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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 18.06.2007
Aktenzeichen: 2 Ta 661/06
Rechtsgebiete: ArbGG, SGB II


Vorschriften:

ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3
ArbGG § 5 Abs. 1 Satz 1
ArbGG § 5 Abs. 1 Satz 2
SGB II § 15 Abs. 1 Satz 2
SGB II § 16 Abs. 3 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 18.07.2006 - 4 Ca 15/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 859,50 € festgesetzt.

Gründe:

I

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Vergütungszahlung für den Zeitraum 08.08.2005 bis 15.10.2005 in Höhe von 2.865,00 € in Anspruch mit der Behauptung, zwischen den Parteien habe in dem genannten Zeitraum ein vergütungspflichtiges Arbeitsverhältnis als Busfahrer bestanden. Der Kläger behauptet, er sei von der Beklagten aufgrund einer von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten Stellenausschreibung als Busfahrer gegen eine vereinbarte Tagespauschale von 50,00 bzw. 75,00 € eingestellt worden.

Die Beklagte wendet ein, es sei kein Arbeitsverhältnis begründet worden, sondern es habe durch Vermittlung der Jobagentur E1xxxx-R4xx Regionalstelle W2xxxx eine Eingliederungsmaßnahme gemäß § 16 Abs. 2 SGB II stattgefunden.

Unstreitig ist, dass der Kläger ab dem 08.08.2005 bis zum 15.10.2005 sowohl für Auslandsbusreisen als auch im Linienverkehr eingesetzt worden ist. Nach dem von der Beklagten unterzeichneten Zeugnis war der Kläger als Praktikant tätig.

Die Beklagte behauptet, die Jobagentur E1xxxx-R4xx habe bei ihr angefragt, ob sie Interesse hätte, Arbeitssuchenden eine Perspektive zur beruflichen Eingliederung zu ermöglichen. Das Konzept der Jobagentur sei ihr von dem Zeugen R2xxxxx wie folgt erläutert worden: Zunächst absolviere der Arbeitnehmer ein für den Arbeitgeber kostenloses Praktikum. Während des Praktikums erhalte der Praktikant Leistungen und Fahrgeld von der Agentur für Arbeit und der Jobzentrale. Der Arbeitgeber könne sich dann entscheiden, ob er den Praktikanten in ein echtes Arbeitsverhältnis übernehme.

Demgegenüber behauptet der Kläger, anders als von der Beklagten dargestellt sei die Jobagentur an der Vermittlung des Arbeitsverhältnisses nicht beteiligt gewesen. Es sei von der Jobagentur auch kein Konzept zur Wiedereingliederung eines Langzeitarbeitslosen vermittelt worden. Er und seine Ehefrau hätten sich auf eine von der Bundesagentur veröffentlichte Stellenanzeige beworben. In dem Inserat sei nicht von einem Praktikum, sondern von der Dauerstellung als Busfahrer die Rede gewesen. Aufgrund des am 04.08.2005 geführten Bewerbungsgespräches sei er von der Beklagten ab 08.08.2005 befristet als Busfahrer eingestellt worden. Erst am Schluss des Einstellungsgespräches sei er von der Beklagten auf eine mögliche Förderung durch die Bundesanstalt angesprochen worden. Daraufhin habe er sich bei der Arbeitsverwaltung nach seiner Rückkehr aus S3xxxxx nach Förderungsmöglichkeiten erkundigt. Der Zeuge R2xxxxx von der Jobagentur habe ihm den Entwurf eines Praktikumvertrages ausgehändigt, den er bei der Beklagten abgegeben habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat zu der Frage, ob der Kläger der Beklagten im Rahmen des § 16 Abs. 3 SGB II oder §§ 48, 49 SGB III zugewiesen worden sei, Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen K1xxxx und R2xxxxx. Auf die darüber gefertigte Vernehmungsniederschrift gemäß Sitzungsprotokoll des Arbeitsgerichts vom 18.07.2006 (Bl. 171 bis 175 d.A.) wird Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten durch Beschluss vom 18.07.2006 für zulässig erklärt und zur Begründung ausgeführt, der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen sei gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG gegeben, weil zwischen den Parteien vom 08.08.2005 bis zum 15.10.2005 ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Das Verhältnis zwischen den Parteien werde nicht durch die Vorschriften des öffentlichen Rechts gemäß SGB II oder SGB III bestimmt, denn es fehle an einer Zuordnung des Klägers zur Beklagten im Rahmen des § 16 Abs. 3 SGB II oder der §§ 48, 49 SGB III. Der Kläger sei der Beklagten nach den Aussagen des Zeugen R2xxxxx und der Zeugin K1xxxx nicht zugewiesen worden. Vielmehr sei ein unentgeltliches Praktikum als konkrete Einarbeitungsphase geplant gewesen. Zwischen den Parteien sei dagegen ein Arbeitsverhältnis begründet worden, denn der Kläger habe in dem fraglichen Zeitraum die üblichen Arbeitsleistungen eines Busfahrers auf einem Vollarbeitsplatz erbracht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Gründe wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen, der der Beklagten am 18.08.2006 zugestellt worden ist.

Dagegen hat die Beklagte

sofortige Beschwerde

eingelegt, die am 22.08.2006 beim Arbeitsgericht eingegangen ist und der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.

Zur Begründung ihres Rechtsmittels trägt die Beklagte vor, anders als vom Arbeitsgericht angenommen sei das zwischen den Parteien bestandene Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur. Der Kläger habe von der Agentur für Arbeit eine Mehraufwandsentschädigung und Arbeitslosengeld II erhalten. Ein Dienstverhältnis oder Arbeitsverhältnis liege nicht vor, wenn jemand eine Tätigkeit ausübe, ohne dafür ein Entgelt zu erhalten.

Der Kläger beantragt,

die sofortige Beschwerde der beklagten Partei gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 18.07.2006 kostenpflichtig abzuweisen.

Der Kläger verteidigt den angefochtenen Beschluss und tritt dem Vorbringen der Beklagten entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II

Die gemäß den §§ 17 a Abs. 4 Satz 2 GVG, 48 Abs. 1 Nr. 2, 78 Satz 1 ArbGG, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Gerichten für Arbeitssachen bejaht. Auf seine zutreffenden Gründe wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen. Mit Rücksicht auf das Vorbringen der Beklagten in der Beschwerdeinstanz ist lediglich folgendes hinzuzufügen:

1. Es handelt sich um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit i.S.v. § 2 ArbGG. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den im Einzelnen aufgeführten Fällen. Ob eine Streitigkeit bürgerlich-rechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Art ist, richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch abgeleitet wird (BAG vom 08.11.2006 - 5 AZB 36/06, NZA 2007, 53 m.w.N.). Zutreffend hatte das Arbeitsgericht das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit verneint, denn zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsverhältnis i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG. Der Kläger ist für die Beklagte als Arbeitnehmer i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG tätig geworden. Mindestens aber war er arbeitnehmerähnliche Person gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG.

Allerdings sind für Rechtsstreitigkeiten zwischen dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und einer privaten Einrichtung als Leistungserbringerin gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II die Sozialgerichte zuständig (BAG vom 08.11.2006 - 5 AZB 36/06, NZA 2007, 53). Eine solche im öffentlichen Interesse liegende Gelegenheit für zusätzliche Arbeiten ist vorliegend zwischen dem Kläger und dem Job-Center (vgl. § 44 b SGB II) aber gerade nicht vereinbart worden. Die Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit für erwerbsfähige Hilfebedürftige gemäß § 16 Abs. 3 SGB II erfolgt regelmäßig im Rahmen einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 2 SGB II über die öffentlich durch Gewährung einer Mehraufwandsentschädigung geförderte Beschäftigung des Arbeitssuchenden. Nur wenn eine Eingliederungsvereinbarung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II vorliegt, wird ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis begründet (BAG vom 08.11.2006 - 5 AZB 36/06 unter III 2. b) aa) der Gründe, NZA 2007, 53; Hauck/Noftz, SGB II, § 15 Rdnr. 11; Schlegel/Voelzke, SGB II, § 15 Rdnr. 22). Eine öffentlich-rechtliche Bereitstellung einer Arbeitsgelegenheit hat es vorliegend nicht gegeben, denn die vom Arbeitsgericht vernommenen Mitarbeiter der Jobagentur haben klipp und klar ausgesagt, dass eine Zuweisung des Klägers an die Beklagte i.S.v. § 16 Abs. 3 SGB II nicht erfolgt sei. Es sei vielmehr um die Ableistung eines Praktikums bzw. eines unentgeltlichen Probearbeitsverhältnisses gegangen. Es habe auch keine Trainingsmaßnahme nach § 48 SGB III gegeben. Der Kläger habe nach der Ableistung eines Praktikums gefragt und sich nach der Möglichkeit eines Lohnkostenzuschusses erkundigt. Gemäß § 16 Abs. 3 SGB II sei dies auch gar nicht möglich gewesen, weil dafür nur angemeldete Stellen in Frage kämen. Die öffentlich-rechtliche Bereitstellung einer Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 Abs. 3 SGB II wäre auch gar nicht zulässig gewesen, weil Arbeitsgelegenheiten nur für im öffentlichen Interesse liegende zusätzliche Arbeiten geschaffen werden dürfen. Die Beklagte hat den Kläger aber zur Bewältigung eines ständig anfallenden Beschäftigungsbedarfs eingesetzt. Das Arbeitsgericht hat daher völlig zu Recht keine öffentlich-rechtliche Bereitstellung einer Arbeitsgelegenheit angenommen.

2. Die öffentlich-rechtliche Natur des Rechtsverhältnisses kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht damit begründet werden, dass der Kläger keine Arbeitsvergütung erhalten, sondern weiterhin Leistungen der Agentur für Arbeit bezogen hat. Die Arbeitsgerichte wären selbst dann zuständig, wenn eine unentgeltliches Praktikum oder ein unentgeltliches Probearbeitsverhältnis vereinbart worden wäre. Auch ein unentgeltlich vereinbartes Praktikum wäre eine Angelegenheit i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG, denn Berufsbildung i.S.d. Berufsbildungsgesetzes ist gemäß § 1 Abs. 1 BBiG auch die Berufsausbildungsvorbereitung, die berufliche Fortbildung und die berufliche Umschulung (vgl. BAG vom 15.10.2003 - 5 AZB 48/03, n.v.).

Selbst wenn die Beklagte wie sie behauptet zunächst nur eine Praktikumstätigkeit angeboten hat, ist der Kläger zumindest als arbeitnehmerähnliche Person gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG anzusehen, weil er wie ein Reisebusfahrer eingesetzt worden ist, auch wenn dem Kläger dabei wie die Beklagte vorträgt die Möglichkeit gegeben worden ist, sich im Rahmen eines Betriebspraktikums Kenntnisse im Reisebusgewerbe sowie im Linienverkehr anzueignen. Allein der Umstand, dass nach der Behauptung der Beklagten eine Vergütung für die geleistete Tätigkeit nicht vereinbart worden sei, steht der Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Arbeitsgerichten nicht entgegen. Darauf hat das Arbeitsgericht zutreffend erneut in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 12.09.2006 hingewiesen.

III

Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes richtet sich nach dem Wert der Hauptsache. Wegen der eingeschränkten Rechtskraft im Rechtswegbestimmungsverfahren sind davon 3/10 in Ansatz gebracht worden.

Ende der Entscheidung

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