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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 27.08.2002
Aktenzeichen: 19 (11) Sa 1167/01
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 611 Abs. 1
KSchG § 1
Die auf der Grundlage eines Prämienabrechnungssystems ermittelte Durchschnittsleistung, die keinen Prämienanspruch auslöst, ist kein für die Bewertung der individuellen Leistung eines Arbeitnehmers geeigneter Maßstab.
Landesarbeitsgericht Hamm Im Namen des Volkes Urteil

Geschäfts-Nr.: 19 (11) Sa 1167/01

Verkündet am 27.08.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 19. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 27.08.2002 durch den Richter am Arbeitsgericht Dr. Wessel als Vorsitzenden sowie die ehrenamtliche Richterin Kohlstadt und den ehrenamtlichen Richter Benner

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Wesentlichen um die rechtliche Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung.

Der 54-jährige Kläger, der einer Person zum gesetzlichen Unterhalt verpflichtet ist, steht seit Februar 1980 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin in einem Arbeitsverhältnis als Kommissionierer. Konkrete Aufgabe des Klägers ist es, mit Hilfe eines sogenannten Flurförderfahrzeugs Warengebinde aus verschiedenen Regalen herauszuziehen und in die auf dem Fahrzeug befindlichen Behälter zu verladen.

Die Beklagte, die regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, hatte mit Wirkung zum 01.03.1999 von der Firma C2 o1 KG u.a. das Hauptlager übernommen, in dessen Frischecenter der Kläger tätig war und ist.

Für den Betrieb der Beklagten besteht ein Betriebsrat.

Das Entgelt der Kommissionierer setzt sich zusammen aus einer Grundvergütung und einer Prämie. Letztere wird gezahlt, sofern die Arbeitnehmer die in einem Prämienabrechnungssystem festgelegte sogenannte Normalleistung von 1,0 überschreiten. Dem Prämienabrechnungssystem der Beklagten liegt ein von einer Unternehmensberatungsfirma erstellter Planzeitenkatalog zu Grunde, der jede einzelne Kommissioniertätigkeit erfasst, bewertet und auf eine Basisleistung umrechnet. Den aus diesen Daten ermittelten gewichtigen Durchschnitten für jede Funktion war in der Regel je 4 % sachliche und 4 % persönliche Verteilzeit zugeschlagen worden. Bei der Aufnahme der Ist-Zeiten waren Arbeitnehmer unterschiedlicher Leistungsstärke nach dem Prinzip stark - mittel - schwach beobachtet und deren Zeiten gemessen worden. Der aus diesen Werten gebildete Mittelwert sollte für das Planzeiten- und Prämienabrechnungssystem maßgeblich sein und die Normalleistung widerspiegeln.

Die Leistungswerte des Klägers nach dem Planzeiten- und Prämienabrechnungssystem lagen 1999 zwischen 0,57 und 0,62. In Gesprächen im Mai und August 1999 wies die Beklagte den Kläger auf dessen nicht ausreichende Leistungen hin und mahnte ihn schriftlich unter dem 12.11.1999 wegen seiner Minderleistung ab. Nachdem sich eine Leistungssteigerung nicht eingestellt hatte, forderte die Beklagte den Kläger in einem weiteren Gespräch am 03.02.2000 auf, seine Arbeitsleistung auf mindestens 100 % zu steigern. Mangels Eintritts der gewünschten Leistung erteilte die Beklagte dem Kläger unter dem 28.04.2000 eine weitere Abmahnung.

Mit Schreiben vom 28.08.2000, dem Kläger am 30.08.2000 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 28.02.2001.

Der Kläger hat sich mit am 18.09.2000 eingereichter Klage gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses als sozial ungerechtfertigt gewandt. Die Beklagte habe die Schlecht- bzw. Minderleistung nicht schlüssig dargelegt. Es fehle bereits an einem verwertbaren Vergleichsmaßstab. Die Beklagte habe bei der Erstellung des Prämienabrechnungssystems anerkannte arbeitswissenschaftliche Grundsätze nicht beachtet. Nicht beachtet habe die Beklagte auch seine langjährige Betriebszugehörigkeit und sein Lebensalter, welches erheblich über dem seiner Kollegen liege. Auch erreiche die Mehrheit der "überdurchschnittlich" arbeitenden Mitarbeiter dieses Ziel nur durch tägliche unbezahlte Überstunden. Schließlich hat der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestritten. Diesem hätten über das Schreiben vom 22.08.2000 hinaus keine weiteren Unterlagen vorgelegen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 28.08.2000 nicht beendet wird,

2. für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Bedingungen als Kommissionierer weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Kündigung für sozial gerechtfertigt gehalten und sich für ihre Rechtsansicht auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26.09.1991 (2 AZR 132/91) bezogen. Der Kläger erbringe, abgestellt auf die Normalleistung, eine um etwa 40 bis 50 % niedrigere Leistung. Bezogen auf die Durchschnittsleistung sei seine Leistung noch niedriger. Hierfür weiterhin das volle Entgelt zahlen zu müssen, sei ihr auf Dauer nicht zumutbar. Der Betriebsrat sei mit Schreiben vom 22.08.2000 über die Kündigungsabsicht informiert worden; ihm sei zudem der gesamte Kündigungssachverhalt bekannt gewesen.

Das Arbeitsgericht Dortmund hat Beweis erhoben zu den Umständen der Anhörung des Betriebsrats durch uneidliche Vernehmung des Personalleiters K3xx-H1xxx S6xxxxxxx und des Kraftfahrers G3xxxxx G4xx als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.02.2001 (Bl. 50 bis 53 d.A.) verwiesen.

Durch Urteil vom 20.06.2001 hat das Arbeitsgericht Dortmund der Klage stattgegeben. Es hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet wurde und gleichzeitig die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers zu unveränderten Bedingungen als Kommissionierer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verurteilt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das erstinstanzliche Gericht im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, da die Beklagte eine kündigungsrelevante Minder- bzw. Schlechtleistung des Klägers nicht substantiiert dargelegt habe. Die Beklagte könne die Kündigung nicht darauf stützen, dass der Kläger in den Jahren 1999 und 2000 lediglich Leistungen unterhalb des Vergleichsmaßstabs der Normalleistung im Sinne des Prämienabrechnungssystems erbracht habe. Denn die Normalleistung sei als abstrakte Berechnungsgröße nicht gleichbedeutend mit der sich aus § 611 BGB ergebenden Leistungspflicht. Darüber hinaus sei die auf Grund des Prämienabrechnungssystems ermittelte Durchschnittsleistung aller Kommissionierer kein für die individuelle Leistung des Klägers geeigneter Vergleichsmaßstab, weil dies dem durch die Einführung der Prämienregelung geschaffenen Anreizsystem widerspreche. Auch sei ein Kündigungsgrund nicht durch den Hinweis darauf schlüssig dargetan, bei der Normalleistung nach dem Prämienabrechnungssystem handele es sich um einen Mittelwert, der auf Grund einer Aufnahme der Ist-Zeiten von Arbeitnehmern unterschiedlicher Leistungsstärken ermittelt worden sei. Hier fehle es an jeglicher Substantiierung dazu, wie viele Arbeitnehmer über welchen Zeitraum hinweg wie häufig beobachtet worden seien, ob die Altersstruktur Berücksichtigung gefunden habe und wie vorab die Leistungsstärke der einzelnen Arbeitnehmer festgestellt worden sei. Auf Grund der Unwirksamkeit der Kündigung sei der Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Bedingungen als Kommissionierer weiterzubeschäftigen.

Gegen das ihr am 05.07.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit dem beim Landesarbeitsgericht am 06.08.2001 (Montag) eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach bewilligter Fristverlängerung bis zum 08.10.2001 - mit dem am 05.10.2001 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Berufung rügt, dass das angefochtene Urteil die Anforderungen verkenne, die die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an die Festlegung einer Minderleistung eines Arbeitnehmers stellt. Die Beklagte weist darauf hin, dass ihr Planzeiten- und Prämienabrechnungssystem mit Zustimmung des Betriebsrats eingeführt worden sei. Weiter führt sie aus, die Leistung eines Arbeitnehmers richte sich zwar nach seinem individuellen Leistungsvermögen; dies bedeute indes nicht, dass der Arbeitnehmer einen Freibrief habe, sondern zur Arbeit unter angemessener Anspannung seiner Kräfte und Fähigkeiten verpflichtet sei. Die Beklagte ist der Ansicht, dass sich die vom Arbeitnehmer geschuldete Leistung mangels einzelvertraglicher Absprache im Wege des Direktionsrechts durch die Normalleistung bestimmen lasse, die sich als Durchschnittsleistung - ohne Prämienanspruch - aus dem eingeführten Prämiensystem ergebe. Zumindest spreche eine Vermutung dafür, dass diese Durchschnittsleistung die geschuldete arbeitsvertragliche Leistung sei. Es sei Sache des Klägers, der über einen Zeitraum von zwei Jahren nicht einmal 60 % der Normalleistung aller Kommissionierer aufweise, darzulegen, warum er diese Normalleistung nicht erreichen könne. Das Prämienabrechnungssystem sei unter Einbeziehung von 32 Arbeitnehmern innerhalb eines Zeitraums von sechs bis acht Wochen mit Hilfe verschiedener Bewertungskriterien erstellt worden. Der Kläger habe im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern keine höhere Arbeitsqualität; die Arbeitsleistung stehe nicht mit seinem Alter in Zusammenhang.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 20.06.2001 - 5 Ca 4705/00 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er führt aus, die Durchschnittsleistung aller Arbeitnehmer sei kein Maßstab für das individuelle Leistungsvermögen einzelner Arbeitnehmer, da in die Durchschnittsleistung auch die Leistungen der Arbeitnehmer einflössen, die auf Grund des Prämiensystems Leistungen erbringen, die über die Normalleistung hinausgehen. Eine einzelvertragliche Regelung, dass der Arbeitnehmer eine über sein individuelles Leistungsvermögen hinausgehende Leistung zu erbringen habe, sei nicht möglich; schon gar nicht könne dies im Wege des Direktionsrechts bestimmt werden. Auch aus der Bestimmung der Refa-Normalleistung ergebe sich nicht die von ihm - dem Kläger - zu erbringende individuelle Leistung. Hierzu habe die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen. Offensichtlich nehme das Prämiensystem keine Rücksicht auf Arbeitnehmer, die lediglich in der Lage seien, eine geringere individuelle Leistung zu erbringen. Die von den Betriebsparteien in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen müssten schließlich nicht unbedingt zutreffend sein.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG; § 193 BGB; §§ 518, 519 ZPO, in der bis zum 31.12.2001 geltenden jeweiligen Gesetzesfassung, § 26 Ziff. 5 EGZPO).

II.

In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg, so dass die Berufung hinsichtlich Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsantrag insgesamt zurückzuweisen ist.

1) Die ordentliche Kündigung des nach Maßgabe der §§ 1 Abs. 1, 23 KSchG kündigungsgeschützten Arbeitsverhältnisses des Klägers ist weder aus verhaltensbedingten noch aus personenbedingten Gründen - dringende betriebliche Gründe kommen nicht in Betracht - sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Der rechtzeitig innerhalb der dreiwöchigen Frist des § 4 KSchG erhobenen Feststellungsklage ist stattzugeben.

a) Die Beklagte erhebt gegenüber dem Kläger zum einen den Vorwurf der Minderleistung und bezieht sich zum anderen zur Begründung ihrer Kündigung ausdrücklich auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26.09.1991 (2 AZR 132/91, NZA 1992, 1073), die sich ihrerseits mit einem Fall der krankheitsbedingten Leistungsminderung befasst. Berühren Kündigungsgründe zwei (oder gar alle drei) der im Gesetz aufgeführten Bereiche (sog. Mischtatbestände), richtet sich der gerichtliche Prüfungsmaßstab danach, aus welchem der im Gesetz genannten Bereiche die Störung, die sich nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirkt, primär herrührt (BAG vom 31.01.1996 - 2 AZR 158/95 -, EzA § 626 BGB Druckkündigung Nr. 3; BAG vom 21.11.1985 - 2 AZR 21/85 -, NZA 1986, 713). Indes kann die Qualifikation eines Kündigungsgrundes als personen- und/oder verhaltensbedingt grundsätzlich offen bleiben, da eine rechtliche Sonderbehandlung lediglich für die betriebsbedingte Kündigung in Betracht kommt (KR-Etzel, 6. Aufl., § 1 KSchG, Rdnr. 255).

Gleichwohl ist mit dem erstinstanzlichen Gericht davon auszugehen, dass die Gründe, auf die die Beklagte ihre Kündigung stützt, in ihrem Schwerpunkt die dem Kläger vorgeworfene Schlecht- oder Minderleistung betreffen. Denn in erster Linie behauptet die Beklagte eine Minderleistung des Klägers, die auf fehlendem Leistungswillen beruht. Dies verdeutlicht die Tatsache, dass die Beklagte die Leistungsdefizite des Klägers durch zwei Schreiben in den Jahren 1999 und 2000 vergeblich abgemahnt hat. Die Minderleistung ist dem steuerbaren Verhalten des Klägers zuzurechnen. Störquelle ist nicht eine fehlende Qualifikation, sondern das Verhalten des Klägers, seine Nachlässigkeit in Bezug auf die zu erbringende Arbeitsleistung. Unzureichende Leistungen in Form von Schlecht- oder Minderleistung vermögen eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn die Leistung des Arbeitnehmers außerhalb hinzunehmender Toleranzgrenzen liegt (Nägele in: Tschöpe, Arbeitsrecht, Teil 3 D Rdnr. 182). Dabei darf es sich bei der Schlechtleistung nicht um einmalige, jedem einmal unterlaufende Vorfälle handeln; zudem ist eine vorherige, vergebliche Abmahnung zu verlangen.

b) Eine Schlecht- oder Minderleistung kann jedoch nur angenommen werden, wenn die Leistung des Arbeitnehmers weit hinter seinem Normalwert zurückbleibt (vgl. LAG Berlin, Urteil vom 20.12.1962 - 4 Sa 28/62 -, DB 1963, 524; LAG Baden-Württemberg - Kammer Stuttgart -, Urteil vom 27.06.1963 - 4 Sa 13/63 -, DB 1963, 1436; KR-Etzel, 6. Aufl., § 1 KSchG Rdnr. 470; Nägele in: Tschöpe, Arbeitsrecht, Teil 3 D Rdnr. 182).

aa) Problematisch ist die Ermittlung des Normalleistungswerts eines durchschnittlichen Arbeitnehmers. Es stellt sich hier die Frage nach dem Maßstab der gemäß § 611 Abs. 1 BGB geschuldeten Leistung. In dem Zusammenhang kann offen bleiben, ob die geschuldete Leistung in der bloßen Zurverfügungstellung der Arbeitskraft oder in der Arbeit selbst besteht (einerseits von Stebut, RdA 1985, 66 (70(; andererseits MünchArbR/Blomeyer, 2. Aufl., § 48 Rdnr. 4). Jedenfalls hat nach herrschender Meinung der Arbeitnehmer grundsätzlich die Leistung zu erbringen, die er bei angemessener Anspannung seiner geistigen und körperlichen Kräfte auf Dauer ohne Gefährdung seiner Gesundheit zu leisten imstande ist. Seine Leistung - Arbeitstempo und Arbeitsintensität - richtet sich mithin nach seinem individuellen Leistungsvermögen, nicht jedoch nach dem objektiven Maßstab des § 243 Abs. 1 BGB (BAG vom 17.03.1988 - 2 AZR 576/87 -, AP Nr. 99 zu § 626 BGB; MünchArbR/Blomeyer, 2. Aufl., § 48 Rdnr. 66; a.A. KR-Etzel, 6. Aufl., § 1 KSchG Rdnr. 448 unter Berufung auf ArbG Berlin vom 29.02.1996 - 38 Ca 24076/95 -, AiB 1997, 358). Aus diesem subjektiven Leistungsbegriff folgt für den Arbeitnehmer eine dynamische Leistungspflicht: Ist er in der Lage, überdurchschnittliche Leistungen zu erbringen, stellt dies seine Leistungspflicht dar. Auf der anderen Seite genügt derjenige, der nur zu unterdurchschnittlichen Leistungen fähig ist, damit seiner Arbeitspflicht (ErfKomm/Preis, 2. Aufl., § 611 BGB Rdnr. 918). Arbeitet der Arbeitnehmer in einem Prämienlohnverfahren, verletzt er durch eine mindere Leistung seine individuelle Arbeitspflicht, wenn er seine Arbeitskraft bewusst zurückhält und nicht unter angemessener Anspannung seiner Kräfte und Fähigkeiten arbeitet (BAG, Urteil vom 20.03.1969 - 2 AZR 283/68 -, AP Nr. 27 zu § 123 GewO).

bb) Nach diesen Vorgaben hat es die Beklagte nicht vermocht, eine kündigungsrelevante Minderleistung des Klägers substantiiert darzutun.

(1) Vergleichsmaßstab der vom Kläger geschuldeten Arbeitsleistung ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht die "Normalleistung", die sich als Durchschnittsleistung aus dem bei der Beklagten eingeführten Prämiensystem ergibt. Das Bundesarbeitsgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 20.03.1969 (2 AZR 283/68) ausdrücklich judiziert, dass die in einem Prämienberechnungssystem festgelegte "Normalleistung" als Eingangsstufe der Prämienlohnregelung lediglich eine abstrakte Wertvorstellung darstellt, aus der sich die Leistungspflicht des Arbeitnehmers nicht ergibt. Diese ergebe sich vielmehr individuell aus seinen Fähigkeiten (§ 611 BGB). Die Normalleistung nach dem bei der Beklagten geltenden Prämienabrechnungssystem kann daher nicht gleichgesetzt werden mit der geschuldeten individuellen Normalleistung des Klägers.

(2) Auch ist die Durchschnittsleistung aller nach dem Prämiensystem arbeitenden Arbeitnehmer kein geeigneter Maßstab für das individuelle Normalleistungsvermögen des einzelnen Arbeitnehmers. In die so verstandene Durchschnittsleistung fließen nämlich auch die Leistungen der Arbeitnehmer ein, die auf Grund des betrieblichen Prämienabrechnungssystems über die Normalleistung hinausgehende Leistungen erbringen. Die nach den individuellen Fähigkeiten zu bestimmende Arbeitspflicht stellt aber nicht auf die Spitzen-, sondern auf die Durchschnittsleistung ab.

Auch der Hinweis der Beklagten, das Planzeiten- und Prämienabrechnungssystem sei mit Zustimmung des bei ihr bestehenden Betriebsrats eingeführt worden, kann nichts daran ändern, dass die als Eingangsstufe für die Prämienberechnung festgelegte "Normalleistung" eine nur abstrakte Rechengröße bleiben muss. Es existiert auch kein Erfahrungssatz dahingehend, dass Feststellungen der Betriebsparteien geeignet sind, die zutreffende Ermittlung der geschuldeten Normalleistung zu garantieren.

(3) Die von der Beklagten angezogenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 26.09.1991 - 2 AZR 132/91 -, NZA 1992, 1073 (1076() und des Landesarbeitsgerichts Köln (Urteil vom 28.10.1997 - 13 Sa 635/97 -, n.v.) führen nicht weiter.

Das Bundesarbeitsgericht setzt in seinem Urteil vom 26.09.1991, welches eine Kündigung wegen krankheitsbedingter Leistungsminderung betrifft, bereits eine Normalleistung voraus, um deren Ermittlung es vorliegend gerade geht. Auch die landesarbeitsgerichtliche Entscheidung vom 28.10.1997 verhält sich nicht über eine sich aus einem Prämienabrechnungssystem ergebende Normalleistung, sondern erörtert - im Ergebnis mit der vorliegenden Entscheidung übereinstimmend - die Kriterien einer Normalleistung.

(4) Dem Arbeitsgericht ist darin zu folgen, dass die auf der Grundlage des Prämienabrechnungssystems ermittelte Durchschnittsleistung - ohne einen Prämienanspruch auszulösen - aller bei der Beklagten beschäftigten Kommissionierer kein für die Bewertung der individuellen Leistung des Klägers geeigneter Maßstab ist und die Beklagte diese Durchschnittsleistung auch nicht im Wege des Direktionsrechts nach § 315 BGB als geschuldete Leistung bestimmen kann. Denn das Prämiensystem bezweckt letztlich die Schaffung von Anreizen für die Arbeitnehmer, Arbeitsleistungen zu erbringen, die über die mit der Grundvergütung abgegoltenen Leistungen hinausgehen. Das System stellt dagegen keinen brauchbaren Maßstab dar, um mit Hilfe der aus ihm errechneten Durchschnittsleistung aller Kommissionierer die individuelle Leistungsverpflichtung im Sinne des § 611 Abs. 1 BGB zu ermitteln. Hierbei ist es auch nicht entscheidungserheblich, dass die Beklagte als Durchschnittsleistung diejenige begreift, die noch keinen Prämienanspruch auslöst. Insoweit kann der Vortrag der Beklagten dazu, wie sie im Einzelnen die Normalleistung (als vom Kläger geschuldete Leistung) ermittelt hat, nämlich nicht überzeugen.

Darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen von Leistungsmängeln ist nach § 1 Abs. 1 Satz 4 KSchG der Arbeitgeber, der die einzelnen Leistungsmängel dabei so konkret wie möglich zu bezeichnen hat; das gilt auch für den herangezogenen Vergleichsmaßstab (KR-Etzel, 6. Aufl., § 1 KSchG Rdnr. 449).

Zwar hat die Beklagte vorgetragen, sie habe innerhalb eines Zeitraums von sechs bis acht Wochen 32 Arbeitnehmer in die von ihr angestellte Untersuchung zur Ermittlung eines Prämienabrechnungssystems einbezogen, wobei deren Leistungsgrad zwischen 0,80 und 1,40 gelegen habe. Die so ermittelte Normalleistung habe sie als die grundsätzlich von einem Arbeitnehmer geschuldete Leistung im Wege des Direktionsrechts festsetzen dürfen. Hiermit genügt die Beklagte ihrer Darlegungspflicht zur Überzeugung der Kammer nicht. Es fehlen insbesondere nähere Angaben zu der angeblich über mehrere Wochen durchgeführten Untersuchung einer bestimmten Anzahl von Arbeitnehmern. Unklar sind geblieben die Beobachtungsdichte der Arbeitnehmer in zeitlicher Hinsicht, die der Festlegung der vermeintlichen Normalleistung vorausgegangen ist, und die Bewertungskriterien zur Ermittlung des Leistungsgrads. Soweit die Beklagte hier auf die sogenannte Refa-Normalleistung hinweist, entbindet sie das nicht von jeglicher Substantiierungspflicht hinsichtlich der als Ausgangspunkt ihrer Untersuchung zugrunde gelegten Leistungskriterien. Die Kammer vermochte daher Minderleistungen des Klägers im Sinne eines erheblichen Abweichens vom individuellen Leistungsvermögen und somit einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG nicht festzustellen.

Einer umfassenden Interessenabwägung, die bei der Beurteilung der Sozialwidrigkeit auch einer verhaltensbedingten Kündigung alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen hat - vorliegend etwa das Alter des Klägers -, bedarf es mangels Vorliegens eines Kündigungsgrundes nicht mehr.

2) Da sich die Kündigung sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 KSchG erweist, kann unentschieden bleiben, ob die Beklagte den Betriebsrat vor Kündigungsausspruch in gesetzesmäßiger Weise nach § 102 Abs. 1 BetrVG beteiligt hat. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme sind allerdings Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Anhörung der Arbeitnehmervertretung nicht ersichtlich.

3) Die Sozialwidrigkeit der Kündigung vom 28.08.2000 löst gemäß Artikel 1, 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit §§ 242, 611 BGB den Anspruch des Klägers aus, zu unveränderten Arbeitsvertragsbedingungen als Kommissionierer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiterbeschäftigt zu werden; ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Nichtweiterbeschäftigung des Klägers ist nicht erkennbar (BAG vom 27.02.1985 - GS 1/84 -, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht).

III.

Da die Beklagte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt hat, sind ihr gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung aufzuerlegen.

IV.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zuzulassen. Höchstrichterlich noch nicht entschieden ist die Frage, ob die nach § 611 BGB geschuldete Arbeitsleistung bestimmbar ist anhand der sich aus einem Prämiensystem ergebenden Durchschnittsleistung, wenn diese keinen Prämienanspruch auslöst.

Ende der Entscheidung

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