch nur auszahlen, soweit dieser beitragsgedeckt ist, das heißt soweit der oder die Arbeitgeber die Beiträge für die Urlaubsansprüche bei uns gezahlt haben. Das ist seit 01.01.2000 in dem Tarifvertrag*) festgelegt und gilt für alle Zahlungen ab diesem Datum.

*) Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe, BRTV, § 8 Nr. 6.2 und Nr. 8

Ihre (ehemaligen) Arbeitgeber haben die Beiträge gar nicht oder nicht in voller Höhe gezahlt. Deshalb hat sich Ihr Urlaubsanspruch soweit verringert, dass keine Auszahlung erfolgen kann. Die genaue Berechnung entnehmen Sie bitte dem beigefügten Abrechnungsblatt.

Wir empfehlen Ihnen, sich mit dem/den entsprechenden Arbeitgeber/n in Verbindung zu setzen. Wir bemühen uns weiter um die fehlenden Beiträge - es sei denn, bei dem Arbeitgeber handelt es sich um eine insolvente GmbH. Hier ist die Verwirklichung unserer Beitragsansprüche generell aussichtslos.

Sie können innerhalb von 4 Jahren nach Ihrem ersten Antrag bei uns nachfragen, ob Beiträge nachgezahlt wurden. Wir werden dies dann prüfen und gegebenenfalls eine Nachzahlung leisten."

Daraufhin hat der Kläger am 20.09.2002 die vorliegende Klage erhoben. Mit der Klage hat er den auf dem Lohnnachweisblatt 1999 der Beklagten angeführten Urlaubsabgeltungsbetrag für 1999 in Höhe von 3.457,40 DM als Schadensersatz verlangt. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 08.11.2002 jegliche Zahlungen abgelehnt unter anderem wie folgt:

"Ihr Mandant hat seine Ansprüche zu spät geltend gemacht, so dass diese verfallen sind. Als Ihr Mandant seine Ansprüche gegenüber der Kasse geltend gemacht hat, waren diese Ansprüche bereits verfallen. Ein Anspruch nach Eintritt der Verfallfrist nach § 7 Ziffer 7 besteht gegenüber der Kasse nur dann, wenn auch tatsächlich Beiträge geleistet wurden. Das ist nicht geschehen, so dass insoweit auch keine Ansprüche gegenüber der Kasse bestehen. Schadenersatzansprüche gegen unseren Mandanten scheiden ohnehin aus, da diese Ansprüche ja bereits zu einem früheren Zeitpunkt verfallen sind.

Wir werden also unsere Mandantin nicht raten, hier irgendwelche Leistungen zu erbringen. Das arbeitsgerichtliche Verfahren mag fortgesetzt werden."

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte verpflichtet sei, den sich aus dem Lohnnachweisblatt für 1999 ergebenen Urlaubsabgeltungsbetrag als Schadensersatz zu zahlen, da sie die Beiträge nicht wie geschuldet an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft abgeführt habe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.767,61 € (= 3.457,14 DM) nebst 5 % Zinsen über den Basissatz seit dem 01.10.2002 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Urlaubsansprüche des Klägers für das Jahr 1999 seien verfallen, da der Kläger den Anspruch nicht rechtzeitig der Kasse gegenüber geltend gemacht habe. Auch ein Schadensersatzanspruch ihr gegenüber sei verfallen.

Durch Urteil vom 25.02.2003 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Den Streitwert hat es auf 1.767,61 € festgesetzt. In den Entscheidungsgründen ist das Arbeitsgericht der Auffassung des Klägers gefolgt.

Gegen dieses ihr am 06.03.2003 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 18.03.2003 Berufung eingelegt und diese ebenfalls am 18.03.2003 begründet.

Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Sie stützt die Berufung maßgeblich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 25.02.2003 - 4 Ca 2069/02 L - abzuändern und die Klage abzuändern.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 25.02.2003 - 4 Ca 2069/02 L - zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Der begehrte Schadensersatzanspruch steht dem Kläger gegenüber der Beklagten gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag zu.

1. Die Beklagte war aus dem Arbeitsvertrag dem Kläger gegenüber verpflichtet, die Sozialkassenbeiträge des Klägers nach den Bestimmungen des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse in W1xxxxxxx (U1xx) abzuführen (vgl. BAG, Urteil vom 28.04.1998 - 9 AZR 164/97 - NZA 1999, 48).

Dieser Verpflichtung ist die Beklagte schuldhaft nicht nachgekommen. Sie hat die Erfüllung der Verpflichtung mit Schreiben vom 08.11.2002 ernsthaft und endgültig verweigert. Damit war ein Anspruch des Klägers gegen die U1xx auf Auszahlung der Entschädigung der verfallenen Urlaubsansprüche nach § 8 Nr. 8 BRTV endgültig ausgeschlossen und dem Kläger der mit der Klage geltend gemachte Schaden entstanden. Bei einer Abführung der Beiträge bis zur endgültigen Verweigerung hätte die U1xx dem Kläger als Entschädigung nach § 8 Nr. 8 BRTV 1.767,61 € auszahlen müssen, wie auch das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Anspruch nach den tariflichen Vorschriften nicht verfallen.

a) Zwar verfallen nach § 8 Nr. 7 BRTV die Urlaubsansprüche und die Urlaubsabgeltungsansprüche nach § 8 Nr. 6 mit Ablauf des Kalenderjahres, das auf das Jahr der Entstehung der Urlaubsansprüche folgt. Die Urlaubsansprüche des Klägers aus dem Jahr 1999 sind demnach mit Ablauf des Jahres 2000 verfallen.

b) Für die verfallenen Urlaubsansprüche steht dem Kläger aber nach § 8 Nr. 8 BRTV ein Entschädigungsanspruch zu.

§ 8 Nr. 8 BRTV bestimmt, dass nach Verfall der Urlaubsansprüche oder Urlaubsabgeltungsansprüche der Arbeitnehmer innerhalb eines weiteren Kalenderjahres Anspruch auf Entschädigung gegenüber der Kasse in Höhe der Urlaubsvergütung hat, soweit Beiträge für die Urlaubsansprüche des jeweiligen Urlaubsjahres bereits geleistet worden sind.

Hätte die Beklagte die Sozialkassenbeiträge für den Kläger für das Jahr 1999 an die U1xx abgeführt, hätte die Kasse die tarifliche Entschädigung an den Kläger auszahlen müssen. Der Kasse gegenüber war der Anspruch des Klägers noch nicht verfallen. Der Kläger hatte den Anspruch auf Entschädigung für die verfallenen Urlaubsansprüche aus dem Jahr 1999 schriftlich rechtzeitig bei der Kasse geltend gemacht, wie sich aus der Eingangsbestätigung der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse vom 28.09.2001 ergibt.

Einer Auszahlung stand nur die Nichtleistung der Beiträge durch die Beklagte entgegen. Durch die endgültige Weigerung der Beklagten am 08.11.2002 war ein Anspruch auf Auszahlung der Entschädigung endgültig ausgeschlossen. Die Verweigerung war auch dem Kläger gegenüber pflichtwidrig. Durch die Weigerung ist der mit der Klage geltend gemachte Schaden dem Kläger entstanden.

c) Der Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte ist nicht nach § 16 BRTV verfallen. Erst mit der endgültigen Weigerung der Beklagten im Schreiben vom 08.11.2002 ist der Schadensersatzanspruch des Klägers fällig geworden und der Lauf der tariflichen Verfallfrist in Gang gesetzt worden. Zu diesem Zeitpunkt war der vorliegende Rechtsstreit schon anhängig.

3. Der Zinsanspruch ist wegen Verzuges gerechtfertigt.

B. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen worden.

Ende der Entscheidung

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