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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 17.04.2007
Aktenzeichen: 6 Ta 145/07
Rechtsgebiete: GKG


Vorschriften:

GKG § 42 Abs. 4 Satz 1
1. Typischen Regelungen zur Beendigung einer Bestandsschutzstreitigkeit und zur Abwicklung eines Arbeitsverhältnisses als unstreitige Konsequenz der Beendigungsvereinbarung rechtfertigen unter Beachtung des sozialpolitischen Zwecks von § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG keine gesonderte Bewertung, sofern sie nicht bereits streitgegenständlich sind. Insbesondere kündigungsabhängige Ansprüche führen zu keinem Mehrwert der Einigung.

2. Ein Titulierungsinteresse begründet einen Wertansatz, wenn dieses im Zusammenhang steht mit der Beseitigung einer Ungewissheit , nicht jedoch, wenn es lediglich um die gerichtliche Beurkundung unstreitiger Forderungen oder die deklaratorische Feststellung von Rechtsfolgen der arbeitsrechtsvertraglichen Rechtsbeziehungen geht. Ein Titulierungsinteresse kann - wenn überhaupt - nur dann zu einem Einigungsmehrwert führen, wenn die Vergleichsregelung einen vollstreckbaren Inhalt hat.


Tenor:

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bocholt vom 13.02.2007 - 3 Ca 20/07 - wird zurückgewiesen.

Der Streitwert wird unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Beschlusses von Amts wegen für den Prozessvergleich vom 13.02.2007 auf 560 EUR festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Bewertung einer Bestandsschutzklage und eines Prozessvergleichs mit den Regelungsgegenständen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Abrechnung und Auszahlung der Urlaubsabgeltung, Erteilung eines einfachen Zeugnisses, Erteilung und Übersendung einer Bescheinigung für die Krankenkasse und Ausgleich aller Ansprüche. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Verfahrensakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist an sich statthaft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 5 Sätze 1 u. 4 GKG) und nach Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Nichtabhilfe dem Beschwerdegericht vorgelegt worden (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 GKG). Sie hat in der Sache geringen Erfolg.

1. Die Streitwertfestsetzung im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren richtet sich nach § 63 Abs. 2 GKG und nicht nach § 33 RVG (ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 362 u. 380). Dies gilt auch im Fall der Beendigung des Rechtsstreits durch Vergleich und insoweit selbst für den Mehrwert des Vergleichs (LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 04.04.2005 - 3 Ta 44/05; LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.02.2006 - 3 Ta 23/06; LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 29.12.2000 - 3 Ta 90/00). Im arbeitsgerichtlichen Verfahren kommt nur bei dem Prozesskostenhilfeverfahren und bei dem Beschlussverfahren auf anwaltlichen Antrag eine Streitwertfestsetzung nach § 33 RVG in Betracht.

2. Für das Verfahren ist der Streitwert von dem Arbeitsgericht zutreffend auf 560 EUR festgesetzt worden.

Der Feststellungsantrag ist nach § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG allenfalls in Höhe des auf die Kündigungsfrist entfallenden anteiligen Monatsentgelts zu bewerten. Das Vierteljahresentgelt bildet nur in den Fällen den Regelwert, in denen es um den uneingeschränkten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geht. Hierfür gibt die Klageschrift nicht genügend her. Zwar enthält der angekündigte Klageantrag keine zeitliche Einschränkung. Bei der Ermittlung des prozessualen Begehrens darf aber nicht beim Wortlaut des Klageantrags verharrt werden, sondern es muss stets auch die Klagebegründung zur Auslegung des Klagebegehrens herangezogen werden. Dabei ist das Vorbringen einer Partei so auszulegen, wie es nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrem Interesse entspricht (BGH Urt. v. 12. Juli 1995 - IV ZR 369/94; BGH Urt. v. 20. Juli 2005 - XII ZR 155/04). Die Auslegung ergibt, dass der Kläger lediglich die Einhaltung der einschlägigen Kündigungsfrist geltend machen wollte. Dies folgt bereits daraus, dass der Kläger nicht einen einzigen Unwirksamkeitsgrund angeführt hat. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand keine sechs Monate, so dass nach § 1 Abs. 1 KSchG keine Überprüfung der Kündigung auf ihre soziale Rechtfertigung in Betracht kam. Sonstige Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich.

3. Der Streitwert für den Prozessvergleich ist ebenfalls auf 560 EUR festzusetzen. Durch den Prozessvergleich wurde der Rechtsstreit beendet. Ein Mehrvergleich liegt jedoch nicht vor.

3.1. Für die Berechnung des Vergleichswerts bzw. des Mehrvergleichswerts existiert keine besondere Vorschrift. Daher ist auf die Ansprüche oder die Rechte abzustellen, die Gegenstand des Vergleichs sind. Deren Bewertung richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften, also nach den §§ 39 ff. GKG und § 3 ff. ZPO unter Berücksichtigung von Ermäßigungsvorschriften wie § 42 GKG (Schneider-Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 12.A., Rn. 5683 f.).

3.2. Nach Nr. 1900 KV GKG liegt ein Mehrvergleich vor, wenn der Wert des Vergleichsgegenstands den Wert des Verfahrensgegenstands übersteigt. Dabei ist Vergleichsgegenstand der vom Vergleich betroffene Gegenstand, nicht etwa der danach geschuldete (Hartmann, Kostengesetze, 37.A., Nr. 1900 KV GKG Rn 7; Schneider-Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 12.A., Rn. 5685).

Voraussetzung ist ein gerichtlicher Vergleich. Dieser erfordert im Gegensatz zur Einigung nach Nr. 1000 VV RVG ein gegenseitiges Nachgeben der Parteien. Es genügt ein Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO (H3xxxxxx, Kostengesetze, 37.A., Nr. 1900 KV GKG Rn. 4). Vergleich ist nach § 779 Abs. 1 ZPO ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird.

Voraussetzung für die Festsetzung eines über den Wert des Verfahrens im Allgemeinen hinausgehenden Einigungs-(mehr-)werts ist, dass im Zusammenhang mit der vergleichsweisen Beilegung des anhängigen Rechtsstreits der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein nicht streitgegenständliches Rechtsverhältnis beseitigt wurde.

3.3. Durch den Prozessvergleich haben die Parteien lediglich den Streit um die streitgegenständliche vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses beigelegt. Über die nicht streitgegenständlichen Ansprüche bestand kein Streit.

3.3.1. Streit meint das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Standpunkte bezüglich des Rechtsverhältnisses (Bamberger/Roth-Schwerdtfeger, BGB, § 779 Rn.12 f.), wobei es um ernsthaft gegenseitige Standpunkte gehen muss (PWW-Brödermann, § 779 Rn. 10). Der Streit kann tatsächlicher oder rechtlicher Natur sein. Ausreichend sind bereits subjektive Zweifel über den Bestand des Ausgangsrechtsverhältnisses (BGH Urt. v. 06.11.1991 - XII ZR 168/90). Es müssen Zweifel beider Parteien über das Ausgangsrechtsverhältnis oder Zweifel einer Partei, die der anderen bekannt sind, vorliegen (Palandt-Sprau, BGB, 65.A., § 779 Rn. 4).

3.3.2. Mit dem Prozessvergleich haben die Parteien nur den Streit um die streitgegenständliche Kündigung beigelegt.

Die Parteien haben dabei zugleich eine Einigung erzielt über einige nicht streitgegenständlichen Regelungsgegenstände (Abrechnung und Auszahlung der Urlaubsabgeltung, Erteilung eines einfachen Zeugnisses, Erteilung und Übersendung einer Bescheinigung für die Krankenkasse und Ausgleich aller Ansprüche). Solche typischen Regelungen zur Beendigung einer Bestandsschutzstreitigkeit und zur Abwicklung eines Arbeitsverhältnisses als unstreitige Konsequenz der Beendigungsvereinbarung rechtfertigen unter Beachtung des sozialpolitischen Zwecks von § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG keine gesonderte Bewertung (vgl. ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 329), sofern sie nicht bereits streitgegenständlich sind. Insbesondere kündigungsabhängige Ansprüche führen zu keinem Mehrwert der Einigung (BAG 20.01.1967 - 2 AZR 232/65; ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 327).

Durch die Aufnahme der nicht streitgegenständlichen Ansprüche in den Prozessvergleich haben die Parteien insoweit keinen Streit über Ansprüche aus dem bisher in seinem Fortbestand streitigen Arbeitsverhältnis beigelegt. Die im Vergleich zusätzlich geregelten Ansprüche waren vor der Einigung nicht aus selbstständigen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen im Streit, sie wurden nur anlässlich der gerichtlichen Streitigkeit geregelt. Die Parteien sind lediglich anlässlich des hier vorliegenden Ausgangsverfahrens zur Auffassung gelangt, eine solche Lösung sei für beide Seiten dienlicher als am Arbeitsverhältnis mit seiner Quelle von neuen Konflikten festzuhalten. Maßgeblich für die Frage eines Einigungsmehrwerts ist, welche Streitfrage durch die Einigung erledigt wurde, nicht der Inhalt der Einigung. Für die Festsetzung eines Mehrwerts, der nur für die Regelung einer nicht anhängigen, aber regelungsbedürftigen Streitfrage in Betracht kommt, nicht aber für den Inhalt der Regelung selbst, auch wenn diese eine Bedingung für den Abschluss Vereinbarung für eine Partei gewesen sein mag, gibt es deshalb keinen Raum (LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 28.10.2002 - 3 Ta 124/02). Der Wert des Vergleichsgegenstandes richtet sich damit allein nach dem Wert der streitgegenständlichen Ansprüche und Rechtsverhältnisse, die durch den Vergleich erledigt werden sollen, nicht aber nach dem Wert der Leistungen, zu denen eine Partei sich im Vergleich verpflichtet; maßgebend ist also nicht, worauf, sondern worüber die Parteien sich verglichen haben (KG Berlin Beschl. v. 18.12.2003 - 12 U 164/02; Bischof/Jungbauer/Podlech-Trappmann, Kompaktkommentar RVG § Nr. 1000 VV RVG zu 2.6.5.).

3.4. Durch den Prozessvergleich haben die Parteien auch keine Ungewissheit im Hinblick auf nicht streitgegenständliche Ansprüche beigelegt.

3.4.1. Ungewissheit wird oft mit dem Streit einhergehen, braucht es aber nicht. Sie kann die gegenwärtige Rechtslage, das Vorliegen bestimmter tatsächlicher Umstände, die künftige Rechtsentwicklung oder den künftigen Eintritt von Tatsachen, insbesondere als Bedingung für den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen, betreffen (Bamberger/Roth-Schwerdtfeger, BGB, § 779 Rn.12 f.).

Im arbeitsgerichtlichen Verfahren kann insbesondere die anstehende Abwicklung des Arbeitsverhältnisses mit einer Ungewissheit verbunden sein (Hartmann, Kostengesetze, 37.A., Nr. 1900 KV GKG Rn 9 f.). Eine Ausgleichsklausel kann z. B. nur den Verfahrensgegenstand betreffen, sie kann aber auch darüber hinaus Gewissheit über das Bestehen und Nichtbestehen von Ansprüchen begründen. Die erstmalige Begründung von Ansprüchen oder die Änderung bestehender Ansprüche rechtfertigt allenfalls einen Wertansatz, wenn dadurch die ernstliche Ungewissheit der Erfüllung der bisherigen Ansprüche beseitigt wird (Hartmann, Kostengesetze, 37.A., Nr. 100 VV RVG Rn 5).

Ein Titulierungsinteresse begründet einen Wertansatz, wenn dieses im Zusammenhang steht mit der Beseitigung einer Ungewissheit (erkennbare, bereits zu prognostizierende Meinungsverschiedenheit - LAG Nürnberg Beschl. v. 14.07.2004 - 6 Ta 2/04; Anhaltspunkte, dass klagende Partei zur Durchsetzung ihrer Ansprüche auf eine Titulierung angewiesen sein würde - LAG Köln Beschl. v. 21.06.2002 - 7 Ta 59/02; besondere Anhaltspunkte für ein Titulierungsinteresse - LAG Schleswig-Holstein Beschl. v. 16.10.2000 - 3 Ta 119/00), nicht jedoch, wenn es lediglich um die gerichtliche Beurkundung unstreitiger Forderungen (ähnl. Hartmann, Kostengesetze, 37.A., Nr. 1900 KV GKG Rn 11; Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar für den Zivilprozess, 12.A., Rn. 5664; a.A. LAG Hessen Beschl. v. 23.04.1999 - 15/6 Ta 426/98) oder die deklaratorische Feststellung von Rechtsfolgen der arbeitsrechtsvertraglichen Rechtsbeziehungen (LAG Düsseldorf Beschl. v. 08.03.2007 - 6 Ta 67/07) geht. Allein die Tatsache, dass eine Partei sich bereit gefunden hat, der Titulierung einer bestehenden oder übernommenen Verpflichtung im Vergleich zuzustimmen, stellt keine Beseitigung einer diesbezüglichen Ungewissheit dar (a.A. LAG Baden-Württemberg Beschl. v. 21.02.2006 - 3 Ta 23/06; Schneider-Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 12.A., Rn. 5283). Die Gebührentatbestände Nr. 1900 KV GKG und Nr. 1000 VV RVG sehen gerade keine Gebühr für die Mitwirkung bei der Einigung über unstreitige und gewisse Ansprüche vor (a.A. noch u.a. LAG Hamm Beschl. v. 21.07.1983 - 8 Ta 160/83; a.A. auch LAG Sachsen Beschl. v. 27.09.2005 - 11 Ta 162/05; LAG Köln Beschl. v. 19.05.2005 - 7 Ta 439/04; KG Berlin Beschl. v. 05.01.2004 - 12 U 157/02; Gerold/Schmidt-von Eicken, VV 1000 Rn. 55; Schneider-Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 12.A., Rn. 5718). Ein Titulierungsinteresse kann des Weiteren nur in Frage kommen, wenn die Vergleichsregelung auch einen vollstreckbaren Inhalt hat (LAG Düsseldorf Beschl. v. 08.03.2007 - 6 Ta 67/07).

3.4.2. Im Streitfall wurde keine Ungewissheit im Hinblick auf nicht streitgegenständliche Ansprüche beigelegt.

Eine tatsächliche oder rechtliche Unsicherheit bezüglich der nicht streitgegenständlichen Regelungsgegenstände ist nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführer haben hierzu auch nichts vorgetragen. Die Parteien haben daher lediglich anlässlich der Beilegung des Streits um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses umfassende Regelungen zur Abwicklung des Arbeitsverhältnisses getroffen.

3.5. Da kein Einigungsmehrwert vorliegt, entspricht der Vergleichswert auch dem Einigungswert für die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG, weshalb insoweit keine gesonderte Festsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG (Schneider-Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 12.A., Rn. 5678) geboten ist.

3.6. Die Minderbewertung gegenüber der Streitwertfestsetzung des Arbeitsgerichts kann erfolgen, weil das Verschlechterungsverbot im Streitwertfestsetzungsverfahren nicht gilt (Schneider-Herget, Streitwert-Kommentar für den Zivilprozess, 12.A., Rn. 4984; ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 375 mwN.). Die Festsetzung kann von Amts wegen erfolgen, weil die Sache in der zweiten Instanz zur Entscheidung angefallen ist (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG).

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