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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 30.06.2006
Aktenzeichen: 6 Ta 136/06
Rechtsgebiete: RVG, GKG


Vorschriften:

RVG § 33
GKG § 63
GKG § 68
Im Kündigungsprozess eines Chefarztes ist bei der Streitwertfestsetzung nach § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG nicht nur von den effektiven Gehaltsbezügen auszugehen; sind dem Chefarzt vertraglich ertragreiche Nebentätigkeiten unter Einsatz von Personal und Ausstattung des Krankenhauses gestattet, so ist die Einräumung dieser Betätigungsmöglichkeit angemessen, hier mit 1/3 der Vierteljahreserlöse, zu bewerten. Die maßgeblichen Privatliquidationserlöse sind vorab um die Abgaben an das Krankenhaus und an den Mitarbeiterpool zu kürzen.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers und von Amts wegen wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels der Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 26.01.2006 - 6 Ca 2507/05 - abgeändert.

Der Streitwert wird für das Verfahren auf 38.512,17 EUR festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist ein Streitwertbeschluss.

Die Parteien haben um die Rechtswirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Chefarztes gestritten. Der Kläger bezog als Chefarzt eine jährliche Arbeitsvergütung von 84.000 EUR. Er hatte daneben zuletzt eine Jahreseinnahme aus Privatliquidation (exklusiv der an das Krankenhaus abzuführenden Nutzungsentgelte) in Höhe von 251.645 EUR. Hiervon hatte der Kläger an den Mitarbeiterpool 41.499 EUR abzuführen.

Der Rechtsstreit ist durch beiderseitige Erklärung in der Hauptsache für erledigt erklärt worden. Mit Beschluss vom 05.01.2006 hat das Arbeitsgericht Bielefeld der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Mit Schriftsatz vom 16.01.2006 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers um Streitwertfestsetzung gebeten. Das Arbeitsgericht Bielefeld hat die Parteien und die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 19.01.2006 zur beabsichtigten Streitwertfestsetzung angehört und auf § 32 Abs. 2 RVG iVm. § 63 GKG verwiesen. Mit Schreiben vom 25.01.2006 haben die Prozessbevollmächtigten auf die Notwendigkeit der Festsetzung eines höheren Streitwerts hingewiesen. Mit Beschluss vom 26.01.2006 hat das Arbeitsgericht den Streitwert für das Verfahren im Allgemeinen auf 68.500 EUR festgesetzt, wobei es erneut auf § 32 Abs. 2 RVG iVm. § 63 GKG hingewiesen und eine Rechtsmittelbelehrung nach § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG erteilt hat. Gegen den Streitwertbeschluss haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit dem am 23.02.2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt, die sie auf § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG stützen. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache unverzüglich dem Landesarbeitsgericht vorgelegt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.

II.

1. Das Arbeitsgericht hat den Streitwert auf Antrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers im zutreffenden Verfahren nach § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG iVm. § 63 Abs. 2 S. 2 GKG festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren und damit auch im vorliegenden Rechtsstreit richtet sich nach § 63 Abs. 2 GKG und nicht nach § 33 RVG (GK-ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 362 u. 380), zumal eine Gebühr nach Nr. 8210 GKG KV angefallen ist. Dies gilt auch im Fall der Beendigung des Rechtsstreits durch Vergleich und insoweit selbst für den Mehrwert des Vergleichs (LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 04.04.2005 - 3 Ta 44/05; LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.02.2006 - 3 Ta 23/06; LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 29.12.2000 - 3 Ta 90/00). Im arbeitsgerichtlichen Verfahren kommt nur bei dem Prozesskostenhilfeverfahren und bei dem Beschlussverfahren auf anwaltlichen Antrag eine Streitwertfestsetzung nach § 33 RVG in Betracht. Das Arbeitsgericht hat auch ausdrücklich das Verfahren der Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 2 GKG gewählt. Dies folgt aus den Angaben im Anhörungsschreiben und in dem angefochtenen Beschluss zu den einschlägigen Normen und auch aus der Verfahrensweise, denn das Arbeitsgericht hat die Parteien (unter Einschluss der Beklagten) und die Prozessbevollmächtigten des Klägers angehört, was für die Streitwertfestsetzung nach § 33 RVG im Verhältnis zwischen den Prozessbevollmächtigten des Klägers und dem Kläger fehlerhaft wäre. Die fehlerhafte, nicht an §§ 68 Abs. 1 Satz 3, 62 Abs. 3 Satz 2 GKG orientierte Rechtsmittelbelehrung, die zudem nicht durch richterliche Unterschrift gedeckt ist, rechtfertigt keine andere Wertung aus dem Grundsatz der Meistbegünstigung. Der Grundsatz der Meistbegünstigung hat allein den Zweck, den Parteien die Anfechtung mit dem durch die unrichtige Form der Entscheidung vorgezeichneten Rechtsmittel zu ermöglichen. Das Rechtsmittelgericht braucht aber nicht auf dem vom unteren Gericht eingeschlagenen falschen Weg weiterzugehen. Es darf vielmehr das Verfahren in die Bahn lenken, in die es bei richtiger Entscheidung der Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel gelangt wäre. Das Rechtsmittel richtet sich inhaltlich nach dem materiellen Gehalt der angefochtenen Entscheidung (BAG 26. März 1992 - 2 AZR 443/91; BGH 24. November 1965 - VIII ZR 168/65). Im Streitfall hat das Arbeitsgericht seine Entscheidung unter Anziehung des zutreffenden Verfahrensrechts getroffen, jedoch lediglich eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung erteilt. Durch diese Rechtsmittelbelehrung wird nicht das für die Rechtsmittelinstanz geltende Verfahrensrecht bestimmt.

2. Die Beschwerde ist an sich statthaft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 5 Sätze 1 u. 4 GKG) und nach Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Nichtabhilfe dem Beschwerdegericht vorgelegt worden (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 GKG).

Das Beschwerdeverfahren richtet sich nach § 68 GKG. Das maßgebliche Beschwerderecht bestimmt sich nach den für die Anfechtung der Streitwertentscheidung von der Rechtsordnung vorgesehenen Normen, nicht nach der Wahl oder Fehlbezeichnung der Beschwerdeführer. Doch selbst wenn die Beschwerdeführer das dem Verschlechterungsverbot unterfallende - tatsächlich zwingend gegenüber dem Verfahren nach § 63 GKG subsidiäre - Verfahren nach § 33 RVG wählen könnten, wäre die nach § 63 Abs. 2 GKG getroffene Entscheidung in zweiter Instanz angefallen und von Amts wegen zu korrigieren (vgl. zur Amtspflicht zur Abänderung GK-ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 368).

III.

Die zulässige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Der Streitwert ist auf die Beschwerde und von Amts wegen auf 38.512,17 EUR festzusetzen.

1. Die Bemessung des Streitwerts richtet sich nach § 42 Abs. 4 Satz 1 ArbGG.

Danach ist zunächst der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden "Arbeitsentgelts" des Klägers zu berücksichtigen. Der Betrag des von der Beklagten zu zahlenden Arbeitsentgelts beläuft sich vierteljährlich auf 21.000 EUR.

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ist zusätzlich das chefärztliche Liquidationsrecht angemessen und damit nicht mit dem vollen Wert der vierteljährlichen Liquidationserlöse zu berücksichtigen (LAG Hamm 29.01.1976 - 8 Ta 116/75; LAG Rheinland-Pfalz 18.06.1991 - 4 Ta 107/91).Dem schließt sich die Kammer an. Zwar erfahren mittelbare wirtschaftliche Interessen der klagenden Partei (wie auch das Privatliquidationsrecht) nach allgemeiner Ansicht keine oder nur eine begrenzte Berücksichtigung bei der Streitwertfestsetzung. Die Liquidationserlöse zählen zudem nicht zu den im Austauschverhältnis stehenden Hauptleistungspflichten. Sie sind nicht durch die Beklagte zu leisten. Sie beruhen lediglich auf einem dem Kläger eingeräumten Recht, gleich einer Nebentätigkeit weitere Tätigkeiten in der Einrichtung der Beklagten auf eigene Rechnung unter Abführung von Teilbeträgen an den Krankenhausverein und an die Mitarbeiter zu erbringen. Der Verweis der Prozessbevollmächtigten des Klägers darauf, auch Tantiemeleistungen seien voll bei der Streitwertbemessung zu berücksichtigen, vermag nicht zu überzeugen. Tantiemeleistungen sind von dem Arbeitgeber zu erbringen und stehen daher im Synallagma. Die Erlöse aus der Privatliquidation stammen aber gerade nicht von dem Arbeitgeber. Der weitere Hinweis der Prozessbevollmächtigten des Klägers auf die steuerliche Behandlung von wahlärztlichen Leistungen als Arbeitslohn steht in keinem nachvollziehbaren Zusammenhang mit der Streitwertfestsetzung.

Gleichwohl erscheint es verfehlt, die wirtschaftliche Bedeutung der Privatliquidationserlöse bei der Streitwertfestsetzung völlig außer Ansatz zu lassen. Das Arbeitsverhältnis des Chefarztes und damit auch der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses trotz seitens des Arbeitgebers erklärter Kündigung erhält gerade durch die Möglichkeit zur Privatliquidation eine besondere wirtschaftliche Bedeutung. Die Höhe der Nebentätigkeitserlöse bietet hier eine brauchbare wirtschaftliche Basis für die Mitberücksichtigung des arbeitsvertraglich begründeten Liquidationsrechts bei der Streitwertfestsetzung. Dabei kann aber nur auf die um die Abgaben an den Krankenhausverein und an den Mitarbeiterpool gekürzten Privatliquidationserlöse abgestellt werden, weil sie das relevante Nebeneinkommen bilden. Der Einwand der Prozessbevollmächtigten des Klägers, die Abgaben an den Mitarbeiterpool seinen nicht abzusetzen, weil beim Arbeitsentgelt das maßgebliche Bruttoentgelt zu berücksichtigen sei, geht fehl. Das Bruttoarbeitsentgelt ist die nach § 611 BGB geschuldete Leistung, wobei die Abführungen an das Finanzamt Teilerfüllungen bewirken und die Geltendmachung der erfolgten Abführungen an die Einzugsstelle der Sozialversicherung ebenfalls wie Teilerfüllungen zu behandeln sind (BAG 07. März 2001 - GS 1/00; Ziemann in: FS Schwerdtner, S. 718-720). Durch das Herausrechnen der Abführungen an den Mitarbeiterpool wird aber nur die Basis für den wirtschaftlichen Wert des Rechts zur Privatliquidation gewonnen, was mit der "Bruttoproblematik" nichts zu tun hat. Eben die Vierteljahrserlöse nach der genannten Maßgabe sind "angemessen" zu berücksichtigen. Als angemessen wird die Berücksichtigung mit einer Quote von 1/3 angesehen. Die Festsetzung der Quote mit 1/3 findet ihren Grund darin, dass mittelbare wirtschaftliche Interessen gesetzlich ohne Bewertung bleiben und die Privatliquidationserlöse eben nicht im Synallagma stehen.

2. Die Minderbewertung gegenüber der Streitwertfestsetzung des Arbeitsgerichts kann erfolgen und muss von Amts wegen vorgenommen werden (GK-ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 368), weil das Verschlechterungsverbot im Streitwertfestsetzungsverfahren nach § 63 GKG nicht gilt (Schneider-Herget, Streitwert-Kommentar für den Zivilprozess, 11.A., Rn. 4198; GK-ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 375 mwN.).

Ende der Entscheidung

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