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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 29.09.2004
Aktenzeichen: 18 Sa 602/04
Rechtsgebiete: SGB V, RTV


Vorschriften:

SGB V § 257
RTV für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes § 4 Ziff. 2.2
Der Arbeitgeberzuschuss zu einer privaten Krankenversicherung nach § 257 SGB V ist ein sozialversicherungsrechtlicher Anspruch. Er entspricht dem Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Krankenversicherung bei gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmern.

Einem tariflichen Anspruch auf Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen Krankengeld und 90 % des Nettoeinkommens liegt das Krankengeld im Sinne der §§ 44 ff. SGB V (Bruttokrankengeld) zugrunde.


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 06.11.2003 - 4 Ca 168/03 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Tatbestand: Die Parteien streiten über die Höhe der tariflichen Krankengeldzuzahlung. Der am 01.14.15xx geborene Kläger war in der Zeit vom 01.01.1972 bis zum 31.12.2002 bei der Beklagten als technischer Angestellter tätig. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war der zwischen den Parteien am 30.11.1971 geschlossene Arbeitsvertrag, in dem u.a. vereinbart wurde, dass alle übrigen Fragen des Anstellungsverhältnisses sich nach dem Tarifvertrag für das Bau- und Baunebengewerbe regeln. Auf das Arbeitsverhältnis kam der Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes (RTV) zuletzt in der Fassung vom 04.06.2002 zur Anwendung, in dem u.a. Folgendes geregelt ist: § 4 Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitsversäumnis und Arbeitsausfall ... 2. Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall ... 2.2. Nach dreijähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit erhalten Angestellte, wenn sie infolge von Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert sind (Arbeitsunfähigkeit), von der 7. Woche an einen Zuschuss vom Arbeitgeber bis zur Dauer von sechs Wochen. Der Zuschuss wird in Höhe des Betrages gewährt, der sich als Unterschied zwischen 90 v.H. des Nettogehalts und den beitragspflichtigen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder Unfallversicherung ergibt. Ist der Angestellte nicht in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert, so ist das Krankengeld oder Hausgeld der Berechnung zugrunde zu legen, das er als Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung in der Höchststufe erhalten würde. Nach siebenjährigen ununterbrochener Betriebszugehörigkeit wird der Zuschuss nach Absatz 2 bis zur Dauer von acht Wochen und nach zehnjähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit bis zur Dauer von zwölf Wochen gewährt. ... Der privat krankenversicherte Kläger erkrankte am 13.08.2002. Ab dem 24.09.2002 bezog er Krankengeld von seiner privaten Krankenversicherung. Die Beklagte zahlte in der Zeit vom 24.09.2002 bis zum 16.12.2002 als Zuschuss zum Krankengeld insgesamt 1.235,87 EUR brutto. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Berechnung des Krankengeldes sei ein Nettoeinkommen von 3.308,81 EUR und das Nettokrankengeld der Höchststufe der gesetzlichen Krankenversicherung zugrunde zu legen. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.415,96 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Arbeitgeberzuschuss zur privaten Krankenversicherung sei keine Nettovergütung. Als Krankengeld sei das Bruttokrankengeld zugrunde zu legen. Das Arbeitsgericht ist der Auffassung der Beklagten gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat es dem Kläger auferlegt. Der Streitwert ist auf 1.415,86 EUR festgesetzt worden. Gegen dieses ihm am 07.04.2004 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat der Kläger am 29.03.2004 Berufung eingelegt und diese am 26.05.2004 begründet. Der Kläger greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Er stützt sich maßgeblich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag und die dort vorgetragenen Rechtsauffassungen. Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 06.11.2003 - 4 Ca 168/03 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.415,96 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 07.04.2004 - 4 Ca 168/03 - zurückzuweisen. Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung verwiesen. Entscheidungsgründe: A. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der dem Kläger nach § 4 Nr. 2.2 des Rahmentarifvertrages für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes vom 04.07.2002 (RTV) zustehende Zuschuss zum Krankengeld für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 24.09.2002 bis 16.12.2002 ist durch Zahlung der Beklagten erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB), wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat. I. Auf das Arbeitsverhältnis kommen die tariflichen Vorschriften des Rahmentarifvertrages für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes kraft Vereinbarung im Arbeitsvertrag vom 20.11.1991 zur Anwendung. II. Nach § 4 Ziffer 2.2 RTV kann der Kläger, der nicht in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert ist, von der Beklagten einen Krankengeldzuschuss in Höhe des Betrages verlangen, der sich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen 90 % seines Nettogehalts und dem Krankengeld ergibt, das er als Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse in der Höchststufe erhalten würde (§ 4 Ziffer 2.2 Satz 3 RTV). Dieser Verpflichtung ist die Beklagte durch Zahlung von 104,23 EUR im September, von 446,70 EUR im Oktober, von 446,70 EUR im November und von 238,24 EUR im Dezember nachgekommen. 1. Der Berechnung zugrunde zu legen ist das Nettogehalt des Klägers in Höhe von 3.121,33 EUR. Unter Nettogehalt ist das um die gesetzlichen Abzüge verminderte Bruttogehalt zu verstehen (vgl. BAG, Urteil vom 26.03.2003 - 5 AZR 186/02 - NZA 2003, 1168). Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Arbeitgeberzuschuss zur privaten Krankenversicherung nicht dem Nettogehalt zuzurechnen. Der Arbeitgeberzuschuss zur privaten Krankenversicherung wird vielmehr gemäß § 257 SGB V aufgrund dieser besonderen gesetzlichen Anordnung zusätzlich gezahlt. Der Arbeitgeberzuschuss zum Krankengeld ist ein sozialversicherungsrechtlicher Anspruch, er entspricht dem Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Krankenversicherung bei einem gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmer. Mit der Zahlung des Arbeitgeberzuschusses durch die Beklagte sollte der Kläger keine übertarifliche Vergütung erhalten, vielmehr übernahm die Beklagte eine Beitragsleistung entsprechend den Vorschriften des Krankenversicherungsrechts (vgl. BAG, Urteil vom 05.11.2003 - 5 AZR 682/02 - NZA 2004, 989 zum Arbeitgeberzuschuss zur privaten Rentenversicherung). Der Zweck des tariflichen Krankengeldzuschusses besteht in dem Ausgleich oder der Minderung wirtschaftlicher Nachteile, nicht in der Verschaffung einer Begünstigung. 2. In Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht ist bei der Differenzbildung das Bruttokrankengeld (78,75 EUR), das der Kläger als Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung in der Höchststufe erreichen würde und nicht das um die Beitragszahlungen des Klägers zur Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung um 13,5 % verringerte Nettokrankengeld zugrunde zu legen. Die tariflichen Regelung geht von einem Bruttokrankengeld aus. a) Die Auslegung des normativen Teils von Tarifverträgen folgt den für die Gesetzesauslegung geltenden Regeln. Sie hat zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu ermitteln ist darüber hinaus der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm ermittelt werden kann (vgl. z.B. Urteil vom 16.05.2002 - 6 AZR 208/01 - NZA 2003, 164; BAG, Urteil vom 16.04.2002 - 1 AZR 363/01 - NZA 2003, 224). b) Nach dem Tarifwortlaut wird der Unterschiedsbetrag zwischen 90 % des Nettogehalts und dem Krankengeld, das der Kläger als Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung in der Höchststufe erhalten würde, geschuldet. Mit der Verweisung auf die Höchststufe des Krankengeldes der gesetzlichen Krankenversicherung wird eindeutig festgelegt, dass die Tarifvertragsparteien bei dem Krankengeld von dem entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Begriff ausgehen. Verwenden die Tarifvertragsparteien einen solchen Begriff im Tarifvertrag, so ist davon auszugehen, dass er im Tarifvertrag ebenso die Bedeutung haben soll, soweit sich aus dem Tarifvertrag selbst nichts anderes ergibt (vgl. BAG, Urteil vom 13.02.2002 - 5 AZR 604/00 - NZA 2003, 49; BAG, Urteil vom 19.08.1987 - 4 AZR 128/87 - NZA 1988, 168). Unstreitig beträgt die Höhe der dem Kläger als Krankengeld zustehenden Höchststufe 78,75 EUR kalendertäglich. Dieser sozialversicherungsrechtliche Betrag ist ein Bruttobetrag. An keiner Stelle bezeichnet das Gesetz nur den dem Arbeitnehmer zufließenden Auszahlungsbetrag als Krankengeld (vgl. BAG, Urteil vom 13.02.2002 - 5 AZR 604/00 - NZA 2003, 49; BAG, Urteil vom 24.04.1996 - 5 AZR 798/94 - NZA 1997, 213). Die abzuführenden Beträge zählen nach der Systematik des Sozialgesetzbuches V als Leistungen der Krankenversicherung (§§ 11 ff. SGB V) zum Krankengeld, während die Beitragspflichten bei den einzelnen Sozialversicherungszweigen geregelt sind. c) Bei Abschluss des anspruchsbegründenden Manteltarifvertrages war den Tarifvertragsparteien bekannt, dass das Krankengeld mit Wirkung ab 01.01.1984 der Beitragspflicht zur Renten- und Arbeitslosenversicherung unterworfen wurde und ab 01.01.1995 der Beitragspflicht zur Pflegesicherung. Hätten die Tarifvertragsparteien nach Wirksamwerden der Abführungspflicht von Beiträgen zu Gunsten des Arbeitnehmers die entstehende Lücke zur Nettovergütung durch eine Erhöhung des Krankengeldzuschusses ganz oder teilweise ausgleichen wollen, hätten sie das im Tarifvertrag zum Ausdruck bringen können und müssen. Ohne eine ausdrückliche Regelung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien die wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitgebers um die Differenz von Brutto- und Nettokrankengeld erhöhen und damit die laut Gesetz vom Arbeitnehmer zu tragenden Beitragsanteile zur Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung dem Arbeitgeber auflegen wollten. d) Damit ist schon vom Wortlaut der Vorschrift nicht vorgegeben, dass die tarifliche Regelung die Sicherung der Nettovergütung des Arbeitnehmers verbindlich vorgibt. Sinn und Zweck der tariflichen Zuschussregelung besteht in einer Minderung der dem kranken Arbeitnehmer entstehenden wirtschaftlichen Nachteile. Durch gesetzliche Veränderungen können sich auch für den Arbeitnehmer weitere Verbesserungen ergeben, so in dem Fall der Absenkung des Krankengeldes der gesetzlichen Krankenversicherung. III. Der Kläger kann den Anspruch auch nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz stützen. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet einem Arbeitgeber sowohl die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage als auch eine sachfremde Gruppenbildung (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 03.04.2003 - 6 AZR 633/01 -, § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 185). Im vorliegenden Fall beruht die nach der Auffassung des Klägers sachfremde Schlechterstellung schon nicht auf einer Entscheidung der Beklagten. Es geht um die Anwendung tariflicher Vorschriften, an die die Beklagte gebunden ist. Ein Wahlrecht steht ihr nicht zu, nachdem der Kläger sein Wahlrecht bei der Wahl der Krankenversicherung ausgeübt hat. IV. Nach alledem war von der Beklagten für die Monate mit 31 Kalendertagen (September und November) 11,87 EUR kalendertäglich (2.809,20 EUR (90 % des Nettogehalts) : 31 Kalendertage = 90,62 EUR - 78,75 (Höchstbetrag) = 11,87 EUR) und bei den Monaten mit 30 Kalendertagen (Oktober und Dezember) 14,89 EUR kalendertäglich (2.809,20 EUR (90 % des Nettogehalts) : 30 Kalendertage = 93,64 EUR - 78,75 EUR (Höchstbetrag) = 14,89 EUR) zugrunde zu legen. Dies ergibt einen Gesamtbetrag für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 24.09.2002 bis zum 16.12.2002 in Höhe von 1.108,78 EUR. Die Beklagte hat 1.235,87 EUR geleistet und damit den Anspruch erfüllt. B. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

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