Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 26.05.2004
Aktenzeichen: 18 Sa 964/04
Rechtsgebiete: BUrlG, ZPO, BGB


Vorschriften:

BUrlG § 5 Abs. 1 Buchst. c
ZPO § 935
ZPO § 940
BGB § 812 Abs. 1
Scheidet ein Arbeitnehmer nach erfüllter Wartezeit in der ersten Jahreshälfte aus dem Arbeitsverhältnis aus, so entsteht zunächst mit Beginn des Jahres der volle Urlaubsanspruch. Die gesetzlich normierte anteilige Kürzung in § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG erfolgt dann zu dem Zeitpunkt, in dem feststeht, dass der Arbeitnehmer in der ersten Jahreshälfte aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.

Wird das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung beendet, so ist der Zeitpunkt der Kürzung der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung.

Entsteht der Kürzungstatbestand vor Antritt des erteilten Urlaubs, so kann der Arbeitgeber die nicht mehr durch den Urlaubsanspruch gedeckte Freistellungserklärung mit der Folge kondizieren, dass der Arbeitnehmer entgegen seinen ursprünglichen Wünschen zur Arbeit verpflichtet ist.


Tenor:

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 06.05.2004 - 2 Ga 11/04 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, den Verfügungskläger in der Zeit vom 30.05.2004 bis zum 11.06.2004 von der Arbeit freizustellen.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 1/4 und der Beklagten zu 3/4 auferlegt.

Tatbestand: Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über den Anspruch des Verfügungsklägers auf Urlaubsgewährung für die Zeit vom 30.05.2004 bis 11.06.2004. Der 38-jährige Verfügungskläger ist seit dem 22.05.2000 als Call-Center-Agent bei der Verfügungsbeklagten in deren Betrieb in N1xxxxx beschäftigt. Seine durchschnittliche monatliche Bruttovergütung beträgt 1.726,-- EUR. Der Verfügungskläger ist der Vorsitzende des im Betrieb der Verfügungsbeklagten in N1xxxxx gewählten Betriebsrats. Im Betrieb der Verfügungsbeklagten bestimmt die Betriebsvereinbarung über die Urlaubsplanung und Gewährung in § 4 zur Urlaubsgewährung Folgendes: § 4 Urlaubsgewährung (1) Spätestens am 15.12. des Kalenderjahres ist der Jahresurlaubsplan für das Folgejahr in Absprache zwischen Arbeitgeber, HR und BR abzuschließen und der Mitarbeiter anschließend vom Vorgesetzten über die Gewährung zu benachrichtigen. (2) Bei Ablehnung des Urlaubsantrags sind der Mitarbeiter sowie der Betriebsrat unverzüglich schriftlich unter Angabe der Gründe zu benachrichtigen. (3) Erfolgt bis zum 20.01. des auf die fristgerechte Abgabe des Urlaubsantrags folgenden Jahres kein Einwand durch den Arbeitgeber in schriftlicher oder elektronischer Form, gilt der Urlaub wie beantragt als gewährt und kann auch angetreten werden. (4) Genehmigte Urlaubsanträge können auf Antrag des Mitarbeiters nachträglich geändert werden. Es gelten die Grundsätze von verspätet eingegangenen Urlaubsanträgen, siehe § 31 Abs. 3 dieser Betriebsvereinbarung. (5) Gewährter Urlaub kann vom Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen nur mit Zustimmung des Betriebsrats widerrufen werden. Der Arbeitgeber verpflichtet sich, die entstandenen, nachgewiesenen Kosten zu ersetzen. Im November 2003 beantragte der Verfügungskläger Urlaub und zwar u.a. für die Zeit vom 10.05.2004 bis zum 20.05.2004 und vom 30.05.2004 bis 11.06.2004. Am 10.03.2004 beschlossen die Gesellschafter der Verfügungsbeklagten, den Betriebsstandort zu schließen. Am 01.04.2004 schlossen die Verfügungsbeklagte und ihr Betriebsrat einen Interessenausgleich, in dem sie u.a. festlegten, dass der Betrieb am 30.06.2004 geschlossen wird. Noch am 08.04.2004 wurde u.a. der Urlaub des Verfügungsklägers in einer E-Mail an den Betriebsrat so aufgelistet, wie vom Verfügungskläger beantragt. Am 19.04.2004 widerrief die Verfügungsbeklagte den Urlaub des Verfügungsklägers vom 10.05.2004 bis zum 20.05.2004 und vom 30.05.2004 bis 11.06.2004 u.a. mit folgender Begründung: Sehr geehrter Herr F2xxxxx, auf Grund der Schließung des Standorts zum 30. Juni 2004 haben wir die Urlaubsansprüche unserer Mitarbeiter geprüft und festgestellt, dass wir Ihnen Urlaub über Ihren bis zum 30.06.2004 hinaus erworbenen Anspruch gewährt haben. Diese Entscheidung über die Gewährung des Urlaubs ist vor Bekanntwerden des Schließungstermins getroffen worden. Ihnen steht bis zum 30.06.2004 ein Urlaubsanspruch von 15 Tagen zu. Da Sie 13 Tage zuviel Urlaub genehmigt bekommen haben, widerrufen wir den von uns genehmigten Urlaub für den Zeitraum vom 10.05. bis 20.05.2004 und 30.05. bis 11.06.2004. Eine Urlaubsplanung unter Berücksichtigung der Urlaubsansprüche wird bereits von Herrn L1xxxxxx vorgenommen, so dass auch mit Ihnen eine Abstimmung erfolgen wird. Die vorliegende einstweilige Verfügung hat der Verfügungskläger am 28.04.2004 anhängig gemacht. Zu diesem Zeitpunkt waren ihm durch die Verfügungsbeklagte für das Urlaubsjahr 2004 10 Urlaubstage gewährt worden. Der Verfügungskläger hat die Auffassung vertreten: Der Arbeitgeber könne bereits genehmigten Urlaub nur in Notfällen widerrufen. Ein Notfall liege hier jedoch nicht vor. Die Betriebsstilllegung stelle ein Unternehmerrisiko dar, das nicht auf die Arbeitnehmer gewälzt werden dürfte. Auch sei ein Widerruf des Urlaubs durch die Betriebsvereinbarung in diesem Fall ausgeschlossen. Der Verfügungskläger hat beantragt, der Verfügungsbeklagten aufzugeben, ihm in der Zeit vom 10.05.2004 bis 20.05.2004 und vom 30.05.2004 bis 11.06.2004 Erholungsurlaub zu gewähren. Die Verfügungsbeklagte hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Die Verfügungsbeklagte hat die Auffassung vertreten: Die Betriebsvereinbarung habe den Fall des Widerrufs des Urlaubs aufgrund einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der ersten Jahreshälfte nicht geregelt. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe zu einer automatischen Schrumpfung des Urlaubsanspruchs, so dass auch die zeitliche Festlegung des Urlaubs ohne Bedeutung sei. Dieses sei von ihr auch bereits in der Vergangenheit so praktiziert worden. Durch Urteil vom 06.05.2004 hat das Arbeitsgericht dem Antrag stattgegeben und die Kosten des Verfahrens der Verfügungsbeklagten auferlegt. Den Streitwert hat es auf 1.255,-- EUR festgesetzt. In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Widerruf der Verfügungsbeklagten vom 19.04.2004 sei unwirksam, da die Voraussetzungen für einen wirksamen Urlaubswiderruf nicht vorgelegen hätten. Mit E-mail vom 07.05.2004 hat die Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger Folgendes mitgeteilt: Sehr geehrter Herr F2xxxxx, wir genehmigen Ihnen den Urlaub für den Zeitraum 10.05.2004 bis 20.05.2004. Allerdings bleibt es zum derzeitigen Zeitpunkt bei dem Widerruf Ihres Urlaubs in der Zeit vom 30.05.2004 bis 11.06.2004. Wir akzeptieren die Entscheidung des Arbeitsgerichts vom 06.05.2004 nicht und werden diese mit Rechtsmitteln angreifen. Gegen das ihr am 17.05.2004 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene arbeitsgerichtliche Urteil hat die Verfügungsbeklagte am 18.05.2004 Berufung eingelegt und diese am 18.05.2004 begründet. Die Verfügungsbeklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Sie stützt sich weiterhin maßgeblich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. In der mündlichen Verhandlung vom 26.05.2004 haben die Parteien übereinstimmend bezüglich des Urlaubsanspruchs des Verfügungsklägers für die Zeit vom 10.05.2004 bis 20.05.2004 die Erledigung der Hauptsache erklärt. Die Verfügungsbeklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 06.05.2004 - 2 Ga 11/04 - abzuändern und den Antrag des Verfügungsklägers zurückzuweisen. Der Verfügungskläger beantragt, die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 06.05.2004 - 2 Ga 11/04 - zurückzuweisen. Der Verfügungskläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen. Entscheidungsgründe: A. Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten ist teilweise begründet. I. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist zulässig. Nach herrschender Meinung (vgl. BAG, Urteil vom 22.01.1998 - 2 ABR 19/97 - NZA 1998, 708; LAG Köln, Urteil vom 17.03.1995 - 13 Sa 1282/94 - AR-Blattei ES "Saisonarbeit" Nr. 2; LAG Hamburg, Urteil vom 15.09.1989 - 3 Sa 17/89 - LAGE § 7 BUrlG Nr. 26; LAG Berlin, Urteil vom 20.05.1985 - 9 Sa 38/85 - LAGE § 7 BUrlG Nr. 9; ErfK-Dörner, 3. Aufl., § 7 BUrlG Rz. 55; anderer Auffassung z.B. Leinemann/Linck, 2. Aufl., § 7 BUrlG Rz. 93 ff mit einem Überblick über den Meinungsstand) ist der Arbeitnehmer nach §§ 935, 940 ZPO berechtigt, seinen Urlaubsanspruch im Wege der einstweiligen Verfügung durchzusetzen. Um dem Arbeitnehmer einen effektiven Rechtsschutz gegen den Arbeitgeber zu gewährleisten, der sich zu Unrecht weigert, dem Arbeitnehmer zu dem gewünschten Termin Urlaub zu gewähren, ist es gerechtfertigt, bei Vorliegen einer besonderen Eilbedürftigkeit die einstweilige Verfügung zuzulassen, die den Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer für einen von ihm gewünschten Zeitraum Urlaub zu gewähren. II. Der Antrag ist auch teilweise begründet. Der Verfügungskläger kann lediglich die Freistellung für die Zeit vom 30.05.2004 bis 11.06.2004 verlangen. 1. Ein Urlaubsanspruch des Verfügungsklägers bestand für die Zeit vom 30.05.2004 bis zum 11.06.2004 zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht mehr. Scheidet ein Arbeitnehmer nach erfüllter Wartezeit in der ersten Jahreshälfte aus dem Arbeitsverhältnis aus, so entsteht zunächst mit Beginn des Jahres der volle Urlaubsanspruch. Die gesetzlich normierte anteilige Kürzung in § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG erfolgt dann zu dem Zeitpunkt, in dem feststeht, dass der Arbeitnehmer in der ersten Jahreshälfte aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet (vgl. BAG, Urteil vom 09.06.1998 - 9 AZR 43/97 - NZA 1999, 80; BAG, Urteil vom 24.10.2000 - 9 AZR 610/99 - NZA 2001, 663; Leinemann/Linck, a.a.O., § 5 BUrlG Rz. 37; ErfK/Dörner, 3. Aufl., § 5 BUrlG Rz. 26; Leinemann AuR 1987, 193, 197). Wird das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung beendet, so ist der Zeitpunkt der Kürzung der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Entsteht der Kürzungstatbestand vor Antritt des erteilten Urlaubs, so kann der Arbeitgeber die nicht mehr durch den Urlaubsanspruch gedeckte Freistellungserklärung mit der Folge kondizieren , dass der Arbeitnehmer entgegen seinen ursprünglichen Wünschen zur Arbeit verpflichtet ist (vgl. BAG, Urteil vom 23.04.1996 - 9 AZR 317/95 - AP Nr. 140 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie = NZA 1997, 265; Leinemann/Linck, a.a.O., § 5 Rz. 54). 2. Im vorliegenden Fall ist die gesetzliche Kürzung des Vollurlaubs erst mit Zugang der Kündigung der Verfügungsbeklagten vom 14.05.2004 am 15.05.2004 erfolgt. Die Verfügungsbeklagte war erst nach diesem Zeitpunkt gemäß § 812 Abs. 1 BGB berechtigt, die Urlaubserteilung für die Zeit vom 30.05. bis zum 11.06.2004 zurückzunehmen. Schon aus diesem Grund konnte der mit E-mail vom 19.04.2004 erklärte Widerruf der Urlaubserteilung bezüglich dieses Urlaubs noch keine Wirkung entfalten. Die Kondizierung erfolgte erst mit Zugang der Berufungsschrift in diesem einstweiligen Verfügungsverfahren vom 18.05.2004 am 24.05.2004. Aus dem Berufungsantrag und seiner Begründung wird der Wille der Verfügungsbeklagten erkennbar, dass sie die Urlaubserteilung zurücknehmen will. 3. Im Rahmen der bei einer Leistungsverfügung erforderlichen Interessenabwägung ist angesichts der gegebenen Umstände das Interesse des Klägers an einer Freistellung für die Zeit vom 30.05.2004 bis 11.06.2004 höher zu bewerten als das Interesse der Verfügungsbeklagten an einer Ablehnung der Freistellung. Die Freistellung führt nicht zu einer unbilligen wirtschaftlichen Belastung der Verfügungsbeklagten. Nach der dargelegten Rechtslage kann der Verfügungskläger keine Urlaubsvergütung verlangen. Gründe die gegen die Freistellung als solche sprechen, hat die Verfügungsbeklagte weiter nicht vorgetragen. Auf der anderen Seite ist das Interesse des Verfügungsklägers zu berücksichtigen, dass er an einer Veranstaltung in Frankreich teilnehmen will, die nur zu diesem Zeitpunkt stattfindet. Weiter ist zu berücksichtigen, dass es ihm in der verbleibenden Zeit bis zum Urlaub - weniger als eine Woche - nicht möglich und nicht zumutbar sein wird, die für den Urlaub getroffenen Organisations- und Durchführungsmaßnahmen rückgängig zu machen. Die Verfügungsbeklagte muss sich vorhalten lassen, dass sie die Verzögerung zu vertreten hat. Wie sich aus dem Widerruf vom 19.04.2004 ergibt, stand für sie eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Verfügungsklägers zum 30.06.2004 schon fest. Sie hatte es in der Hand, die Kondiktionslage durch die Zustellung einer Kündigung eintreten zu lassen. Tatsächlich hat sie eine wirksame Rücknahme erst erklärt im einstweiligen Verfügungsverfahren in der Berufungsinstanz am 24.05.2004. B. Nach alledem hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 a, 92 ZPO. Soweit die Parteien übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt haben, hat die Verfügungsbeklagte die Kosten zu tragen. Nach § 91 a ZPO entscheidet das Gericht über die Kosten bei einer übereinstimmenden Erledigung der Hauptsache unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen. Zum Zeitpunkt der Erledigung war der Antrag zulässig und begründet. Die Verfügungsbeklagte hatte mit E-mail vom 07.05.2004 dem Verfügungskläger für den Zeitraum 10.05.2004 bis 20.05.2004 Urlaub gewährt und damit auch den Urlaubsanspruch anerkannt. Hinsichtlich der Entscheidung über den Urlaubsanspruch für den Zeitraum vom 30.05.2004 bis 11.06.2004 waren die Kosten beiden Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen. Nach § 72 Abs. 4 ArbGG findet gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Verfügung entschieden worden ist, die Revision nicht statt.

Ende der Entscheidung

Zurück