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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 12.12.2007
Aktenzeichen: 18 Sa 915/07
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 9 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 03.04.2007 - 1 Ca 2395/06 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über einen von der Beklagten gestellten Auflösungsantrag.

Der am 14.05.1954 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 16.03.1982 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als angelernter Hilfsdreher beschäftigt. Sein Bruttomonatseinkommen betrug zuletzt 1.892,-- €.

Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb in B1 cirka 260 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist dort gewählt.

In der Zeit seiner Beschäftigung erhielt der Kläger von der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin folgende Abmahnungen:

Mit Schreiben vom 22.02.1984 (Bl. 40 d.A.), mit Schreiben vom 05.03.1992 (Bl. 61 d.A.), mit Schreiben vom 23.11.1993 (Bl. 63 d.A.) und mit Schreiben vom 27.09.2006 (Bl. 8 d.A.), vom 29.09.2006 (Bl. 9 d.A.) und vom 06.10.2006 (Bl. 10 d.A.). Die drei letzten Abmahnungen wurden dem Kläger zusammen in einem Umschlag am 12.10.2006 zugestellt. Der Kläger befand sich in der Zeit vom 10.10.2006 bis zum 13.10.2006 in einem ihm wegen des Todes seines Vaters am 07.10.2006 bewilligten Sonderurlaub.

Wegen einer von ihr behaupteten Schlechtleistung, die nach Dienstschluss am 06.10.2006 festgestellt worden sein soll, verfasste die Beklagte ein weiteres Schreiben an den Kläger vom 09.10.2006 (Bl. 70 d.A.) und kündigte an, dass sie am selben Tag den schriftlichen Antrag an den Betriebsrat auf Zustimmung zur ordentlichen du fristgemäßen Kündigung stellen werde. Dieses Schreiben überreichte die Beklagte an den Kläger am Tag der Arbeitsaufnahme nach dem Sonderurlaub am 14.10.2006.

Mit Schreiben vom 10.10.2006 an den Betriebsrat leitete die Beklagte das Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG ein.

Der Betriebsrat nahm mit Schreiben vom 16.11.2006 zu der beabsichtigten Kündigung Stellung.

Mit Schreiben vom 17.11.2006, welches dem Kläger am 18.11.2006 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2007.

Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 01.12.2006 die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben.

Der Kläger ist der Auffassung, die Kündigung sei wegen nicht ordnungsgemäßer Beteiligung des Betriebsrats unwirksam. Die Kündigung sei weiter sozialwidrig. Die Abmahnungen seien nicht berechtigt gewesen. Die Kündigung sei unverhältnismäßig. Er sei seit 25 Jahren bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. In seinem Alter sei es schwer, auf dem Arbeitsmarkt eine andere Stelle zu finden.

Der Kläger hat beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.11.2006 nicht zum 30.06.2007 beendet wird,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten vertraglichen Bedingungen als Hilfsdreher weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30.06.2007 aufzulösen und die Beklagte zur Zahlung einer angemessenen, in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Abfindung, die jedoch einen Betrag in Höhe von 10.000,-- € brutto nicht überschreiten sollte, zu verurteilen.

Der Kläger hat weiter beantragt,

den Hilfsantrag der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wegen der fortlaufenden Fehl- und Schlechtleistungen des Klägers gerechtfertigt. Der Inhalt der Abmahnungen entspreche den Tatsachen, so auch die Schlechtleistungen, die in der chronologischen Auflistung vom 06.11.2006 (Bl. 72 f d.A.) festgehalten worden seien.

Zum vorsorglich hilfsweise gestellten Auflösungsantrag hat die Beklagte vorgetragen, ihr sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger nicht länger zuzumuten. Eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit sei wegen der fortlaufenden Fehl- und Schlechtleistungen des Klägers nicht zu erwarten. Sämtliche betrieblichen Vorgesetzten würden sich vehement und definitiv weigern, mit dem Kläger weiter zusammen zu arbeiten. Angesichts der ständigen Fehlleistungen müsse sie damit rechnen, dass der Kläger irreparable Fehler verursache, deren Höhe nicht kalkulierbar und deren Beseitigung finanziell nicht mehr tragbar für sie wären.

Durch Urteil vom 03.04.2007 hat das Arbeitsgericht dem Kündigungsschutzantrag und dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers stattgegeben. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist zurückgewiesen worden. Die Kosten des Rechtsstreits sind der Beklagten auferlegt worden. Der Streitwert ist auf 9.460,-- € festgesetzt worden.

In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Kündigungsschutzklage sei sozialwidrig. Die Beklagte habe dem Kläger nach der letzten Abmahnung, die der Kläger am 12.10.2006 erhalten habe, erst Zeit geben müssen, sein Fehlverhalten zu korrigieren vor Ausspruch einer Kündigung.

Der Auflösungsantrag der Beklagten sei nicht begründet. Greifbare Tatsachen, aus denen folge, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten sei, habe die Beklagte nicht vorgetragen.

Gegen dieses ihr am 04.05.2007 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 24.05.2007 Berufung eingelegt und diese am 02.07.2007 begründet. Die Beklagte beschränkt die Berufung auf die Abweisung des Auflösungsantrages durch das Arbeitsgericht.

Sie stützt die Berufung maßgeblich auch weiterhin auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 03.04.2007 - 1 Ca 2395/06 - teilweise abzuändern und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zum 30.06.2007 aufzulösen unter Zahlung einer Abfindung durch sie, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, jedoch den Betrag von 10.000,-- € brutto nicht überschreiten sollte.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 03.04.2007 - 1 Ca 2395/06 - zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht den Antrag der Beklagten nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG, das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, zurückgewiesen.

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Arbeitsgericht auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen, wenn es festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Arbeitgebers nicht aufgelöst worden ist und wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

a) Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 07.11.2006 nicht zum 30.06.2007 aufgelöst worden, wie das Arbeitsgericht festgestellt hat. Die Beklagte hat die arbeitsgerichtliche Feststellung nicht mit der Berufung angegriffen.

Nach der Grundkonzeption des Kündigungsschutzgesetzes führt eine Sozialwidrigkeit der Kündigung zu deren Rechtsunwirksamkeit und zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Das Kündigungsschutzgesetz ist vorrangig ein Bestandsschutz und kein Abfindungsgesetz (vgl. BAG, Urteil vom 30.09.1976 - 2 AZR 402/75 - BAGE 28, 196; BAG, Urteil vom 14.01.1993 - 2 AZR 343/92 - EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 39). Dieser Grundsatz wird durch § 9 KSchG unter der Voraussetzung durchbrochen, dass - bezogen auf den Auflösungsantrag des Arbeitgebers - eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht. Da hiernach eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur ausnahmsweise in Betracht kommt, sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BAG, Urteil vom 07.03.2002 - 2 AZR 158/01 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42; KR-Spilger, 8. Aufl., § 9 KSchG Rdnr. 52).

b) Für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist, ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz abzustellen (vgl. BAG, Urteil vom 23.06.2005 - 2 AZR 256/04 - NZA 2006, 362). Der Auflösungsantrag ist trotz seiner nach § 9 Abs. 2 KSchG gesetzlich angeordneten Rückwirkung auf den Kündigungszeitpunkt in die Zukunft gerichtet.

c) Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen allerdings nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Vielmehr kommt es darauf an, ob die objektive Lage beim Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz beim Arbeitgeber die Besorgnis aufkommen lassen kann, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 23.06.2005 - 2 AZR 256/04 - NZA 2006, 363).

Der Arbeitgeber kann sich zur Begründung seines Auflösungsantrags grundsätzlich auch auf die Gründe berufen, mit denen er zuvor erfolglos die ausgesprochene Kündigung begründet hat. Der Arbeitgeber muss in diesen Fällen allerdings regelmäßig zusätzlich greifbare Tatsachen dafür vortragen, dass der Kündigungssachverhalt, obwohl er die Kündigung nicht rechtfertigt, gleichwohl so beschaffen ist, dass eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 22.10.2004 - 1 BvR 1944/01 - NZA 2005, 41; BAG, Beschluss vom 12.12.2006 - 3 AZN 625/06 - NZA 2007, 582; BAG, Urteil vom 23.06.2005 - 2 AZR 256/04 - NZA 2006, 363).

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Beklagte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keine ausreichenden zusätzlichen Tatsachen dafür vorgetragen, dass der Kündigungssachverhalt, obwohl er die Kündigung nicht rechtfertigt, gleichwohl so beschaffen ist, dass er in Verbindung mit den weiter vorgetragenen zusätzlichen Tatsachen eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht erwarten lässt.

a) Bei der Prognose hinsichtlich der zu erwartenden Fehl- und Schlechtleistungen des Klägers ist zu berücksichtigen, dass vor der Versetzung des Klägers in die Abteilung Schlaucharmaturen im Jahr 2006 keine übernormale Belastung durch Fehl- und Schlechtleistungen vorlag. Schon diese Tatsache lässt den Schluss zu, dass nach dem Vortrag der Beklagten eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit lediglich bezogen auf den Einsatz des Klägers in der Abteilung Schlaucharmaturen vorliegt, nicht aber bei einem Einsatz des Klägers in anderen Abteilungen des Betriebes, in denen der Kläger vor seiner Versetzung in die Abteilung Schlaucharmaturen eingesetzt war.

b) Die drei letzten Abmahnungen vom 27.09.2006, 29.09.2006 und vom 06.10.2006 hat der Kläger erst am 12.10.2006 erhalten. Unabhängig von der Berechtigung der Abmahnungen durfte der Kläger nach Kenntnisnahme der Abmahnungen darauf vertrauen, dass der Bestand seines Arbeitsverhältnisses erst im Wiederholungsfall gefährdet sei.

c) Der zusätzlich zu den Kündigungsgründen vorgetragene Tatbestand der Weigerung der Vorgesetzten, mit dem Kläger weiter zusammen zu arbeiten, vermag einen Auflösungsgrund nicht zu rechtfertigen.

Zunächst steht die Weigerung in einem engen Bezug zu den Kündigungsgründen. Diese sind Ursache der behaupteten Weigerung. Des Weiteren ist die Behauptung der Weigerung zu pauschal, wie schon das Arbeitsgericht gerügt hat. Bei einer Weigerung von Vorgesetzten und Arbeitskollegen, mit dem gekündigten Arbeitnehmer weiter zusammen zu arbeiten, ist ein Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erst dann gegeben, wenn der Arbeitgeber ernsthaft mit Konsequenzen dieser Vorgesetzten oder Kollegen rechnen muss und Vermittlungsbemühungen erfolglos waren (vgl. z.B. LAG Hamm, Urteil vom 24.02.2006 - 10 Sa 1956/05 - Juris; LAG Nürnberg, Urteil vom 09.12.2003 NZA-RR 2004, 298; ErfK/Ascheid, § 9 KSchG Rz. 21 m.w.N.). Es ist z.B. nicht vorgetragen, dass die Vorgesetzten ernsthaft gedroht haben, bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers ihr Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu beenden.

d) Die Beklagte kann sich zur Begründung des Auflösungsantrags auch nicht auf drohende Schäden, deren Höhe für sie nicht kalkulierbar sind, berufen. Konkrete Tatsachen für die Notwendigkeit eines ständigen Aufpassers sind nicht vorgetragen. Dies gilt auch für drohende Schäden, die nicht weiter von der Beklagten substantiiert worden sind.

II. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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