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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.07.2007
Aktenzeichen: 6 Ta 357/07
Rechtsgebiete: GKG, RVG, BGB, KSchG, ZPO


Vorschriften:

GKG §§ 39 ff.
GKG § 42
GKG § 42 Abs. 4 Satz 1
GKG § 45 Abs. 1 Satz 3
GKG § 63 Abs. 2
RVG § 33
BGB § 140
KSchG § 4 Satz 1
ZPO §§ 3 ff.
ZPO § 278 Abs. 6
ZPO § 779 Abs. 1
1. Der Vergleichsmehrwert für eine Ausgleichsklausel in einem Prozessvergleich richtet sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der klagenden Partei an der Aufnahme der Klausel in den Vergleich.

2. Geht es bei der Ausgleichsklausel um den Ausschluss von Forderungen auf Ersatz gegenwärtigen und/oder künftigen Schadens, bemisst sich der Vergleichsmehrwert nicht nur an der Höhe des bereits eingetretenen und künftig zu besorgenden Schadens. Abzustellen ist auch darauf, wir wahrscheinlich der Eintritt und die Höhe des künftigen Schadens sind. Ein weiteres, wesentliches Kriterium für die Bemessung des Vergleichsmehrwerts ist, wir hoch das Risiko der tatsächlichen Inanspruchnahme durch den Gläubiger ist.

3. Für die Bestimmung des Risikos der Inanspruchnahme ist auf das Verhalten des Schadensersatzgläubigers abzustellen. So wie der Streitwert einer negativen Feststellungsklage durch die Höhe der Forderungen bestimmt wird, deren sich der Gläubiger berühmt, wird das Risiko der ernstlichen und vollen Inanspruchnahme durch das Verhalten des Schadensersatzgläubigers bestimmt.

4. Für die Bemessung des Vergleichswerts ist auf die Umstände im Zeitpunkt des Abschlusses des Prozessvergleichs abzustellen.

5. Der Vergleichsmehrwert für eine Schadensersatzansprüche ausschließende Ausgleichsklausel wird nach unten begrenzt durch die konkrete Berühmung eines Schadensersatzanspruchs und nach oben durch die höchstrichterlich angedeutete Haftungsobergrenze nach den Grundsätzen der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung, sofern keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass seitens des Arbeitgebers weitergehende Ansprüche durchgesetzt werden sollen.


Tenor:

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 01.06.2007 - 1 Ca 1771/06 - wird zurückgewiesen.

Der Streitwert wird von Amts wegen unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses für das Verfahren auf 31.666,67 EUR und für den Prozessvergleich vom 19.04.2007 auf 50.191,67 EUR festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Bewertung einer Kündigungsschutzklage (Kündigungsschutz- und Fortbestandsantrag), einer Weiterbeschäftigungsklage und eines Prozessvergleichs mit den Regelungsgegenständen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Freistellung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Fortzahlung der Vergütung unter Erfüllung restlicher Urlaubsansprüche, Zahlung einer Abfindung, Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses mit bestimmter Bewertung und allgemeiner Ausgleich aller Ansprüche einschließlich eventueller Schadensersatzansprüche.

Der Kläger war seit dem 01.09.2003 als Personalleiter am Standort P1 für die Beklagte tätig. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 18.12.2006 fristlos und "ersatzweise" mit Schreiben vom 22.12.2006 zum 30.06.2007. In der fristlosen Kündigung heißt es: "Derzeit lassen wir berechnen, in welchem Umfange dem Unternehmen durch Ihr Verhalten ein finanzieller Schaden entstanden ist. Wir behalten uns vor, Sie bezüglich dieses Schadens in Regress zu nehmen. Vor diesem Hintergrund machen wir im Hinblick auf die noch ausstehenden Gehaltsansprüche für den Monat Dezember 2006 oberhalb der Pfändungsfreigrenze von unserem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch." Im Verlaufe des Rechtsstreits hat die Beklagte dem Kläger vorgeworfen, er habe einer Personalreferentin in unzulässiger Weise arbeitsvertraglich finanzielle Vorteile verschafft, den Belegschaftsmitgliedern entgegen Konzernrichtlinien arbeitsvertraglich Sonderzulagen (SZ 2 und DZ 2) versprochen, bei der Einführung eines neuen tariflichen Vergütungssystems (ERA) die Anrechnung der Sonderzulagen verhindert und das ERA-System für sog. Unterschreiter umgangen. In der örtlichen Presse wurde im Hinblick auf den Rechtsstreit berichtet: "H1 hat sogar Schadensersatzansprüche in noch nicht bezifferter Höhe angekündigt."

Das Arbeitsgericht hat den Streitwert für das Verfahren auf 37.050 EUR (Kündigung vom 18.12.2006 - 3 x 6.175,00 EUR; Kündigung vom 22.12.2006 - 6.175 EUR; Weiterbeschäftigung - 2 x 6.175,00 EUR) und für den Prozessvergleich auf 397.050,00 EUR (Verfahren im Allgemeinen - 37.050,00 EUR; Erledigung Schadensersatzansprüche - 360.000,00 EUR als Dreijahresbetrag des von der Beklagten angegebenen Jahresvolumens des Schadens wegen der Sonderzulagen) festgesetzt.

Gegen diese Festsetzung wenden sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers. Sie meinen, der Vergleichsmehrwert für den Prozessvergleich sei mit 2.310.835,00 EUR festzusetzen. Gegenstand der Ausgleichsklausel und daher bei der Festsetzung des Vergleichsmehrwerts zu berücksichtigen seien folgende Schadenspositionen

- Finanzielle Vorteile der Personalreferentin, berechnet auf der Basis einer anzunehmenden Dauer der Betriebszugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmerin von 15 Jahren (15 x 25.889,00 EUR), damit im Ergebnis 388.335,00 EUR;

- Sonderzulagen (SZ 2/ DZ 2) der Arbeitnehmer mit einem Jahresvolumen von 120.000 EUR, berechnet auf der Basis einer durchschnittlichen Dauer der Betriebszugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer von 15 Jahren, damit im Ergebnis 1.800.000,00 EUR;

- Fehlerhafte Einführung des neuen Vergütungssystems ERA (Verhinderung der Anrechnung der Sonderzulagen), für 28 betroffene Arbeitnehmer jeweils der "Regelstreitwert" von 4.000 EUR, damit im Ergebnis 112.000,00 EUR;

- Vorteile für die Personalreferentin durch Gewährung von Freizeitausgleich - 10.500,00 EUR.

Die Beklagte wendet sich gegen die Berücksichtigung eines Vergleichsmehrwertes, weil keinerlei Schadensersatzansprüche anhängig gemacht oder vorgerichtlich verbindlich und beziffert geltend gemacht worden seien und weil etwaige Schadensersatzansprüche wegen Verfalls im Zeitpunkt des Vergleichs nicht mehr realisierbar gewesen seien. Zudem seien die Ansätze weit überhöht. Schließlich würden die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung nicht berücksichtigt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Verfahrensakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist an sich statthaft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 5 Sätze 1 u. 4 GKG) und nach Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Nichtabhilfe dem Beschwerdegericht vorgelegt worden (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 GKG). Sie hat in der Sache keinen Erfolg. Die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung ist von Amts wegen abzuändern.

1. Die Streitwertfestsetzung im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren richtet sich nach § 63 Abs. 2 GKG und nicht nach § 33 RVG (ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 362 u. 380).

2. Die Beschwerde ist unbegründet. Zudem bedarf die Festsetzung des Streitwerts durch das Arbeitsgericht der Korrektur von Amts wegen.

2.1. Der Streitwert für das Verfahren beläuft sich auf 31.666,67 EUR.

2.1.1. Der Kündigungsschutzantrag betr. die außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung ist mit dem Vierteljahresentgelt nach § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG zu bewerten.

Vierteljahresentgelt ist grundsätzlich die vereinbarte Bruttovergütung. Abzustellen ist auf das arbeitsleistungsbezogene Arbeitsentgelt des auf den Beendigungstermin folgenden Vierteljahreszeitraums. Jahresleistungen sind nur zu berücksichtigen, wenn sie Entgeltcharakter haben. Ist in diesen Leistungen dagegen eine Belohnung für erwiesene Betriebstreue zu sehen, stellen sie kein Arbeitsentgelt dar. Entscheidend ist der mit der Leistung verfolgte Zweck (LAG Hamm 14.03.2007 - 6 Ta 67/07; LAG Rheinland-Pfalz 16.06.2004 - 7 Ta 76/04). Im Streitfall hat der Kläger die jährliche Arbeitsvergütung mit etwa 76.000 EUR angegeben. Nach § 2 des schriftlichen Arbeitsvertrags kommt den Jahresleistungen ein Entgeltcharakter zu. Damit sind für den Kündigungsschutzantrag 1/4 der jährlichen Arbeitsvergütung anzusetzen.

Der gegen zwei Kündigungen gerichtete Kündigungsschutzantrag ist einheitlich mit dem Vierteljahresentgelt zu bewerten. Eine Zusammenrechnung der Werte von Kündigungsschutzklagen kommt regelmäßig nicht in Betracht, wenn sich die klagende Partei gegen eine außerordentliche und vorsorglich ordentliche Kündigung wendet. Zwar handelt es sich bei den beiden Kündigungen um zwei rechtlich voneinander unterscheidbare Willenserklärungen, deren Wirksamkeit unterschiedlich zu beurteilen sein kann. Mit einer außerordentlichen, vorsorglich ordentlichen Kündigung will der Erklärende jedoch regelmäßig sicherstellen, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund des gleichen Lebenssachverhaltes jedenfalls mit dem Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sein Ende findet. Diese Fallgestaltung unterscheidet sich hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nicht von dem Fall, in dem der Arbeitgeber lediglich eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärt, sich jedoch im Prozess gemäß § 140 BGB auf eine Umdeutung dieser Kündigung in eine ordentliche Kündigung beruft. Für sie ist in gleicher Weise nur einmal der in § 42 Abs. 4 S.1 GKG genannte Wert anzusetzen (LAG Beschl. v. 25.04.2003 - 17 Ta (Kost) 6023/03; LAG Berlin Beschl. v. 23. Oktober 2001 - 17 Ta 6137/01 (Kost); LAG Rheinland-Pfalz 13.06.2001 - 2 Ta 619/01; LAG München 02.05.2006 - 7 Ta 138/06; LAG Düsseldorf 29.08.2005 - 17 Ta 503/05; LAG Düsseldorf 17.08.2006 - 6 Ta 452/06).

Im vorliegenden Fall kommt daher eine Zusammenrechnung der Streitwerte beider Kündigungsschutzklagen nicht in Betracht. Der Beklagten ging es wie bei einer zeitgleich ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung nur darum, dass der unverändert gebliebene Kündigungssachverhalt jedenfalls zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist führt. Dass die ordentliche Kündigung vier Tage nach der außerordentlichen Kündigung erklärt wurde, ist dabei ohne Belang, da dies im Vergleich zu einer sofort erklärten ordentlichen Kündigung nicht zu einer Verlängerung der Kündigungsfrist führte.

2.1.2. Der Weiterbeschäftigungsanspruch wird hier mit 2/3 des Vierteljahresentgelts in Ansatz gebracht. Der vom LAG Hamm in ständiger Rechtsprechung derart in Ansatz gebrachte Streitwert stellt im Hinblick auf die reale Bedeutung für den Arbeitnehmer nur einen "fiktiven" Wert dar. Der Antrag ist auf eine vollstreckbare künftige wiederkehrende Leistung gerichtet, welche den Ausschlag dafür geben kann, ob der Arbeitnehmer nicht nur den Kündigungsschutzprozess gewinnt, sondern auch seinen Arbeitsplatz tatsächlich behält (LAG Hamm 30.01.2002 - 9 Ta 591/00).

2.1.3. Für den Antrag auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses, der ergänzend zum Kündigungsschutzantrag gemäß § 4 Satz 1 KSchG gestellt wird, fällt ein besonderer Streitwert nicht an (LAG Hamm, Beschl. v. 03.02.2003 - 9 Ta 520/02). Hierfür spricht schon § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Der Fortbestandsantrag zielt zudem regelmäßig nur auf die Verlängerung der Anrufungsfrist (§ 6 KSchG analog) und auf die Vorbereitung einer noch nicht absehbaren Klageerweiterung, ohne schon einen weiteren Streitgegenstand in den Rechtsstreit einzuführen.

2.2. Der Streitwert für den Prozessvergleich beträgt 50.191,67 EUR.

2.2.1. Die Streitwertfestsetzung richtet sich auch für den Prozessvergleich und selbst für den Mehrvergleich nach § 63 Abs. 2 GKG und nicht nach § 33 RVG (LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 04.04.2005 - 3 Ta 44/05; LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.02.2006 - 3 Ta 23/06; LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 29.12.2000 - 3 Ta 90/00). Zwar werden im arbeitsgerichtlichen Verfahren für den Mehrvergleich keine Gebühren verlangt. Dies ändert aber nichts daran, dass in einem Verfahren, bei dem sich die Gebühren nach dem Streitwert richten, eine Wertfestsetzung zu erfolgen hat. Mangels eigenständigen Gebührentatbestands für das arbeitsgerichtliche Verfahren ist auf den allgemeinen Gebührentatbestand Nr. 1900 KV GKG zurückzugreifen (LAG Baden-Württemberg Beschl. v. 21.02.2006 - 3 Ta 23/06). Der Gebührentatbestand für den Mehrvergleich findet sich dagegen nicht in Nr. 1000 VV RVG. Dieser Gebührentatbestand betrifft nicht die Frage, wann ein Vergleichsmehrwert anzunehmen ist, sondern wann eine Einigungsgebühr entsteht (LAG Baden-Württemberg Beschl. v. 21.02.2006 - 3 Ta 23/06).

Für die Berechnung des Vergleichswerts bzw. des Mehrvergleichswerts existiert keine besondere Vorschrift. Daher ist auf den Anspruch oder das Recht abzustellen, das Gegenstand des Vergleichs ist. Deren Bewertung richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften, also nach den §§ 39 ff. GKG und § 3 ff. ZPO unter Berücksichtigung von Ermäßigungsvorschriften wie § 42 GKG (Schneider-Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 12.A., Rn. 5683 f.).

Nach Nr. 1900 KV GKG liegt ein Mehrvergleich vor, wenn der Wert des Vergleichsgegenstands den Wert des Verfahrensgegenstands übersteigt. Dabei ist Vergleichsgegenstand der vom Vergleich betroffene Gegenstand, nicht etwa der danach geschuldete (Hartmann, Kostengesetze, 37.A., Nr. 1900 KV GKG Rn 7; Schneider-Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 12.A., Rn. 5685).

Voraussetzung ist ein gerichtlicher Vergleich. Dieser erfordert im Gegensatz zur Einigung nach Nr. 1000 VV RVG ein gegenseitiges Nachgeben der Parteien. Es genügt ein Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO (Hartmann, Kostengesetze, 37.A., Nr. 1900 KV GKG Rn. 4). Vergleich ist nach § 779 Abs. 1 ZPO ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird.

Voraussetzung für die Festsetzung eines über den Wert des Verfahrens im Allgemeinen hinausgehenden Einigungs(mehr)werts ist, dass im Zusammenhang mit der vergleichsweisen Beilegung des anhängigen Rechtsstreits der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein nicht streitgegenständliches Rechtsverhältnis beseitigt wurde.

2.2.2. Durch den Prozessvergleich haben die Parteien zunächst den Streit um die streitgegenständlichen Ansprüche (Rechtswirksamkeit der Kündigungen, Pflicht zur Weiterbeschäftigung) beigelegt. Darüber hinaus haben die Parteien die Ungewissheit über eventuelle Schadensersatzansprüche der Beklagten beseitigt.

2.2.2.1. Streit meint das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Standpunkte bezüglich des Rechtsverhältnisses (Bamberger/Roth-Schwerdtfeger, BGB, § 779 Rn.12 f.), wobei es um ernsthaft gegenseitige Standunkte gehen muss (PWW-Brödermann, § 779 Rn. 10). Der Streit kann tatsächlicher oder rechtlicher Natur sein. Ausreichend sind bereits subjektive Zweifel über den Bestand des Ausgangsrechtsverhältnisses (BGH Urt. v. 06.11.1991 - XII ZR 168/90). Es müssen Zweifel beider Parteien über das Ausgangsrechtsverhältnis oder Zweifel einer Partei, die der anderen bekannt sind, vorliegen (Palandt-Sprau, BGB, 65.A., § 779 Rn. 4).

2.2.2.2. Mit dem Prozessvergleich haben die Parteien den Streit um die streitgegenständlichen Ansprüche beigelegt.

Die Parteien haben hierzu Regelungen getroffen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, zur Zahlung einer Abfindung, zur Freistellung bis zum Endzeitpunkt des Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung der Arbeitsvergütung und unter Erfüllung von Urlaubsansprüchen, zur Erteilung eines qualifizierten Schlusszeugnisses und zum Ausgleich aller Ansprüche. Solche Regelungen zur Beendigung einer Bestandsschutzstreitigkeit und zur Abwicklung eines Arbeitsverhältnisses als unstreitige Konsequenz der Beendigungsvereinbarung bzw. als abfindungsähnliche freiwillige Leistungen im Hinblick auf die Beendigungsvereinbarung (z.B. Freistellung bis zum Endzeitpunkt des Arbeitsverhältnisses - auch zur Erledigung der Urlaubsansprüche, Fortzahlung der Arbeitsvergütung ohne Anrechnung von Zwischenverdienst) rechtfertigen unter Beachtung des sozialpolitischen Zwecks von § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG keine gesonderte Bewertung (vgl. ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 329), sofern sie nicht bereits streitgegenständlich sind. Insbesondere kündigungsabhängige Ansprüche führen zu keinem Mehrwert der Einigung (BAG 20.01.1967 - 2 AZR 232/65; ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 327); auch eine Abfindung bleibt ohne Bewertung (ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 326). Eine Freistellung ist nicht zu bewerten, sofern zuvor kein Streit über die Freistellung bestand (LAG Hamm 17.03.1994 - 8 Ta 465/93; ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 328 f.). Im Streitfall ist der Beschäftigungsanspruch nicht geltend gemacht worden.

2.2.3. Durch den Prozessvergleich haben die Parteien ferner die Ungewissheit im Hinblick auf nicht streitgegenständliche Schadensersatzansprüche beigelegt. Der Vergleichsmehrwert ist mit 18.525,00 EUR (3 x 6.175 EUR) zu bewerten.

2.2.3.1. Ungewissheit wird oft mit dem Streit einhergehen, braucht es aber nicht. Sie kann die gegenwärtige Rechtslage, das Vorliegen bestimmter tatsächlicher Umstände, die künftige Rechtsentwicklung oder den künftigen Eintritt von Tatsachen, insbesondere als Bedingung für den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen, betreffen (Bamberger/Roth-Schwerdtfeger, BGB, § 779 Rn.12 f.).

Im arbeitsgerichtlichen Verfahren kann insbesondere die anstehende Abwicklung des Arbeitsverhältnisses mit einer Ungewissheit verbunden sein (Hartmann, Kostengesetze, 37.A., Nr. 1900 KV GKG Rn 9 f.). Eine Ausgleichsklausel kann in diesem Zusammenhang nur den Verfahrensgegenstand betreffen, sie kann aber auch darüber hinaus Gewissheit über das Bestehen und Nichtbestehen von Ansprüchen begründen. Ist Letzteres der Fall, kann insoweit ein Vergleichsmehrwert vorliegen. Kommt der Ausgleichsklausel nur ein klarstellender Charakter zu, rechtfertigt dies regelmäßig nicht die Annahme eines Vergleichsmehrwerts.

Ausgangspunkt für die Festsetzung des Vergleichsmehrwerts für eine Gewissheit schaffende Ausgleichsklausel ist das wirtschaftliche Interesse der klagenden Partei an der die Gewissheit begründenden Regelung in der Ausgleichsklausel. Geht es um den Ausschluss von Forderungen auf Ersatz gegenwärtigen und/oder künftigen Schadens, bemisst sich der Vergleichsmehrwert nicht nur an der Höhe des bereits eingetretenen und künftig zu besorgenden Schadens. Denn die Bedeutung der Ungewissheit ist zwangsläufig größer, wenn der Schaden in absehbarer Zeit erkennbar droht als dann, wenn es sich nur um eine entfernt liegende, mehr theoretische, aber nicht völlig auszuschließende Möglichkeit handelt. Abzustellen ist daher auch darauf, wie wahrscheinlich der Eintritt und die Höhe des künftigen Schadens sind. Ein weiteres, wesentliches Kriterium für die Bemessung des Vergleichsmehrwerts ist, wie hoch das Risiko der tatsächlichen Inanspruchnahme durch den Gläubiger ist. Die im Streitwertrecht ausschlaggebende wirtschaftliche Betrachtungsweise darf Zweifel an der Realisierbarkeit und tatsächlichen Realisierung eines Anspruchs nicht ignorieren (Schneider MDR 1986, 182 unter Ziff. 3 a.E). Die Gefahr einer Verwirklichung einer Schadenersatzpflicht bzw. die Gefahr der ernstlichen und erfolgreichen Inanspruchnahme kann im Einzelfall so unwahrscheinlich sein, dass der Ausgleichsklausel jede selbständige wirtschaftliche Bedeutung fehlt oder nur der Ansatz eines "Erinnerungswertes" gerechtfertigt ist (in Anlehnung an BGH Beschl. v. 28.11.1990 - VIII ZB 27/90; BGH Beschl. v. 15.03.1989 - VIII ZR 300/88; Hessisches LAG Beschl. v. 16.06.1964 - 5 Sa 366/63; LAG Hamm Beschl. v. 28.02.1980 - 8 Ta 215/79; LAG Düsseldorf Beschl. v. 30.09.1987 - 7 Ta 140/87; Brandenburgisches OLG 20.06.2002 - 10 W 16/01).

Für die Bestimmung des Risikos der Inanspruchnahme ist auf das Verhalten der Schadensersatzgläubigerin abzustellen. So wie der Streitwert einer negativen Feststellungsklage durch die Höhe der Forderungen bestimmt wird, deren sich der Gläubiger berühmt (Brandenburgisches OLG 20.06.2002 - 10 W 16/01; OLG Düsseldorf 14.11.2002 - 4 WF 121/02), wird der Grad der Ungewissheit bei Schadensersatzforderungen, soweit es um das Risiko der ernstlichen und vollen Inanspruchnahme geht, entscheidend durch das Verhalten der Schadensersatzgläubigerin bestimmt. Irreale Berühmungen sind auf sinnvolle Werte zurückzuführen(OLG Düsseldorf 14.11.2002 - 4 WF 121/02).

Für die Festsetzung des Vergleichsmehrwerts für eine Gewissheit schaffende Ausgleichsklausel ist dabei auf das wirtschaftliche Interesse der klagenden Partei an der die Gewissheit begründenden Regelung in der Ausgleichsklausel im Zeitpunkt des Abschlusses des Prozessvergleichs abzustellen.

2.2.3.2. Im Streitfall bestand im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nicht ernstlich eine Ungewissheit im Hinblick auf Schadensersatzansprüche in Höhe von 2.310.835 EUR. Der Kläger hat nicht ernsthaft mit einer Inanspruchnahme durch die Beklagte mit Schadensersatzforderungen dieser Höhe rechnen müssen. Das Interesse an der Aufnahme der umfassenden Ausgleichsklausel rechtfertigt allenfalls den Ansatz mit 18.525 EUR (3 x 6.175 EUR).

Im Streitfall ist das Risiko der Inanspruchnahme überhaupt mit einer Schadensersatzanspruchsforderung als sehr gering zu veranschlagen gewesen. Die Beklagte hat sich noch nicht wegen bestimmter haftungsauslösender Tatbestände konkreter Schadensersatzforderungen berühmt. Sie hat in der außerordentlichen Kündigung lediglich die "Berechnung" eines finanziellen Schadens angekündigt. Zugleich hat sie sich allein "vorbehalten", den Kläger wegen eines Schadens in Regress zu nehmen. Die schadensauslösenden Tatbestände wurden nicht benannt. Solch eine Ankündigung, die Möglichkeit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen prüfen zu wollen, stellt noch keinen Eingriff in die Rechtssphäre des Klägers dar (vgl. BGH 10.10.1991 - IX ZR 38/91). Es ist von der Beklagten auch nur ein Zurückbehaltungsrecht wegen noch ausstehender Gegenansprüche im Hinblick auf die pfändbaren Teile der Arbeitsvergütung für Dezember 2006 und damit in einem geringen wirtschaftlichen Ausmaß ausgeübt worden.

Während des Rechtsstreits hat die Beklagte sich schriftsätzlich zwar auf angeblich vom Kläger verursachte Schäden (nicht auf Schadensersatzansprüche) wegen eigenmächtiger Handlungen und arbeitsvertraglicher Regelungen berufen, jedoch nur zur Begründung der streitbefangenen verhaltensbedingten Kündigungen, nicht zur Begründung und Bezifferung von Schadensersatzansprüchen. Die Beklagte hat sich allein eines Kündigungsrechts, nicht jedoch des Bestehens von umfangreichen Schadensersatzansprüchen berühmt.

Schadensersatzansprüche wurden auch nicht konkretisiert und beziffert außergerichtlich geltend gemacht. So weit die Beschwerdeführer sich auf Erklärungen einer Führungskraft aus dem Konzernbereich berufen, kann dem Vortrag nicht entnommen werden, dass seitens der Beklagten eine relevante Berühmung vorliegt, die über die Erklärung in der außerordentlichen Kündigung hinausgeht und bis zum Zeitpunkt des Abschlusses des Prozessvergleichs aufrechterhalten worden ist.

Auch der Vortrag zu den Verhandlungen über den Prozessvergleich und die Dotierung des Prozessvergleichs lassen nicht erkennen, dass die angeblichen Schadensersatzansprüche überhaupt ernstlich eine Rolle gespielt haben bei den streitbeendenden Verhandlungen.

Aus all dem ist zu entnehmen, dass die Beklagte sich im Wesentlichen nur zur Durchsetzung der Kündigungen auf vom Kläger angeblich verursachte Schäden berufen hat. Keine Umstände deuten darauf hin, dass Schadensersatzansprüche ernsthaft anlässlich der Vergleichsverhandlungen erörtert und in die Abwägung und Interessenlösung eingestellt worden sind. Die Beklagte hat keinen ernstlichen Anlauf genommen, die vom Kläger im Kündigungsschutzverfahren vehement bestrittenen, nun aber von seinen Prozessbevollmächtigten zur Begründung der Beschwerde angeführten Schadensersatzansprüche geltend zu machen. In einer Stellungnahme der Beklagten nach Abschluss des Vergleichs ist daher von einem lediglich klarstellenden, nicht hingegen regelnden Charakter der Ausgleichsklausel die Rede. Diese konkreten Umstände bestätigen die allgemeine Erfahrung aus arbeitsgerichtlichen Verfahren, dass Arbeitgeber Schadensersatzansprüche wegen nicht strafrechtlich relevanter Pflichtwidrigkeiten bei der Ausübung von Leitungsfunktionen regelmäßig nicht oder nur zur oder anlässlich der Abwehr von Restansprüchen aus Arbeitsverhältnissen geltend machen.

Auch aus dem Vortrag des Klägers während des Kündigungsschutzverfahrens lassen sich keine Ansatzpunkte für die ernsthafte Gefahr einer Inanspruchnahme wegen Schadensersatzes entnehmen. Der Kläger hat substantiiert und überzeugend den Grund für Schadensersatzansprüche bestritten. Er hat sich zudem zur Höhe des angeblichen Schadensvolumens wegen der Sonderzulagen mit Nichtwissen erklärt.

Die Gefahr einer ernstlichen und erfolgreichen Inanspruchnahme mit Schadensersatzforderungen in der von den Beschwerdeführern genannten Höhe ist daher im Streitfall als so unwahrscheinlich einzuschätzen, dass die Schadensspekulationen der Beschwerdeführer keine hinreichende Grundlage für die Bezifferung des Vergleichsmehrwertes bieten.

2.2.3.3. Der Vergleichsmehrwert für die Gewissheit schaffende Ausgleichsklausel wird im Streitfall nach unten begrenzt durch die konkrete Berühmung eines Schadensersatzanspruchs in dem Kündigungsschreiben und nach oben durch die höchstrichterlich angedeutete Haftungsobergrenze nach den Grundsätzen der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung.

Wenn überhaupt von einer Berühmung eines Schadensersatzanspruchs durch die Beklagte auszugehen ist, dann allenfalls wegen eines Anspruchs in Höhe des pfändbaren Betrages der Arbeitsvergütung für Dezember 2006. In dieser Höhe hat die Beklagte zunächst ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht, welches sie jedoch im Prozessvergleich wieder aufgegeben hat. Der Höchstbetrag für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts wird hier bestimmt durch die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den Grundsätzen der eingeschränkten Haftung der Arbeitnehmer angedeutete Haftungsobergrenze von drei Bruttomonatseinkommen (BAG 15.11.2001 - 8 AZR 95/01; BAG 12.11.1998 - 8 AZR 221/97). Liegen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass seitens des Arbeitgebers weitergehende Ansprüche durchgesetzt werden sollen, bestimmt diese angedeutete Haftungsobergrenze auch eine Obergrenze für die Bestimmung des Streitwerts für den Vergleichsmehrwert.

Im Streitfall kann dieser Höchstbetrag der Festsetzung des Vergleichsmehrwerts zu Grunde gelegt werden. Immerhin ist mit der außerordentlichen Kündigung ein Schadensersatz unbestimmter Höhe angesprochen worden. Des Weiteren ist dem Kläger im Kündigungsschutzverfahren die Verursachung außerordentlicher Schäden zugeschrieben worden. Es deutet aber nichts darauf hin, dass die Beklagte Schadensersatzansprüche oberhalb dieser angedeuteten Haftungsobergrenze durchsetzen wollte. Wenn die Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang zu Lasten ihres Mandanten anführen, diesem würde eine vorsätzliche Schadensverursachung unterstellt, vermag dies nicht zu überzeugen. Dem Kläger ist eigenmächtiges Verhalten, nicht aber eine vorsätzliche Schadenszufügung unterstellt worden. Dies verdeutlicht die Stellungnahme der Beklagten, die zudem selbst die Grundsätze der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung anführt.

III.

Die Minderbewertung gegenüber der Streitwertfestsetzung des Arbeitsgerichts kann erfolgen, weil das Verschlechterungsverbot im Streitwertfestsetzungsverfahren nicht gilt (Schneider-Herget, Streitwert-Kommentar für den Zivilprozess, 12.A., Rn. 4984; ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 375 mwN.). Die Festsetzung kann durch das erkennende Gericht von Amts wegen erfolgen, weil die Sache in der zweiten Instanz zur Entscheidung angefallen ist (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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