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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.04.2007
Aktenzeichen: 6 Ta 49/07
Rechtsgebiete: GKG


Vorschriften:

GKG § 42 Abs. 4
1. Der Streit um die Entfernung von schriftlichen Abmahnungserklärungen aus der Personalakte ist unabhängig von der Anzahl der Abmahnungserklärungen, der auf Entfernung oder gar auf "Widerruf" gerichteten Anträge und der einer oder mehreren Abmahnungen zu Grunde liegenden Sachverhalte und der Aufteilung auf verschiedene Rechtsstreite regelmäßig mit bis zu 1/3 des Vierteljahresverdienstes, keinesfalls über 2/3 des Vierteljahresentgelts, zu bewerten.

2. Der so gefundene Streitwert kann leicht erhöht werden, darf jedoch den Regelwert für Bestandsschutzstreitigkeiten nicht ganz erreichen, soweit auch das berufliche Fortkommen der klagenden Partei durch die Abmahnungserklärungen konkret gefährdet wird.


Tenor:

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hagen vom 03.01.2007 - 5 (4) 1234/06 - wird zurückgewiesen.

Der Streitwert wird unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses von Amts wegen für das Verfahren auf 500 EUR festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Bewertung einer Klage auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte, auf Widerruf der in der Abmahnung enthaltenen Behauptung gegenüber der Klägerin und auf künftiges Unterlassen dieser Behauptung. Das Arbeitsgericht hat den Streitwert auf 7.449 EUR (3 x Monatsentgelt von 2.483 EUR) festgesetzt. Die Beschwerdeführer meinen, der Streitwert betrag zumindest 17.360 EUR (Entfernung der Abmahnung - 1 Monatsentgelt; Widerruf und Unterlassung jeweils 3 Monatsentgelte).

Zwischen den Parteien kam es darüber hinaus vor dem Arbeitsgericht Hagen zu folgenden Rechtsstreitigkeiten:

- Klage vom 21.06.2006 wegen der Abmahnung vom 02.06.06 (5 Ca 1185/06),

- Klage vom 21.06.2006 wegen Widerrufs und Unterlassung der in einer Abmahnung enthaltenen Behauptung (5(4) Ca 1186/06),

- Klage vom 27.06.2006 wegen Abmahnung vom 02.06.2006 (5(3) Ca 1209/06),

- Klage vom 26.06.2006 wegen Widerrufs und Unterlassung der in einer Abmahnung enthaltenen Behauptung (5(2) Ca 1213/06),

- Klage vom 05.07.2006 wegen Abmahnung vom 30.03.2006 (5(4) Ca 1267/06),

- Klage vom 06.07.2006 wegen qualifizierten Zeugnisses, Bescheinigung über Weiterbildung und Auskunft gegenüber Dritten entsprechend den Angaben im Zeugnis (5(4) Ca 1288/06),

- Klage vom 11.07.2006 wegen der Kündigung vom 30.06.2006, dem Fortbestand des Arbeitsverhältnis, der Weiterbeschäftigung und der Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses (5 Ca 1327/06),

- Klage vom 13.07.2006 wegen Abmahnung vom 02.06.2006 (5(3) Ca 1345/06),

- Klage vom 13.07.2006 wegen Abmahnung vom 31.05.2006 (5(4) Ca 1346/06),

- Klage vom 17.07.2006 wegen der Kündigung vom 06.07.2006, dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und der Erteilung einer Arbeitsbescheinigung (5(4) Ca 1397/06) und

- Klage vom 20.07.2006 wegen Abmahnung vom 02.06.2006 (5(3) Ca 1414/06).

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Verfahrensakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist an sich statthaft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 5 Sätze 1 u. 4 GKG) und nach Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Nichtabhilfe dem Beschwerdegericht vorgelegt worden (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 GKG). Die Beschwerde ist zunächst nur paraphiert worden. Das Zeichen auf dem Schriftsatz vom 16.01.2007 (ebenso unter der Klageschrift) lässt die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung selbst bei großzügiger Betrachtung nicht erkennen. Der zeichnende Beschwerdeführer hat einen Nachnamen mit 10 Buchstaben, von denen vier Buchstaben Oberlängen haben. Auf den bestimmenden Schriftsätzen findet sich als Namenszeichen jeweils eine nach oben verlaufende Wellenlinie, in der gerade noch der Anfangsbuchstabe des zeichnenden Beschwerdeführers erkennbar ist. Durch den Schriftsatz vom 01.03.2007 hat der andere Beschwerdeführer mit ordnungsgemäßer Unterzeichnung die Verantwortung auch für die Beschwerde übernommen, was hier ausreicht.

III.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

1. Die Anträge zu 1) und 2) sind insgesamt mit 500 EUR zu bewerten.

1.1. Der Streit um die Entfernung von schriftlichen Abmahnungserklärungen aus der Personalakte ist unabhängig von der Anzahl der Abmahnungserklärungen, der auf Entfernung oder gar auf "Widerruf" gerichteten Anträge und der einer oder mehreren Abmahnungen zu Grunde liegenden Sachverhalte und der Aufteilung auf verschiedene Rechtsstreite regelmäßig mit bis zu 1/3 des Vierteljahresverdienstes, keinesfalls über 2/3 des Vierteljahresentgelts zu bewerten. Die Beeinträchtigung durch Abmahnungen liegt primär darin, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses wegen der angedrohten kündigungsrechtlichen Folgen gefährdet sein kann. Daneben können unberechtigte Abmahnungen die Grundlage für eine falsche Beurteilung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber sein, wodurch das berufliche Fortkommen behindert wird oder sich andere arbeitsrechtliche Nachteile ergeben können (BAG 3. Februar 1993 - 5 AZR 283/92). Der Streitwert für Klagen auf Entfernung, Vernichtung und/oder Widerruf dieser Erklärungen ist zunächst in Relation zum Wert einer Bestandsschutzklage zu bestimmen. Da die wirtschaftliche Bedeutung eines Streits über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses erheblich schwerer wiegt als ein oder mehrere Verfahren wegen dessen bloßer Gefährdung, wird ein Ansatz von bis zu einem Drittel des Regelwerts einer Bestandsschutzklage nach § 42 Abs. 4 GKG, keinesfalls über zwei Drittel des Regelwertes, als angemessen angesehen. Für die Bewertung ist nicht die Anzahl der Abmahnungserklärungen oder der ihnen jeweils zu Grunde liegenden Sachverhalte von Bedeutung, sondern der Grad der Gefährdung des Arbeitsverhältnisses durch die streitbefangenen Erklärungen. Der Grad der Gefährdung wird bestimmt durch die Qualität und Aktualität der Warnfunktion der Abmahnung. Es ist anerkannt, dass die Warnfunktion einer Abmahnung erheblich dadurch abgeschwächt werden kann, dass der Arbeitgeber bei ständig neuen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers stets nur mit einer Kündigung droht, ohne jemals arbeitsrechtliche Konsequenzen folgen zu lassen (BAG 15. November 2001 - 2 AZR 609/00; BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03). Eine Abmahnung kann nur dann die Funktion erfüllen, den Arbeitnehmer zu warnen, dass ihm bei der nächsten gleichartigen Pflichtverletzung die Kündigung droht, wenn der Arbeitnehmer diese Drohung ernst nehmen muss. Dies kann je nach den Umständen nicht mehr der Fall sein, wenn jahrelang die Kündigung stets nur angedroht wird. Es handelt sich dann um eine "leere" Drohung. Eine Abmahnung kann auch über den Zeitablauf an Gefährdungswirkung verlieren. Bei der Bestimmung des Streitwerts ist insoweit zu berücksichtigen, dass eine Klage auf Entfernung, Vernichtung und/oder Widerruf von Abmahnungserklärungen regelmäßig nicht geeignet ist, die Gefährdung des Arbeitsverhältnisses und die Erschwerung des beruflichen Fortkommens wirklich zu beseitigen (BAG 21. Mai 1992 - 2 AZR 551/91).

Der so gefundene Streitwert kann leicht erhöht werden, darf jedoch den Regelwert für Bestandsschutzstreitigkeiten nicht ganz erreichen, soweit auch das berufliche Fortkommen der klagenden Partei durch die Abmahnungserklärungen konkret gefährdet wird.

1.2. Im Streitfall ging es um die Entfernung einer von insgesamt sieben streitbefangenen Abmahnungen. Erst nach Zugang dieser Abmahnungen kam es zu den fristlosen und hilfsweise ordentlichen Kündigungen des Arbeitsverhältnisses. In der Sache hat die Arbeitgeberin wiederholt von ihrem Rügerecht Gebrauch gemacht und dadurch die ansteigende Gefährdung des Arbeitsverhältnisses dokumentiert. Um die endgültige Beseitigung nur eines Elements dieses Gefährdungstatbestands haben die Parteien im Streitfall gestritten. Bei der Bestimmung des Streitwerts ist zunächst der gesamte Gefährdungstatbestand (durch alle 7 Abmahnungen) mit zwei Monatsentgelt zu bewerten. Dies rechtfertigt sich daraus, dass sich unmittelbar an die letzte Abmahnung eine außerordentliche Kündigung anschloss. Zudem wurden der Klägerin gravierende Verletzungen ihrer Arbeitspflicht vorgehalten. Eine für das Arbeitsverhältnis sehr hohe Bestandsgefährdung lag aufgrund der Abmahnungen vor.

Bei der streitbefangenen Abmahnung ist jedoch zu berücksichtigen, dass von ihr eine nicht mehr aktuelle Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ausging. Immerhin datiert die Abmahnung vom 25.10.2004. Auch die späte Klageerhebung zeigt, dass die Klägerin zunächst keinen Anlass für eine Abwehr der Gefährdung sah. Zudem überzeichnet die Klägerin den Inhalt der Rüge, wenn sie darin den Vorwurf sieht, sie habe eine Bewohnerin bewusst in eine lebensgefährliche Situation gebracht und die Gefahr einer Fußamputation heraufbeschworen. Aus dem Zusammenhang des Abmahnungsschreibens ergibt sich nur der Vorwurf, dass durch das Unterlassen gebotener Handlungen gesundheitliche Gefahren und Leiden verursacht worden seien. Hinzu kommt Folgendes: Die Klägerin hat die einzelnen Elemente des Gefährdungstatbestands in 9 (!) Rechtsstreiten unmittelbar (Entfernung, Widerruf, Unterlassung), in zwei Rechtsstreiten mittelbar (qualifiziertes Zwischenzeugnis, qualifiziertes Zeugnis) und in zwei Rechtsstreiten inzidenter (Kündigungsschutzklagen) zur Überprüfung stellt. Dadurch kommt dem wirtschaftlichen Interesse gerade im vorliegenden Rechtsstreit an der Klärung nur eines Elements des Gefährdungstatbestands eine eher geringe Bedeutung zu. Die Bestandsgefährdung für das Arbeitsverhältnis wird in den Bestandsschutzstreitigkeiten und die Fortkommenserschwerung wird in den Zeugnisstreitigkeiten zu klären sein. Das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an dem Ergebnis des vorliegenden Rechtsstreits ist daher nur als gering einzustufen. Daher kann der Streit um die streitbefangene Abmahnung mit 1/7 des Monatsentgelts bewertet werden, wobei der Betrag wegen der besorgten Erschwerung des beruflichen Fortkommens angemessen erhöht wird.

2. Die Anträge auf Widerruf und Unterlassung rechtfertigen keine Erhöhung.

2.1. Im Zivilrecht sind Widerrufs- und Unterlassungsbegehren ihrem Wesen nach verschieden und begründen unterschiedliche Streitgegenstände, die regelmäßig zu einer Addition der Streitwerte führen. Der Unterlassungsanspruch zielt auf die Abwehr künftigen rechtswidrigen Handelns. Die in der Vergangenheit liegende, abgeschlossene Persönlichkeitsverletzung ist Anlass, nicht aber Gegenstand des Unterlassungsanspruchs. Der negatorische Widerrufsanspruch soll zwar auch zukünftige Störwirkungen bekämpfen. Er richtet sich aber unmittelbar auf Beseitigung der in der Vergangenheit liegenden Quelle einer heute noch fortwirkenden Beeinträchtigung durch eine dem Beklagten abverlangte Erklärung (BGH Beschl. v. 12.07.1994 - VI ZB 43/93). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Rechtsordnung einen Anspruch auf Widerruf dem Betroffenen selbst gegenüber nicht kennt. Vielmehr geht der Widerrufsanspruch nach seiner Funktion im Rechtssystem auf die Wiederherstellung des Ansehens des Betroffenen in seiner sozialen Umwelt. Es gibt daher nur einen Anspruch auf Widerruf zur Beseitigung von "Außenwirkungen" und damit gegenüber denjenigen Dritten, vor denen die Äußerung erfolgt ist (BGH 08.11.1988 - VI ZR 117/88).

2.2. Im Streitfall hat die Klägerin keine solchen Ehrenschutzansprüche geltend gemacht. Der Widerrufsantrag zielt auf einen Widerruf durch schriftliche Erklärung gegenüber der Klägerin. Abgesehen davon, dass solch ein Antrag von vornherein keinen Erfolg haben konnte, war er zusammen mit dem Antrag auf Entfernung eines Schreibens aus der Personalakte und mit dem Antrag auf künftige Unterlassung der Behauptung aus der Abmahnung allein auf die Beseitigung der Gefährdung des Arbeitsverhältnisses gerichtet. Die Wiederherstellung des Ansehens der Klägerin in ihrem sozialen Umfeld ist nicht Gegenstand der Klage gewesen. Die Klägerin hat solche Verletzungen ihres Persönlichkeitsrechts nicht in den Rechtsstreit eingeführt. Ihr ging es allein im Verhältnis zur Beklagten um die endgültige Beseitigung des Vorwurfs aus der Abmahnung. Allein dieses wirtschaftliche Klageziel hat die Klägerin durch die drei Anträge verfolgt. Die wirtschaftliche Identität solcher Leistungsbegehren, die zusammen der Realisierung und Durchsetzung des eigentlichen Anspruchs dienen, ist im Streitwertrecht anerkannt (Frank, Anspruchsmehrheit im Streitwertrecht, S 187 mwN.).

Die von der Klägerin angezogenen Entscheidungen zu Streitwerten bei Persönlichkeitsverletzungen sind schon deshalb nicht einschlägig, weil es im Streitfall um solche Störungen im Umfeld des Arbeitsverhältnisses nicht ging.

3. Die Streitwertfestsetzung bleibt hier sehr weit hinter den Erwartungen der Beschwerdeführer zurück. Dies findet jedoch seinen Grund in gesetzlichen Wertungen aus § 42 Abs. 4 GKG. Würden die getrennten Klagen gegen die sieben Abmahnungen in einem einheitlichen Rechtsstreit unter Ausnutzung der degressiven Gebührentabelle jeweils mit 2.480 EUR (die Beschwerdeführer haben sogar zunächst das Monatsentgelt mit 3.307,83 EUR angegeben) und die drei Widerrufs- und Unterlassungsklagen mit jeweils 14.880 EUR bewertet werden, ergäbe sich eine Streitwertsumme von 62.000 EUR. Dies entspräche dem Streitwert von über 8 kompletten Bestandsschutzstreitigkeiten. Tatsächlich geht es aber in den Streiten um vertragliche Rügen allein um Vorfragen der tatsächlich erfolgten Kündigungen.

4. Die Minderbewertung gegenüber der Streitwertfestsetzung des Arbeitsgerichts kann erfolgen, weil das Verschlechterungsverbot im Streitwertfestsetzungsverfahren nicht gilt (Schneider-Herget, Streitwert-Kommentar für den Zivilprozess, 12.A., Rn. 4984; ArbGG-Wenzel, § 12 Rn. 375 mwN.). Die Festsetzung kann von Amts wegen erfolgen, weil die Sache in der zweiten Instanz zur Entscheidung angefallen ist (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG).

Hamm, den 16.04.2007

Ende der Entscheidung

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