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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 25.04.2007
Aktenzeichen: 2 Sa 945/06
Rechtsgebiete: ZPO, InsO


Vorschriften:

ZPO § 240 Satz 1
ZPO § 250
InsO § 86 Abs. 1 Nr. 3
Ein Kündigungsschutzverfahren kann vom klagenden Arbeitnehmer gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO gegen den Insolvenzverwalter aufgenommen werden, wenn der Bestand des Arbeitsverhältnisses über den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinaus geltend gemacht wird. Dies gilt auch dann, wenn der Insolvenzschuldner die Kündigung vor Insolvenzeröffnung ausgesprochen hat (im Anschluss an BAG vom 18.10.2006 - 2 AZR 563/05, ZIP 2007, 745 = NZI 2007, 300).
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 26.04.2006 - 3 Ca 418/05 - wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 31.01.2005 nicht fristlos aufgelöst worden ist, sondern bis zum 30.09.2005 fortbestanden hat.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 6.261,04 € festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses.

Der am 15.08.1949 geborene Kläger war seit dem 16.04.1971 bei der Baufirma W1 B4 & S2 GmbH bzw. deren Rechtsvorgängerinnen als Einschaler gegen eine monatliche Vergütung von zuletzt 3.130,52 € tätig.

Über das Vermögen der Firma W1 B4 & S2, die zuletzt 14 Arbeitnehmer beschäftigte, wurde am 12.05.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

Bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens kündigte die Insolvenzschuldnerin mit Zustimmung des Beklagten als damaligen vorläufigen Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 17.01.2005 außerordentlich zum 31.01.2005 mit der Begründung, es sei beim Amtsgericht Bielefeld eine vorläufiges Insolvenzverfahren anhängig. Die Bemühungen zur Gründung einer Auffanggesellschaft hätten sich nicht verwirklichen lassen, so dass der Geschäftsbetrieb zum 31.01.2005 eingestellt werde. Hilfsweise wurde die Kündigung zum nächst möglichen Zeitpunkt ausgesprochen.

Gegen diese und die weitere Kündigung der Insolvenzschuldnerin vom 31.01.2005, die ebenfalls fristlos, hilfsweise fristgerecht ausgesprochen worden ist, wendet sich der Kläger mit der vorliegenden am 07.02.2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage. Er will den Bestand seines Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30.09.2005 feststellen lassen. Streitig ist, ob der Kläger den Rechtsstreit gegen den Beklagten aufnehmen konnte.

Der Beklagte räumt die Nichteinhaltung der einschlägigen Kündigungsfristen ein und macht geltend, der Geschäftsbetrieb des Bauunternehmens sei zum 31.01.2005 vollständig eingestellt worden.

Der Rechtsstreit war gemäß § 240 ZPO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen. Mit Schriftsatz vom 20.12.2005 hat der Kläger die Aufnahme des Verfahrens gegen den Beklagten beantragt. Der Beklagte hat sich mit der Fortsetzung des Verfahrens nicht einverstanden erklärt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 26.04.2006 als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Zulässigkeit der Klage stünde gemäß §§ 86 InsO, 240 ZPO die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entgegen. Die gemäß § 240 ZPO eingetretene Unterbrechung sei nicht beendet. Eine Aufnahme des Rechtsstreits komme nicht in Betracht, denn das Kündigungsschutzverfahren betreffe keine Massenverbindlichkeit i.S.v. § 86 Abs. 1 Ziffer 3 InsO. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

Mit seiner Berufung will der Kläger eine Entscheidung über den Bestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist erreichen. Zur Begründung seines Rechtsmittels trägt er vor, das Arbeitsgericht lasse unberücksichtigt, dass der Beklagte aus den unwirksamen Kündigungen Rechte herleite, indem er das Entstehen von Massenverbindlichkeiten unter Hinweis auf die angebliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestreite. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts betreffe das Verfahren Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 InsO. Der anderslautenden Auffassung des Arbeitsgerichts könne nicht gefolgt werden.

In der Berufungsverhandlung hat der Kläger erklärt, die Kündigung vom 17.01.2005 werde nicht mehr angegriffen, weil sie von der Insolvenzschuldnerin mit Zustimmung des Beklagten am 25.01.2005 zurückgenommen worden sei.

Der Kläger beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 31.01.2005 nicht fristlos beendet worden ist, sondern bis zum 30.09.2005 fortbestanden hat.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg. Die Klage ist zulässig und begründet.

I

Die Aufnahme des Rechtsstreits gegen den Beklagten ist gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 240, 250 ZPO, 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO zulässig.

1. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin am 12.05.2005 war der vorliegende Rechtsstreit soweit er die Unwirksamkeit der Kündigungen vom 17.01. und 31.01.2005 betrifft gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlor die Arbeitgeberin des Klägers, die Firma W1 B4 & S2 GmbH, gemäß § 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über ihr Vermögen. In bezug auf das insolvenzbefangene Vermögen hatte die Insolvenzschuldnerin damit ihre Prozessführungsbefugnis verloren (Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., Rdnr. 8; BAG vom 18.10.2006 - 2 AZR 563/95 unter II 1 a der Gründe, ZIP 2007, 745 = NZI 2007, 300).

Die Verfahrensunterbrechung tritt gemäß § 240 Satz 1 ZPO aber nur ein, wenn die Insolvenzmasse, d.h. das gesamte pfändbare Vermögen des Schuldners zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§§ 35, 36 InsO) betroffen ist (Zöller-Greger, ZPO, 25 Aufl., § 240 Rdnr. 8). Der Verfahrensgegenstand muss zur Insolvenzmasse gehören. Die Insolvenzmasse ist in diesem Sinne betroffen, wenn der Rechtsstreit zumindest einen mittelbaren Bezug zur Insolvenzmasse hat. Das ist der Fall, wenn im Falle eines Obsiegens des Klägers vermögensrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden können. Deshalb betrifft eine Kündigungsschutzklage die Insolvenzmasse, wenn sie den Weg für einen vermögensrechtlichen Anspruch und damit für eine Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit ebnet (vgl. BGH vom 27.03.1995 - 2 ZR 140/93, NJW 1995, 1750; Zwanziger, Das Arbeitsgericht der Insolvenzordnung, 3. Aufl., § 185 InsO Rdnr. 8; ErfK/Müller-Glöge, 7. Aufl., Einführung Insolvenzordnung Rdnr. 20; BAG vom 18.10.2006 - 2 AZR 563/05, ZIP 2007, 745 = NZI 2007, 300). Das ist hier der Fall, denn vom Ausgang der Feststellungsklage hängen zahlreiche vermögensrechtliche Ansprüche des Klägers wie beispielsweise Vergütungsfortzahlung ab, die als Insolvenz- oder als Masseforderung geltend gemacht werden können.

2. Ein gemäß § 240 ZPO unterbrochenes Verfahrens kann nach den Vorschriften der Insolvenzordnung aufgenommen werden (§§ 85 bis 87 InsO). Bei Passivprozessen richtet sich die Aufnahme nach § 86 InsO. Gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO können Rechtsstreitigkeiten, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner anhängig sind, sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Gegner aufgenommen werden, wenn sie eine Masseverbindlichkeit betreffen. Zu den Masseverbindlichkeiten zählen gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 die Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Arbeitsverhältnisse bestehen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Deshalb können durch die vorliegende Kündigungsschutzklage Masseverbindlichkeiten betroffen sein, weil von der Wirksam- bzw. Unwirksamkeit der Kündigung abhängt, ob das Arbeitsverhältnis über den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinaus fortbesteht (Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 3. Aufl., § 185 Rdnr. 19; Gottwald-Heinze/Bertram, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl., § 106 Rndr. 158; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 86 Rdnr. 11; nunmehr ausdrücklich auch BAG vom 18.10.2006 - 2 AZR 563/05 unter II 2 b der Gründe, ZIP 2007, 745 = NZI 2007, 300). Vorliegend ist die angegriffene Kündigung zwar vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgesprochen worden, streitig ist aber die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 12.05.2005. Vom Ausgang des Rechtsstreits sind daher Vergütungsansprüche gemäß § 615 BGB abhängig, die für den Zeitraum 12.05. bis 30.09.2005 gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO als Masseverbindlichkeiten zu berichtigen sind. In Literatur und Rechtsprechung besteht daher Übereinstimmung, dass in diesen Fällen der Arbeitnehmer des Kündigungsschutzprozesses den Rechtsstreit gegen den Insolvenzverwalter gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO aufnehmen kann. Die Aufnahme gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist nur fraglich, wenn im Falle eines der Feststellungsklage stattgebenden Urteils ausschließlich Insolvenzforderungen begründet werden könnten (dazu im Einzelnen BAG vom 18.10.2006 - 2 AZR 563/05, ZIP 2007, 745 = NZI 2007, 300).

3. Der Feststellungsantrag ist auch der Sache nach begründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die dem Kläger am 04.02.2005 zugegangene Kündigung der Insolvenzschuldnerin vom 31.01.2005 erst mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB mit Ablauf des 30.09.2005 beendet worden. Die außerordentliche Kündigung vom 31.01.2005 ist unwirksam, denn die Stilllegung des Betriebes ist kein Grund für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB (ErfK/Müller-Glöge, 7. Aufl., § 626 BGB Rdnr. 120).

4. Aus der Kündigung vom 17.01.2005 kann der Beklagte keine Rechte herleiten, denn sie ist am 25.01.2005 mit seiner Zustimmung von der Insolvenzschuldnerin zurückgenommen worden. Die Rücknahme ist unstreitig, denn der Beklagte ist dem Vortrag des Klägers nicht gemäß § 138 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO entgegen getreten.

II

Der Beklagte hat gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Streitwert hat sich in der Berufungsinstanz infolge der Begrenzung des Feststellungsantrags auf die ordentliche Kündigung geändert und ist mit zwei Monatsverdiensten veranschlagt worden.

III

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, denn die hier streitigen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Die Zulässigkeit der Aufnahme eines unterbrochenen Kündigungsschutzprozesses durch den Arbeitnehmer wird auch in der Literatur nicht abweichend beurteilt.

Ende der Entscheidung

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