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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.05.2007
Aktenzeichen: 2 Sa 1830/06
Rechtsgebiete: BetrVG, KSchG, InsO


Vorschriften:

BetrVG § 102 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2 Satz 1
KSchG § 1 Abs. 3 Satz 1
KSchG § 1 Abs. 3 Satz 3
InsO § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
InsO § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 11.07.2006 - 2 Ca 792/06 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der von dem Beklagten aufgrund eines Interessenausgleichs mit Namensliste ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigungen vom 15.03. und 27.03.2006.

Die am 02.04.1956 geborene Klägerin, die verheiratet ist und gegenüber drei Personen unterhaltspflichtig ist, war seit dem 16.07.1975 bei der in W1 ansässigen V1 e1 W1 GmbH bzw. deren Rechtsvorgängerin als Montagearbeiterin gegen eine monatliche Vergütung von zuletzt 1.865,00 € brutto tätig. Über das Vermögen der V1 e1 W1 GmbH wurde am 01.09.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser schloss mit dem Betriebsrat nach längeren Verhandlungen am 13.03.2006 einen Interessenausgleich mit Namensliste, auf der sich auch Name der Klägerin befindet. Der Interessenausgleich verhält sich über einen umfangreichen Personalabbau der bisher beschäftigten 352 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die soziale Auswahl erfolgte zur Herstellung einer ausgewogenen Altersstruktur unter Zugrundelegung eines fünfstufigen Altersgruppenmodells. Die Belegschaft der Insolvenzschuldnerin setzte sich danach wie folgt zusammen:

 Jahre Altersgruppe Anzahl in %
bis 24 1 8 2,27
25 bis 34 2 34 9,66
35 bis 44 3 64 18,18
45 bis 54 4 192 54,55
ab 55 5 54 15,34
Summen 352 100,00

Nach dem mit dem Betriebsrat abgestimmten Konzept waren

- in den Altersgruppen 1 und 2 keine,

- in der Altersgruppe 3 rund 30 % des Personals,

- in der Altersgruppe 4 rund 50 % des Personals und

- in der Altersgruppe 5 rund 75 % des Personals

zur Kündigung vorgesehen.

Die Klägerin war im Bereich der manuellen Bestückung von Baugruppen tätig. Von den 33 in dieser Arbeitsgruppe beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entlassen. Jeweils ein Mitarbeiter dieser Arbeitsgruppe gehörte der Altersgruppe 1 und 2 an, drei Mitarbeiter der Altersgruppe 3, 25 Mitarbeiter der Altersgruppe 4 und drei Mitarbeiter der Altersgruppe 5. Von den 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Altersgruppe 4 waren 13 zur Kündigung vorgesehen. Hinsichtlich der sozialen Kriterien verständigten sich die Parteien unter Zugrundelegung eines Punktschemas auf die Berücksichtigung von Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung. Für das Lebensalter wurde unter Abzug des mit 22 Jahren jüngsten Mitarbeiters jeweils ein Punkt vergeben. Jedes vollendete Jahr der Betriebszugehörigkeit wurde ebenfalls mit einem Punkt bewertet und die Unterhaltspflicht pro Kind mit vier Punkten.

Die Klägerin erreichte danach 61 Sozialpunkte. Weiterbeschäftigt worden sind die Mitarbeiterinnen W5 und A3, die 53 bzw. 58 Sozialpunkte erreichen. Frau W5 ist auf die Namensliste gesetzt worden, weil sie als Wahlbewerberin für den Betriebsrat besonderen Kündigungsschutz genießt. Bezüglich der Mitarbeiterin A3 verweist der Beklagte auf den den Betriebsparteien eingeräumten Gestaltungsspielraum. Weiterbeschäftigt wird ebenfalls die am 14.03.1955 geborene Mitarbeiterin S4, die eine Betriebszugehörigkeit von 19 Jahren aufzuweisen hat, aber als Schwerbehinderte besonderen Kündigungsschutz genießt.

Die Klägerin hält die durchgeführte Sozialauswahl für grob fehlerhaft. Sie hat vorgetragen, sie sei für ihre 20 und 23 Jahre alten Kinder, die noch bei ihr zu Hause wohnten, unterhaltspflichtig. Der Sohn arbeite allerdings befristet bei einer Leihfirma. Darüber hinaus unterstütze sie ihre Eltern, die Sozialhilfe bezögen. Es sei ihr unverständlich, warum die Mitarbeiterin W5 als Kandidatin zur Betriebsratswahl schützenswerter sei als sie. Darüber hinaus habe nicht nur die Mitarbeiterin A3, sondern auch die Mitarbeiterin K1 eine geringere Anzahl Sozialpunkte aufzuweisen. Frau K1 ist am 08.01.1955 geboren, verheiratet und ist seit dem 04.06.1974 im Betrieb der Insolvenzschuldnerein tätig. Sie erreicht 59 Sozialpunkte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 11.07.2006 antragsgemäß festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen des Beklagten vom 15.03.2006 und 27.03.2006 nicht aufgelöst worden ist. Es hat den Beklagten verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen. Hinsichtlich des erweiterten Fortbestandsantrags hat es die Klage abgewiesen und die Kosten zu 2/3 dem Beklagten und zu 1/3 der Klägerin auferlegt. Auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird Bezug genommen.

Mit der Berufung will der Beklagte die Abweisung der Klage in vollem Umfang erreichen. Seine gegen die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 15.03.2006 gerichtete Berufung hat er zurückgenommen. Den Weiterbeschäftigungsantrag haben die Parteien in der Berufungsinstanz übereinstimmend für erledigt erklärt, weil die Klägerin nach Übergang des Betriebes auf die Firma W3 GmbH weiterbeschäftigt wird.

Zur Begründung seines Rechtsmittels trägt der Beklagte vor, anders als vom Arbeitsgericht angenommen sei die Sozialauswahl nicht deshalb grob fehlerhaft, weil die Klägerin zu den leistungsstärksten Arbeitnehmerinnen ihrer Gruppe gehöre. Der absolute Kündigungsschutz der Wahlbewerberin W5 lasse eine Kündigung anstelle der Klägerin nicht zu. Frau S4 sei einer schwerbehinderten Person gleichgestellt und deshalb von einer Kündigung ausgenommen worden. Der geringe soziale Abstand der Klägerin zu den Mitarbeiterinnen K1, A3 und M2 führen nicht zur Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl. Wie im Interessenausgleich vereinbart, hätten die Betriebsparteien ihr Auswahlermessen ausgeübt. Dabei hätten auch Leistungsgesichtspunkte eine Rolle gespielt. Es sei nicht belegt, dass die Klägerin zu den leistungsstärksten Personen ihrer Vergleichsgruppe gehöre. Vor Ausspruch der Kündigung vom 27.03.2006 sei der Betriebsrat ordnungsgemäß gehört worden und habe dies ihm gegenüber mit Schreiben vom 22.03.2006 bestätigt.

Der Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Bochum vom 11.07.2006 - 2 Ca 762/06 - die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Gegenseite zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt dem Vorbringen des Beklagten entgegen. Sie trägt ergänzend vor, der Beklagte habe die soziale Auswahl unter Verstoß gegen die von ihm selbst aufgestellten Beurteilungskriterien vorgenommen, denn er habe als weiteres Kriterium für die Personalauswahl auch die individuelle Leistungsfähigkeit und Einsatzmöglichkeit des Mitarbeiters berücksichtigt. Da sie zu den leistungsstärksten Arbeitnehmerinnen ihrer Gruppe gehöre, hätte die soziale Auswahlentscheidung bei sachgerechter Ausübung des Auswahlermessens nicht zu ihren Lasten ausfallen dürfen. Neben den erstinstanzlich von ihr benannten Mitarbeiterinnen K1 und A3 wiese auch die Mitarbeiterin M2 eine geringere Punktzahl als sie auf und sei daher ebenfalls sozial weniger schützenswert. Sie halte es im Übrigen für eine unzulässige, weil europarechtswidrige Altersdiskriminierung, wenn aus der Altersgruppe 4 50 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezuggenommen. Mit Schriftsatz vom 11.05.2007 hat der Beklagte ergänzend das Anhörungsschreiben vom 20.03.2006 nebst Anlagen zu der Gerichtsakte gereicht.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Die gegen die Kündigung vom 27.03.2006 gerichtete Feststellungsklage der Klägerin ist abzuweisen.

I.

In der Berufungsinstanz war nur noch über die Wirksamkeit der Kündigung vom 27.03.2006 zu entscheiden, nachdem der Beklagte die Berufung bezüglich der vom Arbeitsgericht festgestellten Unwirksamkeit der Kündigung vom 15.03.2006 zurückgenommen hat und die Entscheidung des Arbeitsgerichts insoweit rechtskräftig geworden ist. Den Weiterbeschäftigungsantrag haben die Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt.

1. Die Kündigung des Beklagten vom 27.03.2006 ist aus dringenden betrieblichen Erfordernissen, die eine Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegenstehen, gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt. Die Betriebsbedingtheit der Kündigung ist gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO zu vermuten, denn es ist zwischen den Betriebsparteien ein Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen worden, auf der sich auch der Name der Klägerin befindet. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutungswirkung sind gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO erfüllt, denn der Interessenausgleich ist wegen einer Betriebseinschränkung im Sinne von § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG geschlossen worden. Tritt die gesetzliche Vermutung nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ein, brauchte der beklagte Insolvenzverwalter zur Rechtfertigung der Kündigung keine weiteren Tatsachen vorzutragen (BAG vom 07.05.1998 - 2 AZR 536/97 NZA 1998, 933; BAG vom 21.02.2002 - 2 AZR 581/00 EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 10). Da die Klägerin keine der Vermutung der Betriebsbedingtheit widersprechenden Tatsachen dargelegt hat, ist somit vom Vorliegen eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG auszugehen.

2. Eine grob fehlerhafte soziale Auswahl gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO kann nicht festgestellt werden. Aufgrund der namentlichen Benennung der Klägerin in der Namensliste des Interessenausgleichs vom 13.03.2006 kann die soziale Auswahlentscheidung nur bezüglich der sozialen Kriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden. Sie ist gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Halbs. InsO nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird.

Die eingeschränkte Überprüfbarkeit bezieht sich auf den gesamten Vorgang der sozialen Auswahl und nicht nur auf die Gewichtung der sozialen Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Sanierung insolventer Unternehmen durch Kündigungserleichterungen gefördert werden. Deshalb ist der individuelle Kündigungsschutz zu Gunsten einer kollektiv-rechtlichen Regelungsbefugnis der Betriebsparteien eingeschränkt worden (BAG vom 07.05.1998 - 2 AZR 536/97 NZA 1998, 933; BAG vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02; MünchKommInsO-Löwisch/Caspers § 125 Rn. 85; Uhlenbruck/Berscheid InsO 12. Aufl. § 125 Rn. 42).

Grob fehlerhaft ist eine soziale Auswahl gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO nur dann, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt (BAG vom 17.11.2005 - 6 AZR 107/05 DB 2006, 844 und vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02 NZA 2004, 432). Sind die sozialen Daten Alter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten im Wesentlichen berücksichtigt worden, kann von einer großen Fehlerhaftigkeit nur in krassen Ausnahmefällen die Rede sein (vgl. dazu BAG vom 02.12.1999 - 2 AZR 757/98 DB 2000, 1338).

a) In Anwendung dieser Grundsätze kann bei einem Vergleich der Klägerin mit den sozialen Daten der Mitarbeiterinnen K1, A3, M2 und S4 nicht von einer groben Verkennung der sozialen Schutzbedürftigkeit gesprochen werden. Bereits ohne Anwendung des Maßstabes der groben Fehlerhaftigkeit steht dem Arbeitgeber nach der gesetzlichen Konzeption ein Wertungsspielraum zu. Es geht nicht darum, ob der Arbeitgeber nach den Vorstellungen des Gerichts die bestmögliche Sozialauswahl vorgenommen hat. Weil der Arbeitgeber gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG die sozialen Daten nur "ausreichend" berücksichtigen muss, kann er bei der Gewichtung der sozialen Kriterien einen Wertungsspielraum in Anspruch nehmen. Die von ihm getroffene Auswahlentscheidung muss nur vertretbar sein. Dies schließt andere, ebenfalls mögliche Auswahlentscheidungen nicht aus. Nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer können die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl mit Erfolg rügen (BAG vom 05.12.2002 - 2 AZR 549/01 NZA 2003, 791).

Ist die gerichtliche Überprüfung der sozialen Auswahl wie vorliegend noch weiter eingeschränkt, sind die hier vorliegenden geringen Unterschiede nicht geeignet, die soziale Auswahl als grob fehlerhaft zu qualifizieren. Die sozialen Verhältnisse der Klägerin und der Arbeitnehmerinnen K1, A3 und M2 sind annähernd gleich. Frau A3 und Frau M2 sind fasst vier Jahre älter als die Klägerin und haben eine ähnlich lange Betriebszugehörigkeit aufzuweisen. Frau K1 ist ein Jahr jünger als die Klägerin, dafür aber ein Jahr länger beschäftigt. Bei derart geringen Unterschieden bezüglich Alter und Betriebszugehörigkeit kann die getroffene soziale Auswahlentscheidung schon bei Anlegung des normalen Maßstabes gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht als fehlerhaft bezeichnet werden. Unter dem deutlich reduzierten Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit kann auch in Ansehung der Unterhaltspflichten der Klägerin nicht von einer groben und auffälligen Verkennung der sozialen Schutzbedürftigkeit gesprochen werden.

Es ist auch nicht als grob fehlerhaft zu beanstanden, dass Frau S4 weiterbeschäftigt worden ist. Sie ist etwas älter als die Klägerin, hat aber eine deutlich geringere Betriebszugehörigkeit aufzuweisen. Nach den gesetzlichen Vorgaben gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG muss der Arbeitgeber aber als weiteres soziales Kriterium die Schwerbehinderteneigenschaft berücksichtigen. Ob es allein die gemäß § 85 SGB IX erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes rechtfertigt, Frau S4 nicht in den Kreis der sozial auszuwählenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzubeziehen, kann offen bleiben. Es ist jedenfalls keine grob fehlerhafte Auswahlentscheidung, wenn Frau S4 wegen ihrer Gleichstellung als sozial besonders schutzbedürftig angesehen worden ist.

Nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen war die Arbeitnehmerin W5, weil ihr Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden konnte. Fehlt dem Arbeitgeber wie hier die rechtliche Möglichkeit, gegenüber einer Arbeitnehmerin wirksam eine betriebsbedingte Kündigung zu erklären, kann ein gekündigter Arbeitnehmer nicht mit Erfolg geltend machen, nicht sein Arbeitsverhältnis, sondern das einem besonderen Kündigungsschutz unterliegende Arbeitsverhältnisses eines ansonsten vergleichbaren Arbeitnehmers hätte gekündigt werden müssen. Als Wahlbewerberin genoss Frau W5 gemäß § 15 Abs. 3 KSchG besonderen Kündigungsschutz. Dieses gesetzliche Kündigungsverbot geht dem allgemeinen Kündigungsschutz als spezialgesetzliche Regelung vor (BAG vom 21.04.2005 - 2 AZR 241/04 NZA 2005, 1307; BAG vom 17.11.2005 - 6 AZR 118/05 NZA 2006, 370). Auch in der Insolvenz des Arbeitgebers genießen Wahlbewerber besonderen Kündigungsschutz, denn § 125 InsO ist lediglich gegenüber § 1 KSchG lex specialis, aber nicht im Verhältnis zu § 15 KSchG (BAG vom 17.11.2005 - 6 AZR 118/05 NZA 2006, 370).

b) Die Klägerin rügt ohne Erfolg die aufgrund von Altersgruppen durchgeführte soziale Auswahl. Die Betriebsparteien waren aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Halbsatz InsO ausdrücklich legitimiert, zur Korrektur von personalpolitischen Fehlentwicklungen in der Vergangenheit eine ausgewogene Personalstruktur nicht nur zu erhalten, sondern herzustellen. Der Begriff "Personalstruktur" umfasste die hier von den Betriebsparteien gewählte Altersgruppenbildung. Ob er sich weitergehend auch auf die Zusammensetzung der Belegschaft nach Ausbildung, Qualifikation und dergleichen erstreckt, kann offen bleiben. Es ist jedenfalls allgemein anerkannt, dass der Insolvenzverwalter gestützt auf § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. Halbsatz InsO eine ausgewogene Altersstruktur dergestalt anstreben kann, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen älteren und jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geschaffen wird. Dies kann insbesondere dann in Betracht gezogen werden, wenn wie hier der Anteil der älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überproportional angestiegen ist. Nahezu 70 % der Belegschaft waren älter als 45 Jahre. Demgegenüber lag der Anteil der jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zum 34. Lebensjahr nur bei knapp 12 %. Das Anliegen der Betriebsparteien, das Verhältnis der älteren zu den jüngeren Mitarbeitern auszugleichen und den Erfordernissen einer leistungsfähigen Belegschaft anzupassen, ist daher nachvollziehbar und wird durch den gesetzlich eingeräumten Gestaltungsspielraum der Betriebsparteien legitimiert. Es darf nämlich nicht verkannt werden, dass der Gesetzgeber die Einschränkung des individuellen Kündigungsschutzes deshalb für vertretbar gehalten hat, weil den Interessen der Belegschaft durch die Mitwirkung des Betriebsrates Rechnung getragen wird. Vorliegend weisen schon die langen Verhandlungen über das Zustandekommen eines Interessenausgleichs und die Mitwirkung der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft auf eine verantwortungsbewusste Wahrnehmung der Belegschaftsinteressen im Hinblick auf eine Sanierung und Fortführung des insolventen Unternehmens hin.

Die Bildung von fünf Altersgruppen mit den gewählten Altersabständen lässt weder Willkür noch grobe Fehlerhaftigkeit erkennen. Die Vorgehensweise bei der Ermittlung der auswahlrelevanten Gruppen und die Durchführung der sozialen Auswahl ist sachbezogen und stimmt mit Konzepten überein, die auch in der Literatur vertreten werden und von der Rechtsprechung gebilligt worden sind (vgl. dazu Zwanziger, Das Arbeitsrecht in der Insolvenzordnung, 3. Aufl. § 125 InsO Rn. 60, 61; Uhlenbruck/Berscheid InsO 12. Aufl. § 125 Rn. 63 - 67; BAG vom 23.11.2000 - 2 AZR 533/99 - NZA 2001, 601; BAG vom 20.04.2005 - 2 AZR 201/04 - BB 2005, 2083). Wie vom Beklagten unwidersprochen dargestellt, sind zunächst Vergleichsgruppen nach der ausgeübten Tätigkeit gebildet worden. Die auswahlrelevanten Gruppen sind in die genannten fünf Altersgruppen unterteilt und sodann ist innerhalb der jeweiligen Altersgruppe die soziale Auswahlentscheidung durchgeführt worden.

c) Zu Unrecht rügte die Klägerin, es stelle eine unzulässige Altersdiskriminierung dar, dass aus der Altersgruppe 4 50 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen worden seien. Es kann offen bleiben, ob auch insoweit der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit anzuwenden ist (sowohl die herrschende Meinung vgl. BAG vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02 - NZA 2004, 432; Schrader, NZA 1997, 70, 74; KR-Weigand 8. Aufl. § 125 InsO Rn. 25; aA Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 3. Aufl., § 125 Rn. 58; Nerlich/Römermann/Hamacher InsO Stand März 2004 § 125 Rn. 56). Die Klägerin hat nämlich keine weiteren Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer aus anderen Altersgruppen benannt, die statt ihrer vorrangig hätten entlassen werden müssen. Ebenso wenig hat sie gerügt, der Beklagte sei seiner Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz KSchG nicht nachgekommen. Die Klägerin hat im Streitfall gemäß § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG die grobe Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl darzulegen und zu beweisen. Das Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste ändert an der gesetzlichen Darlegungs- und Beweislastverteilung nichts. Die Klägerin hat auch nicht gerügt, der Beklagte sei seiner Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz KSchG nicht oder nicht genügend nachgekommen. Deshalb hätte die Klägerin andere nicht gekündigte Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer benennen müssen, um eine weitergehende Überprüfung der sozialen Auswahl zu ermöglichen (vgl. dazu BAG vom 07.05.1998 - 2 AZR 536/97 - NZA 1998, 933 = ZIP 1998, 1809; BAG vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/05 - unter II 3. b bb der Gründe, NZA 2004, 432). Eine etwaige Fehlbeurteilung durch den Arbeitgeber führt nur dann zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn sie tatsächlich zu einem falschen Ergebnis führt und die Sozialauswahl entscheidungserheblich beeinflusst hat. Auch eine Sozialauswahl, die von unzutreffenden Überlegungen ausgeht, kann zu einem richtigen Ergebnis führen (BAG vom 15.06.1989 - 2 AZR 580/88 - NZA 1990, 226; BAG vom 23.11.2000 - 2 AZR 533/99 - NZA 2001, 601 sowie BAG vom 18.10.2006 - 2 AZR 473/05 - NZA 2007, 509). Daher kommt es darauf an, ob sich der dem Beklagten vorgeworfene Fehler auf die Sozialauswahl ausgewirkt hätte und die Klägerin bei der Einbeziehung weiterer nicht gekündigter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sozial deutlich schutzwürdiger gewesen wäre.

d) Die Klägerin rügt zu Unrecht, der Beklagte habe sich bei der Ausfüllung des von ihm in Anspruch genommenen Beurteilungsspielraums nicht an die von ihm selbst genannten Kriterien gehalten, denn als leistungsstärkste Arbeitnehmerin hätte sie weiterbeschäftigt werden müssen. Der Beklagte hat nämlich ihre Behauptung, sie gehöre zu den Leistungsträgern, in Abrede gestellt und sich auf seinen gesetzlichen Wertungsspielraum berufen. Die Klägerin verkennt, dass es Sache des Arbeitgebers bzw. der Betriebsparteien ist, ob Leistungsträger gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG aus berechtigten betrieblichen Interessen nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen sind. Eine etwaige Bindung des Beklagten an eine Auswahlrichtlinie im Sinne von § 95 BetrVG ist nicht eingetreten. Der Beklagte hat vielmehr bereits in seinem erstinstanzlichem Vortrag auf die geringen sozialen Unterschiede hingewiesen und geltend gemacht, im Rahmen des bestehenden Wertungsspielraums seien auch Leistungsgesichtspunkte eingeflossen. Eine grobe Verkennung der sozialen Schutzbedürftigkeit kann demgemäß nicht festgestellt werden.

e) Unerheblich ist ferner der Einwand der Klägerin, die Altersgruppenbildung sei europarechtlich unzulässig. Die Kündigung ist vor Inkrafttreten des AGG ausgesprochen worden. Es ist daher zweifelhaft, ob die Richtlinie 2000/78/EG unmittelbar zur Anwendung kommen kann. Im Übrigen wird die Auffassung vertreten, dass der Schutz jüngerer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rahmen der Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf zur Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur als legitimer Grund anzuerkennen ist, weil darin eine zulässige besondere Entlassungsbedingung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 a der Richtlinie zu erblicken ist (Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht 6. Aufl. Art. 3 GG Rn. 16 c). Selbst wenn die Altersgruppenbildung europarechtlich unzulässig wäre, folgt daraus nicht die Sozialwidrigkeit der Kündigung, weil die Klägerin keine Arbeitnehmerinnen der Arbeitnehmer benannt hat, die statt ihrer hätten entlassen werden müssen.

3. Der Betriebsrat ist vor Ausspruch der Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß unterrichtet worden. Dies ergibt sich aus der von der Beklagten eingereichten Bestätigung des Betriebsrats vom 22.03.2006 (Anlage b 7 Bl. 50 d. A.). Dem in der zweiten Instanz nachgereichten Anhörungsschreiben vom 20.03.2006 ist unzweifelhaft zu entnehmen, dass der Betriebsrat auch zur Kündigung der Klägerin angehört worden ist. Die umfassende Kenntnisse des Betriebsrates von den Kündigungsgründen folgt aus dem Interessenausgleich mit Namensliste, der ein Volumen von 600 Seiten aufweist.

II

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Beklagte seine Berufung bezüglich der Kündigung vom 15.03.2006 zurückgenommen hat. Andererseits hätte die Klägerin mit dem für erledigt erklärten Weiterbeschäftigungsantrag nicht obsiegt.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, da die entscheidungserheblichen Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind.

Ende der Entscheidung

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